14.05.2010

Moskitonetze für alle

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Moskitonetze für alle

Mit einfachen Mitteln gegen die Malaria von Sonia Shah

Es gibt eine einfache Methode, ein Dorf oder eine Stadt von der Malaria zu befreien: Man muss den Moskitoschutz verbessern, jeden Kranken mit Medikamenten behandeln und dem Eindringen neuer Parasiten entgegenwirken, indem man infizierte Neuankömmlinge entsprechend versorgt. Mit diesem Ansatz kann man die Malaria dauerhaft überwinden – theoretisch.

Praktisch funktioniert das nämlich nur, wenn Menschen die einzigen Träger der Krankheit sind. Wenn die Malaria ebenso wie Gelbfieber, Cholera oder Grippe ein geheimes Reservoir hätte und sich außer Reichweite für die Medizin im Blut von Wildtieren verstecken könnte, wäre der Versuch, sie auszurotten, von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Kürzlich hat eine Gruppe von Spezialisten aus Frankreich und Gabun bewiesen, dass der für Malaria verantwortliche Parasit (Plasmodium), anders als man lange glaubte, nicht auf das System Mensch/Moskito beschränkt ist. Mit neuen Methoden konnten die Wissenschaftler der Spur der Parasiten folgen und den für den Menschen gefährlichsten, Plasmodium falciparum, im Körper von Gorillas in Kamerun und Gabun nachweisen.1 Andere Teams fanden den gleichen Parasiten bei Bonobos (Zwergschimpansen) und Schimpansen.

Auch aus Vietnam und Malaysia kommen Hinweise, die vermuten lassen, dass einige Malariaparasiten, die bisher ausschließlich bei Affen festgestellt wurden, oft auch im menschlichen Blut vorhanden sind.2 So könnte also einhundertdreißig Jahre nach der Entdeckung des Plasmodiums falciparum der Nachweis eines möglichen wilden Reservoirs des Malariaparasiten das Aus für alle Hoffnungen bedeuten, die Krankheit auszurotten. Die Malaria befällt jedes Jahr rund 250 Millionen Menschen und tötet eine Million – die meisten von ihnen sind afrikanische Kinder.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatten der britische Armeearzt Ronald Ross und der italienische Zoologe Giovanni Grassi entdeckt, dass es Moskitos sind, die Malariaparasiten übertragen. Seither sind Philanthropen, Gesundheitsbehörden und ehrgeizige Regierungsbeamte von dem Traum besessen, die Krankheit ein für alle Mal zu besiegen. Ende 2007 verkündeten Bill und Melinda Gates – deren milliardenschwere Stiftung die Prioritäten der Weltgesundheitspolitik stärker bestimmt als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ihre Entschlossenheit, der Malaria den Garaus zu machen. Dieser Ehrgeiz wird von der WHO und der „Roll Back Malaria (RBM) Partnership“ der UNO geteilt. Die Mittel für diese Projekte stiegen von 100 Millionen Dollar 1998 sprunghaft auf eine Milliarde Dollar 2008 an.

Seit Ende der 1990er-Jahre hat die Gates-Stiftung 150 Millionen Dollar für die Impfforschung ausgegeben. Testimpfstoffe kommen dutzendweise aus den Labors. Der klinisch bislang am weitesten entwickelte, Mosquirix, würde die Wahrscheinlichkeit einer Malariainfektion um 65 Prozent reduzieren.

Sogar Spezialisten für Risikokapital wie der ehemalige Microsoft-Chef Nathan Myhrvold interessieren sich für den Kampf gegen die Krankheit. Bei einer TED-Konferenz (Technology Entertainment Design) im Februar 2010 hat Myhrvold seine ultramoderne Behandlungstechnologie vorgestellt: ein Lasersystem, mit dem man die weiblichen Moskitos, die Überträgerin der Malaria, auf Entfernung „wegzappen“ könne. Alle hoffen, den großen Preis des Wunderheilmittels zu gewinnen.

Der Nachweis des tierischen Reservoirs macht zwar die Hoffnungen auf Ausrottung zunichte, könnte aber paradoxerweise trotzdem dazu beitragen, dass mehr Menschen von der Seuche befreit werden. Denn das Ziel der Ausrottung ist in mehrfacher Hinsicht der Kontrolle der Krankheit diametral entgegengesetzt. Es führt dazu, dass man die vorhandenen Ressourcen bevorzugt in solchen Regionen einsetzt, wo die Malaria am einfachsten zu bekämpfen ist, dort also, wo die sanitäre Notlage am geringsten ist.

Kontrolle statt Ausrottung

Wenn also die Feldzüge zur Ausrottung der Krankheit zum Scheitern verurteilt sind, bedeutet das, dass die in die Regionen mit der geringsten Belastung investierten Unmengen an politischem und finanziellem Kapital sinnlos verschwendet sind.

Und das ist fünfzig Jahre lang geschehen: Neunzig Nationen sind einer vom US-amerikanischen Außenministerium und der Weltgesundheitsorganisation definierten Strategie gefolgt und haben sich auf die partikulare Ausrottung festgelegt. Nachdem man neun Milliarden Dollar ausgegeben hatte, war das Ergebnis bescheiden: Die Malaria war auf einer Handvoll Inseln, von der Karibik bis La Réunion, und in den reichsten, entwickelten Ländern verschwunden, während die zwei Milliarden Bewohner der ärmsten Regionen der Welt einer endemischen, schwer zu kontrollierenden Malaria ausgeliefert blieben. Nach der Diagnose von Tibor Lepes von der WHO war dieses gescheiterte Programm zur Ausrottung „einer der größten Fehler, die jemals in der Gesundheitspolitik begangen wurden“.3

Die Hypothese des tierischen Reservoirs muss sich erst noch bestätigen, weitere Untersuchungen sind notwendig, um zu ermessen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Wenn man sich jedoch von dem wunderbaren Traum verabschiedet, die Malaria ausrotten zu können, und davon ausgeht, dass man lernen muss, dauerhaft mit dieser Krankheit zu leben, ist es möglich, den Gesundheitszustand ganzer Völker spürbar zu verbessern. Während die Ausrottung massive Eingriffe erfordert, um den Übertragungszyklus für den kurzen Zeitraum zu durchbrechen, in dem der Parasit zum Verschwinden gebracht werden kann, verlangt das Erlernen der Kontrolle der Malaria einen langen und mühsamen Kampf, der darauf zielt, das Vorkommen der Moskitos im unmittelbaren Lebensbereich der Menschen zu reduzieren.

Dazu müsste man kurzfristig Moskitonetze für die Betten und preiswerte Medikamente zur Verfügung stellen. Langfristig müssten die sanitären Zustände und der Moskitoschutz für Wohnräume verbessert werden. Dann wäre es auch nicht mehr so wichtig, wie viele Wildtierarten – ob Affen oder andere – diese Krankheit in sich tragen. Die Menschheit wäre zwar nicht von ihr befreit, könnte sie aber kontrollieren und so die Zahl der Opfer begrenzen.

Fußnoten: 1 Franck Prugnolle et al., „African great apes are natural hosts of multiple related malaria species, including Plasmodium falciparum“, PNAS, Washington, 19. Januar 2010. 2 Van den Eede et al., „Plasmodium knowlesi malaria in Vietnam: some clarifications“, Malaria Journal, London 2010, Bd. 9. 3 Gordon Harrison, „Mosquitoes, Malaria & Man: A History of the Hostilities Since 1880“, New York (E. P. Dutton) 1978, S. 296.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Sonia Shah ist Journalistin und Autorin von „The Fever: How Malaria Has Ruled Humankind for 500 000 Years“, New York (Sarah Crichton Books/Farrar, Straus & Giroux), erscheint im Juli.

Le Monde diplomatique vom 14.05.2010, von Sonia Shah