10.01.2014

Brasiguayos

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Brasiguayos

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Ein knappes Drittel der Anbauflächen in Paraguay – alles in allem etwa 7,7 Millionen Hektar – befindet sich im Besitz von Ausländern. Allein 4,8 Millionen Hektar gehören Brasilianern, vor allem in den Grenzgebieten im Osten des Landes. Zu diesem Ergebnis kommen das Sozialforschungsinstitut Base und Alberto Alderete von der Nichtregierungsorganisation Rechtsberatung für Agrarentwicklung (Seija) in einer gemeinsamen Studie auf der Basis der Landwirtschaftszählung von 2007/08.

Die sogenannten Brasiguayos – viele von ihnen übrigens deutscher Abstammung – kamen nach dem verlorenen Krieg gegen die Tripel-Allianz aus Brasilien, Argentinien und Uruguay (1864 bis 1870) ins Land. Damals durften staatliche Ländereien erstmals legal verkauft werden. Eine zweite Welle folgte in den 1970er Jahren. Land war billig in Paraguay und illegale Abholzung kein Problem.

Diese Entwicklung schritt nach dem Ende der Stroessner-Diktatur 1989 weiter fort. Brasilianische Siedler brachten die industrielle Landwirtschaft mit und bildeten die Vorhut des Sojaanbaus. Sie bauten landwirtschaftliche Großbetriebe auf und kamen dadurch in Konflikt mit den Bauern vor Ort.

Wie man mit der indigenen Bevölkerung fertig wird, darüber hatten die Neuankömmlinge zuvor schon in ihrer Heimat einiges gelernt. „Die große Mehrheit kam mit einer Pioniermentalität nach Paraguay“, erklärt der Leiter des Landesamts für Gesundheit und Qualität von Pflanzen und Saatgut (Senave), Miguel Lovera. „Die Siedler wollten schnelles Geld machen und waren bereit, sich notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Sie warfen die Sitten und Gebräuche, Normen und Umweltgesetze einfach über den Haufen, von Arbeitsgesetzen gar nicht zu reden.“ Obwohl sie aufgrund der weitgehenden Mechanisierung nur wenig Personal benötigen, behandeln sie ihre Arbeiter oft fast wie Sklaven, so Lovera weiter. Sie haben ihre eigenen Sicherheitsdienste, und den örtlichen Bauern zahlen sie oft einen geringeren Lohn als ihren Wachleuten. Esther Leiva von der Kleinbauernorganisation Organisación Lucha por la Tierra (OLT), die ständig mit Landbesetzern zu tun hat, sagt es ganz deutlich: „Wenn Sie deren Land betreten, können sie auf Sie schießen.“1

„Bei den Brasiguayos gibt es verschiedene Varianten“, erläutert der Ökonom Luis Rojas. „ ‚Echte‘ Brasilianer, solche, die die paraguayische Staatsangehörigkeit erworben haben, und Einwandererkinder der zweiten und dritten Generation. Aber ob sie nun einen paraguayischen Pass besitzen oder nicht, sie haben eine starke Bindung an ihr Herkunftsland.“

Es gibt grenznahe Gebiete, wo alle Radio- und Fernsehstationen auf Portugiesisch senden. Dort sprechen sie auch noch ihre Heimatsprache, haben ihre eigenen Schulen und Kirchen und sind wirtschaftlich eng mit brasilianischen Unternehmen verflochten.

„Uns ist das überhaupt nicht recht“, erzählt Isebiano Diaz, ein Bauer aus einer Siedlung im Verwaltungsbezirk Caazapá, und gibt damit das Grundgefühl in seiner Gemeinde und vielen anderen wieder. „Sie bringen die Leuten auf komische Ideen.“ Ein Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit? „Es gibt Ablehnung“, sagt Rojas, „aber die Sache ist komplizierter: Keiner interessiert sich für das Wohlergehen der Kleinbauern. Aber die Brasiguayos sind gut im Geschäft – und das eben vor allem in den Branchen, die die Bauern um ihr Land bringen.“

Auch wenn sich die brasilianische Exilgemeinde wenig ins politische Leben Paraguays einmischt: Sobald sie ihre Interessen berührt oder gefährdet sieht, übt sie massiven Druck aus. Und setzt sich meistens durch, weil sie in Regierungskreisen uneingeschränkte Unterstützung genießt. „Auf mittlere Sicht“, meint Alberto Alderete von der Nichtregierungsorganisation Seija, „werden sich die großen Ländereien wohl zu brasilianischen Enklaven auf paraguayischem Territorium entwickeln.“M. L.

Fußnote: 1 Siehe auch www.youtube.com/watch?v=afKIgzG8GwI.

Le Monde diplomatique vom 10.01.2014, von M. L.