Japans Abschied vom Pazifismus
Der Pakt mit den USA schafft geopolitische Fakten in Ostasien von Emilie Guyonnet
Keystone of the Pacific“ tauften die Amerikaner die Insel Okinawa wegen ihrer zentralen geopolitischen Lage in Asien. Eine der blutigsten Konfrontationen im Pazifik war die „Schlacht von Okinawa“, die von April bis Juni 1945 dauerte. Mehr als 230 000 Menschen starben, davon 94 000 Zivilisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Insel zum Objekt der strategischen Optionen Tokios und Washingtons. Bis 1972 hielten die USA Okinawa besetzt, zwanzig Jahre länger als das übrige japanische Territorium. Die Insel wurde zur Militärkolonie der USA. Noch heute nehmen die 37 US-Militäreinrichtungen ein Fünftel der Insel ein. 26 000 Angehörige der Streitkräfte leben hier mit ihren Familien. Damit stehen etwa 50 000 US-Bürger einer einheimische Bevölkerung von 1,35 Millionen gegenüber.1
Die militärische Konzentration auf engstem und dicht besiedeltem Raum (Okinawa ist 100 Kilometer lang und etwa 15 Kilometer breit) schafft eine Menge Probleme: Lärmbelästigung, Kriminalität, Unfälle bei Manövern und militärischen Übungen, insbesondere beim Einsatz scharfer Munition.
„Ich hasse diese Militärbasen“, sagt Tomohiro Yara. Er wohnt in der Nähe der Kadena Air Base, des größten Luftwaffenstützpunkts der USA in Fernost. „Manchmal wache ich wegen des Fluglärms um zwei oder drei Uhr nachts auf. Die Maschinen donnern direkt über meinen Kopf hinweg. Manchmal fallen sogar Metallteile oder andere Gegenstände in meinen Garten.“ Als 1995 drei Marines ein Mädchen vergewaltigten, wurden die Stützpunkte wieder zu einem nationalen Thema. „Die Öffentlichkeit war schockiert. Seit 1972, als die Insel wieder unter japanische Verwaltung kam, hatten die Medien nicht mehr über sie berichtet“, erinnert sich ein Redaktionsmitglied der Okinawa Times.
In Futema okkupiert der US-Luftwaffenstützpunkt eine Fläche von 4 800 Hektar mitten in der Stadt mit ihren 80 000 Einwohnern. Hier kann man noch die Ruinen des Universitätsgebäudes besichtigen, das am 13. August 2004 beim Absturz eines US-Hubschraubers zerstört wurde.
Der Kalte Krieg ist lange vorbei, doch in der südlichsten japanischen Provinz Japans, die 1 500 Kilometer von Tokio entfernt liegt, fühlt man sich – trotz der paradiesischen Strände und der vielen Hotelkomplexe – wie in einer vergangenen Epoche. Die Unzufriedenheit der Menschen ist überall zu spüren. „Verteidigungspolitik war in Japan lange Zeit kein Thema“, erläutert Tomohiro Yara, „schließlich stand das Land während des Kalten Krieges unter dem atomaren Schutz der USA. Doch wir werden uns nicht ewig auf Amerika verlassen können. Heute können wir dieser Debatte nicht mehr ausweichen.“ Deshalb wird auch über ein neues strategisches Abkommen zwischen Tokio und Washington verhandelt, dessen wichtigste Bestimmungen ein Zwischenbericht vom 29. Oktober 2005 skizziert.2 Die Vereinbarung, die demnächst unterzeichnet werden soll, sieht unter anderem die Verlegung von 7 000 US-Marines nach Guam war. Die Marianeninsel Guam ist US-Territorium. Sie ist größer und wesentlich dünner besiedelt als Okinawa und nach Ansicht der Strategen im Pentagon günstiger gelegen, um militärisch auf die Aktivitäten radikaler Islamistengruppen in Südostasien zu reagieren.
Dieser Umzug, für den es noch keinen genauen Termin gibt, ist weniger spektakulär, als es scheint, wenn man die Gesamtzahl der in Japan stationierten US-Truppen oder gar die amerikanische Präsenz in Südkorea im Auge hat. 40 000 Soldaten wird es in Japan auf den insgesamt 89 US-Stützpunkten auch noch nach dem Transfer nach Guam geben, den Tokio im Übrigen mit knapp 9 Milliarden US Dollar finanziert.3 Damit wird das japanische Inselreich auch weiterhin der engste Verbündete Washingtons und Hauptstütze für die amerikanische Asienstrategie bleiben.
Für Südkorea ist der Abzug von 12 500 der derzeit im Land stationierten 37 500 GIs bis zum Jahr 2008 geplant.4 Das Land ist die zweite große US-Bastion in der Region, doch angesichts einer breiten Protestbewegung und der Bemühungen um eine Aussöhnung mit Nordkorea tendiert die Regierung dazu, zu dem amerikanischen Alliierten auf Distanz zu gehen und eine stärker multilateral ausgerichtete Politik zu betreiben. Wobei allerdings das Verteidigungsabkommen von 1954 nicht in Frage gestellt wird.5
Wie unterschiedlich die beiden Länder agieren, zeigt sich auch in puncto Finanzen. Japan ist der „großzügigste Gastgeber“ US-amerikanischer Truppen. Für diese gibt Tokio jährlich mehr als 4 Milliarden US-Dollar aus – das sind immerhin 75 Prozent der gesamten Stationierungskosten. Südkorea dagegen wendet pro Jahr etwas über 840 Millionen Dollar auf, was nur 40 Prozent der Stationierungsausgaben entspricht.6
Eine „historische“ Allianz mit den Vereinigten Staaten
Die Umstrukturierung der US-amerikanische Militärpräsenz in Asien hat nicht nur mit dem Ende des Kalten Krieges zu tun. Der neue bilaterale Vertrag mit Washington fügt sich auch in die neue japanische Außen- und Verteidigungspolitik, die heute mehr denn je auf eine enge politische und militärische Allianz mit den USA setzt. So erklärte US-Außenministerin Condoleezza Rice bei der Vorstellung des vorläufigen Berichts am 29. Oktober 2005,7 dass die Zusammenarbeit beider Länder, die vormals „nur der Verteidigung Japans und potenziell der Stabilität in der Region“ gedient habe, nunmehr die Funktion einer „globalen Allianz“ einnehmen werde.
Die als „historisch“ bezeichnete Übereinkunft eröffnet die dritte große Etappe in den Beziehungen beider Länder seit der japanischen Kapitulation am 2. September 1945. Das im September 1951 mit dem Friedensvertrag von San Francisco unterzeichnete Sicherheitsabkommen sah vor, dass US-Militärbasen und -Truppen auf dem Archipel stationiert bleiben sollen – auf einem Territorium also, das ansonsten entmilitarisiert war und vor dessen Toren sich der Koreakrieg abspielte. Im Januar 1960 wurde der Pakt, der ein mittlerweile überholtes Kräfteverhältnis widerspiegelte, in ein Abkommen für Sicherheit und Zusammenarbeit umgewandelt. Es hatte eine Laufzeit von zehn Jahren, war seitens beider Parteien durch einfache Mitteilung binnen Jahresfrist kündbar und beruhte auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Nach dem neuen Abkommen war Washington verpflichtet, Tokio zu konsultieren, bevor es seine Stützpunkte in Japan in einem militärischen Konflikt nutzen und bevor es Atomwaffen auf japanischem Hoheitsgebiet stationieren wollte. 46 Jahre später wird diese strategische Partnerschaft durch ein neues Bündnis erweitert, das sich nunmehr auf alle Bereiche erstreckt.
Diese Entwicklung entspricht einer Tendenz, die kritische Stimmen in der internationalen Gemeinschaft während des Zweiten Golfkriegs als „Scheckheftdiplomatie“ apostrophierten. Washingtons „Kampf gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001 und das erneute Bekenntnis Tokios, seinem Bündnispartner weiter zur Seite zu stehen, haben diesen Prozess ebenso beschleunigt wie der Amtsantritt der Bush-freundlichen Regierung Junichiro Koizumi im April 2001.
Die Grundlagen für das neue Bündnis definiert ein in der Folge des 11. September verabschiedetes Sondergesetz. Es gestattet die Beteiligung der japanischen „Selbstverteidigungskräfte“ (SDF, Self-Defense Forces)8 an globalen Einsätzen auch außerhalb der Vereinten Nationen – im Gegensatz etwa zu früheren Interventionen wie der UN-Mission in Kambodscha von 1991/92 –, die rechtlich und formell nicht durch den bilateralen Vertrag von 1960 abgedeckt sind.9 Das danach beschlossene „Sondergesetz über den Kampf gegen den Terror“ vom Oktober 2001 ermöglichte den Einsatz der SDF im Indischen Ozean, um die internationale Koalition gegen das Taliban-Regime in Afghanistan zu unterstützen. Und das „Sondergesetz für die Unterstützung beim Wiederaufbau des Irak“ von 2003 erlaubte den Einsatz japanischer Truppen in der südirakischen Stadt Samawa.
Die erweiterte Partnerschaft zwischen Tokio und Washington stärkt nicht nur die japanisch-amerikanische Führungsrolle im „Kampf gegen den Terror“, wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld es bei der Vorstellung des Zwischenberichts am 29. Oktober 2005 in Washington formulierte. Nachdem die USA am 28. Juni 2005 auch mit Indien ein Verteidigungsabkommen abgeschlossen haben, fügt sich ihr erneuertes Bündnis mit Japan auch in die „Eindämmungs“-Strategie gegenüber Peking. Denn so wie Washington die mangelnde Transparenz der chinesischen Rüstungsausgaben kritisiert, wird China im japanischen Verteidigungsprogramm für 2005 zusammen mit Nordkorea als „vorrangiges Sicherheitsproblem“ bezeichnet.
Der Machtkampf zwischen den beiden asiatischen Riesen spielt vor dem Hintergrund territorialer Differenzen – insbesondere der Auseinandersetzung um die Senkaku-Inseln (auf Chinesisch: Diaoyu), – und historisch begründeter Streitigkeiten, die auf beiden Seiten nationalistische Gefühle anheizen.10 Im Vertragsentwurf für das neue globale Bündnis ist daher unter anderem von einer Bedrohung durch eine „Invasion auf fern gelegenen Inseln“ die Rede.
Die Perspektive einer möglichen Wiedervereinigung Koreas verstärkt die strategischen Besorgnisse Japans im Hinblick auf China. Denn sie könnte die Entstehung einer neuen Mittelmacht – womöglich mit einem atomaren Abschreckungspotenzial – bedeuten, die sich außenpolitisch eher China zuwenden würde – im Interesse der aktuellen sozialen und politischen Entwicklung in beiden Teilen des Landes.
Entsprechend heißt es im National-Intelligence-Council-Bericht zum Projekt 2020, der im Auftrag der CIA verfasst wurde, dass „die Gefahr eines möglichen größeren zwischenstaatlichen Konflikts in Asien größer ist als in anderen Weltregionen“11 . Tokio scheint entschlossen, sich regional wie auch international als diplomatische und militärische Macht ersten Ranges zu etablieren – eine Position, die seit 1945 noch keine Regierung in Tokio angestrebt hat. Japan verfügt zwar über hochmoderne Waffensysteme und über einen stattlichen Verteidigungsetat von jährlich rund 40 Milliarden Dollar, womit es bei den Rüstungsausgaben hinter den USA, Großbritannien und Frankreich weltweit an vierter Stelle liegt. Doch die pazifistische Verfassung Japans und die Tatsache, dass Peking die Bewerbung Tokios um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat blockiert, beschränken die Möglichkeit eines militärischen Einsatzes im Ausland. Daher scheint eine erweiterte Verteidigungskooperation mit den USA die wirksamste Methode zu sein, um auf internationaler Ebene wieder eine vollwertige Rolle spielen zu können und den Status einer „normalen“ Militärmacht zu erlangen.
Eines der wichtigsten Instrumente dieser Politik ist die „Stärkung der Interoperabilität“ auf militärischer Ebene, die der vorläufige Bericht vom 29. Oktober 2005 vorsieht. Dieses Konzept ist eine der Säulen beim Umbau des US-amerikanischen Militärs und basiert unter anderem auf der grundlegenden Neustrukturierung der amerikanischen und japanischen Entscheidungszentren mit dem Ziel, den Informationsaustausch zu verbessern und gemeinsame Übungen und Operationen zu fördern. Am Beispiel von Okinawa betonen die USA ihre Absicht, einige ihrer Militärbasen gemeinsam mit Japan zu nutzen. Takeshi Yamagushi, Historiker an der Ryukyus-Universität auf Okinawa, stellt deshalb mit Bedauern fest: „Anders als von den Regierungen Japans und der USA behauptet, wird sich mit dem Transfer (der US Marines) nach Guam die Zahl der Stützpunkte auf der Insel nicht verringern, denn die japanischen SDF werden zweifellos die amerikanischen Soldaten ablösen.“
Sind die neuen Streitkräfte verfassungswidrig?
Geplant ist auch die Verlegung der Kommandozentrale der japanischen Luftverteidigung auf den US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Yokota Air Base im Nordwesten Tokios sowie der Aufbau eines gemeinsamen Zentrums zur Koordination militärischer Operationen. Camp Zama, das heutige Hauptquartier der US-Armee, ebenfalls bei Tokio gelegen, soll in Zukunft als Hauptquartier eines gemeinsamen Expeditionskorps dienen.
Ganz auf der Linie verstärkter Interoperabilität ist vorgesehen, „die SDF in Richtung gemeinsamer operativer Streitkräfte weiterzuentwickeln“. Rolle und Aufgabe der neuen Einheiten sind im Zwischenbericht noch nicht detailliert festgelegt, doch werden sie bei militärischen Einsätzen im Unterschied zu den jetzigen Selbstverteidigungskräften nicht allein auf die Verteidigung japanischen Territoriums beschränkt sein. Hierin liegt ohnehin die Raffinesse des Abkommens, das so vage und vorbehaltlos formuliert ist, dass beide Vertragsparteien es nach Gutdünken auslegen können. Für Professor Yamagushi steht freilich fest: „Diese Umwandlung der japanischen Streitkräfte verstößt gegen die Verfassung.“
Die Verfassung von 1947, die von der US-Besatzungsmacht unter dem Kommando von General McArthur ausgearbeitet wurde, schreibt in Artikel 9 vor, dass das japanische Volk auf Krieg schlechthin, auf militärische Gewalt bei der Austragung internationaler Konflikte und auf ein eigenes Kriegführungspotenzial verzichtet. Dieser Artikel wurde aber gleich nach Beginn des Kalten Krieges implizit revidiert, als McArthur die Japaner 1950 aufforderte, eine nationale Polizeireserve von 75 000 Mann aufzustellen. Aus ihr entstanden vier Jahre später die heute 240 000 Mann starken Selbstverteidigungskräfte. Die Frage, ob die SDF mit der Verfassung vereinbar sind, war lange umstritten. So hat etwa die Sozialdemokratische Partei Japans (Shakai minshuto) die SDF erst 1993 formell anerkannt.
Die Neubestimmung des Status der SDF im Rahmen des Bündnisses mit den USA vollzieht sich mitten in der Diskussion über eine Verfassungsreform. Die Regierung Koizumi hat am 22. November 2005 einen Entwurf vorgelegt, der die Umwandlung der „Selbstverteidigungskräfte“ in „Streitkräfte“ vorsieht. Einen Zeitplan für dieses Projekt gibt es allerdings noch nicht. Zunächst muss die Reform von beiden Kammern des Parlaments mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet und anschließend in einem Referendum abgesegnet werden.
Während die nach 1945 herrschende außenpolitische Zurückhaltung allmählich durch eine Rückkehr zum Nationalismus abgelöst wird, fühlt sich die Bevölkerung an den in der Verfassung verankerten Pazifismus gebunden. „Selbst wenn die Mehrheit für eine Verfassungsänderung ist, bedeutet das noch nicht notwendigerweise die Revision von Artikel 9“, meint Osamu Nishi, Professor an der Juristischen Fakultät der Tokioter Komazawa-Universität. Doch „die Einstellungen beginnen sich zu wandeln“, konstatiert Shohej Muta, Wissenschaftler am Asienzentrum des Japan Center for Asian Historical Records in Tokio. „Die Rezession hat bewirkt, dass konservative Vorstellungen in der öffentlichen Meinung an Boden gewinnen und sich ein Rechtsruck vollzieht. Premierminister Junichiro Koizumi vertritt eine konservativere Linie als seine Vorgänger, insbesondere in historischen Fragen. In den vergangenen Jahren orientierten sich auch einige Medien dezidiert nach rechts. Linke Stimmen werden immer seltener.“
Als 1960 der militärische Bündnisvertrag mit den USA unterzeichnet wurde, kam es zu zahlreichen Protesten. Zwei Monate lang beherrschte das Thema das politische Leben. Der Besuch von Präsident Dwight D. Eisenhower musste abgesagt werden. Der Hauptvorwurf der Opposition lautete: Im Unterschied zum Friedensvertrag von San Francisco, der dem Land 1951 am Ende der Besatzungszeit aufgezwungen wurde, war der Vertrag von 1960 das Resultat von Verhandlungen „mit einer aus freien Stücken handelnden, unabhängigen Regierung“12 .
Die Verabschiedung des Vertrags durch das Repräsentantenhaus erfolgte zwar überraschend, doch der ganze Prozess war in einen demokratischen Rahmen eingebettet. Die jetzt geplanten Änderungen provozieren heftigen Widerstand, vor allem bei den Volksvertretern und der Bevölkerung in den Gegenden, in denen sich die US-Militärbasen befinden. So führte beispielsweise die Stadt Iwakuni im Südwesten von Hiroshima, wo eine Verstärkung der Mannschaftszahl auf dem US-Stützpunkt vorgesehen ist, am 12. März 2006 ein Referendum durch, das allerdings rein symbolisch war. Es endete mit einer überwältigenden Mehrheit von 89 Prozent gegen das Projekt. Freilich haben lokale Proteste kaum Gewicht: Über Stationierung und Verlagerung wurde auf höchster Regierungsebene entschieden, ohne Mitsprache des Volkes oder des Parlaments.
Zur interoperativen Zusammenarbeit gehört auch der militärische Umbau der japanischen Streitkräfte, die – insbesondere technisch – das Niveau der US-Truppen erreichen wollen. Für die Zukunft sind deshalb der „Ausbau der jeweiligen Verteidigungskapazitäten“ und die „Optimierung des Nutzens technologischer Innovation“ vorgesehen. Japan macht sich, wie die übrigen Alliierten Washingtons im pazifischen Raum Asiens auch, Sorgen wegen der wachsenden Kluft zwischen den eigenen Kapazitäten und der Leistungskraft der USA. Zumal budgetäre, institutionelle und bürokratische Hindernisse den militärischen Umbau bremsen oder verhindern, obwohl Washington in dieser Hinsicht Druck macht.13
Im Zentrum der Zusammenarbeit zwischen den USA und Japan steht die Ballistic Missile Defense (BMD), zumal seit 1998, als eine nordkoreanische Rakete japanisches Hoheitsgebiet überflog. Die jeweiligen Kapazitäten sollen „besser koordiniert werden“, heißt es im Bericht vom 29. Oktober. Der Transfer von US-Militärtechnologie ist für die japanische Industrie auch insofern von großem Interesse, als eine Regierungsrichtlinie dem Land seit 1967 den Export von Waffen und Militärtechnologie eigentlich verbietet.14
Militärische Kooperation als Technologietransfer
Doch bereits im Dezember 2004 hob die Regierung Koizumi dieses Verbot für die japanisch-amerikanische Kooperation im Bereich Raketenabwehr teilweise auf. „Für Mitsubishi und Kawasaki Heavy Industries, die beiden größten Rüstungsbetriebe Japans, würde die technologische Herausforderung die Aufhebung des Verbots rechtfertigen“, meint Régine Serra.15 Das japanische Verteidigungsministerium erklärte vor einiger Zeit seine Absicht, bis zum Jahresende 2010 124 „Patriot“-Raketen zu kaufen: Diese werden zunächst aus den USA importiert, bis Mitsubishi Heavy Industries Ltd. die Produktion übernimmt.16
Im kollektiven Gedächtnis der asiatischen Nachbarn ist die Erinnerung an die Kolonialmacht Japan immer noch präsent. Mit Argwohn beobachtet man die Entwicklung in Japan, die den auf dem Pazifismus beruhenden Konsens der Nachkriegszeit in Frage stellt. Auf den gesteigerten Nationalismus und die konkurrierenden strategischen Interessen reagierten die USA mit zahlreichen Sicherheits- und Kooperationsabkommen mit Staaten der Asien-Pazifik-Region. Die USA wollen hier noch weiter aufrüsten, denn die Region ist, nach dem Nahen Osten, heute der zweitgrößte Markt für Rüstungsgüter, auf dem zwischen 1990 und 2002 ein Umsatz von mehr als 150 Milliarden Dollar erzielt wurde.17
Die Bündnispartner Washingtons – insbesondere Australien, Südkorea und Taiwan – wollen wie Japan mit den US-Streitkräften mithalten, vor allem da gemeinsame Aktionen mit Washington, nach dem Vorbild von Afghanistan und Irak, in Zukunft wohl häufiger stattfinden werden. Viele Staaten kaufen daher neue US-amerikanische Waffensysteme ein – zum Beispiel das Aegis-System18 für die Marine, das bereits Australien, Japan und Südkorea erworben haben.
Doch es gibt auch Staaten in der Region, die den massiven Export modernster US-Militärtechnologie nach Asien kritisieren. Im Bericht einer militärtechnischen Konferenz heißt es zu diesem Thema, dass diese Waffensysteme tendenziell „Ausdruck von Technikverliebtheit“ seien und damit „nicht geeignet, Bedrohungen geringer Intensität zu begegnen und insbesondere Terrorismus- oder Aufstandsbekämpfung zu leisten“19 .
Einige Konferenzteilnehmer äußerten ihre Befürchtung, der militärische Umbau in der Region müsse am Ende zu „neuen Bedrohungen“ führen und diene vor allem dem Zweck „der Konsolidierung und des Ausbaus der militärischen Vorherrschaft der USA“. Darauf könnten Länder, die nicht imstande sind, ihre nationale Verteidigung auszubauen, möglicherweise „mit asymmetrischen Maßnahmen reagieren, beispielsweise mit Angriffen schwacher Intensität (das heißt mit Aufstands- oder Guerillataktiken), oder ihre Kapazitäten im Bereich der Massenvernichtungswaffen erweitern (Raketen mit atomaren Sprengköpfen, biologische oder chemische Waffen)“.
Auch in solchen Zukunftsprognosen offenbart sich das Paradoxon der Sicherheitspolitik Washingtons in der asiatischen Pazifikregion.