Grand Cru für die Welt
Standardisierte Edelmarken nehmen dem Wein sein Geheimnis von Sébastien Lapaque
Denn wer sollte nicht glauben, daß nach der Erschließung des Erdkreises durch die Herrlichkeit des Römischen Reichs auch das Leben aus dem wechselseitigen Verkehre und der Theilnahme an einem feierlichen Frieden Vortheil gezogen habe und Alles, was früher verborgen war, dem allgemeinen Gebrauche übergeben worden sey.“1 Mit dieser Schilderung einer gelingenden Globalisierung beginnt Plinius der Ältere, ein im Jahre 23 unserer Zeitrechnung geborener Naturkundler, in lateinischer Sprache das 14. Buch seiner „Naturgeschichte“, das der Weinrebe, dem Wein und dem Keltern gewidmet ist.
Im Mittelmeerraum wurde seit eh und je mit Wein gehandelt. Seit dem Ende der Republik und mit dem Aufstieg des Römischen Reichs exportierte Italien ebenso viel Wein, wie es importierte. Schon früh gingen Händler und Weinbauern dazu über, Weine zu klassifizieren und nach ihrer Herkunft zu unterscheiden. Am Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christus war man sich einig, dass die Qualität eines Weins mehr von Lage (terra) und Anbauregion (patria) abhing als von der Methode, mit der man ihn ausbaute – wobei Letztere sicherlich bei der Herstellung der zahlreichen versetzten, parfümierten und aromatisierten Weine eine Rolle spielte, erst recht wenn nachlässiger Anbau und missratene Vergärung zu korrigieren waren.
Plinius erwähnt die italienischen, gallischen und spanischen Gewächse, aber auch die griechischen, asiatischen und ägyptischen Weine, deren Genuss in Rom ein gesellschaftliches Distinktionsmerkmal darstellte. Den Cru bourgeois hatte man noch nicht erfunden, aber man schätzte bereits die Weine von „jenseits des Meeres“. Dass sie so beliebt sind, betrübt den Naturgeschichtler. Er lotet die Übel der Mode aus und die Gefahren, die die Ausweitung des Handels für die Künste des Menschen bedeuten, besonders für eine so heikle Kunst wie die Weinherstellung. „Früher war die Herrschaft und mithin die Geschicklichkeit der einzelnen Völker auf diese selbst beschränkt und man war bei einer gewissen Dürftigkeit des Glückes genöthigt, die Gaben des Geistes zu üben. Den Nachkommen gereichte die Ausdehnung der Welt und der Umfang der Besitzungen zum Schaden.“ Hinsichtlich des Weinbaus klagt der römische Naturkundler über die Folgen der veränderten Gebräuche: „Zu unser Zeit hat man wenige Beyspiele der Vollkommenheit in dieser Kunst gehabt.“
Wer verstehen will, was eine globalisierte Wirtschaft für den Wein bedeutet, und zu diesem Zweck bei Plinius dem Älteren nachliest, der wird sich wundern. Denn Plinius, der seine Beobachtungen zu einer Zeit machte, als rund ums Mittelmeer eine erste große Vereinheitlichung stattfand, ist ein Zeugen der Antike für eine „Schlacht um den Wein“2 , wie sie sich auch heute abspielt: unbehandelte gegen geschönte Weine, Lagenweine gegen Rebsortenweine, Weine von kleinen Weingütern gegen Großhandelsweine, einheimische gegen Auslandsweine.
Zu Zeiten der Römer trank man nicht nur Wein. Aber man hatte bereits begriffen, dass Wein kein Getränk wie jedes andere ist; man wusste, dass es angenehmere Tropfen gibt und weniger angenehme und dass „aus derselben Kufe der eine Wein durch das Faß oder durch ein zufälliges Vorkommniß vorzüglicher ausfällt als der andere“; man begeisterte sich für die Bedeutung der Lage; man unterschied Weine aus dem Picenum, aus Tibur (Tivoli), aus der Sabina, aus Aminäa, Sorrent und Falerno. Man trank auch Bier und Met, aber Wein galt als etwas Besonderes – und als geheimnisvoll.
Geboren aus dem Zusammentreffen einer besonderen Rebsorte (oder einer Cuvée) mit einer bestimmten Lage, dem Können des Winzers und dem Wetter eines bestimmten Jahres, ist jeder Wein Blüte und Frucht einer einzigartigen, nicht reproduzierbaren Ausgewogenheit. Die Alten waren hingerissen davon, die Industriegesellschaft gerät darüber in Panik.
Für die multinationalen Nahrungsmittelkonzerne, die am liebsten ein Universalgetränk auf den Markt werfen würden, wäre ein alkoholisches Getränk auf Getreidebasis – Whisky, Wodka oder Gin – besser geeignet: keine geografischen Beschränkungen, keine Probleme bei der Beschaffung der Ausgangsstoffe, keine meteorologischen Unwägbarkeiten, kein schwieriges Justieren von Angebot und Nachfrage. Man könnte fast glauben, dass George Orwell genau das im Sinne hatte, als er den „Victory-Gin“ zum einzigen alkoholischen Getränk machte, das im totalitären Universum seines Romans „1984“ erhältlich ist. Ein säuerlicher, klarer doch trostspendender Likör, den Winston Smith trinkt, nachdem er, gegen Ende des Buchs, die Macht des Großen Bruders endlich akzeptiert hat.
Gefärbt, geimpft, zentrifugiert
Ein Nachteil von Wein ist das Problem des Anbaugebiets. In der Romanée-Conti sind dies 1,8 Hektar, die eine Jahresproduktion von 6.000 Flaschen ergeben. Für einen weltweit agierenden Konzern, dem dieses burgundische Spitzengewächs den Mund wässrig macht, ist eine solche Produktionsbeschränkung ausgesprochen hinderlich. Lieber als ein ummauertes Stück Land – und sei es das kostbarste der Welt – wird man eine Marke erwerben wollen. So zum Beispiel in der Champagne, wo sich kein Mensch daran stört, dass das Produktionsvolumen der Krug- und Dom-Pérignon-Cuvées explosionsartig angestiegen ist, seit Moët Hennessy – Louis Vuitton (LVHM), unangefochtener Spitzenreiter des internationalen Luxusgütergeschäfts, diese Marken erworben hat. Höflich spricht die Fachpresse von „außergewöhnlicher Marktbeschickung“.
Eine Marke hat zudem den Vorteil, in der ganzen Welt einsetzbar zu sein. Man denke nur an Chandon und seine schäumenden Erzeugnisse in Argentinien, Kalifornien, Brasilien, Australien, aber auch in Indien und China. In der Champagne werden 350 Millionen Flaschen pro Jahr produziert. Doch die Nachfrage der neuen globalen Mittelklasse nach perlendem Wein ist zehnmal so hoch. Was das Anbaugebiet nicht hergibt, liefert die Marke, indem sie den Markt mit Schaumweinen versorgt.
Seien wir ehrlich: Die Hightech-Champagner von Chandon sind äußerst trinkbar und sogar wirklich gut. Sicherlich, man findet in ihnen keine Spur mehr dessen, was der französische Schriftsteller Francis Ponge das „Geheimnis des Weins“ genannt hat. Aber wie soll das bei solchen Mengen möglich sein? Das Geheimnis des Weins liegt in seiner Eigenschaft, anfällig und veränderlich zu sein, die mit dem weltweiten Handel nicht vereinbar ist.
Damit der Wein weniger anfällig ist, gibt man vor, er werde durch Schwefel „geschützt“, wie es die Kritiker Bettane & Desseauve3 beklagen, sozusagen die Laurel & Hardys der tonangebenden önologischen Szene. Damit er weniger veränderlich wird, bringen die der industriellen Weinherstellung verfallenen Laboranten eine ganze Palette von „Verschönerungsmitteln“ zum Einsatz.
In seinem Dokumentarfilm „Mondovino“4 , der 2004 auf dem Filmfestival in Cannes gezeigt wurde, hat der amerikanische Filmemacher Jonathan Nossiter gezeigt, dass der Wein in der totalen Wettbewerbsgesellschaft zu einem Produkt wie jedes andere verkommen ist. Über das Einfallstor der Marken hat die globalisierte Wirtschaftstechnologie ihr Reich auf alle Weinbauflächen der Welt ausgedehnt. In den gefliesten Weinkellern des Médoc, des argentinischen Mendoza oder des Napa Valley wird die Maische geimpft, der Säuregrad des Mosts reguliert, es wird gefärbt oder entfärbt, die Weine werden zentrifugiert oder gefiltert, bevor sie in einer Bordeauxflasche und mit einem internationalen Etikett versehen auf den Markt gebracht werden.
Doch in der Natur des Herkunftsgebiets liegt auch etwas, das sich nicht auf Vereinheitlichung festlegen lässt. Daran erinnert der Filmemacher, wenn er bei den aufmüpfigen Winzern der Pyrenäen, in Sizilien und in Argentinien dreht. Es ist ein liebenswertes Paradox der Globalisierung: Auch in Brasilien, Chile, Uruguay, Griechenland, Georgien, Serbien, Japan oder China werden schon morgen Winzermeister auftauchen, die sich gegenüber den Forderungen der Agrarindustrie als widerspenstig erweisen. Die Bewegung für naturbelassene Weine, die sich Jahr um Jahr auf neue Güter ausweitet, wird eben auch global und weltumspannend.
Wie zur Zeit von Plinius dem Älteren liefern sich diejenigen, die den Wein als ein landwirtschaftliches Erzeugnis ansehen, und die, die ihn als rein kommerzielles Produkt betrachten, eine ruppige Schlacht. Nichts hat sich verändert, außer den Größenordnungen, die mit der industriellen Weinproduktion, der Entwicklung des Marketings und der uneingeschränkten Öffnung der Märkte kamen.
Es gibt sie, die Dr. Seltsams des totalen Kapitalismus, die von einem Einheitswein träumen, nicht anders als von einem Einheitswasser, das, bis zur Unkenntlichkeit seines Ursprungs entmineralisiert, wieder mit Mineralien angereichert und auf allen fünf Kontinenten verkauft würde. „Diesen Leuten geht es darum, die Erinnerung an den Geschmack auszulöschen“, sagt Michel Lapierre, der Anführer einer fröhlichen Guerillahorde, die gegen die trostlosen Weine des Beaujolais ankämpft. Die Stärke, mit der diese Leute in der Welt auftreten, beunruhigt uns, ihr Wille zur Macht alarmiert uns, ihre Ziele erschrecken uns. Wir spüren sie zudem nicht, diese Wesen ohne Ort und ohne Gedächtnis, die fähig sind, vergessen zu lassen, worüber Plinius der Ältere berichtet, dass „jedem der seinige [Wein] gefällt und man überall, wohin man geht, dasselbe Mährchen findet“.