12.03.2010

Im Falle eines Staatsbankrotts

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Im Falle eines Staatsbankrotts

Was die Banken tun können von Laurent Cordonnier

Zwischen einem zahlungsunfähigen Staat und einem zahlungsunfähigen Unternehmen oder Privathaushalt gibt es einen grundsätzlichen Unterschied. Wenn ein hoch verschuldeter Staat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommt, kann er nicht aus dem Handelsregister gelöscht oder liquidiert werden; er kann auch nicht gezwungen werden, sein Vermögen aufzulösen, um seine Schuldner zu bezahlen.

Bei einem Privathaushalt führt ein Bankrott zur Liquidierung der Vermögenswerte: Die Villa und das Familiensilber müssen verkauft werden, um die letzten Gehälter der Haushaltshilfen und die Rechnungen beim Feinkosthändler, dem Notar und der Bank zu bezahlen. Wie ein Bankrott bei einer Familie abläuft, die unter der Armutsgrenze lebt, kann sich der Leser selbst ausmalen. Bei der Liquidierung eines Unternehmens werden Maschinen, Gebäude, Patente, Fuhrpark und so weiter verkauft, um Lieferanten, Banken und weitere Gläubiger zu bezahlen und den Angestellten ihre ausstehenden Gehälter zu überweisen.

Der entscheidende Unterschied zwischen einem Unternehmen und einem Staat, die vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, ist jedoch dieser: Ein Unternehmen kann nicht die Preise just zu dem Zeitpunkt zu erhöhen, wo die Kunden ausbleiben; es kann auch in der Regel seine Kosten nicht endlos weiter senken. Ein Staat hingegen verfügt über politische Mittel, die Katastrophe der Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, indem er seine Einnahmen erhöht oder seine Ausgaben reduziert. Höhere Einnahmen kann er durch höhere Steuern erzielen, die jedoch von der richtigen Zielgruppe zu erheben wären. Die neuen Abgaben müssten die Besserverdienenden treffen, die ja die höchste Sparquote aufweisen (so dass höhere Steuern ihre Konsumausgaben kaum verringern würden) und die faktisch die Gläubiger des Staats sind.

Eine „gerechte“ Steuererhöhung würde auch das „Klassenrecht“ der neoliberalen Ära kassieren, das den Besserverdienenden die freie Wahl lässt, ob sie den Teil ihrer Einkünfte, den sie nicht für ihren Lebensunterhalt ausgeben, lieber als Steuern abführen oder in Staatspapieren anlegen wollen. Mit der zweiten Option stellen sie dem Staat gegen gute Zinsen das Geld zur Verfügung, das diesem fehlt, weil sie die Option des Steuerzahlens eher vermeiden. Wenn man sich diese Alternative klarmacht, versteht man sofort, dass die Regierungen erhöhte Steuern für die Besserverdienenden nur im äußersten Ernstfall beschließen werden.

Damit bleibt dem Staat im Grunde nur die Möglichkeit, die öffentlichen Ausgaben und damit die öffentlichen Dienstleistungen massiv zu beschneiden. Doch was immer die öffentliche Hand tut – Kürzungen von Gehältern und Pensionen, Personalabbau und andere Einsparungen –, wird allein nicht ausreichen. Wenn sich dann noch im Gefolge der globalen Finanzkrise das Wachstum abschwächt, wird das Gesamtsteueraufkommen stagnieren. Dann ist das Szenario des Staatsbankrotts – und zwar nicht nur von Griechenland, sondern auch von Spanien, Portugal, Italien, Großbritannien oder gar Japan und den USA – nicht mehr völlig irreal.

Bis das Fass überläuft, kann es eine Weile dauern

Dies gilt umso mehr, als für einen Staatsbankrott nicht etwa die reale Finanzlage der Staaten entscheidend ist, sondern vielmehr deren Einschätzung durch Gläubiger und Spekulanten. Wenn Letztere die Chance eines Staatsbankrotts wittern und damit die Möglichkeit, darauf Wetten abzuschließen, starten sie Massenkäufe oder -verkäufe, die genau die Kursbewegung auslösen, auf die sie gewettet haben. Die Zinssprünge bei Staatsanleihen sind weitestgehend das Ergebnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Natürlich steht in den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern nicht, wann ein Staat, dessen steigende Verschuldung mit plötzlichen Zinsaufschlägen bestraft wird, zahlungsunfähig wird. Der genaue Zeitpunkt hängt davon ab, wie lange die Politik und die Bevölkerung es widerstandslos hinnehmen, dass der Handlungsspielraum des Staats immer stärker eingeschränkt wird, nur damit dieser weiterhin die Zinsen an private Investoren abführen kann. Bis das Fass überläuft, kann es eine Weile dauern. Wenn aber erst einmal Überschuldung vorliegt, ist die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr weit. Dann bleibt nur noch ein Notkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) – was im Fall Griechenlands nach Aussage von Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), einer „Demütigung“ gleichkäme – oder die Aufnahme neuer Gelder, mit denen der betroffene Staat seine Schulden abzahlen kann.

Der postkeynesianische Ökonom Thomas Palley schlägt vor, der EZB die Möglichkeit einzuräumen, Staatsschulden zumindest teilweise zu refinanzieren. Dafür sieht er ein System vor, das den EU-Mitgliedstaaten Refinanzierungsrechte bei der EZB zuteilt, und zwar auf der Basis jährlicher Quoten, die sich aus der Größe der jeweiligen Volkswirtschaft und ihren aktuellen Defiziten errechnen.1 Damit wäre ein „automatisches Ausgleichssystem“ geschaffen. Würde die EZB auf diese Art und Weise billiges Geld zur Verfügung stellen, würde sie im Grunde dasselbe tun wie 2008 und 2009 – nur eben nicht zur Stützung der Banken, sondern zur Rettung gefährdeter Staaten.

Allerdings gibt es ein Problem: Die Regeln der EZB sehen ausdrücklich vor, dass sie keine direkten Finanzierungshilfen an die Mitgliedstaaten leisten darf. So soll verhindert werden, dass die Staaten über ihre Verhältnisse leben. Man könnte deshalb an eine andere Möglichkeit denken. Die EU-Mitgliedstaaten könnten die Banken, die auf ihrem Hoheitsgebiet tätig sind, dazu verpflichten, Kredite an von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten bereitzustellen. Sie müssen ja nicht gleich so weit gehen, die Rolle des Regierungsberaters und Kreditvermittlers zu übernehmen, aus der Goldman Sachs so tolle Profite geschlagen hat.2 Anstelle der Privatinvestoren, die zu sehr an ihrem Ersparten hängen, würden die Banken den Staaten Geld zur Verfügung stellen, und zwar zu einem gedeckelten Zinssatz. Letztlich würden mit diesen Zwangskrediten die Banken nur zu Finanzierungsleistungen gezwungen, zu denen sie sonst nicht, oder nicht zu diesen Zinssätzen, bereit wären.

Das Bankensystem der Eurozone sitzt schon heute auf Forderungen an Staaten, Regionen, Kreise, Städte, Gemeinden und öffentliche Körperschaften in Form von Krediten über 1 000 Milliarden Euro. Dazu kommen weitere 1 500 Milliarden an staatlichen Anleihen. Das übersteigt den Gesamtbestand der griechischen Staatsschulden um das Acht- bis Zehnfache.3

Das von Palley skizzierte System würde bedeuten, dass die Banken, die mit Vorliebe die bisher als risikofrei geltenden Staatsanleihen gekauft haben, dieses Verhalten mit gleicher Münze heimgezahlt bekommen. Das wäre ein sehr bescheidener Beitrag der Banken zur Wiedergutmachung des von ihnen verursachten Schadens, denn sie selbst haben schließlich die Wirtschaft und bestimmte Staaten an den Rand des Ruins gebracht.

Diese Methode würde es der EZB auch ermöglichen, den Schein aufrechtzuerhalten, dass sie sich an der Refinanzierung der Staaten nicht beteiligt, obwohl sie im Grunde genau dies tut. Denn die Banken, die gezwungen wären, griechische oder andere Staatsanleihen zu kaufen, würden sich das dafür notwendige Geld bei der EZB besorgen. Dabei würden sie als Sicherheit Wertpapiere von hoher Bonität hinterlegen, zu denen auch Anleihen der Mitgliedstaaten der Eurozone zählen, die schon heute regelmäßig als zulässige Sicherheiten für EZB-Kredite genutzt werden.4

Ein weiterer Vorteil dieses Vorschlags bestünde darin, dass zwischen den Banken und den Staaten eine wechselseitige Abhängigkeit entstehen würde. Die Staaten sind massiv in die Bresche gesprungen, um die Banken zu retten; nun könnten sich die Banken erkenntlich zeigen, indem sie den Staaten helfen (aber dieses Argument kann vielleicht nur Moralisten überzeugen).

Damit könnten die Staaten den Banken einen Teil der Kosten für die Finanzkrise aufbürden, wobei dieser Anteil nicht allzu hoch ausfallen würde. Wenn die Finanzkrise, die daraus resultierende Wirtschaftsflaute und die wiederum dadurch verursachten Steuerausfälle die Hälfte der zusätzlichen Staatsschulden ausmachen (so die herrschende Meinung bei den Volkswirtschaftlern), wäre die Deckelung der Zinsen, die man den Banken zahlt, ein äußerst bescheidender Beitrag zur Wiedergutmachung des von ihnen verursachten Schadens.

Das geschilderte Konzept hat allerdings wenig Chancen auf Umsetzung. Die Gründe dafür haben mit wirtschaftlicher Logik wenig zu tun. Zu ihnen gehören etwa die Angst vor inflationären Effekten (die von orthodoxen Monetaristen angeheizt wird); die mäßige Lust der Privatinvestoren auf finanziellen Selbstmord oder die unterschiedlichen Interessen von südlichen und nördlichen EU-Mitgliedstaaten.

Damit stünde nur noch ein Ausweg offen: Die Staaten könnten sich weigern, ihre Schulden zu zahlen. Wenn sie notwendige Geldmittel nicht einmal zu unverschämten Konditionen aufnehmen können, können sie auf ein Mittel zurückgreifen, das Unternehmen und Privatleuten nicht zur Verfügung steht. Sie können einen Teil ihrer Schuldenlast abwerfen und dennoch als Staat weiterexistieren.

Die genaue Höhe der Schuldenreduzierung kann entweder mit den Geldgebern (aber wer sind diese und wo sind sie zu finden?) ausgehandelt oder einseitig beschlossen werden. Dabei wird entweder der Nennbetrag der Gesamtschulden herabgesetzt oder die Zinszahlung für ein paar Jahre ausgesetzt. Ein Staat, der sich in so extremer Lage befindet, ist gut beraten, keine falsche Bescheidenheit zu zeigen. Er sollte also seine gesamten Schulden abstoßen, denn der Ruf des unzuverlässigen Schuldners wird ohnehin an ihm hängen bleiben, egal wie hoch die von ihm einseitig beschlossene Schuldenreduzierung ausfällt. Da man diesen Trick nicht endlos wiederholen kann, sollte er wenigstens möglichst viel einbringen.

Einem überschuldeten Staat, der sich mit einem Federstrich seiner Schulden entledigt, kann jedes Jahr über das Geld, das er sonst an seine Gläubiger als Zinsen hätte abführen müssen, zusätzlich verfügen. Wenn die Ersparnis dem laufenden Haushaltsdefizit entspricht, hat dieser Staat finanziell auf einmal wieder festen Boden unter den Füßen.5

Für die Geldgeber dagegen wäre das ein harter Schlag. Sie würden über Nacht das Geld verlieren, das sie dank niedriger Besteuerung in zwanzig Jahren ansparen und in Staatspapieren anlegen konnten, die ihnen hohe Zinserträge brachten.

Fußnoten: 1 Siehe „Euroland is being crucified upon its own cross of gold“, Financial Times Economists Forum, blogs.ft.com/economistsforum. 2 Die Investmentbank hat nach Medienberichten nicht nur geholfen, die griechische Verschuldung zu verschleiern, um dem Land den Beitritt zur Eurozone zu ermöglichen. Sie half der Athener Regierung auch bei der Suche nach Geldgebern – unter anderem in China, was nach außen stets signalisiert, dass die Situation verzweifelt ist – und kaufte zugleich massiv Risikoversicherungen gegen griechische Forderungsausfälle (Credit Default Swaps, CDS). Das Motto von Goldman Sachs: Bei Kopf gewinne ich, bei Zahl verlierst du. 3 EZB, Monatliches Bulletin, Europäische Zentralbank, Frankfurt am Main, Januar 2010. 4 Die EZB hielt Ende letzten Jahres 333 Milliarden Euro an öffentlichen Anleihen; EZB, Monatliches Bulletin, Januar 2010. 5 Nach einer von CFO-news vom 12. Februar 2010 zitierten Studie (www.cfo-news.com) würde, falls der Zinssatz für griechische Schulden auf 8 Prozent und die Gesamtschulden auf 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen sollten, allein die Zinslast 9 Prozent des BIP entsprechen.

Aus dem Französischen von Harald Greib

Laurent Cordonnier ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Lille I und Autor von „L’Economie des Toambapiks“, Paris (Raisons d’agir) 2010.

Le Monde diplomatique vom 12.03.2010, von Laurent Cordonnier