Macht und Geld und Politik
von Serge Halimi
Als die Spekulanten die Eurostaaten am 10. Mai 2010 zu einer Finanzspritze von 750 Milliarden Euro zwangen, verbuchten die Aktionäre der französischen Bank Société Générale einen Kursgewinn von 24 Prozent. Am selben Tag verkündete der französische Präsident, aufgrund der angespannten Haushaltslage könne ein Unterstützungsprogramm für bedürftige Familien nicht fortgeführt werden.
Mit jeder weiteren Finanzkrise wird klarer erkennbar, dass die Politik nur für Aktionäre und Investoren gemacht wird. Die Bürger dürfen zwar in regelmäßigen Abständen zur Wahl gehen, stimmen dann allerdings für Parteien, denen „die Märkte“ zuvor eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt haben. Zugleich aber verlieren die Politiker, die pausenlos das Gemeinwohl beschwören, jeglichen Kredit.
Als Barack Obama die Investmentbank Goldman Sachs abkanzelte, um die geplante Regulierung des Finanzsektors zu stärken, schalteten die Republikaner einen Werbespot mit der Liste der Spenden, die Goldman Sachs im Präsidentschaftswahlkampf 2008 geleistet hatte: 4,5 Millionen Dollar an die Demokraten; 1,5 Millionen an die Republikaner. Dazu der Kommentar: „Politiker attackieren die Finanzindustrie, kassieren aber Millionenspenden der Wall Street.“
Als die britischen Konservativen sich gegen einen Mindestpreis für Alkohol wandten – angeblich um arme Familien finanziell nicht zu belasten –, konterte die Labour-Partei, in Wirklichkeit wollten sie den Supermarktbesitzern helfen, die Bier billiger als Wasser abgeben, um die Jugendlichen in ihre Läden zu locken. Und als Nicolas Sarkozy die Werbung in den öffentlichen Fernsehprogrammen verbieten ließ, war die allgemeine Ansicht, damit helfe er nur den privaten Fernsehsendern, deren Besitzer seine Freunde sind, einen Konkurrenten um die Werbeetats der Unternehmen loszuwerden.
Das Misstrauen existiert seit langem. Auch deshalb trösten sich die meisten Leute mit dem Argument, so etwas habe „es schon immer gegeben“. In Frankreich nutzte 1887 der Schwiegersohn des Präsidenten Jules Grévy seine familiären Kontakte zum Élysée-Palast für einen schwunghaften Handel mit staatlichen Auszeichnungen und Orden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Standard Oil die Gouverneure vieler US-Bundesstaaten in der Tasche.
Für eine Nacht im Lincoln-Zimmer
Auch das Primat der Finanzmärkte über die Politik ist nichts Neues: Schon 1924 konnten in den USA die Käufer von Staatsanleihen den Regierenden ihren Willen diktieren. Mit der Zeit gelang es jedoch, den Einfluss des Kapitals auf die Politik gesetzlich einzuschränken. Es stimmt also, dass es „das schon immer gegeben hat“, aber genauso richtig ist, dass man etwas ändern kann.
Das kann freilich auch in die falsche Richtung gehen. In den USA erklärte der Supreme Court 1976 mehrere wichtige Gesetze, die den Einfluss des Kapitals in der Politik begrenzen sollten, für verfassungswidrig. In ihrer Entscheidung zum Fall Buckley vs. Valeo führten die Richter aus: „Die Meinungsfreiheit darf nicht von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, abhängig sein.“ Im Klartext: Die Spendenpraxis reglementieren heißt die freie Meinungsäußerung einschränken.
Im Januar dieses Jahres wurde diese Rechtsprechung in dieselbe Richtung fortgeschrieben: Das Recht, unbegrenzte Summen an Parteien zu spenden, steht nicht nur natürlichen Personen, sondern auch juristischen Personen zu. Damit können Unternehmen beliebig viel Geld für (oder gegen) einen Kandidaten spenden.
Aber warum nur auf die USA starren? In den letzten zwanzig Jahren haben sich sowjetische Apparatschiks in Oligarchen verwandelt; in China sitzen Unternehmensbosse im Politbüro der Kommunistischen Partei; in Europa wechseln Regierungschefs, Minister und Parlamentarier – wie in den USA – routinemäßig in die „Privatwirtschaft“; iranische Ajatollahs und pakistanische Offiziere tätigen lukrative Geschäfte. Und die Korruption ist systemisch geworden, überall auf der Welt.
Im Frühjahr 1996 stand US-Präsident Bill Clinton nach einer durchwachsenen ersten Amtszeit vor einem Wahlkampf, der ihm eine zweite Amtszeit sichern sollte. Was ihm fehlte, war Geld. Da kam ihm die Idee, seinen großzügigsten Spendern anzubieten, eine Nacht im Weißen Haus zu verbringen, zum Beispiel im „Lincoln-Zimmer“, und anschließend vielleicht mit dem US-Präsidenten einen Kaffee zu trinken. Potenzielle Geldgeber sollten auch Gelegenheit haben, Regierungsvertreter kennenzulernen, die für die Gebiete zuständig waren, auf denen ihre unternehmerischen Interessen lagen. Der damalige Sprecher des Präsidenten, Lanny Davis, erklärte ganz ungeniert, solche Begegnungen seien für die Vertreter der Aufsichtsbehörden eine Chance, „die Probleme der von ihnen kontrollierten Industrie besser kennenzulernen“.1
Am 13. Mai 1996 wurden einige der bedeutendsten Banker der USA im Weißen Haus empfangen. Das Treffen dauerte neunzig Minuten. Teilnehmer waren neben Clinton der Finanzminister Robert Rubin, dessen für Geldpolitik zuständiger Stellvertreter John Hawke und der Vorsitzende der Bankenaufsichtsbehörde Eugene Ludwig. Wie es der Zufall wollte, war auch der Schatzmeister der Demokratischen Partei Marvin Rosen anwesend. Wie Ludwigs Pressesprecher anschließend wissen ließ, „diskutierten die Banker über anstehende Gesetzgebungsvorhaben und auch über Ideen, wie es zu ermöglichen sei, die strikte Trennung zwischen Kreditbanken und anderen Finanzinstitutionen abzuschaffen“.2
Im Zuge des New Deal hatte Roosevelt 1933 mit dem Glass-Steagall Act den Kreditbanken untersagt, Spekulationsgeschäfte mit den Einlagen ihrer Kunden zu finanzieren. Der Gesetzgeber zog damit die Lehren aus dem Börsenkrach von 1929. Im Hinblick auf den möglichen Konkurs der Kreditbanken und den Ruin der Kleinsparer sah sich die Regierung damals gezwungen, diese Banken mit Steuergeldern zu retten. 1996 war Glass-Steagall immer noch geltendes Recht. Sehr zum Missfallen der Banker, die unbedingt an den Segnungen des „Neuen Marktes“ teilhaben wollten. Bei ihrem Treffen im Weißen Haus konnten sie dem Präsidenten ihre Unzufriedenheit genau in dem Moment übermitteln, in dem sich dieser von den Banken die Finanzierung seiner Wiederwahl erhoffte.
Einige Wochen danach stand in den Zeitungen, der Finanzminister werde dem Kongress eine Reihe von Gesetzentwürfen zuleiten, mit denen die sechzig Jahre alte Bankengesetzgebung außer Kraft gesetzt würde. Damit werde es Kreditbanken ermöglicht, „im großen Maßstab ins Versicherungsgeschäft, ins Investmentbanking und in den Wertpapierhandel einzusteigen“.3
Die Fortsetzung ist bekannt. Die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes wurde 1999 von Clinton unterzeichnet, der drei Jahre zuvor seine Wiederwahl auch dank seiner gut gefüllten Wahlkampfkasse gesichert hatte.4 Erst diese Gesetzgebung hat die darauffolgende Spekulationsorgie möglich gemacht. Es begann die Zeit, in der die „Finanzmarktprodukte“ immer raffinierter wurden, bis hin zu den berüchtigten Subprime-Hypothekenkrediten. Die logische Folge war die Finanzkrise vom September 2008.
Für diese Ereignisse war der Meinungsaustausch vom 13. Mai 1996 natürlich nicht die einzige Ursache. Solche Treffen beschleunigen lediglich eine bereits vorhandenen Trend: das Primat der Interessen der Finanzindustrie gegenüber denen der Realwirtschaft. Und im damaligen US-Kongress, der das Glass-Steagall-Gesetz abgeschafft hat, waren nicht die Demokraten, sondern die Republikaner in der Mehrheit. Für sie war die weitere Liberalisierung des Bankensektors nur die konsequente Umsetzung ihrer ultraliberalen Ideologie, ganz nach den Wünschen ihrer Geldgeber, der Banken. Die hatten ihr Geld nicht nur an die Demokraten gespendet, sondern auch – und noch reichlicher – an die republikanischen Abgeordneten. Die Regierung Clinton hätte sich also den Wünschen der Wall Street ohnehin nicht viel länger widersetzen können.
Zudem war Clintons Finanzminister Robert Rubin Vorstandsvorsitzender von Goldman Sachs gewesen. Denselben Posten bekleidete später auch Henry Paulson, der während der Finanzkrise im September 2008 an der Spitze des US-Finanzministerium stand. Damals ließ der ehemalige Goldman-Sachs-Chef zwei Konkurrenten von Goldman Sachs, Bear Stearns und Merryl Lynch, fast bankrottgehen. Dagegen wurde er sehr aktiv, als die American Insurance Group (AIG), einer der weltgrößten Versicherungskonzerne, in die Knie zu gehen drohte. Das hätte schlimmste Folgen für die AIG-Gläubiger gehabt, vor allem für den größten: Goldman Sachs.
Warum akzeptiert eine Bevölkerung, die mehrheitlich keineswegs reich ist, dass ihre politischen Vertreter eine Politik betreiben, die vor allem die Forderungen von Unternehmen, Bankern und Wirtschaftsanwälten bedient und die bestehenden wirtschaftlichen Machtverhältnisse konsolidiert, statt diese im Namen der demokratischen Legitimität infrage zu stellen? Und wieso glauben die Wähler, was die Reichen, die es zu Volksvertretern gebracht haben, ihnen immer einreden: dass das Gemeinwohl erfordere, die Interessen der privilegierten Klassen zu bedienen, weil allein sie die Macht hätten, zu investieren oder nicht zu investieren und damit die Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern – weshalb man sie ständig umwerben und bei Laune halten müsse.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist in dieser Hinsicht Italien (siehe Seite 20/21). Dort musste einer der reichsten Männer der Welt noch nicht einmal in eine Partei eintreten, um seinen Einfluss geltend zu machen. Berlusconi schuf vielmehr, als Instrument seiner kommerziellen Interessen, seine eigene Partei Forza Italia. Seit 1994 hat das italienische Parlament 18 Gesetze verabschiedet, die entweder Berlusconis Unternehmensimperium begünstigen oder ihn vor strafrechtlicher Verfolgung schützen sollen.5 Vor der nächsten Stufe der Korrumpierung durch Interessengruppen hat der Justizminister Costa Ricas, Francisco Dall’Anese gewarnt. Er sieht die Gefahr, dass Staaten nicht nur Politik für die Banken, sondern auch für kriminelle Organisationen machen: „Die Drogenkartelle werden politische Parteien kontrollieren, Wahlkämpfe finanzieren und am Ende die Regierungen kontrollieren.“6
Wie die Erfolge der italienischen Rechtsparteien bei den Regionalwahlen vom März 2010 zeigen, hat die oben angeführte Gesetzgebungsbilanz der Regierung Berlusconi auf das Wahlverhalten der Bürger keinerlei Einfluss. Viel eher könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Wähler dem Verfall der politischen Sitten ohnmächtig zusehen und sich mit der Korruption der Volksvertreter längst abgefunden haben.
Regieren heißt eigentlich planen
Empörung bringt ja nichts, wenn die gewählten Politiker ohnehin nur die Interessen der neuen Oligarchen bedienen oder versuchen, selbst zu den Spitzenverdienern aufzuschließen? Komischerweise war es John McCain, der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat der Republikaner, der so treffend sagt: „Die Armen spenden nicht für Parteien.“ John McCain ist heute Lobbyist der Finanzindustrie.
Bill Clinton hat im ersten Monat nach Ende seiner Amtszeit genauso viel Geld verdient wie in den 53 Jahren davor. Von Goldman Sachs bekam er für vier Vorträge 650 000 Dollar, von der Citigroup für einen einzigen Auftritt in Frankreich 250 000 Dollar. In Clintons letztem Amtsjahr belief sich das Einkommen des Präsidentenehepaars laut Steuererklärung auf 375 000 Dollar; Bill Clinton allein verdiente zwischen 2001 und 2007 insgesamt 109 Millionen Dollar. Bekanntheitsgrad und Kontakte einer politischen Karriere lassen sich heutzutage vor allem nach deren Ende in klingende Münze verwandeln. Deshalb findet man so viele ehemalige Volksvertreter auf gut bezahlten Positionen in Unternehmen und Banken wieder. Wie heißt es so schön: Regieren bedeutet, die Zukunft zu planen.
Aber der Wechsel aus dem Staatsdienst in die Privatwirtschaft erklärt sich heute nicht mehr ausschließlich aus dem zwanghaften Bedürfnis, bis zum Ende des Lebens zur Geldelite zu gehören. Die Bereiche, in denen Macht und intellektuelle Hegemonie heutzutage konzentriert sind – und manchmal stärker als beim Staat –, sind die Privatwirtschaft, der internationale Finanzsektor oder NGOs, die mit bestimmten Branchen vernetzt sind. Viele Absolventen der französischen Elitehochschulen wie der Ecole nationale d’administration (ENA), der Ecole normale supérieure (ENS) oder der Polytechnique, die ursprünglich für die Ausbildung der Spitzenbeamten gedacht waren, ziehen inzwischen eine prestigeträchtige und hochdotierte Karriere in der Finanzindustrie dem Staatsdienst vor.
Der ehemalige französische Premierminister Alain Juppé, Absolvent der ENA und der ENS, bekannte einmal in einem Interview, auch er habe sich für die Welt der Hochfinanz begeistert: „Wir waren alle fasziniert, einschließlich der Journalisten. Die ‚Golden Boys‘, das war doch eine tolle Sache! Ganz junge Kerle, die nach London gingen, da vor ihren Computern saßen und in Sekundenbruchteilen Milliarden Dollar verschoben, die im Monat hunderte von Millionen Euro verdienten, das hat alle fasziniert! Ich wäre nicht völlig ehrlich, wenn ich leugnen würde, dass mich von Zeit zu Zeit der Gedanke heimgesucht hat: Wenn ich das gemacht hätte, wäre meine Situation heute ganz anders.“7
„Keinerlei Bedenken“ wegen seines Wechsels in die Privatwirtschaft empfindet der ehemalige französische Handelsminister Yves Galland, der Vorstandsvorsitzende von Boing France wurde, einem Konkurrenten des vom französischen Staat geförderten Airbus-Herstellers. Keinerlei Bedenken hat auch Clara Gaymard, die Frau des ehemaligen französischen Finanz- und Wirtschaftsministers Hervé Gaymard. Nach einer Karriere als Beamtin im Finanzministerium und Regierungsbeauftragte für internationale Investitionen wurde sie Vorstandsvorsitzende von General Electric France. Auch Christine Albanel hat keine Gewissensbisse: Nachdem sie drei Jahre lang Ministerin für Kultur und Kommunikation war, hält sie es auch danach mit der Kommunikation – nunmehr aber für die France Télécom.
Unsummen für die Lobby
In den USA wird von den aus dem Kongress ausscheiden Senatoren jeder zweite zum Lobbyisten. Dabei treten sie oft in den Dienst von Unternehmen, deren Branche sie als Gesetzgeber reglementiert haben. Das Gleiche galt für 283 Spitzenbeamte der Regierung Clinton und 310 der Regierung Bush.
In den USA wird der Jahresumsatz der Lobbyverbände auf 8 Milliarden Dollar geschätzt. Das ist eine riesige Summe, aber auch die erzielten Gewinne sind außergewöhnlich. So wurde 2003 der Steuersatz für Auslandsgewinne der Banken Citigroup, JPMorgan Chase, Morgan Stanley und Merryl Lynch von 35,5 auf 5,25 Prozent gesenkt. Die für das entsprechende Gesetz nötige Lobbyarbeit kostete 8,5 Millionen Dollar, die erzielte Steuerersparnis belief sich auf 2 Milliarden Dollar. Das Paragrafenwerk bekam den wunderbaren Namen „Gesetz zur Schaffung amerikanischer Arbeitsplätze“.8
Nach Ansicht von Alain Minc, Absolvent der ENA und (unbezahlter) Wirtschaftsberater von Nicolas Sarkozy wie auch (gegen Honorar) diverser Großindustrieller, „kann man in einer modernen Gesellschaft dem Gemeinwohl außer im Staatsdienst womöglich auch im Unternehmensbereich dienen“.9 Das Gemeinwohl ist allgegenwärtig.
Die Attraktion der Privatwirtschaft und ihrer Gehälter machten auch der Linken zu schaffen. So schrieb etwa François Hollande, damals Generalsekretär der Sozialistischen Partei Frankreichs: „Als die linken Parteien 1981 an die Regierung kamen, vollzog sich innerhalb der Großbourgeoisie gerade ein Erneuerungsprozess. […] Es war der Staatsapparat, der dem Kapitalismus seine neue Führungsschicht lieferte. […] Diese Leute, die aus dem öffentlichen Dienst kamen, stiegen zu noveaux riches auf und spielten sich gegenüber den Politikern, die sie einmal berufen hatten, jetzt als Chefs auf.“10
Die Politiker fanden das auch deshalb nicht weiter schlimm, weil immer mehr Menschen ihr Geld in Pensions-, Aktien- und Immobilienfonds anlegten. Damit waren sie, oft ohne es zu wollen, an die Interessen der Finanzindustrie gekettet. Für die Politiker war daher die Privilegierung der Interessen der Banken und der Aktienmärkte mit dem Argument zu rechtfertigen, man habe nur das Wohl der armen Witwen und der einfachen Angestellten im Auge, die sich Aktien zur Aufbesserung ihrer Gehälter oder Renten zugelegt haben. 2004 zielte George W. Bush mit seinem Wahlkampf genau auf die Stimmen dieser Kleininvestoren.
Das Wall Street Journal hat dies genau erkannt: „Je mehr Aktien die Wähler besitzen, desto ausgeprägter ist ihre Unterstützung für eine liberale Wirtschaftspolitik, die das Markenzeichen der Republikaner ist. […] 58 Prozent der Amerikaner haben heute mittel- oder unmittelbar Geld an den Finanzmärkten angelegt; vor sechs Jahren waren es nur 44 Prozent. Unabhängig von der Einkommenshöhe ist bei Aktionären die Tendenz, zu den Republikaner zu halten, ausgeprägter als bei Nichtaktionären.“11 Das erklärt, warum George W. Bush das Rentensystem unbedingt auf eine ausschließliche kapitalfinanzierte Versicherung umstellen wollte.
Der Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon zieht das Resümee: „Seit zwanzig Jahren hat sich die Politik der Finanzindustrie untergeordnet. Die Regierungen werden sich erst dann gegen deren Dominanz zur Wehr setzen, wenn die Banken sie direkt an einem Punkt angreifen, an dem sie das nicht hinnehmen können.“12
Demnächst wird sich zeigen müssen, ob die ständigen Demütigungen, die den Staaten von „den Märkten“ zugefügt werden, und die allgemeine Wut über den Zynismus der Banken in unseren Politikern den kleinen Rest an Stolz wachrütteln, der ihnen noch verblieben ist. Der Test wird sein, wie einschneidend die Maßnahmen ausfallen, die Deutschland, Frankreich, die USA und die G-20-Staaten zur Eindämmung der Spekulation ergreifen werden.
Aus dem Französischen von Harald Greib