09.06.2006

Die philippinische Führung seit Marcos

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Die philippinische Führung seit Marcos

Zwischen 5 und 10 Milliarden Dollar soll die Familie des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos auf ausländische Bankkonten verschoben haben. 1986, am Ende seiner 14-jährigen Präsidentschaft, hatten Korruption, Günstlingswirtschaft und die Ausplünderung des Landes ein solches Ausmaß erreicht, dass ihm die US-Regierung unter Ronald Reagan die Unterstützung entzog.

Auslöser für den Sturz des Diktators waren vor allem Massendemonstrationen gegen den Betrug bei der Präsidentschaftswahl von 1986. Die Proteste der „People Power“-Bewegung brachten Corazon „Cory“ Aquino an die Macht. Bei den großen Kundgebungen traten Bischöfe im Ornat, Offiziere in Uniform, Rockmusiker und Filmstars auf, das massenhafte Publikum bildeten die Armen Manilas, Seite an Seite mit Vertretern des Mittelstands.

Cory Aquino genoss zu Beginn ihrer Präsidentschaft (1986–1992) eine überwältigende Popularität, enttäuschte jedoch viele ihrer Unterstützer. Von den erhofften Reformen, vor allem der dringend gebotenen Landreform, war schon bald nicht mehr die Rede. Aquino musste ständig mit Putschversuchen des unter Marcos politisierten Offizierskorps rechnen und war vom politischen Wohlwollen der katholischen Kirche abhängig.

Ihr Nachfolger Fidel Ramos beseitigte viele Hürden für die Wirtschaft und versuchte zaghaft, die Landreform voranzubringen. Er schloss ein Friedensabkommen mit den muslimischen Separatisten auf Mindanao und versuchte über ein Familienplanungsprogramm der Bevölkerungsexplosion entgegenzuwirken.

Ramos folgte 1998 sein Stellvertreter Joseph „Erap“ Estrada an die Macht. Estrada, ein früherer Filmschauspieler, der oft den „ehrlichen Polizisten“ gespielt hatte, präsentierte sich im Wahlkampf als Freund der Armen. Obwohl er die katholische Kirche und Teile der Geschäftswelt gegen sich hatte, errang er bei der Wahl mit 40 Prozent der Stimmen die erforderliche einfache Mehrheit. Dass er gern trank und für seine Mätressen sieben Luxusvillen bauen ließ, lieferte der Boulevardpresse viel Stoff, schien seine Anhänger aber eher für ihn einzunehmen.

Korruption und Machtmissbrauch (Estrada erhielt viel Geld aus dem illegalen Glücksspiel), seine Angewohnheit, politische Entscheidungen in einem „Mitternachtskabinett“ mit seinen Saufkumpanen zu treffen, und die Begünstigung von Freunden aus der Marcos-Ära brachten ihm im November 2000 eine Anklage des Repräsentantenhauses ein. Im Senat konnten seine Anhänger das Votum blockieren, doch eine Allianz aus Kirche und Geschäftswelt organisierte eine Neuauflage der Protestbewegung der Mittelschicht, die als „People Power 2“ bekannt wurde.

Verfassungsrechtlich waren die Versuche zur Absetzung Estradas zweifelhaft, aber der Oberste Gerichtshof ersetzte ihn schließlich Anfang 2001 durch Vizepräsidentin Gloria Macapagal Arroyo. Die ehemalige Senatorin, tief religiöse Tochter eines früheren Staatspräsidenten und Wirtschaftwissenschaftlerin mit einem Doktortitel aus den USA weckte Hoffnungen auf geregelte politische Verhältnisse.

Aber Estradas Anhänger in den Elendsvierteln und in seiner Heimatprovinz fühlten sich betrogen, und es kam erneut zu Protesten, die gewaltsam unterdrückt wurden. Daraufhin errangen Estradas Ehefrau Luisa und der gemeinsame Sohn José, auch er ein früherer Filmstar, Sitze im Senat.

Gloria Arroyo hatte es als nicht gewählte Präsidentin zunächst also nicht leicht. Überdies war sie Kirche und Armee eher noch stärker verpflichtet als einst Cory Aquino: Um sich das Wohlwollen dieser politischen Kräfte zu erhalten, ließ sie das Familienplanungsprogramm auslaufen, verschaffte hochrangigen Vertretern des Offizierskorps Beförderungen oder schanzte ihnen lukrative Posten im Staatsapparat und in der Wirtschaft zu.

Entgegen ihrem Ende 2002 gemachten Versprechen trat sie bei der Wahl im Mai 2004 zu einer vollen sechsjährigen Amtsperiode an – angeblich nach einer „göttlichen Eingebung“. Und sie wurde gewählt, wenn auch nur mit einer Mehrheit von 3 Prozent. Ihr Gegenkandidat Fernando Poe jr. sprach von Wahlbetrug und wollte das Ergebnis anfechten lassen, scheiterte jedoch mit dem Versuch, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Gegen die Präsidentin wurden keine Korruptionsvorwürfe erhoben, aber ihr Ehemann Mike, ein einflussreicher Geschäftsmann, setzte sich wegen eines drohenden Gerichtsverfahrens außer Landes ab. Nach der Veröffentlichung des Mitschnitts einer Unterhaltung, die sie angeblich am Abend des Wahltags mit dem Vorsitzenden der Wahlkommission geführt hatte, forderten nun auch einige frühere Anhänger der Präsidentin ihren Rücktritt.

Aus ihrer Position der Schwäche hat Gloria Arroyo im Februar 2006 für eine Woche den Notstand ausgerufen und eine Verfassungsänderung vorgeschlagen: Die gegenwärtige Präsidialverfassung mit einer Legislative aus Unter- und Oberhaus soll ersetzt werden durch eine parlamentarische Verfassung mit nur einer Kammer. Gegen dieses Vorhaben – im Volksmund „Cha Cha“, für charter change (Verfassungsänderung), genannt – erhob sich heftiger Protest, vor allem weil damit eine Verlängerung der Mandate der gegenwärtigen Amtsträger um drei Jahre verbunden ist.1 Manche sehen darin eine Stärkung lokaler Machtbündnisse, während andere um ihre Privilegien fürchten.

Einige Beobachter glauben, die Staatspräsidentin wolle mit diesem Schachzug nur das Amt der Ministerpräsidentin erlangen und auf diese Weise die auf ein Mandat begrenzte Amtszeit als Staatspräsidentin umgehen. Die eigentlichen Ursachen der politischen Instabilität wird das Verfassungsprojekt nach Meinung vieler nicht berühren: Unter den autoritären Verhältnissen können sich keine unabhängigen Parteien mit eigenständigem Programm bilden.

Fußnote: 1 Asia Times online, Hongkong, 11. April 2006.

Le Monde diplomatique vom 09.06.2006