13.04.2006

Abarten in Transsylvanien

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Abarten in Transsylvanien

Die Verbreitung transgener Pflanzen lässt sich nicht kontrollieren von Robert Ali Bric de la Perrière und Frédéric Prat

Die norwegische Regierung holt derzeit ein altes Projekt aus der Schublade. Im Innern eines eisüberzogenen Berges auf der Insel Svalbard will man eine Höhle anlegen. Dort, in der Nähe des Polarkreises, soll die genetische Vielfalt der Saaten unserer Kulturpflanzen eingebunkert werden. Der „Tresor am Ende der Welt“ soll zwei Millionen Saatgutproben aller bekannten Nutzpflanzen aufnehmen. „Sollte der schlimmste Fall doch einmal eintreten“, so der Projektleiter Cary Fowler, Vorsitzender des Gobal Crop Diversity Trust, „könnten die Menschen die Landwirtschaft auf dem Planeten wiederaufbauen.“ Zu den Geldgebern gehören auch Dupont und Syngenta, zwei Agrochemiemultis, die einen Großteil der Biotechpatente und der Produktion genveränderter Pflanzen kontrollieren.

Dass gerade die industriellen Befürworter transgener Sorten die Notwendigkeit sehen, die pflanzlichen Genressourcen in Sicherheit zu bringen, erklärt sich aus der Tatsache, dass die Kontaminierung herkömmlicher Pflanzen durch genetisch veränderte Pflanzen (GVP) mittlerweile durch zahlreiche Indizien belegt ist. Die Konsultativgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR), die in ihren Genbanken über eine halbe Million Saatproben der wichtigsten Nutzpflanzen aufbewahrt, hat 2004 einen Bericht veröffentlicht, wonach bei Mais und Raps auf kurze Sicht eine hohe, bei Reis und Baumwolle eine mittlere Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie in den Genbanken mit transgenen Sorten kontaminiert werden könnten. In dem CGIAR-Bericht wurden deshalb umgehende Vorsichtsmaßnahmen gefordert.1

Eine Kontaminierung mit transgenen Varietäten gefährdet auch die Quelle der Diversität einer Pflanzenart in den ursprünglichen Zuchtgebieten. So wurde 2001 in Mexiko, dem Herkunftsland des Maises, von Forschern der Universität von Berkeley eine Kontaminierung lokaler Varietäten mit transgenen Handelssorten aus den Vereinigten Staaten festgestellt, obwohl Mexiko damals ein Moratorium für den Anbau transgener Pflanzen erlassen hatte.2

Voriges Jahr entdeckte man im rumänischen Transsylvanien, dem Ursprungsgebiet der Prunus-Arten (Pflaumen-, Kirsch-, Pfirsichbaum), Freilandversuche mit transgenen Steinobstsorten, die gegen das die Bäume schädigende Sharka-Virus resistent sind. Seit zehn Jahren experimentiert dort die in Bistrita gelegene Forschungsstation im Rahmen eines Programms der EU-Kommission – ohne offizielle Genehmigung aus Bukarest – mit Dutzenden Exemplaren, die aus einem in Bordeaux ansässigen Forschungslabor des Nationalen Agrarforschungsinstituts Inra stammen.

Im Irak, dem Herkunftsland des Weizens, hat USAID, die staatliche Entwicklungshilfeorganisation der USA, 54 Anbaugebiete für „verbesserte“ US-Sorten ausgewiesen, nachdem kurz davor die Übergangsregierung der „Koalition“ per Erlass 81 die Rechtsverbindlichkeit von Pflanzenpatenten durchgesetzt hatte. Ob der Irak nun zum Testfeld für US-Saatgutkonzerne wird, ist unklar.3

Seit genveränderte Sorten vor zehn Jahren erstmals auf den Markt kamen, haben sie sich über eine Fläche von 90 Millionen Hektar ausgebreitet; das entspricht 1,8 Prozent der Weltanbaufläche. Bei der Soja haben Gensorten die herkömmlichen Varietäten tendenziell bereits verdrängt – in den USA und Argentinien bereits zu 90 Prozent. Dabei kann die Kontaminierung in jeder Phase der Erzeugung auftreten: in den Genbanken, durch Pollenflug auf den Feldern oder nach der Ernte bei Transport, Lagerung und Weiterverarbeitung. In Brasilien hat dies bei Soja, in Kanada bei Raps und in einigen Anbaugebieten Spaniens bei Mais bereits bedenkliche Ausmaße erreicht. Wenn der Boden oder die Bestände des Saatgutzüchters betroffen sind, ist diese Kontaminierung von dauerhafter Wirkung.

Auf EU-Ebene wurde bereits 1990 eine Direktive für das „In-Verkehr-Bringen von GVOs“ erlassen. Sie sieht eine fallweise Risikoevaluierung vor, die allerdings mögliche Auswirkungen auf die außerordentliche Vielfalt der Agrar- und Ökosysteme nicht berücksichtigt. Nach heftigen Protesten der Bevölkerung und der Gebietskörperschaften galt in der EU seit 1999 ein De-facto-Moratorium. An dessen Stelle trat dann die EU-Richtlinie 2001/18/EG. Sie trägt zumindest nominell dem Vorsichtsprinzip Rechnung.

Während des faktischen Moratoriums verklagten die führenden GVO-Produzentenländer (Vereinigte Staaten, Kanada und Argentinien) die EU bei der Welthandelsorganisation (WTO). Doch zur allgemeinen Überraschung fiel das Urteil der Expertenkommission, deren Zwischenbericht vergangenen Februar durchsickerte, nicht zuungunsten Europas aus.4 Gleichwohl beschränkt die neue EU-Richtlinie das Genehmigungsverfahren auf die Prüfung gesundheitlicher und ökologischer Aspekte. Überdies ist das Verfahren selbst höchst undurchsichtig und fragwürdig.

Theoretisch liegt die Entscheidung beim EU-Ministerrat, fällt aber der Kommission zu, falls im Ministerpräsidentenrat keine qualifizierte Mehrheit erzielt werden kann. Die Kommission stützt sich bei ihrer Entscheidung auf Berichte von Experten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, die nur Risikostudien der Industrie zu Rate ziehen, denn Analysen unabhängiger Laboratorien, die berücksichtigt werden könnten, gibt es kaum.

Im Fall der Genehmigung des Monsanto-Maises „MON 863“ zum Beispiel zeigten die obligatorischen toxikologischen Tests, dass Ratten Anomalien an den inneren Organen ausbildeten (sie hatten kleinere Nieren) und ein verändertes Blutbild aufwiesen. Doch der Konzern behauptet in seinem Bericht, die Anomalien seien rein zufällig und entsprächen gängigen Variationen innerhalb der Spezies Ratte. Das in Deutschland für Biosicherheit zuständige Robert-Koch-Institut, das die Studie begutachtet hat, registrierte dagegen „eine lange Reihe signifikativer Differenzen“ zwischen den verwendeten Gruppen von Versuchstieren und kritisierte den methodischen Ansatz der Studie. Dennoch bleibt MON 863 auch weiterhin genehmigt.

Da das Genehmigungsverfahren weder eine Konsultation des Europaparlaments noch des EU-Regional-, Wirtschafts- oder Sozialrats vorsieht, ging der demokratische Widerstand von jenen Gemeinden und Gebietskörperschaften aus, die sich zur „genfreien Zone“ erklärten. Diese Opposition gewann rasch an Boden. Im Februar 2005 forderten 172 Regionen und über 4 500 Gemeinden auf einem Treffen in Florenz „rechtliche Bestimmungen, die es den Regionen erlauben, in ihrem Zuständigkeitsbereich eigenständig über die Einführung von GVOs zu entscheiden, ohne dass diese Entscheidungen als Verstoß gegen das Prinzip des freien Warenverkehrs gewertet werden“. Ob GVOs in den Verkehr gebracht werden dürften, sei von deren Nützlichkeit für den Verbraucher und die Gesellschaft abhängig zu machen.5

In ihrer Empfehlung vom 23. Juli 2003 forderte die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auf, Vorkehrungen für eine „Koexistenz“ der genmanipulierten, der herkömmlichen und der biologischen Landwirtschaft zu treffen. Die Verordnung 1829/2003 legt mit Blick auf die Produktauszeichnung bestimmte Toleranzwerte für den Gehalt an genveränderten Sorten fest. Das hat für den Hersteller den Vorteil, dass im Fall von Kontaminierungen seine Erzeugnisse nicht umgehend herabgestuft werden.

Für die konventionelle Landwirtschaft ist ein Schwellenwert von 0,9 Prozent je Inhaltsstoff vorgesehen, falls die Kontaminierung „zufällig oder aus unvermeidlichen technischen Gründen“ erfolgte. Mit Blick auf die Biolandwirtschaft, die keinerlei GVO-Spuren duldet, soll der Schwellenwert von 0 Prozent auf ebenfalls 0,9 Prozent angehoben werden.

Die EU-Kommission ergänzte ihre Koexistenz-Empfehlungen durch einen stattlichen Forschungsetat, der vor allem legitimatorische Funktion hat. Doch zahlreiche Meinungsumfragen zeigen, dass die Bürger Europas genveränderte Lebensmittel nach wie vor mehrheitlich ablehnen.6 Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, schreibt die Kommission in ihrem jüngsten Forschungsbericht: „Es ist möglich, in Europa herkömmliches (nicht genverändertes) Saatgut mit einem zufälligen Anteil genveränderter Sorten von höchstens 0,5 Prozent zu produzieren, wobei bei Zuckerrüben und Baumwolle keinerlei Umstellungen der Anbaumethoden nötig, bei Mais nur kleinere Anpassungen erforderlich sind.“7

Zur Kontrolle der landwirtschaftlichen Erzeugnisse werden derzeit immer ausgefeiltere Überwachungsverfahren entwickelt. So werden in Deutschland die Standorte von Freisetzungsvorhaben bereits seit 1991 in einem zentralen, seit 2005 öffentlich einsehbaren Genregister erfasst, sodass die Bundesbehörden die Bevölkerung vor Ort gezielt informieren und bei wirtschaftlichen Nachteilen für Unbeteiligte über eventuelle Schadenersatzleistungen befinden können. Das Institut für den Schutz und die Sicherheit des Bürgers (IPSC), das dem Gemeinsamen Forschungszentrum der EU-Kommission (JRC) angegliedert ist, arbeitet EU-weit an der elektronischen Erfassung der GVP-Standorte, um eine solide Datenbasis für Monitoringverfahren zu schaffen.

Die EU-Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (2001/18/EG) wird derzeit nach und nach in nationales Recht umgesetzt.

Die französische Regierung hat sich wegen der Nichtumsetzung der EU-Richtlinie eine Verwarnung durch den Europäischen Gerichtshof und die Kommission eingehandelt.8

In Deutschland werden die verschiedenen Richtlinien zurzeit Zug um Zug umgesetzt. Zuletzt wurde das deutsche bisher restriktivere deutsche Gesetz am 11. März 2006 den EU-Vorgaben angepasst und der Einsatz gentechnische veränderter Organismen im Freiland weiter erleichtert. So müssen Landwirte, deren Felder kontaminiert wurden, müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen, um Entschädigungszahlungen beanspruchen zu können.

Fast 60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in der Union bewirtschaften weniger als fünf Hektar. Das macht das Konzept einer angeblich möglichen „Koexistenz“ von herkömmlichen und genveränderten Anbaupflanzen völlig unrealistisch. Faktisch laufen die im Namen von „Wahlfreiheit“ und „Demokratie“ erlassenen EU-Vorschriften auf ein autoritäres System hinaus, das den Landwirten keine andere Möglichkeit lässt, als sich den Interessen der Saatgutlobby zu beugen. Was die Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne bei ihren ersten Aktionen gegen Genfelder vor zehn Jahren als totalitäre Landwirtschaft angeprangert hat, wird nunmehr schrittweise zur Realität.

Die Idee einer möglichen Koexistenz wurde von der EU-Kommission und der Industrie schlichtweg erfunden, um die Akzeptanz genveränderter Erzeugnisse zu erhöhen. Dabei steht außer Frage, dass die Kontaminierung herkömmlichen Saatguts unvermeidlich ist und die Fälle ständig zunehmen werden. Besonders schwerwiegend sind die Folgen für die von Bauern bewahrten Sorten, für die Varietäten mit Herkunftsbezeichnung und für die Biolandwirtschaft, die früher oder später keine Überlebenschance haben wird. Es wird unmöglich sein, genfreies Saatgut zu erhalten, und ebenso unmöglich, genfreie Lebensmittel zu kaufen. Nichts als Heuchelei ist daher der Titel des Kongresses, den die EU-Kommission vom 4. bis 6. April dieses Jahres in Wien veranstaltete: „Die Koexistenz von gentechnisch veränderten, konventionellen und biologischen Nutzpflanzen – Die Freiheit der Wahl“.

Welche Schäden hier auf uns zukommen, kann niemand abschätzen. Die Kontaminierung erfolgt sowohl durch den Handel mit kontaminiertem Saatgut als auch durch Pollenflug. Deshalb sollte allein der Importeur und Erwerber genveränderter Pflanzen für etwaige Kontaminierungen haften und sämtliche Kosten tragen, die durch die Trennung der Produktlinien anfallen, die vom Feld bis zum Verkauf gewährleistet sein muss. Alle Genehmigungsverfahren für das In-Verkehr-Bringen von GVOs in der Union müssten Rechtsinstrumente vorsehen, die es den Regionen erlauben, den Anbau von genveränderten Sorten von Analysen über die Auswirkungen auf (biologische) Qualitätserzeugnisse abhängig zu machen.9

Das Bemühen einer Koalition privater Interessenten, mit Unterstützung der Kommission und der meisten EU-Regierungen genveränderte Pflanzen mit Macht in den Markt zu drücken, musste den Widerstand der Bürger auf den Plan rufen. Der äußert sich unter anderem darin, dass sich zahlreiche Gebietskörperschaften zu „genfreien Zonen“ erklärt haben, aber auch in Bewegungen wie den französischen „Faucheurs volontaires“ (freiwillige Mäher), deren Mitglieder auf eigene Verantwortung – also niemals im Namen ihrer Organisation – Versuchsfelder mit Genpflanzen zerstören. Die 2003 auf dem Larzac entstandene Bewegung des zivilen Ungehorsams zählt heute über 5 000 Aktivisten und Aktivistinnen und findet Nachahmer auch in anderen Ländern der Europäischen Union. Einige Aktivisten wurden bereits zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt; manchen von ihnen droht sogar die Beschlagnahme von Hab und Gut.10

In jüngster Zeit kommt allerdings Bewegung in die Sache. Die Strafkammern der Landgerichte Orléans (Dezember 2005) und Versailles (Januar 2006) haben in zwei Urteilen die Rechtmäßigkeit der „Faucheurs“ anerkannt. Dabei gehen sie von einer „Notstandssituation“11 aus, die sie aus dem Grundsatz der „Zurückhaltung“ der französischen Umweltcharta ableiten, der seit 1. März 2005 Verfassungsrang genießt. Wenn die repräsentative Demokratie nicht mehr funktioniert und die Zukunft der Biodiversität von eingefrorenem Saatgut in einer Grotte am Nordpol abhängt, muss Widerstand neues Recht setzen.

Fußnoten: 1 www.ipgri.cgiar.org/policy/GMOWorkshop/PDF/GMO_Workshop_final_report.pdf. 2 D. Quist u. I. Chapela, „Transgenic DNA introgressed into traditional maize landraces in Oaxaca, Mexico“, Nature 414 (2001), S. 541–543. Die Biotechlobby inszenierte nach der Veröffentlichung dieses Artikels eine heftige Kontroverse. Siehe L. Ceballos u. B. Eddé, „Contamination du maïs mexicain: la controverse scientifique“, Dossier Inf’OGM 43, November 2003. 3 Dazu Christopher D. Cook, „Plowing for Profits – U.S. Agribusiness Eyes Iraq’s Fledgling Markets“, In These Times, 15. März 2005. 4 Hervé Kempf, „L’OMC n’a pas condamné l’Europe pour ses mesures sur les OGM“, Le Monde, 2. März 2006. 5 Charta der Regionen und Gebietskörperschaften Europas zur Koexistenz von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen mit herkömmlichen und biologischen Anbaumethoden, 4. Februar 2005, www.gentechnikfreie-regionen.de. Siehe auch die gemeinsame Presseerklärung der L’Assemblée des Régions d’Europe (ARE) und der Amis de la Terre Europe (FoEE), paris.indymedia.org/article.php3? id_article=25717. 6 Nach einer BVA-Umfrage lehnen 75 Prozent der Franzosen genveränderte Lebensmittel ab. 7 www.jrc.es. 8 Der französische Gesetzentwurf, der Ende März in der Nationalversammlung debattiert wurde, ist wegen zahlreicher Mängel stark in der Kritik: Die Öffentlichkeit wird nicht ausreichend informiert, die Sudien bleiben unter Verschluss, in einigen Punkten gibt es statt verbindlicher Zusagen nur Absichtserklärungen, Gebietskörperschaften dürfen nicht mitentscheiden. 9 Als Vorbild könnten die Regelungen dienen, die die italienischen Regionen in Anwendung der geltenden Saatgutgesetze beschlossen. 10 Betroffen sind u. a. José Bové, der Grünenabgeordnete Noël Mamère und Gilles Lemaire, bei dem am 8. März 2006 der Gerichtsvollzieher auftauchte. 11 Siehe A. Hébrard, „De légitimes, les fauchages deviennent légaux“, Dossier Inf’OGM 71, Januar 2006. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Robert Ali Bric de la Perrière ist Pflanzengenetiker und Geschäftsführer von Inf’OGM; Frédéric Prat ist Agronom, Mitarbeiter von Inf’OGM und Herausgeber des Sammelbandes „Société civile contre OGM, arguments pour ouvrir un débat public“, Barret-sur-Méouge (Editions Yves Michel) 2004.

Le Monde diplomatique vom 13.04.2006, von Robert Ali Bric de la Perrière und Frédéric Prat