Vorgeschobene Einsatzpunkte
Die beunruhigende Militärpräsenz der USA in Kolumbien von Maurice Lemoine
Kolumbiens Probleme reichen weit über seine Grenzen hinaus und haben Folgen für die Sicherheit und Stabilität der ganzen Region“, erklärte im August 1999 die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright.1 Am 13. Juli des folgenden Jahres unterzeichneten Präsident Bill Clinton und sein kolumbianischer Amtskollege Andrés Pastrana den Plan Colombia, der mit dem Drogenhandel und den Guerillas aufräumen sollte.
Ein Jahrzehnt später hat Kolumbien mehr als 5 Milliarden Dollar Unterstützung vor allem für Militärausgaben aus den USA erhalten. Im Jahr 2002 kam Präsident Álvaro Uribe an die Macht, nachdem er einen schnellen Sieg über die Guerillagruppen ELN und Farc versprochen hatte. Und wenn man den Berichten der kolumbianischen Armee Glauben schenken will, ist ihm das auch weitgehend gelungen: Im Jahr 2007 seien mehr als 6 500 Guerillakämpfer gefangen genommen und mehr als 3 000 getötet worden. Vergleichbare Zahlen wurden auch aus anderen Jahren gemeldet. Außerdem haben von 2002 bis Mai 2008 nahezu 15 000 Menschen am Entwaffnungsprogramm teilgenommen, darunter 9 000 Farc-Mitglieder. Wenn man bedenkt, dass die Farc etwa 15 000 Kämpfer gehabt haben soll, wäre sie also längst erledigt.
Am 30. Oktober 2009 unterzeichneten der kolumbianische Außenminister Jaime Bermúdez und der US-Botschafter William Brownfield ein neues Abkommen, das den USA über einen (verlängerbaren) Zeitraum von zehn Jahren die Nutzung von sieben Militärbasen auf kolumbianischem Territorium erlaubt – mit denselben Zielen wie schon im Plan Colombia.2
Obwohl sie seit zwei Jahren schwere Rückschläge hinnehmen musste, hat die Farc noch längst nicht aufgegeben. Die Nachricht von ihrer endgültigen Zerschlagung ist wohl eher auf eine makabre Art der Bilanzfälschung in der kolumbianischen Armee zurückzuführen. Derzeit laufen 1 300 Ermittlungsverfahren gegen Armeeangehörige – und das ist nur die Spitze des Eisbergs – wegen des Skandals der „falschen Erfolge“: Getötete Zivilisten wurden als im Kampf gefallene Guerilleros gezählt.
Der Truppenaufmarsch der USA in ihren sieben neuen Basen – Palanquero, Malambo, Apiay, Cartagena, Málaga, Larandia, Tolemaída – erscheint zumindest unverhältnismäßig angesichts eines Gegners, der nur über irreguläre Kämpfer verfügt, und des Ziels, Drogenplantagen mit Chemikalien aus der Luft zu zerstören. Im Rahmen des Plan Colombia halten sich ja bereits US- Offiziere und Ausbilder auf den Basen Tres Esquinas, Larandia und Puerto Leguízamo auf. Das Pentagon hat im Militärhaushalt 46 Millionen Dollar für den Aufbau der Basis von Palanquero am Ufer des Río Magdalena beantragt. Auf einer 3 500 Meter langen Piste sollen künftig C-17-Flugzeuge (Militärtransporter vom Typ Galaxy) mit 70 Tonnen Ladekapazität landen, die ohne Auftanken mehr als 8 000 Kilometer weit fliegen können. Von der Basis Apiay aus sollen Aufklärungsflugzeuge und Awacs (luftgestützte Radarsysteme) operieren.
Schon vor der offiziellen Bekanntgabe des Abkommens warnte der venezolanische Präsident Hugo Chávez beim Gipfel der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) am 10. August 2009 in Quito: „In Südamerika wehen die ersten Kriegswinde.“ Auch seine Amtskollegen Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador), Luiz Inácio da Silva (Brasilien), Tabaré Vasquez (Uruguay) und Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien) zeigten sich beunruhigt. Der ehemalige kolumbianische Präsident Ernesto Samper kommentierte: „Wir stellen unser Land als Flugzeugträger zur Verfügung, damit von dort aus Überwachungsoperationen für ganz Südamerika durchgeführt werden. [...] Das ist, als ob man jemandem seinen Balkon zur Verfügung stellt, der gar nicht im Hause wohnt, aber dort Spiegel und Videokameras zur Überwachung der Nachbarn installiert.“3
Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde die von den USA bis dahin verfolgte Strategie der Eindämmung eines gegnerischen Machtblocks (containment) abgelöst von der geostrategischen Omnipräsenz auf dem gesamten Globus. Für die neuen Militärtechnologien sind keine riesigen Basen mehr nötig, sondern ein dichtes Netz von Stützpunkten, die im Bedarfsfall als Operationsbasis für Sondereinsatzkräfte dienen können. Bis Ende 1999 übte Washington die militärische Kontrolle über Zentral- wie Südamerika vor allem mit seinen 14 Militärbasen in der Panamakanalzone aus – die wichtigste war der Luftwaffenstützpunkt Howard, wo sich auch der Sitz des Südkommandos der US-Streitkräfte (Southcom) befand.
Nach dem im Carter-Torrijos-Ab-kommen4 beschlossenen Rückzug aus Panama sicherte sich das Pentagon neue Stützpunkte, die fortan nicht mehr „Basen“ genannt wurden, sondern „Vorgeschobene Einsatzpunkte“ (Forward Operations Locations, FOL) oder „Gemeinsame Sicherheitseinrichtungen“ (Cooperative Security Locations, CSL): in Comalapa (El Salvador), Soto Cano (Honduras), Guantánamo (Kuba), Roosevelt Roads (Puerto Rico), Reina Beatriz (Aruba) und Hato Rey (Curaçao) – die beiden Inseln stehen unter niederländischer Verwaltung –, Iquitos und Nanay (Peru), Liberia (Costa Rica) und Manta (Ecuador).
Doch dann wurde im Mai 2003, gerade als das im Sinne der Monroe-Doktrin5 aufsässige Lateinamerika wieder zur außenpolitischen Priorität wurde, der Marinestützpunkt Roosevelt Roads nach heftigen Protesten der Einwohner der Insel Vieques (Puerto Rico) geschlossen. Trotz langen Werbens weigerte sich Brasilien, den USA die strategisch wichtige Militärbasis von Alcantara zu überlassen. Mit dem Wahlsieg von Präsident Fernando Lugo in Paraguay rückte die von den USA geplante Übernahme des Militärflughafens Mariscal Estigarribia, 100 Kilometer von der bolivianischen Grenze entfernt, in weite Ferne – was möglicherweise zu den Problemen beitrug, mit denen Lugo zurzeit zu kämpfen hat. Die vorläufig letzte Unannehmlichkeit: Die Konzession für die Militärbasis Manta, die am 18. September 2009 auslief, verlängerte der ecuadorianische Staatschef Rafael Correa nicht. Von Manta aus operierten die Aufklärungsflugzeuge Orion C-130 und Awacs.
Es sah eine Zeit lang so aus, als hätte das Weiße Haus mit Präsident Obama die kriegerische Rhetorik von George W. Bush aufgegeben. Doch die Planung im Pentagon erfolgt unabhängig vom jeweils amtierenden Präsidenten. Jeder Oberbefehlshaber – und Barack Obama wird da keine Ausnahme sein – setzt meist nur die Empfehlungen und Entscheidungen des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte und des Verteidigungsministeriums um.
Washington und Bogotá versichern, man wolle keineswegs „US-amerikanische Basen“ errichten, sondern lediglich „kolumbianische Einrichtungen“ nutzen. „Wir können unsere Differenzen beilegen, wenn wir auf gegenseitigen Respekt setzen und auf die Sicherheit, dass das Abkommen mit den USA niemals für eine Aktion gegen irgendein Land unseres Kontinents benutzt werden wird“, erklärte der kolumbianische Vizepräsident Francisco Santos beim Mercosur-Gipfel in Montevideo am 8. Dezember 2009. Er vermochte damit ebenso wenig zu überzeugen wie Präsident Uribe, der bei seiner Rundreise auf dem Subkontinent zu einer „offenen Aussprache“ vom 4. bis 6. August in Bolivien, Chile, Paraguay, Uruguay und Brasilien – die Ausnahme war Peru – ziemlich kühl empfangen worden war, und das aus guten Gründen.
In einem Dokument des US-Verteidigungsministeriums vom Mai 2009 für den Kongress, der die Mittel für den Umbau der Basis von Palanquero genehmigen sollte, wird präzisiert: „Der Aufbau dieser CSL bietet eine einmalige Gelegenheit, das komplette Operationsspektrum in einer kritischen Unterregion unserer Hemisphäre zu etablieren, in der Sicherheit und Stabilität ständig von Aufständen der Drogenterroristen, antiamerikanischen Regierungen, weit verbreiteter Armut und häufigen Naturkatastrophen bedroht sind.“6
Deutlicher kann man nicht sagen, dass die neuen Basen dem Ziel dienen, Aufklärungsoperationen in ganz Südamerika durchzuführen, und dass die Stationierung von US-Truppen dort künftig offene und/oder geheime Einsätze in Kolumbien und der gesamten Region ermöglicht.7 Ähnlich wie im Plan Colombia ist auch im neuen Abkommen der Aufenthalt von 800 US-Armeeangehörigen und 600 Angestellten der mächtigsten Firmen des militärisch-industriellen Komplexes in Kolumbien vorgesehen, als da wären: DynCorp, Bechtel, Lockheed Martin, Rendon Group und Raytheon (siehe Artikel auf Seite 17).
Die heftigsten Reaktionen kommen aus den Ländern, die ohnehin im Fokus Washingtons liegen, wie Bolivien, Ecuador und Venezuela. Die übliche US-amerikanische Vorgehensweise, Drittländer zu benutzen, um unliebsame Regierungen auszuspionieren, zu destabilisieren oder militärisch anzugreifen, ist zur Genüge bekannt. Der Putsch, mit dem 1954 Guatemalas Präsident Jacobo Arbenz Guzmán gestürzt wurde, ging von (geheimen) US-Basen in Nicaragua und Honduras aus. Das Gleiche gilt für die versuchte Invasion Kubas in der Schweinebucht im April 1961, die von Guatemala und Nicaragua aus organisiert wurde. Honduras war ebenfalls eine wichtige Drehscheibe für den Krieg gegen das sandinistische Nicaragua in den 1980er-Jahren, der vor allem von der US-Basis Palmerola (Soto Cano) aus geführt wurde.
Bogotá hat die Aufstellung einer neuen Division – 12 000 Mann, sechs Bataillone, davon zwei direkt an der Grenze zu Venezuela – und den Aufbau einer Militärbasis auf der Grenzhalbinsel Guajira angekündigt. Die Regierung von Panama teilte mit, dass die USA zwei (vielleicht sogar vier) Marinestützpunkte in ihrem Land errichten werden, in Bahia Piña und Punta Coca. In der Zwischenzeit kommt es immer wieder zu Provokationen: zu illegalen Flügen über venezolanisches Territorium durch eine Aufklärungsdrohne aus Kolumbien (am 20. Dezember 2009) sowie zwei US-amerikanische Jagdflugzeuge aus Curaçao (am 17. Mai 2009 und 7. Januar 2010). Und die psychologische Kriegsführung ist ohnehin in vollem Gange.
Venezuela gehört (zusammen mit – ausgerechnet – Birma und Bolivien) zu jenen drei Ländern, die nach Ansicht Washingtons keine Anstrengungen unternehmen, den Drogenhandel zu bekämpfen. Am 25. Mai 2009 schrieb die Tageszeitung El Tiempo aus Bogotá, dass nach Informationen des kolumbianischen Geheimdienstes ein Dutzend Guerillaführer in Kuba, Ecuador und Venezuela leben sollen. Bereits im März zeigten sich die kolumbianischen Generäle besorgt, weil sie nicht „gegen die zehn Feldlager der Farc-Rebellenchefs in Venezuela und Ecuador“8 vorgehen könnten.
Ein direkter Angriff der USA auf Venezuela ist im Augenblick weder vorstellbar noch vorgesehen. Doch das kleinste Problem an der Grenze, ein möglicher Zusammenstoß zwischen venezolanischen und kolumbianischen Soldaten oder auch nur ein vorgetäuschter Zwischenfall, könnte leicht als Vorwand dienen, um einen militärischen Konflikt vom Zaun zu brechen, in dem Washington seinem Verbündeten zu Hilfe kommt.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski