Teilen – ein super Geschäftsmodell
von Martin Denoun und Geoffroy Valadon
Jeder von uns hat zu Hause ein ökologisches Problem und zugleich ein ökonomisches Potenzial. Wir alle haben in unserem Haushalt diverse Dinge, die wir nicht benutzen: die Bohrmaschine, die im Schrank schläft und im Durchschnitt nur 13 Minuten ihrer Lebenszeit in Gebrauch ist, die Türme von ein- oder zweimal gesehenen DVDs, die Kamera, die mehr Staub als Licht einfängt, aber auch das Auto, das wir durchschnittlich nicht mehr als eine Stunde am Tag nutzen, die Wohnung, die den ganzen Sommer über leer steht. Die Liste ist lang. Sie steht sowohl für eine ziemlich Menge Geld als auch für künftigen Abfall.“ So schreibt die Trendforscherin und Unternehmensberaterin Rachel Botsman in ihrem Leitfaden zum Gemeinschaftskonsum.1
Botsman, die 2013 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zum „Global Young Leader“ geadelt wurde, ist das fotogene Gesicht der Collaborative-Consumption-Bewegung, deren griffige Sätze Frauenzeitschriften ebenso zitieren wie Regionalblätter.
Der Soziologe Jeremy Rifkin meinte schon vor Jahren, wir befänden uns im Übergang vom Zeitalter des Eigentums zum „Zeitalter des Zugangs“,2 in dem die symbolische Dimension der Dinge zugunsten ihrer funktionellen Dimension abnimmt. Während ein Auto früher als Statussymbol galt, was den Kauf stärker beeinflusste als die geplante Nutzung, gibt es heute, zumindest in den Städten, immer mehr Leute, die ein Auto mieten, wenn sie eines brauchen.
Kollaborative Verbraucher, auch Ko-Konsumenten genannt, setzen auch auf die Vorteile von Tauschforen. Diese, wird argumentiert, setzen Ressourcen frei, diversifizieren das Angebot, machen Zwischenhändler überflüssig, erleichtern die Wiederverwertung und reduzieren den Abfall. Die Macht der Monopole würde geschwächt, die Preise würden sinken, und den Konsumenten stünden nicht nur neue Quellen zur Verfügung, sie änderten auch ihr Kaufverhalten und zögen Qualitätsprodukte der Wegwerfware vor. Das wiederum könnte die Hersteller bewegen, die Strategie der „geplante Obsoleszenz“, also die künstlich geminderte Haltbarkeit von Produkten, aufzugeben. Die internationale Presse, von der Times über The Economist bis zu Le Monde, spricht bereits von einer „Revolutionierung des Konsums“.
Interessant ist, dass diese Bewegung mit der Politischen Ökologie, die die Entstehung und Bekämpfung von Umweltproblemen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext setzt, nichts zu tun haben will. Als Gewährsmann zitiert man Gandhi: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“3
Botsman erklärte etwa auf der TED-Konferenz: „2008 sind wir an eine Grenze gestoßen. Mutter Natur und die Märkte haben gemeinsam ‚Stopp!‘ gerufen. Wir wissen genau, dass eine auf Hyperkonsum beruhende Ökonomie eine Ponzi-Pyramide,4 ein Kartenhaus ist.“ Die Krise habe die Menschen zum Improvisieren gezwungen und einen Ausbruch an Kreativität und gegenseitigem Vertrauen ausgelöst. Dadurch habe das Phänomen des geteilten Konsums sich rasant verbreitet.
Share Economy als Etikettenschwindel
Auf zahlreichen Websites werden „schlafende“ oder „teure“ Güter zum Tausch oder zur Miete angeboten: Von Waschmaschinen, Markenkleidung, Hightechprodukten und Campingausrüstungen über Transportmittel (Auto, Fahrrad, Boot) und Räume (Keller, Parkplatz, Zimmer und so weiter) bis hin zum Geld.5
In den nuller Jahren entstanden überall in Europa lauter neue Plattformen für derlei Dienstleistungen. Dann kam es zu einer für Internet-Start-ups typischen Entwicklung: Erst wird darum gekämpft, sich als Marktführer durchzusetzen, indem man einen kostenlosen Service anbietet; ist das geschafft, werden den Nutzern auf der Website 12 Prozent „für eine sichere Abwicklung“ abgenommen. Im Zuge dieser Kommerzialisierung hat sich etwa die französische Nummer eins auf dem Mitfahrmarkt, covoiturage.fr, in BlablaCar umbenannt und erobert den europäischen Markt; ihr deutscher Konkurrent Carpooling (mitfahrgelegenheit.de) etabliert sich gerade in Frankreich. Inzwischen haben jedoch Nutzer auf eigene Faust neue Gratisplattformen gegründet wie covoiturage-libre.fr, bessermitfahren.de oder flinc.org.
Auch Carsharing gilt als kultureller und ökologischer Fortschritt. Plattformen wie autonetzer.de organisieren die Vermietung von Fahrzeugen zwischen Privatpersonen. Dominiert wird der Markt allerdings von Autovermietungen mit riesigen Fuhrparks, die ihr Angebot nur flexibilisiert haben (Vermietung nach Minuten und per Selbstbedienung). Die Autolib-Flotte aber, die von der Stadt Paris mit der Firma Bolloré nach dem Vorbild des öffentlichen Fahrradverleihsystems Vélib angeschafft wurde, ersetzt eher öffentliche Verkehrsmittel, als dass sie die Menge der Autos reduziert.6
Bei den Unterkünften läuft es ähnlich. Neben den Foren, die weltweit kostenlose Übernachtungen zumeist in Wohngemeinschaften anbieten,7 boomt das Geschäft mit der Vermittlung von bezahlten Privatunterkünften, wie sie der Marktführer Airbnb – der Name leitet sich ab von „air bed and breakfast“ – anbietet. Das Start-up, das 2008 in San Francisco gegründet wurde und mit dem Slogan „Airbnb: travel like a human“ wirbt, vermittelt Privatzimmer und -wohnungen, was in Großstädten wie etwa London nicht nur wesentlich billiger ist als ein Hotel, sondern auch gemütlicher und ein bisschen abenteuerlicher.
Ein leeres Zimmer, die möblierte Wohnung oder gleich ein ganzes Haus können so zur lukrativen Einkommensquelle werden, wenn man in Urlaub fährt oder das Ferienhaus saisonweise vermieten möchte. Airbnb hat aus dieser Marktlücke ein lohnendes Geschäftsmodell entwickelt. Die Agentur streicht 10 Prozent des von den Gästen bezahlten Betrags ein. 2012 machte das Unternehmen einen Umsatz von 180 Millionen Dollar, derzeit liegt sein Börsenwert bei fast 2 Milliarden Dollar.
„Der Reichtum liegt im Nutzen, nicht im Besitz“, behauptete – mit Aristoteles – das Carsharing-Unternehmen CityCar. Wenn man genau hinsieht, geht die von Rifkin diagnostizierte Minderung des Besitzes eben nicht mit weniger Konsum einher: Früher träumte man davon, einen Ferrari zu besitzen, heute nur noch, einen zu fahren. Während die Verkaufszahlen sinken, steigen die Vermietungen.
Im „Zeitalter des Zugangs“ hat sich tatsächlich nur die Form des Konsums und dessen Logistik gewandelt. Geschickt angelegte Websites bringen die einzelnen Güter und Kompetenzen individueller Nutzer in Umlauf. Unternehmen wie Airbnb sehen in dieser Flexibilisierung ein Potenzial für neue Transaktionen, deren bezahlte Vermittler sie sein wollen.
Einerseits erweitert sich der Kreis der Konsumenten: Wer nie genug Geld hatte, sich teure Dinge zu leisten, könnte sie jetzt mieten. Andererseits dringt durch den Austausch von allen möglichen Dienstleistungen zwischen Privatpersonen die Vermarktung immer mehr in die häusliche Sphäre ein. So werden etwa bei kommerziellen Plattformen wie der 2008 in den USA gegründeten TaskRabbit gegen eine Gebühr individuelle Dienstleistungen vermittelt. Es könnte sich außerdem der gleiche Reboundeffekt einstellen, wie man ihn aus der Energieökonomie kennt, wo die durch den technischen Fortschritt gesunkenen Kosten (Beispiel Energiesparlampen) zu verstärktem Verbrauch führen.
Dabei gibt es durchaus vielfältige Formen, sich dem Konsumrausch zu entziehen. Die Couchsurfer nehmen gratis Unbekannte auf, andere verschenken einfach Dinge, die sie nicht mehr brauchen, anstatt sie wegzuwerfen oder weiterzuverkaufen, und in Tauschringen bieten die Mitglieder ihre Kompetenzen auf gleichwertiger Basis an: Eine Stunde Gartenarbeit ist so viel wert wie eine Stunde Klempnern oder Webdesign. Und im Rahmen der Solidarischen Landwirtschaft – das Konzept wurde in den 1960er Jahren zuerst in Japan entwickelt – verpflichtet man sich, für einen bestimmten Zeitraum (sechs Monate oder ein Jahr) bei demselben Bauern einzukaufen. Diese relativ strenge Verpflichtung geht über kritisches Konsumverhalten, die „Abstimmung mit dem Einkaufskorb“, noch weit hinaus.
Vergleicht man einmal die Couchsurfer mit den Gästen von Airbnb, so stellt man fest, dass für die Ersteren die Bekanntschaft mit der Person, bei der man übernachtet, wichtiger ist als der Komfort; bei Letzteren ist es umgekehrt. Ihre Bewertungskriterien sind demzufolge sehr unterschiedlich: Bei Airbnb bringen neben dem Preis vor allem Sauberkeit und die Nähe zu touristischen Zentren Punkte, während auf couchsurfing.org neben der Gratisunterkunft auch der freundliche Empfang entscheidend ist.
Die Anhänger des Ko-Konsumismus verweisen gern auf die nichtprofitorientierten Tauschbörsen, um den „sozialen“ und „ökologischen“ Aspekt der vermeintlichen Konsumrevolution hervorzuheben. In der Wirtschaftspresse tauchen hingegen nur kommerziell erfolgreiche Start-ups wie Airbnb oder TaskRabbit auf. Dass beide Konzepte dabei als share economy bezeichnet werden, stimmt nur im Hinblick auf den Austausch von Dienstleistungen zwischen Privatpersonen. Alles andere ist reine Show, bis hin zu dem miesen Trick, das Wort „to share“, das teilen bedeutet, mit „mieten“ zu übersetzen. Benutzt wird er von denen, die mit dem neuen Konsumverhalten ihr Geschäft machen wollen.
Durch diesen Etikettenschwindel, der so ähnlich funktioniert wie das greenwashing, werden Projekte wie etwa die Solidarische Landwirtschaft zu Bürgen für derartige Unternehmen. Wer das kritiklos übernimmt und die sozialen Werte, die den nichtprofitorientierten Projekten zugrunde liegen, übergeht, ist auf die gemeinnützige Verkleidung der Profiteure hereingefallen. Für Menschen, die Unbekannten ihr Haus, ihren Tisch oder ihre Zeit anbieten, sind Werte wie Teilen, Gleichheit und Ökologie wichtig; damit stehen sie den traditionellen Konsum- und Produktionsgenossenschaften näher als den Plattformen der Ko-Konsumenten.
Diese Spaltung in zwei Lager auf ein und demselben Gebiet kann man vielleicht mit dem Dualismus von „nachhaltiger Entwicklung“ und Politischer Ökologie oder Open-Source-Software und Freier Software vergleichen, den Richard Stallman, einer der Väter der Freien Software, folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Open Source ist eine Entwicklungsmethode; Freie Software ist eine soziale Bewegung.“8