Die Linke vorm Rio Grande
Der Bürgermeister von Mexiko-Stadt muss die Provinz erobern von Erasmo Sáenz Carrete
Bei den Präsidentenwahlen am 2. Juli 2000 beendeten Vicente Fox und seine konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) nach 71 Jahren die Alleinherrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in Mexiko. Sechs Jahre später wählt die elftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt mit ihren 106 Millionen Einwohnern nun einen neuen Präsidenten. Außerdem wird am kommenden 2. Juli über die künftige Zusammensetzung von Abgeordnetenhaus und Senat entschieden.
Wenige Wochen vor den Wahlen gibt es zwei Favoriten für das Präsidentenamt: Fox’ Nachfolger Felipe Calderón von der PAN und Andrés Manuel López Obrador von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), der nach seinen Initialen auch „Amlo“ genannt wird. López Obrador kann auf beachtliche Erfolge als Bürgermeister der Hauptstadt verweisen und wird von einer Linkskoalition aus PRD, Arbeiterpartei und Demokratischer Sammlungsbewegung gestützt.1
Bis vor kurzem prägten die Schwierigkeiten der immer noch sehr mächtigen alten Monopolpartei PRI den Wahlkampf. Ihrem Kandidaten Roberto Madrazo ist es nicht gelungen, die eigenen Mitglieder von seiner Eignung zu überzeugen. Wenigstens 2.000 mittlere und höhere PRI-Funktionäre haben die Partei verlassen und sind größtenteils zur PRD übergelaufen,2 wo sie mit offenen Armen empfangen wurden, da der PRD in vielen Teilen des Landes noch eine breite Basis fehlt. Dass diese nun an aussichtsreicher Stelle für die PRD kandidieren, kam bei deren Anhängern aber nicht gut an, und López Obrador, der noch im April in den Meinungsumfragen ganz vorn gelegen hatte, verlor bei den Wählern deutlich an Gunst.
Die schärfste Kritik am neuen politischen Personal der PRD kam vom Zapatistenführer Subcomandante Marcos3 . Er warf der Partei schon im Juli vergangenen Jahres vor, dass einige ihrer Mitglieder einst Teil der „salinistischen“ Repression (nach dem damaligen Präsidenten und PRI-Vorsitzenden Salinas de Gortari) gegen die indigene Bewegung waren und dass sie im Jahr 2001 gemeinsam mit PAN und PRI den Gesetzesantrag zum Schutz der indigenen Völker zu Fall gebracht und das Abkommen von San Andrés unterlaufen hat.4
Ungeachtet solcher Attacken von links steht der Wahlkampf immer mehr im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen Felipe Caldéron und López Obrador. Eine Fernsehdebatte zwischen den beiden im Juni könnte – nach den Erfahrungen der letzten drei Präsidentschaftswahlkämpfe und wegen der großen Zahl unschlüssiger Wähler – für den Ausgang des Urnengangs entscheidend sein. Unterdessen führen sowohl PAN und als auch PRI einen schmutzigen Wahlkampf gegen die Linke: Die Angst vor einem undemokratischen Linkspopulismus wird gezielt geschürt.
López Obrador hat sein Handwerk bei der PRI gelernt und ist 1998 ausgetreten, um bei der Gründung der PRD mitzuwirken. Seine ersten politischen Erfolge hatte er im südlichen Bundesstaat Tabasco mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und einem Wohnbauprogramm für Indios. Sein größtes politisches Kapital aber ist seine Bilanz als Bürgermeister der Hauptstadt: „Amlo“ pflegte einen bescheidenen Lebensstil und senkte die Gehälter der höchsten Beamten in der Stadt. Er sorgte für eine wirksame Ausgabenkontrolle in der Verwaltung, gründete eine stadteigene Universität, führte Sozialleistungen zugunsten alter Menschen und alleinerziehender Mütter ein, verbesserte die Infrastruktur, förderte den Sozialen Wohnungsbau und führte routinemäßige Finanzprüfungen ein. Im April 2005 ging eine Million Menschen für ihn auf die Straße, als ein Komplott der PAN-Bundesregierung mit der PRI ihn zur Aufgabe seines Amts und der Kandidatur zu den Präsidentenwahlen zu drängen versuchte.5
Um seine Popularität von Mexiko-Stadt auf das ganze Land auszudehnen, führt López Obrador einen Marathonwahlkampf in der Provinz. Bündnisse mit anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen ersetzen die zum Teil dünne Basis der PRD. So erklärt sich auch, dass sich sein Regierungsprogramm an allererster Stelle mit dem Verhältnis Mexikos zu seiner indigenen Bevölkerung auseinander setzt: „Wir werden damit beginnen, unsere historische Schuld gegenüber den Indio-Gemeinschaften zu begleichen. Wir werden die Rechte der Indigenen anerkennen und die Verträge von San Andrés in die Tat umsetzen.“
Zu den vielen weiteren Vorhaben des PRD-Kandidaten gehören der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung, Investitionen in Bildung und Forschung auf allen Ebenen, mehr Freiräume für die Kultur, Strukturhilfe für ländliche Gebiete, Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung vor allem im Südosten des Landes.
Bis 1994 kämpfte López Obrador energisch gegen den Beitritt seines Landes zum amerikanischen Freihandelsabkommen Nafta. Als Präsident will er nun dessen Mechanismen nicht grundsätzlich in Frage stellen. Aber „wir würden uns wünschen, dass die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und Kanada sich in Sinne einer Entwicklungszusammenarbeit gestalten. Dabei wird es vor allem um die Rechte der Mexikaner gehen, die zum Auswandern in die USA gezwungen sind.“6 Bei diesem dringlichen und heiklen Thema gibt es allerdings wenig Handlungsspielraum. Vor kurzem erst hat die Regierung Bush beschlossen, die gemeinsame Grenze auf nordamerikanischer Seite mit militärischen Mitteln zu sichern.
López Obrador will als Präsident aber auch die Beziehungen zu den Nachbarn im Süden wieder aktiver gestalten, denn Mexiko hat in Lateinamerika während der letzten Jahre deutlich an Präsenz und Einfluss verloren. So wird der Wahlausgang in Mexiko für die künftigen Kräfteverhältnisse zwischen Lateinamerika und den Vereinigten Staaten wichtig, wenn nicht entscheidend sein.