Hohes Gericht der Gläubiger
Seit 50 Jahren spielt der Pariser Club den Mittler zwischen armen Entwicklungsländern und ihren Kreditgebern aus dem Norden von Damien Millet und Eric Toussaint
Wir schreiben das Jahr 1955. Der argentinische Staatspräsident Juan Domingo Perón wurde soeben durch einen Militärputsch gestürzt. Das neue Regime sucht schleunigst erneuten Anschluss an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Es gilt, das Schuldenproblem anzugehen, deshalb will man mit den Hauptgläubigerländern verhandeln. Auf Anregung des französischen Wirtschaftsministers findet am 16. Mai 1956 ein gemeinsames Treffen statt. Es ist die Geburtsstunde des Pariser Clubs.
Fünfzig Jahre später fungiert das internationale Gremium neben IWF und Weltbank als eines der Hauptinstrumente, mit denen die Gläubigerstaaten eine vollständige Kontrolle über die Weltwirtschaft aufrechterhalten. Gegründet wurde der Pariser Club mit dem Ziel, die bilateralen Staatsschulden von Ländern des Südens, die in Zahlungsschwierigkeiten sind, neu zu verhandeln. Aus den anfangs 11 Mitgliedern sind mittlerweile 19 geworden.1
Zwischen 1956 und 1980 wurden im Rahmen des Pariser Clubs lediglich dreißig Abkommen unterzeichnet. In der Folge der Schuldenkrise, die offenbar wurde, als sich Mexiko 1982 für zahlungsunfähig erklärte, hat man dann mit immer mehr Staaten verhandelt.2 Zwischen Anfang 1981 und April 2006 wurden 370 Abkommen mit 81 Ländern unterzeichnet. Den traurigen Rekord hält dabei Senegal (14 Abkommen), gefolgt von Madagaskar (12), Niger (11) und der Demokratischen Republik Kongo (11). Der Gesamtbetrag der umgeschuldeten oder annullierten Schulden übersteigt 500 Milliarden Dollar.
Die Plenarversammlungen finden in der Regel einmal im Monat statt und laufen nach einem festen Muster ab.3 Um den großen Konferenztisch sitzen neben den Delegationen der überschuldeten Länder und ihrer Gläubigerstaaten auch die Vertreter multilateraler Institutionen wie IWF, Weltbank, der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) und regionaler Entwicklungsbanken. Der Präsident des Clubs, häufig der Direktor des Schatzamts im französischen Finanzministerium oder ein enger Mitarbeiter, eröffnet die Sitzung. Dann legt der Delegationschef des Schuldnerlands seinen Fall dar. Schon Monate zuvor hat die Regierung seines Landes Kontakt zu dem Club aufgenommen und von zwei Auflagen erfahren: Zum einen muss sie ihren Antrag auf Anhörung mit dem Nachweis begründen, dass eine weitere Schuldentilgung unmöglich ist, zum anderen muss sie schon im Vorfeld ein Abkommen mit dem IWF schließen, das eine Wiederholung der finanziellen Schwierigkeiten verhindern soll. Zum Zeitpunkt seiner Anhörung hat sich das überschuldete Land also den Forderungen seiner Gläubiger bereits unterworfen und damit jeden Handlungsspielraum eingebüßt.
Anschließend legt der IWF-Vertreter detailliert dar, mit welchen Reformen der Fonds das überschuldete Land aus seiner verfahrenen Lage zu befreien gedenkt. Nach einer Frage-Antwort-Runde wird die Delegation des Schuldnerlandes gebeten, den Raum zu verlassen.
Sobald die Clubmitglieder hinter geschlossenen Türen einen Konsens gefunden haben, informiert der Präsident die Delegation aus dem Süden, die vor der Tür warten musste. Wenn diese mit dem Verhandlungsergebnis nicht zufrieden ist, werden die Gespräche zwar formell wieder aufgenommen, doch ändern lässt sich an dem Ergebnis praktisch nichts. Nach Unterzeichnung des Verhandlungsprotokolls bleibt der Delegation nur noch, vor der Presse seine Freude über die erzielte Vereinbarung zu bekunden und den Gläubigerländern zu danken.
Die Lebensbedingungen der Armen in den verschuldeten Ländern spielen in den Überlegungen dieser Inkassoagentur keine Rolle: „Die Gläubiger des Pariser Clubs wollen ihre Forderungen so weit wie möglich eintreiben. Deshalb verlangen sie die sofortige Zahlung eines möglichst hohen Betrags. Was nicht sofort zurückgezahlt werden kann, wird umgeschuldet, und zwar so, dass der Schuldner möglichst nicht noch einmal bei den Gläubigern vom Pariser Club vorsprechen muss.“4
Es ist sicher kein Zufall, dass führende Mitglieder des Clubs in die Chefetagen großer Banken aufsteigen. Jean-Pierre Jouyet zum Beispiel, der dem Pariser Club bis Juli 2005 vorstand, ist seither Aufsichtsratsvorsitzender des französischen Zweigs der britischen Barclays Bank. Und der frühere Generalsekretär des Clubs, Emmanuel Moulin, wechselte im Januar 2006 zur Citibank.
Die Schuldnerländer allein gegen eine Einheitsfront
Der Pariser Club versteht sich nach eigenem Bekunden als informelle Gruppe, als „Nichtinstitution“. Er ist keine Rechtsperson und besitzt keine Statuten. Theoretisch sind seine Schlussfolgerungen nur Empfehlungen, die erst dann rechtswirksam werden, wenn die Gläubigerstaaten die entsprechenden bilateralen Abkommen unterzeichnen. Doch in der Praxis halten sich die Mitglieder konsequent an die Empfehlungen des Clubs, weil sie sich gegenseitig dazu verpflichtet haben.
Geschickter lassen sich die Verantwortlichkeiten kaum verbergen: Der Pariser Club ist nicht verantwortlich, weil er die Mitgliedstaaten zu nichts zwingt, und die Mitgliedstaaten setzen lediglich die Empfehlungen um, die der Club beschlossen hat. Überdies besitzt der Club für die Gläubigerländer den unschätzbaren Vorteil, dass er eine Einheitsfront der Gläubiger organisiert, während die Schuldnerländer des Südens auf sich allein gestellt sind. Deren Lage wird Fall für Fall geprüft, wobei sich oft herausstellt, dass das einschlägige Zahlenmaterial des IWF eine übertrieben optimistische Voraussage nage legt.5
So schnell der Club bei der Hand ist, wenn es darum geht, von anderen Good Governance zu verlangen, so wenig fühlt er sich selbst diesem Prinzip verpflichtet. Die Tagesordnung der Sitzungen wird nie im Voraus bekannt gegeben, die Stellung der einzelnen Mitglieder und der Inhalt der Gespräche im inneren Zirkel bleiben geheim. Obwohl der Club großen Wert auf Vertraulichkeit legt und die Medien nur anspricht, wenn er sich verteidigen muss, geriet er in den vergangenen Jahren dreimal in die Schlagzeilen.
Im November 2004 wurde ungewöhnlich lange über die irakischen Schulden gesprochen. Die USA und ihre Verbündeten verlangten von den Clubmitgliedern die Annullierung von 95 Prozent der irakischen Auslandsschulden, während Frankreich, Russland und Deutschland höchstens 50 Prozent zugestehen wollten. Schließlich einigte man sich auf 80 Prozent, nämlich 31 von 39 Milliarden Dollar, die der Irak den Clubländern schuldete.
Schuldenannullierung ist also sehr wohl möglich, wenn es um geostrategische Interessen geht, wie im April 1991 im Fall Ägyptens, das Washington im ersten Golfkrieg unterstützt hatte. Im Mai 1991 profitierte Polen, als es aus dem Warschauer Pakt austrat, und im Dezember 2001 Pakistan, weil es die USA beim Einmarsch in Afghanistan unterstützte.
Nach dem Tsunami in Südostasien, dem 220 000 Menschen zum Opfer fielen, forderten im Januar 2005 zahlreiche Organisation, die Auslandsschulden der betroffenen Länder zu annullieren. Angesichts des positiven Medienechos beschloss der Pariser Club ein Moratorium auf die Auslandsschulden von Indonesien und Sri Lanka. Die beiden Länder sollen die Summen, die sie eigentlich bis 2005 hätten tilgen müssen, im Zeitraum 2007 bis 2010 zurückzahlen. Die Schulden wurden also nicht annulliert, und die Gläubigerländer können für den moratoriumsbedingten Zahlungsverzug auch noch Überziehungszinsen verlangen.
Im Oktober 2005 wurde bekannt, dass der Pariser Club knapp zwei Drittel der Auslandsschulden von Nigeria (18 von 30 Milliarden Dollar) zu annullieren bereit sei. Es war der klassische Fall einer Pseudokonzession: Die Annullierung des einen Drittels wurde davon abhängig gemacht, dass Nigeria seine Zahlungsrückstände gegenüber den Clubmitgliedern innerhalb von sechs Monaten tilgt, das zweite Drittel wird erst wirksam, wenn der IWF mit Nigerias Zahlungsmoral zufrieden ist und das Land weitere Außenstände beglichen hat.
Nigeria muss also innerhalb weniger Monate 12,4 Milliarden Dollar auftreiben, obwohl die Zahlungsrückstände aus der Zeit der Militärdiktatur der 1990er-Jahre datieren und somit als „sittenwidrige Schuld“ gelten. Für den Vorsitzenden des Finanzausschusses im nigerianischen Repräsentantenhaus, Faruk Lawan, ist es unbegreiflich, „dass Nigeria in den vergangenen zwei Jahren 5,14 Milliarden Euro für Schuldendienst ausgegeben hat und die Auslandsschulden dennoch um 5,73 Milliarden Dollar angewachsen sind, obwohl wir keine neuen Kredite aufgenommen haben. So kann das nicht mehr weitergehen!“6
Entwicklungsländer der Erde, vereinigt euch!
In jüngster Zeit kommt es immer häufiger zu Rückzahlungen, die im Pariser Club beschlossen wurden. Im Sommer 2005 zahlte Russland von seinen Gesamtschulden in Höhe von 40 Milliarden Dollar 15 Milliarden Dollar zurück. Im diesem Jahr, in dem Russland als Gastgeber des G-8-Gipfels auftritt, will das Land weitere 12 Milliarden Dollar begleichen. Brasilien kündigte im Dezember 2005 die vorzeitige Tilgung seiner Gesamtschuld in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar an, und im März dieses Jahres zog Algerien mit 8 Milliarden Dollar nach. Erhebliche Summen an den IWF zahlten vor kurzem Brasilien und Argentinien zurück, Brasilien 15,5 Milliarden Dollar, Argentinien 9,8 Milliarden Dollar.
Diese Länder bleiben dennoch von dem alten Schuldenmechanismus abhängig, da die Rückzahlung (so im Fall von Argentinien) die Aufnahme neuer Kredite bei anderen Geldgebern nötig macht. Immerhin konnten sie sich aber aus der Abhängigkeit von IWF und Pariser Club befreien und müssen sich nun nicht mehr ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik diktieren lassen. Begünstigt werden vorgezogene Schuldentilgungen derzeit durch die konjunkturelle Entwicklung. Niedrige Zinsen in Verbindung mit sinkenden Risikoprämien und steigenden Rohstoffpreisen ließen die Devisenreserven der Entwicklungsländer Ende 2004 auf knapp 1 600 Milliarden Dollar anschwellen; das entspricht der Summe der staatlichen Auslandsschulden.7
Das Argument, die Verschuldung der südlichen Länder sei nötig, um ihre ökonomische Entwicklung zu finanzieren, ist schlicht falsch. Denn die Kreditaufnahme dient ja im Wesentlichen der Rückzahlung früherer Kredite. Um aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen, verfolgt Venezuelas Staatschef Hugo Chávez schon seit langem die Idee, dass die Entwicklungsländer einen Teil ihrer Währungsreserven in einer eigenen Entwicklungsbank anlegen und ihren eigenen Währungsfonds gründen sollen.
Über die Schaffung einer regionalen „Bank des Südens“ (Banco del Sur) diskutierten im März 2006 die Zentralbankchefs aus Venezuela, Brasilien und Argentinien; die anderen Länder Lateinamerikas verfolgten die Gespräche mit großem Interesse. Zudem kaufte Venezuela für über 2 Milliarden Dollar argentinische Schuldtitel auf. Wenn Argentinien demnächst vor dem Pariser Club erscheinen muss, wird Venezuela aufseiten der Gläubiger vertreten sein. Sollten sich einige Schuldnerländer zusammentun und sich gegenseitig unterstützen, wäre dies ein schwerer Schlag für die Logik, die dem Pariser Clubs zugrunde liegt.