Google und die anderen Heuchler
von Dan Schiller
Seit Jahren setzen die US-Behörden andere Länder – insbesondere China und den Iran – unter Druck, weil sie Zugang und Nutzung des Internets mit Beschränkungen belegen. Wie heuchlerisch das war, wussten wir schon vor den Enthüllungen durch Edward Snowden. Doch das Problem reicht weit über die Heuchelei hinaus.
Vor drei Jahren hat ein Untersuchungsausschuss des US-Handelsministeriums darauf hingewiesen, dass die Netzpolitik der Vereinigten Staaten führende Internetdienstleister, aber auch Nutzer in Beunruhigung versetze.1 Der Bericht kritisierte – äußerst vorsichtig und zum Teil verklausuliert – die Überwachungsprogramme der US-Behörden, ohne jedoch beispielsweise das Prism-Programm der NSA auch nur zu erwähnen.
Der mächtige Hightech-Unternehmensverband TechAmerica ist 2009 aus dem Zusammenschluss der American Electronics Association, der Cyber Security Industry Alliance, der Information Technology Association of America und der Government Electronics & Information Technology Association hervorgegangen und vertritt ungefähr 1 200 Firmen. Als das FBI forderte, den Communication Assistance for Law Enforcement Act2 auszuweiten und sämtliche Kommunikationsdienste transparent und der Kontrolle durch Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen, äußerte der Verband gegenüber dem US-Handelsministerium starke Bedenken: Eine solche Maßnahme könne zum Vorbild für andere Länder werden, „mit ähnlichen, wenn nicht noch problematischeren Auswirkungen auf die Bürgerrechte“. Kurz, TechAmerica forderte eine Politik, die „den freien Informationsfluss hier im Land ermöglicht“.3
Bemüht vage erklärte Microsoft 2010 in einem Bericht an den Untersuchungsausschuss, dass „auch ausländische Internetnutzer besorgt darüber sind, wenn ihre Daten in den USA gespeichert werden, da sie annehmen, die US-Regierung habe freien Zugang zu diesen Daten“. Deshalb unterstrich Microsoft, dass die USA und andere Länder „auch die internationalen Auswirkungen ihrer innenpolitischen Maßnahmen in Betracht ziehen müssen“.4 Wie der Guardian im Juli dieses Jahres berichtete, hat Microsoft allerdings schon damals mit der NSA kooperiert und ihr sogar geholfen, die firmeneigene Verschlüsselungssoftware zu umgehen und ihre Skype-Chats, E-Mail- und Cloud-Dienste zu überwachen.5
Ähnlich verlogen und arrogant trat auch Google auf. „Die Verbesserung des Informationsflusses und der Schutz der freien Meinungsäußerung sind die zentralen Werte von Google“, erklärte das Unternehmen und protestierte gegen „die Staaten, die Überwachungsinstrumente in ihre Internet-Infrastruktur einbinden und damit neue Geheimhaltungs- und lästige Lizenzbestimmungen durchdrücken“.
Direkter Zugriff auf Internet-Dienste
Der Suchmaschinenriese hob hervor, dass die Vereinigten Staaten als „Geburtsort des Internets weiterhin eine Vorreiterrolle übernehmen müssen bei der Schaffung verantwortungsvoller Regularien, die es Privatpersonen und Unternehmen erlauben, vom freien Fluss digitaler Informationen zu profitieren und ihre Geschäftsfelder darauf aufzubauen“.6
Google hat stets bestritten, dass es der NSA Zugang zu seinen Servern gewährt hat. Dieser Darstellung widersprechen allerdings Berichte über eine Powerpoint-Präsentation der NSA, in der behauptet wurde, die NSA verfüge über einen „direkten“ Zugriff auf Google-Dienste – wie auch auf die von neun weiteren US-Internetfirmen, darunter Apple, Yahoo, Facebook, AOL und Microsoft.7
Die Computer & Communications Industry Association (CCIA) vertritt kleinere und größere Mitgliedsfirmen, die zusammen jährlich über 200 Milliarden Dollar Umsatz erzielen. Auch die CCIA sprach gegenüber dem Untersuchungsausschuss von der Freiheit des Internets, die „bei uns im Land anfängt. Wir müssen Zensur und Überwachung sowie das Blockieren und Hierarchisieren von Inhalten nach Möglichkeit verhindern. Falls solche Maßnahmen jedoch unumgänglich sein sollten, müssen sie zeitlich begrenzt sein, aus gutem Grund geschehen und in einem offenen und transparenten Prozess stattfinden. Wir dürfen uns nicht zur Internetpolizei machen und die Rolle von Providern und anderen Netzdienstleistern übernehmen. Wenn die Vereinigten Staaten ein freies und offenes Internet nicht gewährleisten können, ist es unwahrscheinlich, dass andere Staaten dies tun.“8
Diese Kommentare richteten sich augenscheinlich gegen Gesetzentwürfe, die Internetdienstleister scharfen Kontrollen unterworfen hätten und nach einer zweijährigen Auseinandersetzung schließlich abgeschmettert wurden. Im Rückblick zeigt sich allerdings, wie eigennützig die Eingaben der Internetfirmen an das Handelsministerium waren. Anders als die NSA hatten Microsoft, Google und Co vorausgesehen, dass die US-Überwachungsprogramme sich als Bumerang erweisen und am Ende nicht nur die Regierung der Vereinigten Staaten in Misskredit bringen, sondern auch den Interessen der Firmen schaden würden.
„Wenn wir über den globalen Informationsfluss im Internet reden, dann geht es dabei um eine US-amerikanische Wirtschaftsleistung im Billionen-Dollar-Bereich“, schreibt die CCIA.9 Und hier liegt der Kern des Problems: Die verzweigten Überwachungssysteme der NSA gefährden das Ansehen, will heißen die Profite von US-amerikanischen Multis. Viele Staaten überwachen die Online-Aktivitäten ihrer Einwohner, doch die Vereinigten Staaten von Amerika haben die Kontrolle auf die Spitze getrieben. Sie operieren als ein globaler Überwachungsstaat. Und sie tun dies im Verbund mit einer bunten Truppe von Internetdienstleistern, darunter Suchmaschinenprovider, E-Commerce-Dienste, soziale Plattformen und Telekommunikationsanbieter. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, beweist schon, wie wichtig ein neuer, kritischer Blick auf die politische Ökonomie des World Wide Web ist.