13.04.2006

Bauernjury in Sikasso

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Bauernjury in Sikasso

In Mali wehren sich die Baumwollbauern gegen die Einführung transgener Sorten von Roger Gaillard

Der große, schlanke Mann im türkisfarbenen Gewand sprang auf, ergriff das Mikrofon, deutete mit dem Zeigefinger in die Luft, in Richtung der Ventilatoren, die die Mittagshitze umwühlten, und wandte sich in der Regionalsprache Bambara an die Versammelten: „Warum sollen wir armen Bauern die Genpflanzen akzeptieren, wenn die reichen Bauern des Nordens sie ablehnen?“ Zustimmendes Gemurmel aus dem Publikum. Das Saalmikro wanderte weiter zu einer jungen Landwirtin, die mit ihrem Baby gekommen war: „Wozu soll das gut sein, wenn wir durch die Genpflanzen eine größere Ernte haben, wo wir doch schon für unsere jetzige Ernte keinen anständigen Preis bekommen?“

Die Szene spielte in Sikasso, einem Ort im Süden Malis, das zu den ärmsten Ländern Afrikas gehört. In dieser Region werden zwei Drittel der wichtigsten Deviseneinnahmequelle Malis produziert: der Baumwolle. Fünf Tage lang, vom 25. bis 29. Januar 2006, gaben 43 Kleinbauern und -bäuerinnen eine beeindruckende Vorstellung in Sachen partizipativer Demokratie. Die aus der gesamten Region angereisten Baumwollbauern hatten vom Regionalparlament von Sikasso den Auftrag bekommen, eine Bauernjury zu bilden, um die Vor- und Nachteile einer eventuellen Einführung genetisch veränderter Organismen (GVO) für die Landwirtschaft zu bewerten. Die Jury, die in Anlehnung an andere, in Mali bereits wohl etablierte Diskussionsforen „Bürgerforum für demokratische Mitwirkung“ (Ecid) getauft wurde, war für Afrika eine Premiere. Unterstützung erhielt sie von europäischen Partnern, die sich für partizipative Methoden bei der Bewertung neuer Technologien und entwicklungspolitischer Maßnahmen einsetzen.1

Das Forum in Sikasso entstand aufgrund des starken Drucks, dem sich die Länder Afrikas seitens der Agrarmultis ausgesetzt sehen, allen voran des US-Konzerns Monsanto und der Schweizer Syngenta Agro AG, die eine Industrialisierung des Agrarsektors und die Öffnung der Märkte für transgene Varietäten fordern.2 Bt-Baumwollpflanzen sind genetisch verändert und produzieren zum Beispiel ein Gift gegen bestimmte Schädlinge. Dies ermöglicht zumindest theoretisch eine Verringerung des Pestizideinsatzes sowie höhere Ernteerträge.

Da Westafrika weltweit der drittgrößte Baumwollerzeuger ist, steht für die Agrarmultis einiges auf dem Spiel. Kein Wunder daher, dass die mit einem Jahresbudget von 100 Millionen Dollar ausgestattete US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) die Einführung von Biotechnologien in den südlichen Ländern tatkräftig unterstützt.

Die Antwort des Schwarzen Kontinents auf den Druck von außen fällt recht unterschiedlich aus. Sambia lehnte Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms, die bekanntlich mit genetisch verändertem US-Mais durchsetzt sind, trotz drohender Hungersnot ab. Benin hingegen nahm die zweifelhafte Hilfe an, obwohl das Land 2002 ein fünfjähriges GVO-Moratorium beschlossen hatte. In Südafrika, dem Brückenkopf der Agrarindustrie in Afrika, werden transgener Mais und transgene Baumwolle seit knapp zehn Jahren angebaut – die Ergebnisse sind umstritten. In Burkina Faso wiederum, das an Mali angrenzt, werden seit 2003 gegen vielfältigen Widerstand Freilandversuche mit transgener Baumwolle durchgeführt.

Höchst interessiert und aufmerksam befragte die Bürgerjury in Sikasso während ihres Treffens ein gutes Dutzend Experten aus Westafrika, Südafrika, Indien und Europa. Die Molekularbiologen, Agraringenieure, NGO-Vertreter und Delegierten der Bauernbewegungen beantworteten diverse Fragen zu Vor- und Nachteilen von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen: zu den Risiken für Umwelt und Gesundheit, zum tatsächlichen Produktivitätszuwachs, zu sozioökonomischen Faktoren, zu ethischen und juristischen Fragen; auch die kulturellen Implikationen waren ein Thema.

GVO heißt auf Bambara „Baieereemaschi“ (veränderte Nährmutter). Da die animistische Weltsicht im überwiegend muslimischen Mali noch sehr präsent ist, sorgte allein schon der schiere Vorgang, ein Gen von einem Organismus in einen anderen zu übertragen, bei nicht wenigen Zuhörern für Beunruhigung.

Debattiert wurde auch die überaus wichtige Problematik der geistigen Eigentumsrechte und der Patentierung. Jeanne Joudjuhekpon, Genetikerin bei der Organisation Grain, kam auf das Thema zu sprechen: „Die Bt-Saat ist patentrechtlich geschützt, was den Firmen absolute Macht über die Landwirte gibt. Die Kleinbauern haben nicht mehr das Recht, einen Teil der eigenen Ernte im nächsten Jahr auszusäen, wie sie es immer getan haben. Tun sie es dennoch, drohen ihnen juristische Sanktionen.“

Das Argument traf ins Schwarze, zumal der westafrikanische Baumwollsektor in der Krise steckt, woran Mamadou Goïta, Leiter der „Koalition gegen GVOs und für den Schutz des genetischen Erbes in Mali“ noch einmal erinnerte. Die Textilgesellschaft von Mali (CMDT), die zu 60 Prozent dem Staat, zu 40 Prozent dem französischen Unternehmen Dagris gehört, schreibt seit der Abwertung des CFA-Franc und dem Einbruch der Weltmarktpreise rote Zahlen, obwohl die jährliche Erzeugung zwischen 1994 und 2005 von 320 000 auf 600 000 Tonnen angewachsen ist.

Biobaumwolle für die europäischen Verbraucher

Bis 2008 muss die CMDT privatisiert werden, sonst blockiert die Weltbank jede weitere Hilfe. Wegen des Bilanzdefizits sank der Kilopreis, den die CMDT den Landwirten zahlt, von 210 CFA-Franc 2004 auf 160 CFA-Franc 2006 (dies entspricht 0,25 Euro), während die Kosten für chemische Hilfsmittel weiter anstiegen. Unter solchen Bedingungen ist der Baumwollanbau nicht mehr rentabel. Viele Bauern, die über Jahre nur Baumwolle angebaut haben, denken darüber nach, auf Hirse und Mais umzustellen. Mamadou Goïta hat einen anderen Vorschlag: „Wir sollten umsatteln und biologische Baumwolle anbauen, um Zugang zu EU-Märkten zu erhalten, wo die öffentliche Meinung die Genmanipulation ablehnt. In jedem Fall sind die Kräfteverhältnisse sehr ungünstig, vor allem wegen der Dumpingpolitik der Vereinigten Staaten, die ihre 25 000 Baumwollfarmer alljährlich mit 4 Milliarden Dollar subventionieren, während in Mali über 3 Millionen Menschen vom Baumwollanbau leben.“

Die multinationalen Konzerne folgten der Einladung der Bauernjury nicht. „Wir haben die Syngenta-Stiftung und Monsanto mehrfach angeschrieben“, sagt Barabara Bordogna, Biologin beim Interdisziplinären Netz für Biosicherheit in Genf (RIBios) und Mitglied des Ecid-Lenkungsausschusses, „aber die Firmen schrecken vor einer Beteiligung an einem offenen und transparenten Diskussionsprozess, den sie nicht kontrollieren können, offenbar zurück.“

Monsanto empfahl immerhin einige Landwirte, die von positiven Erfahrungen mit GVOs berichten konnten. So reiste aus Südafrika der Zulu-Bauer T. J. Buthelezi an, der seit 1996 Bt-Baumwolle anbaut, und versicherte, das Ergebnis lasse nichts zu wünschen übrig. Er berichtete, dass bei einer Überschwemmung die mit transgener Baumwolle angesäten Anbauflächen intakt geblieben, während die herkömmlichen Pflanzen eingegangen seien. Seither baue er nur noch GVOs an, auch genveränderten Mais, den er selbst esse, ohne dass gesundheitliche Beschwerden aufgetreten seien. „Macht es wie ich, bereichert euch“, rief er den Bauern Malis zu.

Zu einem ganz anderen Schluss gelangte P. V. Satheesh aus dem zentralindischen Bundesstaat Andhra Pradesh in ihrer Dreijahresstudie. Die Ernteerträge bei herkömmlichen Baumwollsorten seien durchweg höher gewesen als die Erträge auf den transgenen Versuchsfeldern, wobei die Bt-Varietät kaum weniger Pestizide benötigt habe als die herkömmlichen Sorten. Der hohe Bt-Saatgutpreis in Verbindung mit enttäuschenden Erträgen habe viele Kleinbauern ruiniert. Da Monsanto alle Entschädigungsforderungen kategorisch ablehnte, habe die Regierung von Andhra Pradesh dem Unternehmen jede weitere Aktivität in ihrem Hoheitsgebiet untersagt.

Außer diesen diametral entgegengesetzten Positionen waren auf dem Bürgerforum auch Zwischentöne zu hören. So auch die von Ouola Traoré, Agronom und Leiter des Baumwollprogramms am Nationalen Institut für Umweltfragen und agronomische Forschung (Inera) in Burkina Faso, wo Bt-Baumwolle seit 2003 getestet wird – mit der Perspektive, die transgene Varietät nach 2010 einzusetzen: „Nur durch gründliche Forschungen über die an unser Klima angepassten lokalen Varietäten lässt sich bestimmen, ob die GVOs für Westafrika eine Zukunftslösung darstellen“, erklärte Traoré. Sein Plädoyer für unabhängige afrikanische Forschungen im Rahmen staatlicher Institutionen kam bei der misstrauischen Zuhörerschaft jedoch schlecht an. Auch ihr war bekannt, dass die wissenschaftlichen Institute des Kontinents von finanziellen Zuschüssen der internationalen Biotechlobby abhängen.

Die Jury bildete mehrere Arbeitsgruppen – in einer saßen ausschließlich Frauen. Nach eintägiger Beratung gaben sie ihre Empfehlung bekannt: Nein.3 Einstimmig lehnten die in Sikasso versammelten Bauern die Einführung von GVOs in Mali ab und befürworteten stattdessen den Erhalt und den Ausbau der lokalen Saattechniken, um nicht in Abhängigkeit von den Multis zu geraten: „Wir wollen die Herren unserer Felder bleiben, wir wollen keine Sklaven werden“, bekräftigte Brahim Sidebe, einer der Bauernsprecher.

Birama Kone legte den Akzent auf den Erhalt der konvivialen Lebensweise: „Unsere Bauern sind es gewohnt, sich gegenseitig zu helfen. Es besteht die Befürchtung, dass durch die GVOs der Sinn für Freundschaft und Solidarität zerstört wird. Wenn ich ein GVO-Feld habe, mein Nachbar aber nicht, wird es wegen der Gefahr der Kontaminierung früher oder später Konflikte zwischen uns geben.“

Die Frauendelegierte Basri Lidigoita empfahl eine Neuausrichtung der Forschung, um die lokalen Saaten mit klassischen agronomischen Verfahrensweisen zu verbessern und die Kleinbauern besser auszubilden – insbesondere in den Methoden der biologischen Landwirtschaft.

Am 29. Januar übergab die Bürgerjury ihre Empfehlungen dem Regionalparlament von Sikasso. Die Lokalradios hatten täglich über die Debatten berichtet und veröffentlichten nun ebenso wie das malische Fernsehen die Schlussfolgerungen, zu denen die Jury gelangt war. Die Empfehlungen haben zwar keine zwingende Wirkung, doch da Mali das Cartagena-Protokoll über Biodiversität4 unterzeichnet hat, steht einer Umsetzung der Empfehlungen eigentlich nichts im Wege.

Der Gesetzentwurf, der sich an das Protokoll anlehnt, sieht vor, dass die Bürger landesweit ein Mitspracherecht haben, bevor es zu einer Einführung von GVOs kommen kann. „Wir wollen keine GVOs“, rief Lidigoita den Zuhörern zu, „und wir verlangen von der Regierung, dass sie die Einführung in unserem Land verhindert. Wenn es Bauern geben sollte, die rechtswidrig GVOs anbauen, werden wir ihre Felder abbrennen!“

Fußnoten: 1 Hier ist vor allem das Interdisziplinäre Biosicherheits-Netzwerk (RIBios) zu nennen, das an den Universitäten Genf und Lausanne sowie in Kürze auch in Bamako Fortbildung in Biosicherheit anbietet (www.ribios.ch). 2 Dazu Tom Amadou Seck, „Subventionen gegen Afrika“, Le Monde diplomatique, Dezember 2005. 3 www.iied.org/NR/agbioliv/documents/Recom mendationsEng.pdf. 4 Das „Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit“, das dem „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ angegliedert ist, zielt laut Art. 1 darauf, zur „Sicherstellung eines angemessenen Schutzniveaus bei der sicheren Weitergabe, Handhabung und Verwendung der durch moderne Biotechnologie hervorgebrachten lebenden veränderten Organismen, die nachteilige Auswirkungen auf die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt haben können, beizutragen, wobei auch Risiken für die menschliche Gesundheit zu berücksichtigen sind und ein Schwerpunkt auf der grenzüberschreitenden Verbringung liegt“. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Roger Gaillard ist Journalist bei der Agentur InfoSud und lebt in Genf.

Le Monde diplomatique vom 13.04.2006, von Roger Gaillard