10.03.2006

Zukunftstechnologie Winzigkeit

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Zukunftstechnologie Winzigkeit

Molekülkleine Zahnräder, Motorteile aus robusten, aber leichten Nanoröhrchen und Nanoroboter, die verkalkte Arterien frei räumen – die Nanotechnologie wird nicht alles halten, was sie verspricht von Dorothée Benoît-Browaeys

Der Vorsilbe „nano“ scheint etwas Magisches anzuhaften. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Bezeichnet sie einfach Forschungen und Manipulationen im Nanobereich von Tausendstelmillimetern? Handelt es sich um einen Marketingtrick, der die physikalische Chemie unter dem mysteriösen Banner des „unendlich Kleinen“ unters Volk bringen soll? Jedenfalls gehören Nanomaterialien seit einiger Zeit zum Alltag und werden bereits in Form von Kohlenstoff-Nanoröhrchen, Nanolasern in DVD-Laufwerken und als Nanochips in der medizinischen Diagnostik vermarktet. Schon sind „molekülkleine Fabriken“ in der Planung, mit Förderbändern und Maschinenärmchen, die hunderttausendmal kleiner sind als der Durchmesser eines Haars. Die Bearbeitung von Stoffen im atomaren Bereich verspricht faszinierende Erfindungen, als könnte der Traum wahr werden, dass wir eines Tages „auf unsere Weise nachahmen, was das Leben tut“, wie der Chemienobelpreisträger Jean-Marie Lehn formulierte. Manche Stimmen meinen sogar, die neue Technologie werde übernehmen, was bislang die Evolution besorgte: die Fortentwicklung der Menschheit. In die Begeisterung mischen sich Ängste, etwa wenn visionäre Wissenschaftler wie Eric Drexler befürchten, der Mensch könnte die Kontrolle über die sich selbst replizierenden Nanoroboter verlieren.

Warum also die ganze Aufregung? Weil wir inzwischen tatsächlich fähig sind, einzelne Atome zu manipulieren. Das 1982 entwickelte Rastertunnelmikroskop1 gewährt nicht nur Einblick in die „Welt der Atome“, sondern ermöglicht es auch, einzelne Atome nach Belieben anzuordnen. Was Eric Drexler in „Engines of Creation“2 skizzierte – die Fertigung von „Molekülmaschinen“ – ist längst keine Fantasie mehr. Schon werden molekülkleine Karren, Saugvorrichtungen und Zahnräder hergestellt, Transistoren aus nur einem Atom rücken in Reichweite, und die Quantencomputerforschung macht aufsehenerregende Fortschritte.3

Um diesen Kernbereich der Nanotechnik herum findet sich eine Reihe weiterer Technologien, die Bekanntes miniaturisieren oder das Design von Molekülverbindungen mit neuartigen physikalisch-chemischen Eigenschaften zum Gegenstand haben. Während im Makrobereich der gemeinsame Effekt von Millionen Atomen den Ausschlag gibt, rücken bei den aus wenigen Atomen bestehenden Nanoobjekten spezifische Eigenschaften in den Vordergrund, etwa die Oberflächenstruktur, die mechanische Widerstandsfähigkeit, das optische, elektromagnetische oder thermische Verhalten, die Quanteneigenschaften. Hier kommt es weniger auf die chemische Beschaffenheit des Materials an als auf die räumliche Anordnung der Atome.

In wichtigen Industriesektoren wie der Elektronik-, Textil-, Medizin-, Lebensmittel- oder Energiebranche hat die Nanotechnologie große technologische Sprünge ermöglicht. Bei Mercedes werden einige Motorteile bereits aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen gefertigt, die sehr viel robuster sind als Stahl – und gerade mal ein Sechstel davon wiegen. IBM stellt Transistoren her, die hunderttausendmal dünner sind als ein Haar, und Forscher der US-amerikanischen Cornell-Universität und des französischen Curie-Instituts haben molekülkleine Motoren entwickelt. Die Kosmetikindustrie verwendet seit einigen Jahren Nanopartikel aus Zinkoxid, um die Hafteigenschaften von Lippenstift zu verbessern, Titanoxid zur Erhöhung des Lichtschutzfaktors von Sonnencreme, Zirkoniumoxid zur Verbesserung der Härte von Nagellack.

Für manche Konzerne ist die Produktion im Nanobereich eine Frage des Überlebens. Sowohl Sony als auch ST Microelectronics mit seinen Partnern Motorola und Philips Semiconductors International BV haben 1,5 Milliarden Dollar in die Herstellung von Halbleitern im Größenbereich von unter 90 Nanometern (90 Millionstel Millimeter) investiert. Die Textilindustrie fertigt metallisierte Fasern, die Strom leiten oder Sensoren enthalten. Nanomaterialien können den Wirkungsgrad von Energiesystemen erhöhen, die Speicherung von Wasserstoff erleichtern und zur Wärmedämmung dienen. In der Medizin lässt sich mit Nanobatterien Energie dorthin bringen, wo sie gebraucht wird. Man kann sie dann mittels Infrarotstrahlen oder Magnetfeldern aktivieren.

Ein implantierter Funkchip kennt die Krankengeschichte

Auch im Bereich der Biometrie und der mobilen Datensysteme eröffnet sich ein weites Anwendungsfeld. Applied Digital hat von der US-Arzneimittelbehörde FDA als erstes US-Unternehmen die Genehmigung erhalten, einen medizinischen Funkchip zu vermarkten, der in die Haut eingepflanzt wird und via RFID (Radio Frequency Identification) die gesamte Krankengeschichte des Patienten speichert.

„Die Nanoindustrie ist keine neuartige Branche, sondern bezieht sich auf ein Spektrum von Verfahrensweisen zur Manipulation von Strukturen in der Größenordnung von 1 bis 100 Nanometern“, unterstreichen die Ökonomen Stephen Baker und Adam Aston.4 „Nanotechnologien bilden nicht wie das Internet ein neues Phänomen, sondern eröffnen bei bereits existierenden Materialien neue Möglichkeiten.“

Wie zuvor die Datenverarbeitung, die Elektronik und die Biotechnologie dürfte auch die Nanotechnologie den industriellen Strukturwandel beschleunigen. Vor allem im Bereich der Biomaterialien, der Katalysatoren, der Diagnostik und der Elektronik sind Durchbrüche zu erwarten. Unterschiedliche Disziplinen werden verschmelzen, um die bestehenden Grenzen zwischen Chemie, Elektronik, Genetik und Neurowissenschaften zu überwinden.

Kein Wunder, dass die Bereitschaft, zu investieren, groß ist. 9 Milliarden US-Dollar wurden 2005 weltweit nach Angaben der US-amerikanischen National Nanotechnology Initiative in die Nanoindustrie und -forschung investiert, zu etwa gleichen Teilen in Asien, Europa und den USA. 2003 waren die öffentlichen Investitionen in die Nanoindustrie in Europa sechsmal, in den USA und Japan achtmal so hoch wie 1998. Nach Schätzungen der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) dürfte der Weltmarkt für Nanotechnologien, der 2001 bereits ein Volumen von 40 Milliarden erreichte, bis 2010 auf 1 000 Milliarden Dollar anwachsen.5

Die Nanotechnologie gewinnt also an Fahrt – obwohl über die gesundheitlichen Langzeitwirkungen der neuen Stoffe so gut wie nichts bekannt ist.6 Was passiert zum Beispiel, wenn die Kohlenstoff-Nanoröhrchen in die Atemluft gelangen oder wenn Titanoxid-Partikel als Sonnenschutz auf die Haut aufgetragen werden? Die Nanomaterialien bilden keine einheitliche Stoffgruppe, sondern unterscheiden sich nach Größe, Form, Oberflächenbeschaffenheit, chemischer Zusammensetzung und biologischer Haltbarkeit. Außerordentlich reaktionsfreudig sind sie aber alle. Der US-Toxikologe Ernie Hood beschreibt in seinem Überblick über Untersuchungen zu den gesundheitlichen Gefahren von Nanopartikeln die aktuellen Forschungsansätze.7 Günter Oberdörster von der University of Rochester konnte zeigen, dass sich Lungengewebe entzündet, wenn es mit Kohlenstoff-Nanopartikeln in Berührung kommt.

Fachkreise befürchten daher, dass sich die extrem feinen Nanopulver überall im Körper ausbreiten können, in den Lungenbläschen ebenso wie im Blut, und sogar über die Blut-Hirn-Schranke hinweg, die normalerweise dieses lebenswichtige Organ schützt. So konnte der britische Toxikologe Vyvyan Howard zeigen, dass Gold-Nanopartikel die Plazenta-Schranke überwinden und somit Stoffe von der Mutter auf den Embryo übertragen können. Zum anderen wurden Befürchtungen laut, dass allein schon die Form der Nanopartikel toxisch wirken könnte und die Gefahr besteht, dass die Kohlenstoff-Nanoröhrchen, ähnlich wie Asbestfasern, ihren Weg in die Lungenbläschen finden und Krebs verursachen.

Die gesundheitlichen Auswirkungen lassen sich schwer abschätzen, weil die Eigenschaften der Nano-Erzeugnisse noch kaum erforscht sind. Oft bestehen sie aus einem Gemisch von Nanofasern, Nanopartikeln und diversen Katalysatoren (Aluminium oder Eisen), einem leicht entzündlichen Gemisch, jedenfalls wenn es nicht rein genug ist. Die britische Physikerin Ann Dowling erstellte im Auftrag der Royal Society und der Royal Academy of Engineering einen 2004 veröffentlichten Bericht, in dem sie die Industrie auffordert, „die Verbreitung von Nanoröhrchen in der Umwelt zu begrenzen, ihre toxikologischen Tests öffentlich zugänglich zu machen und die biologischen Folgewirkungen eingehender zu erforschen“.8

Keiner weiß, was an Nanoröhrchen giftig ist

Weltweit testen derzeit rund zwanzig Unternehmen die Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen in Pilotprojekten, mit durchaus unterschiedlichen Schutzvorkehrungen. „Wir arbeiten im Schutzanzug in einem Unterdruckraum unter einer Abzugshaube“, präzisiert Pascal Pierron, Leiter der in Montpellier ansässigen Firma Nanoledge. In der Forschungsabteilung von Saint-Gobain erwägt man, die Arbeiten wegen zu hoher Risiken ganz einzustellen. Patrice Gaillard, Leiter des Nanoröhrchen-Projekts bei Arkema, kündigte im Januar vorigen Jahres dagegen an, das Unternehmen werde „ab 2007 mehrere hundert Tonnen pro Jahr herstellen“9 .

Britische Akademien haben das Problem erkannt und 21 Empfehlungen veröffentlicht. Sie fordern, die unkontrollierte Verbreitung von Nanopartikeln und Nanoröhrchen zu verhindern, und sprechen sich dafür aus, alle giftigen Wirkungen, Anreicherungen in der Nahrungskette und möglichen Gefährdungen von Bevölkerungsgruppen in einer Datenbank zu erfassen. Zudem empfiehlt der Bericht, das Forschungs- und Laborpersonal für die ethischen und gesellschaftlichen Probleme der Nanotechnologie zu sensibilisieren und die Bürger einzubinden. Mit Blick auf die Rechtslage sei sicherzustellen, dass der Umgang mit Nanotechnologien in jeder Hinsicht durch bestehende und künftige Gesetze abgedeckt ist.

Die Erfahrungen mit der Chemieindustrie zeigen, wie schwierig es ist, eine vollständige Auflistung aller giftigen Wirkungen durchzusetzen. Schon zeichnet sich ab, dass das EU-Reglement Reach (Registration, Evalution, Authorization und Restriction of Chemicals), das die Auswirkungen von 30 000 Stoffen (30 Prozent aller chemischen Erzeugnisse) evaluieren soll, unter dem Druck der Industrielobby aufgeweicht wird.

Geboten scheint daher eine grundlegende Überarbeitung der Genehmigungsverfahren für chemische Substanzen. Derzeit wird dabei ausschließlich die chemische Zusammensetzung berücksichtigt, die im europäischen Altstoffverzeichnis Einecs oder im weltweiten Informationssystem CAS (Chemical Abstracts Service) angegeben ist. Bei Nanomaterialien reicht die chemische Beschreibung aber nicht aus, weil hier auch die räumliche Anordnung der Atome womöglich Krebserkrankungen zur Folge haben kann.

Auf welch unsicherem Terrain man sich bewegt, zeigt die Haltung der Versicherungsgesellschaften. Der Schweizer Rückversicherer Swiss Re warnte bereits 2004 vor einem Run auf die Nanotechnologien, die „unvorhersehbare Risiken mit sich bringen können, mit wiederholten und kumulativen Verlusten als Folge“10 . Sogar eine der wichtigsten Lobbyfirmen für die Nanotechnologie sieht die Gefahr, dass „ein Unfall mit Nanopartikeln reflexartig eine Ablehnung nicht nur des fraglichen Materials, sondern der Nanotechnologien überhaupt auslösen könnte“11 .

Angesichts der Summen, die in die neue Technologie investiert worden sind, möchten interessierte Kreise aber lieber glauben, dass die Risiken überschaubar und beherrschbar seien. An der Rice-Universität in Houston, führend in Sachen Risikofolgenabschätzung von Nanotechnologien, gibt sich die Forscherin Kristen Kulinowski optimistisch: „Wenn wir die Oberflächeneigenschaften beherrschen können, können wir auch toxische Wirkungen vermeiden.“ Ebenso Sean Murdock, Leiter der US-amerikanischen NanoBusiness Alliance: „Es gibt Risiken, aber sie sind kontrollierbar.“ Für die Erforschung der gesundheitlichen Auswirkungen von Nanotechnologien werden in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union gerade einmal 3 bis 6 Prozent der „Nano-Budgets“ aufgewandt.

Manche Beobachter wie der französische Soziologe Francis Chateauraynaud von der École des Hautes Etudes en Sciences Sociales (Ehess) beschäftigen sich schon mit möglichen Konvergenzen zwischen Biotechnologie, physikalischer Chemie, Informatik und Kognitionswissenschaften. „Bleibt die Frage, ob all diese Operationen nicht nur durch die Magie des Worts und die Autorität offizieller Verlautbarungen zusammengehalten werden“, schreibt er in seinem Bericht „Nanowissenschaften und Technik-Prophezeiungen“12 .

Rundum günstige Interaktion von Mensch und Maschine

In einem im Juni 2002 veröffentlichten Bericht über die Nano-Bio-Info-Kognitionswissenschaften (NBIC) verspricht sich die NSF von den konvergierenden Technologien „eine Steigerung des materiellen Wohlstands und geistigen Wohlbefindens, eine friedliche und rundum vorteilhafte Interaktion zwischen Mensch und intelligenten Maschinen, eine vollständige Beseitigung aller Kommunikationshindernisse, insbesondere jener, die aus verschiedenen Sprachen resultieren, den Zugang zu unerschöpflichen Energiequellen und ein Ende der Umweltsorgen“13 .

Der Religionssoziologe William Sims Bainbridge ist Leiter der NSF-Abteilung „Information und intelligente Systeme“ und Vertreter des transhumanistischen Ansatzes. Die Transhumanisten sind überzeugt, dass der Mensch dank der Technik seine biologischen Grenzen eines Tages hinter sich lassen wird, etwa durch Verschmelzung mit dem Computer. Sie treten für die Freigabe von Drogen und Medikamenten, die Gefrierkonservierung von Leichen sowie das Hirn- und Gendoping ein.

Dieser offiziellen Position der Vereinigten Staaten antwortete die Europäische Union mit dem im September 2004 veröffentlichten Bericht „Konvergierende Technologien – Die Zukunft der europäischen Gesellschaften gestalten“14 . Nach Auffassung der Berichterstatter müssen sich die Nanotechnologien an menschlichen und nicht an wirtschaftlichen Zielen ausrichten und einen Beitrag leisten zur „Wissensgesellschaft, zur Erleichterung des Transports und zur Schaffung von ‚Assistenten‘, die dem Gemeinwohl dienen“.

„Offen zutage traten die europäisch-amerikanischen Differenzen auf der NanoEthics-Konferenz, die im März 2005 an der University of South-Carolina tagte“, erklärt Bernadette Bensaude-Vincent, die an der Universität Paris-X Wissenschaftsphilosophie lehrt und ein Buch über die mit den neuen Technologien verbundenen Fantasien geschrieben hat.15 „Auf der einen Seite haben wir die Euphorie eines Drexler und Apostel wie Ray Kurzweil, die mit ihrem extrem messianischen Auftreten gewissermaßen die religiöse Rhetorik aufgreifen; auf der anderen Seite apokalyptische Katastrophenszenarien. Ich würde sogar sagen, dass sich diese entgegengesetzten Positionen gegenseitig stärken und stützen. […] Davon einmal abgesehen, bieten die Nanotechnologien die Chance, die wunderbare Gelegenheit, sich endlich mit den Techniken auseinander zu setzen, mit ihrem Sinn, ihrer Bedeutung, ihren Implikationen, und wenn möglich eine öffentliche Debatte darüber anzustoßen.“

Fließende Übergänge in Science-Fiction-Welten

Vordringlich scheint, schon heute über die Auswirkungen der Nanoerzeugnisse von morgen nachzudenken. Eine wesentliche Bedeutung kommt der Science-Fiction-Literatur zu, deren Szenarien bruchlos in die Prognosen visionärer Wissenschaftler Eingang finden. Die Literatur nahm die Bedrohung durch Nanoroboter, sich selbst organisierende oder reproduzierende Maschinen und Implantate vor einiger Zeit vorweg. Etwa in Eric Drexlers „Engines of Creation“, wo die Maschinchen sich munter vermehren, in Neal Stephensons „Grenzwelt“, wo sie sich im Gehirn des Feinds einnisten, um ihn ferngesteuert zu zerstören, oder in Michael Crichtons „Beute“, wo sie sich in alles verschlingenden „grauen Glibber“ verwandeln.16

Die kanadische ETC (Erosion, Technology, and Concentration) Group fordert angesichts der ethisch-gesundheitlichen Risiken ein internationales Übereinkommen über die Evaluierung neuer Technologien (Icent) unter UNO-Schirmherrschaft. In einem am 28. Juli 2005 veröffentlichten Bericht über die „Nanogeopolitik“ meint ETC-Leiter Pat Mooney, man müsse gegen die „zyklisch auftretenden Krisen“ etwas unternehmen und im Rahmen eines Icent-Vertrags „ein Frühwarnsystem für alle wichtigen neuen Technologien einrichten“. Mooney warnte, die Patentierung von Nanotechnologien führe unweigerlich dazu, „dass einige wenige Privatunternehmen die konstitutiven Bestandteile der Materie monopolisieren“.

Da die Entwicklung und Vermarktung der Nanotechnologie weitgehend unter Ausschluss der Zivilgesellschaft erfolgt – rühmliche Ausnahmen bleiben Großbritannien, die Niederlande und die Stadt Madison im US-Bundestaat Wisconsin –, treten erste Protestgruppen auf den Plan. In Grenoble mobilisiert die Gruppe „Pièces et Main d’OEuvre“ (PMO) gegen das „technizistische Diktat“17 . Und wie beim Thema gentechnisch veränderte Organismen feiern interessierte Kreise Nanolösungen als probates Mittel, um den Problemen der armen Länder beizukommen.18

Ernst genommen wird die Problematik dagegen von der Zwischenstaatlichen Plattform, die auf Initiative der NSF und des Meridian Institute im Juni 2004 in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia zusammentrat. Die rund 60 Experten aus 25 Ländern beschlossen die Gründung eines „Internationalen Dialogs über eine verantwortungsbewusste Nanotechnologieforschung und -entwicklung“. Die französische Vertreterin Françoise Roure überreichte dem französischen Industrie- und Forschungsministerium im Februar 2005 einen in Zusammenarbeit mit dem Philosophen Jean-Pierre Dupuy verfassten Bericht mit 13 Empfehlungen, darunter die Schaffung einer europäischen Beobachtungsstelle für Nanotechnologie.

Auf militärischer Ebene bieten Nanoinstrumente und autonome Tötungssysteme eine für manche Verteidigungsexperten verlockende Perspektive. In den USA dient fast die Hälfte der staatlichen Forschungsgelder für Nanotechnologie – 2004 rund 445 Millionen Dollar – militärischen Zwecken. Neuartige Schutzanzüge und Nanowaffen wecken auch das Interesse Chinas, wo 2 000 Wissenschaftler im Nanoforschungszentrum von Schanghai tätig sind. Nach Ansicht des deutschen Physikers Jürgen Altmann besteht dabei die Gefahr, dass die Mechanismen der Abschreckung nicht mehr funktionieren, Rüstungskontrolle bei unaufspürbaren Waffen nicht mehr greift und Nanoroboter mit der Fähigkeit zur Selbstreplikation ausgestattet werden können.19

Beunruhigend ist aber vor allem, dass Technikfreaks wie der Physiker Ray Kurtzweil oder der transhumanistische Philosoph Nick Bostrom Denkfabriken wie das Zentrum für eine verantwortungsbewusste Nanotechnologie20 infiltrieren, Institutionen also, die den Weg in die Zukunft weisen sollen.

Fußnoten: 1 Für die Erfindung des Rastertunnelmikroskops erhielten Gerd Binnig, Ernst Ruska und Heinrich Rohrer 1986 den Physiknobelpreis. 2 1986 auf Englisch erschienen, nicht ins Deutsche übersetzt. Auf Deutsch liegt vor: Eric Drexler, Chris Peterson, „Experiment Zukunft. Die nanotechnologische Revolution“, Addison-Wesley (Bonn 1994). 3 Quantencomputer sind Rechner, die parallel eine Milliarde Rechenoperationen ausführen und damit jeden Geheimcode entschlüsseln können. 4 „The Business of Nanotech“, BusinessWeek online, 14. Februar 2005. 5 Gilles Le Marois, Dominique Charlach, „Les nanomatériaux au coeur de la galaxie nano“, Les Nanotechnologies, Les Annales des Mines – Réalités Industrielles, Februar 2004. 6 „Nanomonde: et si l’on parlait de sécurité sanitaire“, in: André Cicolella u. Dorothée Benoît-Browaeys, „Alerte Santé, Experts et citoyens face aux intérêts privés“, Paris (Fayard) 2005. EU-Kommission, „Nanotechnology: A preliminary risk analysis on the bassis of a workshop organized in Brussels on 1./2. March 2004 by the Health and Consumer Protection Directorate Generale of the European Commission“, http://europa.eu.int/comm/health/ph_ risk/documents/ev_20040301_en.pdf. 7 Ernie Hood, „Nanotechnology: Looking As We Leap“, Environmental Health Perspectives 112 (13), September 2004, http://ehp.niehs.nih.gov/cgi-bin /simpleprint.pl. 8 Tagung zu „Verantwortungsbewusste Entwicklung von Nanotechnologien“, die am 26. Mai 2005 in der britischen Botschaft von Paris stattfand. 9 Auf einem Seminar des „Observatoire des Micro et NanoTechnologies“, Januar 2005, Paris. 10 „Swiss Re, Nanotechnology: Small Matter, Many Unknowns“, Zürich, 2004, www.swissre.com. 11 „Nanotechnologies – Risk and Rewards“, Bericht der Londoner Beratungsfirma Cientifica, Juni 2005, www.cientifica.com/www/white_papers.php. 12 Francis Chateauraynaud, „Nanotechnologies et technoprophéties. Le nanomonde dans la matrice des futurs“, 2004. 13 M. C. Rocco u. W. S. Bainbridge (Hrsg.), „Converging Technologies for Improving Human Performance: Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science“, NSF/DOC-sponsored Report, Arlington, VA, National Science Foundation, Juni 2002. 14 A. Nordmann, „Converging Technologies – Shaping the Future of European Societies“. Siehe W. Bibel, D. Andler, O. da Costa, G. Küppers, I. D. Pearson, „Converging Technologies and the Natural, Social and Cultural World“, EU-Kommission, 26. Juli 2004. 15 B. Bensaude-Vincent, „Se libérer de la matière? Fantasmes autour des nouvelles technologies“, Paris (Editions INRA) 2004. 16 Neal Stephenson, „Diamond age. Die Grenzwelt“, München (Goldmann) 1998. Michael Crichton, „Beute“, München (Goldmann) 2005. 17 http://pmo.erreur404.org/. 18 Peter A. Singer, „Nanotechnology and the Developing World“, PLoS Medicine 2 (5), Mai 2005. 19 Jürgen Altmann, Mark A. Gubrud, „Risks from military uses of nanotechnology – The need for technology assessment and preventive control“, 2002, www.ep3.ruhr-uni-bochum.de/bvp/Risk MilNT_Lecce.pdf. 20 www.crnano.org. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Dorothée Benoît-Browaeys ist Wissenschaftsjournalistin.

Le Monde diplomatique vom 10.03.2006, von Dorothée Benoît-Browaeys