Blackwater und Konsorten
Afghanistan ist ein Wachstumsmarkt für private Militärdienstleistungen von Marie-Dominique Charlier
Kurz vor dem letzten Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in Bagdad im Januar fasste das US-Justizministerium einen Beschluss, der die irakische Öffentlichkeit beruhigen sollte. Die war empört über die Entscheidung eines US-Gerichts, den Prozess gegen fünf Mitarbeiter des privaten Militärdienstleisters Blackwater wegen Verfahrensfehlern einzustellen. Die fünf Männer hatten im September 2007 das Feuer auf eine Menschenmenge in Bagdad eröffnet und mindestens 14 Personen getötet.1 Nach der Intervention des US-Justizministers wird dieser Fall jetzt in die Berufung gehen.
Vorfälle wie diese werfen ein grelles Licht auf die dubiose Rolle der privaten Sicherheits- und Militärdienstleister in Kriegsgebieten. Und sie verweisen auf das rechtliche Vakuum, in dem diese Firmen operieren. Seit einiger Zeit tun sie das auch in Afghanistan, wo sie auf eigene Faust Strategien entwickeln, die ihre Einsätze immer lukrativer machen.
Am 19. August 2009 enthüllte die New York Times, dass die CIA schon 2004 die Dienste der Firma Blackwater in Afghanistan in Anspruch genommen hatte, und zwar bei einer Geheimoperation, mit der mehrere Al-Qaida-Anführer aufgespürt und getötet werden sollten. Die Aktion war ein Fehlschlag, aber Blackwater durfte für die Ausbildung der Truppe sowie für Wachschutz- und organisatorische Leistungen mehrere Millionen Dollar in Rechnung stellen.
Nachdem das Unternehmen wegen seiner Rolle im Irak in Misskredit geraten war, legte es sich im Februar 2009 den Namen „Xe Services“ zu. Aber auch unter dem neuen Label benutzt das Unternehmen in Afghanistan die gleichen Methoden. Am 5. Mai 2009 beschossen vier Blackwater-Leute – die formell zu einer Tochterfirma namens Paravant gehörten – einen afghanischen Pkw. Vier der Insassen wurden verletzt, einer getötet. Gegen zwei der Schützen hat ein US-Bundesgericht am 7. Januar 2010 Anklage erhoben, obwohl ihr Anstellungsverhältnis undurchsichtig bleibt.
Seit in den 1990er-Jahren die ersten privaten Militärdienstleister auf dem Markt auftraten, ist die Branche explosionsartig gewachsen.2 Inzwischen sind sie in internationalen Konfliktgebieten zu unentbehrlichen Akteuren geworden, und das gilt in militärischer wie in ökonomischer Hinsicht. Der Weltmarkt für Sicherheits- und Söldnerdienste erzielt einen Umsatz von mehr als 70 Milliarden Euro pro Jahr. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den drastischen Truppenabbau der US-Armee nach 1989 und mehr noch durch die neue Konzeption, die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld während seiner Amtszeit (2001–2006) durchsetzte: die Verschlankung des Militärapparats, die unter anderem durch Outsourcing zahlreicher nicht direkt militärischer Aufgaben erreicht werden sollte. Damit wollte Rumsfeld zum einen die Kontrolle durch den Kongress und die Öffentlichkeit umgehen, zum anderen eine „flexiblere“ Personalreserve für geheime Operationen zur Verfügung haben.
Das Personal der privaten militärischen Dienstleister auf afghanischem Boden wird derzeit auf 130 000 bis 160 000 Mann geschätzt.3 Das ist die zweithöchste Zahl nach dem Irak, wo 2007 nach Angaben des Pentagon 185 000 private Söldner tätig waren (gegenüber 160 000 regulären Soldaten). Aber diese Reihenfolge wird sich demnächst ändern, wenn die USA – wie von Präsident Obama angekündigt – weitere 30 000 Soldaten an den Hindukusch entsenden, denn mit diesen werden voraussichtlich 56 000 weitere private Söldner ausrücken. Das vom Pentagon in Afghanistan unterhaltene Personal wird dann zu über zwei Dritteln aus „contractors“ bestehen – der höchste je erreichte Anteil.
Die bekanntesten und größten der Militärdienstleister sind neben Xe (Blackwater) die Unternehmen DynCorp, Military Professional Resources Inc. (MPRI) und Kellogg Brown and Root (KBR)4 . Die Aufträge für diese Unternehmen, die sich zu den „Private Security Companies of Afghanistan“ zusammengetan haben, verschlingen einen erheblichen Teil der Gelder, die eigentlich für den Umbau der Afghanischen Nationalarmee (ANA) vorgesehen sind.
Als Hilfstruppen der Isaf-Koalition und der US-Armee nutzen die Firmen den Umstand, dass ihr Rechtsstatus völlig ungeklärt ist. Die „schlüsselfertigen“ Lösungen für militärische und logistische Probleme, die sie anbieten, entsprechen natürlich ihren ökonomischen Interessen, die damit auch die Art der Kriegsführung beeinflussen. Dabei sind diese Interessen längst, und speziell seit 2001, mit den Interessen der großen US-Konzerne verschmolzen, weil Letztere inzwischen die meisten Söldnerfirmen durch Aufkauf oder Fusion geschluckt haben.
Der erstaunliche Aufschwung des militärischen „subcontracting“ beflügelt auch die beruflichen Chancen der höheren militärischen Ränge. In den Führungsetagen der privaten Militärfirmen sitzen zumeist ehemalige US-Offiziere. Deren Karriereplanung beruht auf dem quasi natürlichen Übergang vom öffentlichen zum privaten Sektor. Damit können die Exmilitärs, die in den Dienst von Xe oder KBR übergetreten sind, ihre privilegierten Beziehungen zu den ehemaligen Kollegen im Pentagon nutzen.
Die Söldnerfirmen machen sich unentbehrlich
Die Logik dieser Unternehmen hat ein britischer Söldner in Afghanistan einmal so formuliert: „Die britische, die US-amerikanische und die anderen Armeen sind hier, um einen Krieg zu gewinnen. Für uns dagegen läuft es umso besser, je mehr sich die Lage verschlechtert“5 Das klingt nicht unbedingt im Sinne der formulierten Absicht, die Verhältnisse zu stabilisieren und ein „friedliches Afghanistan“ zu schaffen.
Dank ihres Zugangs zu den Entscheidungszentren der wichtigsten westlichen Staaten und ihrer internationalen Vernetzung sind die Militärfirmen imstande, das Handeln der internationalen Afghanistan-Truppe Isaf auf strategischer und operativer Ebene zu beeinflussen. So findet man etwa Repräsentanten des Unternehmens MPRI6 auf allen möglichen Ebenen der Isaf und der afghanischen Sicherheitskräfte: als Berater der militärischen Führungsstäbe und ziviler Behörden, als Verfasser der Militärdoktrin der nationalen afghanischen Armee im Rahmen der Combined Training Advisory Group (CTAG) und als Ausbilder von Truppenoffizieren am Military Training Center in Kabul (KMTC) oder von technischen Spezialisten.
Da sich ihre Missionen meist über zwei bis vier Jahre erstrecken, besitzen die Unternehmen genaue Kenntnisse über die afghanischen Verhältnisse. Ihre Erfahrungen sind für die Stabsoffiziere der Isaf-Kontingente unentbehrlich, die selten länger als ein halbes Jahr in Afghanistan dienen. Durch Absprache und Koordination mit den anderen Firmen können sie also die Sichtweise der militärischen Führung in ihrem Sinn manipulieren.
Nach offiziellen französischen Quellen hat man dem Unternehmen MPRI für die Ausarbeitung der Militärdoktrin für die afghanische Armee einen Etat von 140 Millionen Euro bereitgestellt. Und die Ausbildung dieser Armee soll 1,18 Milliarden Euro kosten. Schon diese beiden Zahlen machen deutlich, dass die privaten Militärdienstleister kein Interesse an einer Stabilisierung der Lage oder an einer funktionierenden afghanischen Armee haben können. Denn das würde die Nachfrage nach ihrem Personal verringern. Auch deshalb werden sich die Unternehmen hüten, ihre Kenntnisse weiterzugeben und sich damit am Ende selbst überflüssig zu machen.
Der Leiter der Arbeitsstelle „Militärdoktrin“ im Afghan National Army Training Command (ANATC), ein Oberst Gulbahar, kann keine Angaben darüber machen, wann die Zuständigkeit für die Ausarbeitung dieses wichtigen Dokuments auf afghanische Stellen übergehen wird. Eilig dürfte er es damit nicht haben. Denn der Oberst, der auf seinem aktuellen Posten die Funktionen eines Generals ausübt, will diese lukrative Stelle nicht so schnell verlieren.
Für die Formulierung der afghanischen Militärdoktrin ist das Unternehmen MPRI faktisch allein zuständig, kann diese Dienstleistung also beliebig verlängern. Aber der Monopolist kann sich auch solidarisch zeigen: In den logistischen Teil der Doktrin hat MPRI hineingeschrieben, dass die Firma DynCorp mit dem Nachschub für die afghanische Luftwaffe betraut wird – und zwar ohne jede zeitliche Begrenzung.
Sehr profitabel ist auch der Bereich „Ausbildung“. Bei der Rekrutierung, Ausbildung und Einstellung von 800 Lehrkräften für das Alphabetisierungsprogramm der afghanischen Armee haben die beteiligten Unternehmen jedes Interesse, möglichst lange Ausschreibungsfristen vorzusehen. Und natürlich gehört es auch nicht zu den Prioritäten dieses Programms, innerhalb der Armee die Fähigkeit zur Weiterbildung durch afghanische Kräfte zu stärken.
Dasselbe gilt für den Bereich der Logistik. Auch der liegt fast gänzlich in den Händen der privaten Militärfirmen, hier des Unternehmens RM-Asia. Und eine Frist für die Ausbildung afghanischer Techniker, die irgendwann die Verantwortung für die militärische Logistik übernehmen könnten, wird man vergeblich suchen.
In all diesen Bereichen gibt es einen Widerspruch zwischen den kommerziellen Interessen der militärischen „Subunternehmer“ und ihren tausenden von Mitarbeitern auf der einen und den Zielen der Isaf-Truppe auf der anderen Seite. Die privaten Firmen wünschen sich in Afghanistan weder schnelle militärische Erfolge noch einen plötzlichen Truppenabbau. In diesem Sinne werden sie versuchen, auf aktuelle Ereignisse sowie auf die strategische und operative Entscheidungsfindung der Isaf-Koalition Einfluss zu nehmen.
Demnächst werden sie Gelegenheit haben, ihre Position weiter zu verbessern. Zurzeit ist die Systematisierung des Trainings der afghanischen Armeekräfte innerhalb der Ausbildungseinheit CTAG unter deren britischem General Neil Baverstock in vollem Gange, wofür viele weitere Ausbilder gebraucht werden. Daraus ergeben sich neue Verdienstmöglichkeiten für die großen US-Unternehmen.
Wie schon im Irak trägt auch in Afghanistan der Einsatz von „Leihsoldaten“ dazu bei, die internationale Intervention zu diskreditieren. Diese Einsicht wird jeder bekommen, der einmal mit dem Auto durch Kabul fährt. Mit ihrer provozierenden Körpersprache und ihrer Ausrüstung kommen die Angestellten mancher privater Militärfirmen den gröbsten amerikanischen Kinoklischees ziemlich nahe. Wie verheerend der Eindruck ist, den sie damit auf die Zivilbevölkerung machen, hat ein Abgeordneter des afghanischen Parlament so erläutert; „Afghanen können den Unterschied zwischen einem Isaf-Soldaten und einem Contractor meist nicht erkennen. Das aggressive und feindselige Verhalten dieser Söldner kann den Koalitionstruppen eigentlich nur schaden.“ Wie wollen die Soldaten der Koalition als Repräsentanten der Vereinten Nationen den Kampf gegen eine Aufstandsbewegung führen und legitimieren, wenn sie dabei Söldner beschäftigen, die keineswegs durch den Wunsch nach Wiederherstellung des Frieden motiviert sind?
Hier stellt sich auch die Frage nach der Ethik der privaten Militärunternehmen.7 Der Skandal im Gefängnis von Abu Ghraib, wo mehr als die Hälfte des belasteten Verhörpersonals sowie sämtliche Übersetzer von den Firmen Caci und Titan gestellte „Externe“ waren, hat uns in einen ethischen Abgrund blicken lassen. Könnte es für die Wahrnehmung der Isaf-Truppen in Afghanistan ähnlich verheerend sein, dass die Söldner der privaten Unternehmen nicht denselben rechtlichen Beschränkungen unterliegen wie reguläre Soldaten? Das ist nur eine der Fragen, vor die uns die Entwicklung vom Outsourcing einzelner Dienstleistungen zum Outsourcing des Kriegs stellt.
Aus dem Französischen von Herwig Engelmann
Marie-Dominique Charlier ist Juristin und Forscherin am Institut de recherche stratégique de l’école militaire (Irsem) in Paris. Sie war von Februar bis August 2008 als politische Beraterin des Oberkommandierenden der Isaf in Afghanistan tätig.