09.06.2006

Geldwäscher haben die besseren Anwälte

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Geldwäscher haben die besseren Anwälte

von Ibrahim Warde

Clearstream. Das Wort bedeutet so viel wie „klarer Strom“ oder „reinigender Wasserlauf“. Der Skandal, der die luxemburgische Clearinggesellschaft erschüttert und die politische Führung Frankreichs kompromittiert, zeugt vom Doppelcharakter der globalisierten Finanzmärkte, die einerseits makellose Klarheit versprechen, andererseits aber so unschöne Dinge wie das Waschen schmutziger Gelder ermöglichen.

Eigentlich sollte die Globalisierung der Finanzmärkte dank der Informationsrevolution und eines allwissenden, sich selbst regulierenden Markts ihre eigenen Schutzmechanismen mitbringen. Doch es dauerte nicht lange, bis in diesem Sektor, in dem „die Sprache kodiert ist, Nichteingeweihte auf Abstand gehalten werden und die Regeln selten schriftlich niedergelegt und kommunizierbar sind“1 , enorme „Schwarze Löcher“ auftauchten.

In seinem 1998 erschienenen Buch „Der neue Krieg“2 kam US-Senator John Kerry zu dem Schluss, dass „die Öffnung der Grenzen für den internationalen Handel und die Datenautobahnen den Terroristen ebenso zugute kam wie ehrlichen Geschäftsleuten und gewöhnlichen Kriminellen“. Sieben Jahre später schrieb Moises Naim, Chefredakteur der US-Zeitschrift Foreign Policy, dass rechtswidrige Aktivitäten nicht mehr nur in Randbereichen der globalen Ökonomie anzutreffen seien, sondern auch mitten im System. Das lukrativste Geschäft überhaupt – das Geschäft des Verbrechens nämlich – hatte die Weltwirtschaft zerfressen. Terrorismus und der Handel mit Nukleartechnologie, Waffen- und Drogenhandel, Fälschung und Piraterie, Menschen- und Organhandel, Steuerflucht und Geldwäsche – alle wiesen erhebliche Wachstumsraten auf.3

In einem auf Schnelligkeit, Effizienz und Anonymität beruhenden System sind die flexibleren Operateure gegenüber den Regierungs- und Justizbehörden immer im Vorteil, zumal die nationalen Regulierungs- und Kontrollstellen gegenüber dem für das globale Geschäft geltenden Regelwerk mit seinen unbeständigen und unklaren Konturen längst an Bedeutung verloren haben. Eine Hand voll internationaler Institutionen – von der Welthandelsorganisation über den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und die zur Bekämpfung der Geldwäsche gegründete Financial Action Task Force bis hin zum Basler Ausschuss für Bankenaufsicht – hat die Spielregeln einst festgelegt, und nun werden sie weitgehend von den mächtigsten Ländern kontrolliert, allen voran den Vereinigten Staaten.

Tatkräftige Unterstützung leisten dabei kaum bekannte private Institutionen wie beispielsweise Clearstream, dessen ehemaliger Chef André Lussi das Unternehmen folgendermaßen beschrieb: „Banken haben Kunden, und wir haben Banken als Kunden. Wir sind so etwas wie die Notare der Welt.“4

2004 musste sich Lussi vor der luxemburgischen Justiz wegen Geldwäsche, Urkundenfälschung und Benutzung gefälschter Urkunden, Bilanzfälschung, Verstoß gegen die Finanzgesetze sowie Steuerbetrug verantworten. Die Clearstream-Affäre machte das ganze Ausmaß des Vertuschungs- und Manipulationspotenzials der neuen Weltnotare deutlich.

Gegen solche Fehlentwicklungen wurden die einschlägigen Maßnahmen gegen Geldwäsche konzipiert. Um Geldwäsche handelt es sich, wann immer Gelder krimineller Herkunft in legale Finanzkreisläufe zurückgeschleust werden. Unter Geldwäsche wird mittlerweile alles Mögliche verstanden. Selbst in Expertenkreisen herrscht mitunter Verwirrung, was das Wort eigentlich bezeichnet. Der Ausdruck „money laundering“ stammt aus den Vereinigten Staaten, laut einer hartnäckig sich haltenden Legende aus den Zwanzigerjahren, als Al Capone angeblich eine Wäscherei kaufte, um seine illegalen Aktivitäten zu tarnen. Tatsächlich ist Geldwäsche ein viel jüngeres Phänomen. In den Medien tauchte es erstmals 1972 im Zusammenhang mit dem Watergate-Skandal auf, als die Regierung Nixon zu vertuschen suchte, über welche Wege sie geheime Operationen finanziert hatte. Erst 1982 wurde das Wort erstmals in einem Justizverfahren verwendet.

Im Rahmen des „Antidrogenkriegs“ waren die Vereinigten Staaten 1986 das erste Land, das Geldwäsche unter Strafe stellte. Um den Drogendealern das Handwerk zu legen, müsse man, so die Überzeugung, dafür sorgen, dass sich dieses Verbrechen nicht mehr lohne. Durch das strenge Zurückverfolgen der Finanzströme sollte es dann über kurz oder lang auch möglich sein, die Köpfe der Drogenkriminalität dingfest zu machen. Die einzelnen Bestandteile einer Geldwäsche – Einzahlung (die Gelder werden ins Bankensystem eingeschleust), Mehrfachüberweisungen (um die Herkunft der Gelder zu verschleiern) und Geldanlage (die gewaschenen Gelder werden in respektable Finanzkreisläufe oder Wirtschaftsaktivitäten gelenkt) – sind an sich legal, nur ihre Kombination zur Verschleierung der kriminellen Herkunft der Gelder ist ein Delikt.

Geldwäsche gilt als „Verbrechen der Neunzigerjahre“. Damals erhöhten die Vereinigten Staaten mit einer Reihe neuer Gesetze das Strafmaß und erweiterten die Tatbestandsmerkmale. Heute greift das Geldwäschegesetz bei rund 200 illegalen Aktivitäten, darunter Drogenhandel, Erpressung, Diebstahl, Prostitution, Organhandel und terroristischen Aktivitäten. Ebenfalls in den Neunzigerjahren wurden Anstrengungen unternommen, die Geldwäsche auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Die 1989 gegründete Internationale Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäsche (Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF) zum Beispiel hat die Aufgabe, den weltweiten Kampf gegen schmutziges Geld zu koordinieren. 1990 verabschiedete das 33 Mitglieder umfassende und der OECD in Paris angegliederte Gremium die „40 Empfehlungen“, die als die wichtigsten internationalen Standards zur Geldwäschebekämpfung gelten.

Die zunehmende Zahl von Gesetzen und Kontrollinstitutionen rief schließlich den Widerstand der Finanzwelt auf den Plan. Die Maßnahmen seien ineffizient, denn zum einen nehme der Drogenhandel ständig zu und zum anderen seien die beschlagnahmten Summen kaum der Rede wert. So beklagte sich George Bushs Finanzminister Paul O’Neill 2001, sein Ministerium habe in den vergangenen 15 Jahren jeweils 700 Millionen Dollar zur Bekämpfung der Geldwäsche ausgegeben und während dieser ganzen Zeit sei den Behörden nur ein einziger großer Fisch ins Netz gegangen.

So einfach es ist, kleine Dealer hinter Schloss und Riegel zu bringen, so unmöglich scheint es, der großen Drogenbosse habhaft zu werden. Sie machen genug Gewinn, um die Regeln umgehen und sich die besten Anwälte leisten zu können. Der spanische Richter Baltasar Garzón verglich vor einigen Jahren das Verhältnis der Richter zu den Großkriminellen mit dem von Mammuts zu Leoparden: „Wenn das Mammut das Versteck des Leoparden erreicht, ist der schon über alle Berge und lacht sich ins Fäustchen.“5

Neue Impulse erhielt der Kampf gegen schmutziges Geld durch die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998. Ussama Bin Laden, so stand damals allerorten zu lesen, verfüge über eine mit 300 Millionen Dollar gefüllte Kriegskasse, deren „Geheimnisse“ zu lüften sich nun zahllose Publikationen und selbst ernannte Experten anheischig machten. In Wahrheit war Bin Ladens Vermögen bereits zweimal beschlagnahmt worden, 1994 durch Saudi-Arabien und 1996 durch den Sudan.6 Die Finanzierung des Terrorismus erfolgte in Wirklichkeit durch Geldsammlungen in islamistischen Kreisen.7

Ende der Neunzigerjahre versuchte die Clinton-Administration ohne Erfolg, KYC-Regeln („Know Your Customer“) durchzusetzen: Die Banken – die die zuständigen Stellen bei verdächtigen oder ungewöhnlichen Transaktionen sowieso informieren müssen – sollten ihre Kunden noch stärker überwachen als bisher. Darüber hinaus startete der demokratische US-Präsident gemeinsam mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Offensive gegen die Steueroasen.

George W. Bush sabotierte diese Initiative unmittelbar nach seiner Wahl zum US-Präsidenten und kündigte eine Lockerung der Anti-Geldwäsche-Maßnahmen an. Wenige Monate später führten die Anschläge vom 11. September zu einer Kehrtwende. Übereifrig machten sich die ehemaligen Fürsprecher einer Lockerung für eine Verschärfung der Maßnahmen stark. Und genau auf diesem Terrain begann am 24. September 2001 der „Krieg gegen den Terror“, als US-Präsident Bush „einen Schlag gegen die finanziellen Grundlagen des weltweiten Terrornetzwerks ankündigte“. Bush und seine Mitarbeiter erklärten damals, Geld diene dem Terrorismus als „Sauerstoff“; ohne eine „ausgebaute Finanzinfrastruktur“8 könne der Terrorismus nicht überleben. Das fünf Wochen nach dem 11. September verabschiedete Antiterrorgesetz „USA Patriot Act“ widmete der Geldwäsche daher einen ganzen Abschnitt. Und auf der außerordentlichen FATF-Sitzung in Washington wurde die von der US-Regierung bis dahin kaum beachtete Arbeitsgruppe offiziell damit betraut, auch die Finanzierung des Terrorismus zu bekämpfen.

Als ob Geldwäsche gleich Terrorfinanzierung wäre

Geldwäsche und Terrorfinanzierung wurden zu auswechselbaren Synonymen, und die entsprechende Abkürzung AML/CFT (Anti-Money-Laundering/Combatting the Financing of Terrorism) wurde von allen internationalen Organisation sogleich übernommen. Dabei besteht zwischen den beiden Phänomenen ein grundsätzlicher Unterschied. Geldwäsche ist ein schändliches Verbrechen und impliziert enorme Summen, die ins legale Finanzsystem zurückgeschleust werden sollen. Terrorismus hingegen ist ein politisches Phänomen, das nur unbedeutende Summen erfordert und zumindest seit dem 11. September vielfach in keinerlei Zusammenhang mit regulären Finanzkreisläufen steht. Die Finanzierung des Terrorismus ähnelt eher einer „Schwärzung“ von sauberem Geld, weil hier im Allgemeinen kleine Summen, die durchs Netz der Anti-Geldwäsche-Maßnahmen hindurchschlüpfen, für gewalttätige Zwecke abgezweigt werden.

Keines der Attentate nach dem 11. September erforderte mehr als 20 000 Dollar. Die Anschläge in London am 7. Juli 2005 kosteten weniger als 1 000 Dollar. Aufgebracht wurden sie von einem der Kamikaze-Attentäter, der den Anschlag mit seinem Lehrergehalt finanzierte.

Politisch aber bringt die Konzentration auf das ebenso weite wie unzugängliche Feld der Finanzen erhebliche Vorteile. Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kam US-Präsident Bush zu dem Schluss, dass sich Bankkonten gewissermaßen per Knopfdruck einfrieren lassen, während die Vorbereitung einer militärischen Offensive gegen Afghanistan Wochen in Anspruch nimmt.9

Überdies hat das Konteneinfrieren den Vorteil, dass sich das Resultat „beziffern“ lässt. Folgerichtig befahl der Präsident, „einige Vermögen zu beschlagnahmen, und zwar schnell“. David Aufhauser, hoher Beamter im US-Finanzministerium, erinnert sich: „Es war schon fast komisch. Wir haben eine Liste mit möglichst vielen ‚üblichen Verdächtigen‘ zusammengestellt und gesagt: Lasst uns einen Teil ihres Vermögens beschlagnahmen.“10

Mittlerweile sind solche Aktionen nichts Besonderes mehr. Dass sie die terroristische Bedrohung nicht verringern, wird kaum jemanden überraschen.11 Im Visier hat man leichte, vielfach unschuldige Beute wie die somalische Gruppe al-Barakaat. Die Zwischenbilanz nach den „ersten 100 Tagen“ des „Kriegs gegen den Terror“ schlug einen Ton an, der sich seither kaum geändert hat: „Die USA und ihre Verbündeten gewinnen den Finanzkrieg. […] Die Tatsache, dass wir den Terroristen den Zugang zu Geldern abschneiden, ist ein großer Erfolg im Krieg gegen den Terror.“12

Weil dieser Krieg absolute Priorität hat, müssen heute gewiefte Kenner der internationalen Finanz- und Geldwäschekanäle, die einst Jagd auf die Drogenbarone Lateinamerikas machten, dem islamistischen Terrorismus nachspüren – und der großen Finanzkriminalität freie Hand lassen.

Fußnoten: 1 Denis Robert, Ernest Backes, „Révélations“, Paris (Les Arènes) 2001, S. 25. 2 John Kerry, „The New War: The Web of Crime That Threatens America’s Security“, New York (Simon & Schuster) 1997, S. 120. 3 Moises Naim, „Illicit: How Smugglers, Traffickers and Copycats are Hijacking the Global Economy“, New York (Doubleday) 2005. 4 Denis Robert, „La Boîte noir“, Paris (Les Arènes) 2002. 5 Siehe Fn. 1, S. 25. 6 Jonathan Randal, „Osama: The Making of a Terrorist“, New York (Knopf) 2004, S. 125. 7 Dazu „The 9/11 Commission Report, Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States“, Thomas H. Kean, Chair, and Lee H. Hamilton, Vice Chair, Authorized Edition, New York (Norton) 2004, S. 170; John Roth, Douglas Greenburg, Serena Wille, „Monograph on Terrorist Financing, National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States“, Staff Report to the Commission, 2004, S. 20. 8 „President Freezes Terrorists’ Assets“, Remarks by the President, Secretary of the Treasury O’Neill and Secretary of State Powell on Executive Order, The White House, Office of the Press Secretary, 24. September 2001. 9 Bob Woodward, „Bush at War“, New York (Simon & Schuster) 2002, S. 25 u. 112. 10 Ron Suskind, „The Price of Loyalty: George W. Bush, the White House, and the Education of Paul O’Neill“, New York (Simon & Schuster) 2004, S. 193. 11 Daniel Benjamin u. Steven Simon, „The Age of Sacred Terror: Radical Islam’s War against America“, New York (Random House) 2003, S. 269. 12 www.whitehouse.gov/news/releases/2001/12/100dayreport.html. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Ibrahim Warde ist Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy, Tufts University, Medford, Massachusetts, Autor von „The Financial War on Terror“, London (I. B. Tauris) 2006.

Le Monde diplomatique vom 09.06.2006, von Ibrahim Warde