12.07.2013

Krieg den Pandemien

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Krieg den Pandemien

Die Weltgesundheitspolitik bekämpft nur Symptome von Dominique Kerouedan

Krieg den Pandemien
Beispiel Afrika
Die Milleniumsziele im Bereich Gesundheit

Zur Jahrtausendwende vor dreizehn Jahren hatten sich die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und 23 internationale Organisationen acht Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) vorgenommen: Bis 2015 wollten sie konkrete „Mindestfortschritte“ im Kampf gegen Armut, Hunger und soziale Ungleichheit und speziell beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, Trinkwasser und Bildung erzielen (siehe Spalte rechts).

Gro Harlem Brundtland, die damalige Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hatte von Beginn an ein oberstes Ziel vor Augen: Finanzmittel in ausreichender Höhe sollten es ermöglichen, die gesundheitspolitischen Herausforderungen zu meistern. Sie betraute Jeffrey Sachs, den Sonderberater des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, mit der Leitung der Commission for Macroeconomics and Health (CMH).

Die CMH sollte das nötige Investitionsvolumen mobilisieren, um die MDGs im Gesundheitsbereich möglichst rasch umzusetzen.1 Tatsächlich haben sich zwischen 2001 und 2010 die Finanzmittel verdreifacht, die durch öffentlich-private Partnerschaften und die Einbindung von Industrie und Handel – insbesondere der Impfstoff- und Medikamentenhersteller – für die Entwicklungsländer aufgebracht wurden. 2010 erreichten sie den Rekordbetrag von 28,2 Milliarden Dollar; davon stammte der weitaus größte Teil von öffentlichen und privaten Geldgebern in den USA. Allein die Stiftung von Bill und Melinda Gates spendete 2012 fast 900 Millionen Dollar. 56 Prozent der 2010 aufgebrachten Mittel flossen nach Afrika.2 Die gesamte Entwicklungshilfe wuchs im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts um 61 Prozent und stieg 2010 auf über 148 Milliarden US-Dollar.

Jetzt allerdings rückt das Jahr 2015 immer näher, und Subsahara-Afrika ist von den Millenniumszielen immer noch weit entfernt. Allein mit fehlenden Geldern lassen sich die Verzögerungen nicht erklären. Auch andere, weniger bekannte Faktoren sind im Spiel. Angesichts der Vorarbeiten zur Erstellung „neuer Ziele“ für die Zeit nach 2015 lohnt es sich, diese Faktoren genauer anzusehen.

Viele Studien3 zeigen, dass die Hilfsmittel aus aller Welt nicht nur auf Grundlage von epidemiologischen Kriterien, Bevölkerungszahlen und Krankheitsbelastungen verteilt werden. Auch Handelsinteressen, historische Verbindungen und geopolitische Interessen spielen nach wie vor eine große Rolle (siehe Spalte links).

Ein Blick auf die Geschichte der Gesundheitsvorsorge zeigt: Schon bei den ersten internationalen Konferenzen im 19. Jahrhundert war das wichtigste Motiv keineswegs, die Ausbreitung von Pest, Cholera und Gelbfieber zu verhindern. Vielmehr ging es darum, die Kosten für aufwendige Quarantänemaßnahmen zu verringern. Das Spannungsverhältnis zwischen Medizin und Gesundheit einerseits, kommerziellen Interessen und politischer Macht andererseits bestimmt auch heute noch die Widersprüche, die für die öffentlichen Gesundheitsvorsorge weltweit kennzeichnend sind.

Die Gründer des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gehen davon aus, dass in allen Ländern bereits Strategien zur Bekämpfung dieser drei Krankheiten vorhanden seien und es „nur noch“ am Geld fehle. Um diese aufs Finanzielle verkürzte Konzeption von Gesundheitspolitik und ihre begrenzte Wirksamkeit zu verstehen, müssen wir uns klarmachen, unter welchen Umständen der Fonds gegründet wurde.

Von Pest und Cholera zu Aids und resistenten Keimen

1996 forderte US-Präsident Bill Clinton eine Forschungsstrategie, die sich stärker auf den Kampf gegen Infektionskrankheiten konzentrieren sollte. Diese Initiative entsprang nicht etwa einer altruistischen Anwandlung, sondern der Sorge um die nationale Sicherheit. Die US-Regierung identifizierte damals – lange vor den Anschlägen von 2001 – eine Reihe gesundheitspolitischer Problemfelder. Dazu gehörten die Ausbreitung von Krankheiten und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen, Verzögerungen bei der Entwicklung neuer Medikamente, zunehmende Antibiotikaresistenz von Krankheitserregern, Wanderungsbewegungen und ihre Folgen, das Anwachsen der Megastädte und unzureichende Gesundheitssysteme in den armen Ländern.

1997 hieß es in einem Bericht des Institute of Medicine, dass die Weltgesundheit „für die Vereinigten Staaten von vitalem Interesse“ sei. In diesem Text tauchte erstmals der Begriff „global health“ (Weltgesundheit) auf: „ Ein neues Konzept der ‚Weltgesundheit‘ ist nötig, um Gesundheitsprobleme zu lösen, die Grenzen überschreiten, durch Ereignisse in anderen Ländern beeinflusst werden können und am besten in Kooperation mit anderen Ländern zu lösen sind.“ Zur Begründung hieß es, die verschiedenen Länder der Welt hätten so viele gemeinsame Probleme, dass Gesundheit nicht mehr als nationale Angelegenheit gesehen werden könne.4

Während sich Aids im südlichen Afrika mit atemberaubendem Tempo ausbreitete, veröffentlichte das südafrikanische Verteidigungsministerium 1999 Zahlen, die hohe HIV-Infektionsraten unter Armeeangehörigen vieler afrikanischer Staaten belegten und die Behörden alarmierten. Das nährte die Befürchtung, die staatlichen Verteidigungskapazitäten könnten bald nicht mehr ausreichen, um mit inneren oder äußeren Konflikten fertig zu werden.

2001 erklärte die International Crisis Group (ICG), zahlreiche Länder seien „bald nicht mehr in der Lage, sich an friedenserhaltenden Operationen zu beteiligen“.5 Die National Intelligence Council (NIC), die übergeordnete Analyse-Abteilung aller US-Geheimdienste, legte zwischen 1999 und 2008 insgesamt sechs Berichte zum Thema Weltgesundheit vor. Sie definierten Krankheiten erstmals als „nichttraditionelle Bedrohung“ für die Sicherheit der USA.

Diese „Bedrohung beschäftigte auch die Vereinten Nationen. Am 10. Januar 2000 stand im UN-Sicherheitsrat eine Diskussion zum Thema „Auswirkungen von Aids auf Frieden und Sicherheit in Afrika“ auf der Tagesordnung. Damit befasste sich dieses Gremium erstmals mit einer Frage, die nichts mit einer direkten Konfliktsituation zu tun hatte.

Aus dieser Diskussion im Sicherheitsrat, bei der die USA den Vorsitz hatten, gingen mehrere Resolutionen hervor. Artikel 90 der Resolution, die am 27. Juni 2001 auf einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung verabschiedet wurde, forderte die Gründung eines „globalen HIV/Aids- und Gesundheitsfonds“. Damit sollten „im Rahmen eines integrierten Präventions-, Betreuungs-, Unterstützungs- und Behandlungsansatzes“ sofortige Reaktionen auf die Aidsepidemie finanziert werden, wobei die am stärksten betroffenen Staaten, insbesondere in Subsahara-Afrika und in der Karibik, Priorität haben sollten. 2002 wurde der Global Fund gegründet, für den sich Kofi Annan bei den G-8-Staaten einsetzt hatte. Das Mandat dieser globalen Public-private Partnership (PPP) erstreckt sich allerdings nur auf Aids, Tuberkulose und Malaria und bleibt damit weit hinter dem Konzept des von der UN-Vollversammlung empfohlenen „Gesundheits- und Aidsfonds“ zurück.

Die nationale Sicherheitspolitik der USA speist sich aus mehr oder weniger begründeten Ängsten, deren Ursachen sie zu bekämpfen behauptet. Dabei sind nach Kommunismus und Terrorismus neuerdings die Krankheiten an der Reihe. Nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak setzt Barack Obama auf die Strategie, sein Land nach den Kriegen auf einen nichtmilitärische Kampf zu orientieren. Sein erklärtes Ziel, „die Führungsrolle Amerikas im Ausland wiederherzustellen“, soll nunmehr auch dazu beitragen, weltweit Epidemien einzudämmen.

Dieses Ziel wurde ausdrücklich in die nationale Sicherheitsstrategie von 2010 hineingeschrieben. Im Juli 2012 verkündete die US-Regierung die Gründung des Office of the Global Health Diplomacy, das im Außenministerium angesiedelt ist. Damit demonstrierte die Obama-Regierung ihren Willen, die Kontrolle über die globale Gesundheitspolitik zu übernehmen. Für den Historiker Georges-Henri Soutou steht fest: „Die USA haben verstanden, dass eine echte Weltmacht heute in der Lage sein muss, in beiden Sphären zu spielen: der zwischenstaatlichen und der transnationalen.“6

Betrachtet man die Weltgesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte, lassen sich drei unterschiedliche Konzeptionen ausmachen: Weltgesundheit als wirtschaftliche Investition, als Sicherheitsinstrument und als Mittel der Außenpolitik.7 In der Politik impliziert der Begriff „Sicherheit“ das kurzfristige Moment der Dringlichkeit und Kurzfristigkeit; Sicherheit im Bereich Gesundheit meint daher vor allem die kurzfristige Eindämmung ansteckender Krankheiten, und zwar auf Kosten eines ganzheitlichen, langfristigen Ansatzes, der auf eine Stärkung der Institutionen in den Gesundheitssystemen abhebt.

Diese Überlegung macht klar, warum die Hilfen nur begrenzt wirken: Unabhängig von der Höhe der Beträge, die der Globale Fonds oder die US-Regierung über den Notfallplan zur Aidsbekämpfung (Pepfar)8 aufbringt, sind die konkreten Effekte enttäuschend. Wichtige Elemente wie Präventionsmaßnahmen und die Anpassung der Programme an demografische, städtebauliche, soziale und wirtschaftliche Prozesse, Konfliktsituationen und nationale Besonderheiten der Aidsverbreitung werden bei der Zuteilung der Mittel relativ wenig berücksichtigt.

Dreißig Jahre nach dem Beginn der HIV-Pandemie gibt es nur wenig Geld für wissenschaftliche Studien, die lokale, epidemiologische, anthropologische und wirtschaftliche Aspekte untersuchen, mithin als Entscheidungsgrundlage für die praktische Politik dienen könnten. Auf zwei Personen, die eine Behandlung erfahren, kommen statistisch fünf Neuinfektionen. Und dass sexuelle Gewalt in Afrika ein Grund für die ständig wachsende HIV-Rate bei Frauen ist, wird nicht einmal als Hypothese anerkannt, obwohl die steigende Zahl bewaffneter Konflikte diese Bedrohung noch verschärft.

Was die internationale Debatte betrifft, so sorgt die Unterschlagung einiger Millionen US-Dollar des Globalen Fonds für mehr Aufregung als fehlende Analysen über die Wirksamkeit der Strategien in den betroffenen Ländern. Und die Lobbygruppen sorgen dafür, dass die Hilfsgelder vor allem in den Einsatz von Heilmitteln, also an die Pharmaindustrie fließen. Dagegen werden Maßnahmen zur Prävention der HIV-Übertragung weit weniger gefördert.

Ein weiteres Problem: Die vielen Akteure im Bereich der Entwicklungshilfe führen zu Konflikten zwischen „Entscheidern“ und „Partnern“ und zu unklaren Verantwortlichkeiten. Zum Beispiel in der Frage, wer Rechenschaft über die Verwendung der Finanzmittel ablegen muss, die im Rahmen von globalen Partnerschaften oder innovativen Mechanismen zugewiesen werden. Offiziell ist für die Finanzen der Verwaltungsrat des Globalen Fonds zuständig – und nicht allein das Exekutivsekretariat. Technische und strategische Fragen sollten dagegen von den Ländern und ihren Partner, also UN-Aids, Unicef und WHO entschieden werden. Diese drei UN-Organisationen haben die Staaten zwar technisch unterstützt. Aber haben sie den Verantwortlichen vor Ort auch eine strategische Vision zur Eindämmung der drei Pandemien vermittelt, die auch die spezifischen Merkmale des Landes berücksichtigt? Wenn nicht, wird es höchste Zeit.

Afrika und Europa stehen in den nächsten Jahrzehnten vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Die Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2050 von 1 Milliarde auf 2 Milliarden Menschen verdoppeln, was dann 20 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Der Wirtschaftswissenschaftler François Bourguignon nimmt an, dass Armut – im engeren Sinne – bis 2040 oder 2050 ein rein afrikanisches Problem sein wird.9

Zudem vollzieht sich in Afrika ein epidemiologischer Wandel: Chronische Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, psychische Leiden oder durch Umweltverschmutzung verursachte Erkrankungen häufen sich massiv – in welchem Ausmaß, können wir derzeit nur erahnen. Diese nicht oder zu spät diagnostizierten Krankheiten verbreiten sich wie neue Pandemien. Damit wird das schon jetzt nicht ausreichende medizinische Personal weiter überlastet. Hinzu kommt die Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit. Und die Kranken- und Sozialversicherungssysteme entwickeln sich nur langsam und regional unterschiedlich. Eine „universelle Gesundheitsversorgung“ würde den Armen zugutekommen, vorausgesetzt, sie würde den nationalen Prioritäten Rechnung tragen und vor allem auf Prävention setzen.

Aufgrund des kolonialen Erbes und der jahrhundertelangen politischen, wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen zwischen Europa und Subsahara-Afrika, wird hier nach wie vor erwarten, dass die europäischen Akteure sowohl politische Unterstützung leisten als auch Know-how und Gelder zur Verfügung stellen. Und in dieser Hinsicht sollten die Europäer keineswegs hinter den USA zurückstehen.

Bei dem Bestreben, die Entwicklungsziele mit den Erfordernissen einer „nachhaltigen“ Entwicklung ab 2015 in Einklang zu bringen, laufen wir Gefahr, uns nur für die globalen Herausforderungen zu interessieren und die Bedürfnisse der besonders schwachen Staaten und Bevölkerungsschichten abermals zu vergessen. Genau hier müsste die Priorität liegen: bei der Ausbildung von Mädchen (bis zum Hochschulniveau), der Gesundheitsversorgung schwangerer Frauen, der Bekämpfung unbekannter Tropenkrankheiten. Und beim Aufbau belastbarer Institutionen, die komplexe politische Maßnahmen ausarbeiten und umsetzen können.

Das Problem der Weltgesundheit duldet keinen Aufschub: „Wer sich fragt, ob die Verbesserung der Gesundheit ein wirksames Entwicklungsinstrument ist, lässt womöglich den wichtigsten Aspekt der Frage außer Acht: die Tatsache, dass Gesundheit und Entwicklung untrennbar miteinander verbunden sind“, sagte der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen. „Man muss die Gesundheit nicht instrumentalisieren, um ihren Wert zu betonen. Deshalb bedarf es auch nicht des Versuchs, die positiven Auswirkungen günstiger Gesundheitsbedingungen auf das Wirtschaftswachstum nachzuweisen.“ Nachhaltige Gesundheit für alle Menschen auf unserem Planeten – darauf sollten wir uns konzentrieren. Statt nur auf den Mechanismus zur Finanzierung eines universellen Gesundheitswesens zu starren, das uns als Ziel nachhaltiger Entwicklung präsentiert wird.

Fußnoten: 1 www.who.int/macrohealth/background/en/. 2 Siehe „Financing global health 2012. Has the ‚Golden Age‘ of global health funding come to an end?“, Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), Seattle, Februar 2013. 3 Zum Beispiel: die Fünfjahresbewertung des Globalen Fonds aus dem Jahr 2008; der Bericht des Europäischen Rechnungshofs über die Unterstützung der Gesundheitseinrichtungen im Afrika südlich der Sahara durch die Europäische Kommission, 2009; mehrere Studien des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME). 4 „America’s vital interest in global health: Protecting our people, enhancing our economy, and advancing our international interests“, Institute of Medicine, Washington, D.C. 1997. 5 „HIV/Aids as a Security Issue“, International Crisis Group (ICG), 19. Juni 2001. 6 Georges-Henri Soutou, „Le nouveau système international“: www.asmp.fr/travaux/communications/2011_06_06_soutou.htm. 7 Hinzu kommen zwei weitere Konzepte: das der Wohltätigkeit und das der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, die den Staaten obliegt. Siehe dazu David Stuckler und Martin McKee, „Five metaphors about global-health policy“, The Lancet, Band 372, Nr. 9633, London, Juli 2008. 8 The United States’ President Emergency Programme for Aids Relief: www.pepfar.org. 9 François Bourguignon, „La mondialisation de l’inégalité“, Paris (Seuil) 2012. Siehe auch „Towards the End of Poverty“, The Economist, 1. Juni 2013. Aus dem Französischen von Markus Greiß Dominique Kerouedan ist Professorin am Collège de France und Inhaberin des Lehrstuhls „Wissen gegen Armut“ („Savoir contre pauvreté“, 2012–2013). Zuletzt erschien von ihr „Géopolitique de la santé mondiale“, Paris (Fayard) 2013.

Beispiel Afrika

76 Prozent der Todesfälle auf dem afrikanischen Kontinent werden durch Infektionskrankheiten, Erkrankungen von Müttern und Neugeborenen sowie Unter- oder Mangelernährung verursacht.

HIV/Aids

– 70 Prozent aller Todesfälle entfallen auf Afrika, desgleichen 75 Prozent der Neuinfektionen. Die Mehrzahl der Neuinfizierten sind Jugendliche und junge Erwachsene, von diesen wiederum sind 60 Prozent Mädchen und Frauen.

– 75 Prozent der jungen HIV-Träger zwischen 15 und 24 Jahren in Afrika sind weiblich.

– Aidserkrankungen konzentrieren sich deutlich in den Städten, wo sich im Zuge der beschleunigten Urbanisierung und aufgrund der beengten Lebensverhältnisse auch Krankheiten wie Tuberkulose weiter ausbreiten (die bei einem geschwächten Immunsystem besonders bedrohlich sind).

– Der Gebrauch von Kondomen ist sehr begrenzt; in den Ländern mit hoher Aidsverbreitung liegt der Anteil der Kondombenutzer unter 20 Prozent.

– Aids ist nicht nur in den Städten am stärksten verbreitet, sondern hier ausgerechnet bei den gebildetsten, wohlhabendsten und am besten informierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das ergab eine Studie in Abidjan, die von der Unicef gefördert wurde.

– Nach derselben Studie wollen 75 Prozent der Altersgruppe zwischen 15 und 44 Jahren nicht wissen, ob sie mit HIV infiziert sind. In der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen haben sich lediglich 10 Prozent der jungen Männer und 15 Prozent der jungen Frauen einem HIV-Test unterzogen.

– In Zentral- und Westafrika bekommt nur jeder vierte behandlungsbedürftige Patient antiretrovirale Medikamente. Von HIV-positiven Schwangeren beziehen 20 Prozent die Medikamente zur Eigentherapie; 33 Prozent werden behandelt, um die Virusübertragung auf das Kind zu verhindern.

Andere Krankheiten

– Bei den Todesfällen schwangerer Frauen entfallen 50 Prozent auf Afrika. Die Schwangerschaftsquote bei Jugendlichen (unter 15 beziehungsweise 18 Jahren) ist überdurchschnittlich hoch. 97 Prozent der Abtreibungen erfolgen ohne medizinische Betreuung.

– Auf Afrika entfallen 91 Prozent der weltweit durch Malaria verursachten Todesfälle, davon sind 87 Prozent Kinder unter 5 Jahren.

– In Gesundheitswesen Afrikas fehlen eine Million Fachkräfte. Das ist ein Viertel des globalen Fehlbestands an ärztlichem und Pflegepersonal (wobei nur 3 Prozent des weltweit tätigen Gesundheitspersonals auf Afrika entfallen).

Quellen: MDG-Report zu Afrika und MDG global, Measuredhs.org, Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME): „Financing global health 2012: the end of the golden age?“.

Die Milleniumsziele

Im Zeitraum von 1990 bis 2015 (also binnen einer Generation) sollen folgende Ziele (Millennium Development Goals, MDG) erreicht werden:

MDG 4: Die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren soll um zwei Drittel gesenkt werden.

MDG 5: Die Müttersterblichkeitsrate soll um drei Viertel zurückgehen, „reproductive health care“ (Schwangerenvorsorge, betreute Geburten, Betreuung von Neugeborenen u. a.) soll für alle Frauen zugänglich sein.

MDG 6: Bis 2015 soll die Zunahme von HIV/Aids gestoppt werden, Malaria und andere schwere Epidemien sollen sogar zurückgedrängt werden.

MDG 7: Bis 2015 soll der Anteil der Menschen um die Hälfte gesenkt werden, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitären Einrichtungen (Toiletten, Abwasser) haben.

MDG 8, Zielvorgabe E: In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen sollen unentbehrliche Arzneimittel in den Entwicklungsländern zu erschwinglichen Kosten verfügbar gemacht werden.

Quelle: www.un.org/millenniumgoals/global.shtml.

Le Monde diplomatique vom 12.07.2013, von Dominique Kerouedan