10.01.2014

Zwanzig Jahre Krieg

zurück

Zwanzig Jahre Krieg

Das ganz normale Leben im Ostkongo von Sabine Cessou

Audio: Artikel vorlesen lassen

Die Zufahrt zum Gelände des Viersternehotels Ihusi wird von sechs indischen Blauhelmsoldaten bewacht. Ne-ben der Hotelboutique spuckt ein Geldautomat Hundertdollarnoten aus – das einzige Zahlungsmittel, das in Goma akzeptiert wird. „Grüne Scheine bar auf die Hand, das ist die inoffizielle Währung hier“, erklärt ein Hotelmanager. Sogar die Steuern sollen in Dollar beglichen werden, verlangt das Finanzamt der Demokratischen Republik Kongo. Kongolesische Francs sieht man nur als Wechselgeld. Der schwankende Kurs der einheimischen Währung ist offensichtlich wenig vertrauenerweckend.

Julien Paluku, der Gouverneur der Provinz Nord-Kivu, verlässt mit seiner Entourage das Hotel. Der heute 45-jährige Paluku kämpfte einst in Laurent-Désiré Kabilas Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung Kongos (AFDL), die 1997 mithilfe des Nachbarstaats Ruanda den langjährigen Staatschef Joseph Mobutu (1965 bis 1997) stürzte.1 Danach hatte er sich einer anderen Widerstandsbewegung angeschlossen, der Kongolesischen Vereinigung für Demokratie (RCD).

Aus der RCD ist die Bewegung 23. März (M23) hervorgegangen, die wie viele andere Rebellengruppen beschuldigt wird, eine Marionette der Regierungen von Ruanda und Uganda zu sein.2 Inzwischen hat es Paluku geschafft, sich seinen eigenen Platz an der Sonne zu sichern – dank einer Reihe von Friedensabkommen mit bewaffneten Gruppen, die immer wieder unter neuen Namen firmieren. Seit 2007 ist Paluku der eigentliche Herrscher von Nord-Kivu.

Heute tritt er in einem schimmernden Anzug auf, mit Cowboyhut und spitzen Schuhen. Offensichtlich hat er Besseres zu tun, als sich mit einer Abgeordneten des Europaparlaments zu treffen. Die niederländische Grüne Judith Sargentini ist mit Vertretern der Entwicklungsorganisation CCFD3 angereist, um sich über die „Blutmineralien“ zu informieren. Die fruchtbare Provinz Nord-Kivu liegt an der Grenze zu Ruanda, hat 6,2 Millionen Einwohner (das sind knapp 10 Prozent der Gesamtbevölkerung) und wird von einem Konflikt zerrieben, bei dem es um Zinn, Gold und Diamanten geht, vor allem aber um Coltan, das für die Herstellung zahlreicher Elektronikgeräte unentbehrlich ist.

Anfang November 2013 sind nur 50 Kilometer nördlich von Goma die Kämpfe zwischen den Streitkräften und der M23 wieder aufgeflammt. Dass Paluku heute so eilig abreist, hat allerdings einen anderen Grund: Er will nach Hause vor den Fernseher, um das Fußballspiel Real Madrid gegen Barcelona nicht zu verpassen.

2012 hatten M23-Kämpfer die Außenbezirke von Goma mehrere Monate lang besetzt gehalten. Sie zogen erst wieder ab, nachdem im Februar 2013 auf der Internationalen Konferenz über die Region der Großen Seen (ICGLR)4 ein Abkommen erzielt worden war. Im vergangenen November wurde die Bewegung von der kongolesischen Armee zwar besiegt, aber erst nachdem Großbritannien und die USA die ruandische Regierung dazu gebracht hatten, die Unterstützung der M23 einzustellen.

Tagsüber wirkt Goma wie eine ganz normale Stadt: breite Boulevards, reiche und arme Viertel, Straßenkreuzungen mit überdachten Podesten in der Mitte, auf denen Polizisten den Verkehr regeln, Schuhmacher, die auf den Bürgersteigen sitzen und „Pantoffeln“ reparieren, wie hier die Flipflops genannt werden. Und immer wieder verfallene Häuser, was niemanden zu kümmern scheint. Dazu überall die Tchoukoudous, lange Bretter auf Rädern, halb Roller, halb Fahrrad, mit denen alle möglichen Waren transportiert werden, bis hin zu Kartoffelsäcken und Ballen aus Maniokblättern.

Doch kaum wird es gegen 18 Uhr dunkel, leeren sich die Straßen und die Motorradtaxis haben Fahrverbot. Die „Sperrstunde“ soll die Verfolgung von Dieben erleichtern, die im Schutz der Dunkelheit flüchten. In den Internetcafés und den kleinen Restaurants, den „Maquis“, ist keine einzige Frau zu sehen. Sie wollen nichts riskieren, denn Vergewaltigungen gehören in den Kriegen dieser Region zu den gängigen Kampfmethoden. Die letzten Läden schließen um 20 Uhr, aus Angst vor Plünderern. Man sieht Ladenschilder wie „Fleischerei Ohne Gott ist alles nichts“, „Schreibwarenhandlung Friedlich“, „Restaurant zur leckeren Soße“ – als wollten ihre Besitzer das Unglück, das die Stadt befallen hat, mit guten Namen bannen.

In Goma, etwa 1 200 Kilometer von der Hauptstadt Kinshasa entfernt, leben heute mehr als eine Million Einwohner. Die Stadt ist in den letzten Jahren, in denen der Zustrom von Vertriebenen niemals abgerissen ist, unablässig gewachsen. Goma war bereits das Epizentrum der beiden Kongokriege von 1996/97 und von 1998 bis 2003, in denen mehr als 4 Millionen Menschen umgekommen sein sollen (diese Zahlen sind allerdings umstritten, siehe nebenstehenden Artikel von Michel Galy). Nach dem Ausbruch des nahe gelegenen Vulkans Nyiragongo im Februar 2002 gab es zahlreiche Todesopfer und ein Teil der Stadt wurde vom Lavastrom zerstört. Noch heute liegen am Rande der Straße nach Uganda schwarze Lavabrocken.

Dem immer noch aktiven Nyiragongo verdankt die Gegend allerdings auch ihre fruchtbare Erde und viele ihrer Bodenschätze. Der Krater des Vulkans wird durch einen Lavasee ausgefüllt, über dem ständig eine Rauchwolke steht. „Goma heute, das ist Krieg, Vergewaltigungen und der Vulkan“, sagt Marthe Bosuandole, eine Journalistin aus Kinshasa. Dennoch wolle jeder Mensch im Kongo irgendwann diese Stadt besuchen, die unter Mobutu ein beliebtes Ferienziel war: „Wegen des Sees, des milden Höhenklimas und der vielen mehrstöckigen Häuser galt Goma schon immer als eine schöne Stadt.“

Internationale Helfer auf Rohstoffsuche

Am Abend auf der Terrasse des Ihusi-Hotels: Die zahlreichen ausländischen Besucher genießen den freien Blick auf den Kivusee. Da sitzen Offiziere der Monusco,5 der mit 19 000 Soldaten größten UN-Mission in Afrika, neben Piloten der südafrikanischen Luftwaffe. Letztere lassen indiskreterweise durchblicken, dass ihre Mission eine nachrichtendienstliche ist: „Nein, Madame, wir fliegen nicht die UN-Helikopter, sondern südafrikanische Oryx-Hubschrauber“, brüstet sich ein Offizier mit unverhohlenem Stolz.

Südafrika stellt zusammen mit Tansania und Malawi die Soldaten für die „Interventionsbrigade“ der Vereinten Nationen, die seit Juli 2013 die Monusco-Blauhelme ergänzt und unterstützt. Die Spezialtruppe, zu deren drei Infanteriebataillonen insgesamt 2 500 Soldaten gehören, scheint eher an konkreten Ergebnissen interessiert als ihre Monusco-Kameraden aus Indien oder Uruguay, denen mitunter nachgesagt wird, dass sie lediglich als „militärische Touristen“ im Kongo seien.6 Wobei insbesondere die Bergbaugroßmacht Südafrika bestrebt sein dürfte, über die Vorgänge in dieser strategisch extrem wichtigen Region auf dem Laufenden zu bleiben. Im Virunga-Nationalpark am Fuße des Vulkans hat man 2012 zum Beispiel Erdöl entdeckt, und der britische Ölkonzern Soco hat bereits mit Prospektionen begonnen.7

Ein paar Tische weiter sitzt ein politischer Berater der belgischen Botschaft in Kinshasa. Wim Schaerlaekens reist öfter nach Goma, um „das Fieber zu messen“, wie er sagt. „Die Ruander haben hier nicht mehr das absolute Sagen. Die internationale Gemeinschaft, auch die afrikanischen Länder wie Südafrika und Angola, wollen das einfach nicht mehr hinnehmen.“

Um zu verstehen, was in Kongo geschieht, muss man sich das verwirrende Bündnisgeflecht in dieser Region vergegenwärtigen. Der ugandische Präsident Yoweri Museveni zum Beispiel war lange Zeit ein Verbündeter von Mobutu, Präsident des damaligen Zaire. Dann unterstützte er auch Paul Kagame und den Kampf, den dieser seit 1993 mit seiner Ruandischen Patriotischen Front gegen das rassistische Regime von Juvénal Habyarimana führte. Als Kagame im Frühjahr 2000 Präsident von Ruanda wurde, verbündete er sich mit Laurent-Désiré Kabila, dem Vater des jetzigen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila.

Dass sämtliche Friedensverhandlungen über den östlichen Kongo in Uganda stattfinden, erklärt sich allein aus dem Recht des Älteren: Museveni, 69 Jahre alt und seit 1986 an der Macht, lädt einfach immer wieder alle in die Hauptstadt Kampala ein. Der 42-jährige Kabila, der immerhin das flächenmäßig größte und rohstoffreichste Land des subsaharischen Afrika regiert, wirkt daneben wie ein Befehlsempfänger. Und jedes Mal muss er von Neuem mit seinen beiden unbequemen Paten Museveni und Kagame die Verteilung des Rohstoffkuchens in Ostkongo aushandeln.

„Es gibt nichts zu verhandeln! Alle bewaffneten Gruppen müssen zerschlagen werden! Die internationale Gemeinschaft soll aufhören, immer nur zum Dialog aufzurufen!“ Die Bauern von Kibumba sind wütend. Ihr Dorf liegt knapp 30 Kilometer von Goma entfernt und wurde Ende Oktober 2013 aus den Händen der M23 befreit. Die Bauern schimpfen auf Mary Robinson, die UN-Sondergesandte für die Region der Großen Seen, die unentwegt auf neue Friedensverhandlungen pocht. Die „internationale Gemeinschaft“ – hier wird sie lediglich als eine Partei in dem endlosen Konflikt gesehen, bei dem sich alle Beteiligten in Wahrheit nur für die Ausbeutung des kongolesischen Rohstoffreichtums interessieren.

Die Kleinbauern versuchen das Wenige, das sie anbauen konnten, an der Straße zu verkaufen. Derzeit sind es nur Frühlingszwiebeln und Kohlköpfe, die Kartoffeln konnten sie wegen der Kämpfe nicht ernten. Die etwa 1 500 M23-Kämpfer – die teils Suaheli sprechen wie in Goma und teils Kinyarwanda wie in Ruanda – stehen in Verdacht, von Ruanda und Uganda bewaffnet und finanziert zu werden. Sie sind keineswegs alle Tutsi, wie sie glauben machen wollen; auch beschäftigungslose Hutu aus der Region wurden von der M23 rekrutiert. Ihren Sold haben sich die M23-Kämpfer verschafft, indem sie von den Einheimischen „Steuern“ eintrieben: „Sie haben 500 Francs (40 Eurocents) für alles Mögliche verlangt, für jedes Kind, für jedes Haus, sogar für die Nutzung der Straße, um in die Schule oder zum Markt zu gehen“, berichtet der 21-jährige Innocent aus Kibumba. „Wir mussten für sie schuften, und immer wieder wollten sie von uns wissen, wo die wertvollen Rohstoffe sind.“

2004 haben die Vereinten Nationen eine Expertengruppe für die DR Kongo ins Leben gerufen, um die Entwicklung in der Region zu überwachen. Deren Berichte über die Ausbeutung der Bodenschätze durch bewaffnete Gruppen brachten die westlichen Staaten dazu, endlich Druck auf die ruandische Regierung auszuüben. 2012 haben Deutschland, Großbritannien und die Niederlande die Entwicklungshilfe für Ruanda zeitweilig ausgesetzt – für den Staatshaushalt bedeuteten das Mindereinnahmen von rund 51 Millionen Euro. Über den Umfang des Rohstoffschmuggels erfährt man nirgendwo etwas, nicht einmal bei der Expertengruppe. Aus unerfindlichen Gründen haben die UN-Verantwortlichen beschlossen, keinerlei Schätzungen zu veröffentlichen, obwohl sie über recht genaue Informationen verfügen.

Allein die Coltanmine in Rubaya, einem Dorf in der Gegend von Masisi im Westen Gomas, erzielt schon Einnahmen in Höhe von etwa 3,5 Millionen Dollar – pro Monat. „Seit Anfang letzten Jahres haben wir monatlich 50 Tonnen verkauft“, berichtet der aus dieser Provinz stammende Abgeordnete Robert Seninga. Der hochgewachsene Mann ist zugleich Geschäftsführer der Genossenschaft Coopérama, die die Mine betreibt. Er steht in Verdacht, mit der M23 zusammenzuarbeiten, um das Erz nach Ruanda zu schaffen, von wo aus es nach China exportiert wird.

Bewacht wird die Coltanmine in Rubaya von einer Miliz namens Nyatura („Mit Gewalt nehmen“ in der lokalen Sprache Kinyarwanda), die sich aus Ortsansässigen rekrutiert. „Wegen der unsicheren Lage in der ganzen Region und der hohen Arbeitslosigkeit im Dorf bleibt den jungen Leuten keine andere Wahl: Entweder sie schließen sich einer der bewaffneten Gruppen an und oder sie gehen in die Mine“, sagt der Journalist Chrispin Mvano aus Goma, der für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitet.

„Wir sind sehr stolz auf unsere Armee. Es macht uns wirklich froh, dass sie endlich die M23 besiegt hat“, erklärt uns ein Student in Goma. Seine Kommilitonen beobachten die Entwicklung sehr genau. Die Universität funktioniert zwar noch, aber mehr schlecht als recht. Die Fassade des Instituts für Wirtschaftswissenschaften ist komplett in Blau gestrichen – die Markenfarbe des Mobilfunkanbieters Vodacom. „Die Eltern sind mittellos“, erzählt uns ein Soziologieprofessor. „Die Studenten arbeiten als Motorradtaxifahrer oder als Nachtwächter, um die Studiengebühren von 300 Dollar pro Jahr zu verdienen, und Miete müssen sie ja auch zahlen; ein kleines Zimmer kostet schon 15 bis 25 Dollar pro Monat.“ Auch die Professoren müssen nebenbei noch andere Jobs machen: „Unser Gehalt wird nur unregelmäßig ausgezahlt. Zwei oder drei Monate kann man auch ohne Einkünfte durchhalten, aber danach wird’s eng. Dann müssen wir uns auf die Straße stellen und Holzkohle, Kohl oder Krapfen verkaufen.“

Die Kämpfe werfen ihre Schatten auch auf das Universitätsleben. Die Studenten organisieren ihren eigenen Sicherheitsdienst. Wenn ein Fremder auftaucht, wird er sofort umringt von zornigen jungen Männern. Einer der selbsternannten Ordnungshüter, der 21-jährige Dolphe Kalambayi, schwingt dabei einen Bakora, einen hölzernen Schlagstock, dem magische Kräfte zugeschrieben werden.

Der Politologiestudent stellt sich als „Kommandant des Universitätssicherheitsdienstes“ vor. Seine Mission: Er muss verhindern, „dass die Banditen die Hochschule plündern und unsere Diplome verbrennen“. Sein Vater diente noch in der M23-Vorgängerorganisation RCD, doch er selbst will lieber bei den regulären Streitkräften mitmachen – „um Vergeltung zu üben“, wie er sagt. Vergeltung wofür? „Zwanzig Jahre Krieg, das reicht! Während es in Ruanda dank unserer Reichtümer bergauf geht, geht es bei uns nur bergab. Der Krieg wird dahin zurückkehren, von wo er gekommen ist: nach Ruanda.“

Das Nachbarland treibt ein doppeltes Spiel

So kreisen viele Gespräche um Ruandas Präsidenten Kagame, der für sämtliche Probleme verantwortlich gemacht wird. Zunächst hatten sich Ruandas Übergriffe auf kongolesisches Gebiet gegen die Hutu-Miliz Interahamwe gerichtet, die sich nach dem Genozid an den Tutsi 1994 nach Ostkongo geflüchtet hatte. Aber danach diente die Verfolgung der Völkermörder nur noch als Vorwand, um sich in der Region – mithilfe von Rebellengruppen wie der M23 – dauerhaft zu etablieren.

Der 22-jährige Bonheur, der vergleichende Rechtswissenschaften studiert, hält sich aus den Diskussionen heraus. „Die Politik ist zu gefährlich“, meint er lächelnd. „Schon darüber zu sprechen, ist riskant.“ Er träumt davon, in Uganda zu studieren, in der Hauptstadt Kampala, wo bessere Bedingungen herrschen. Was er danach machen möchte, weiß er noch nicht. „Vielleicht für die Vereinten Nationen arbeiten, um für eine bessere Regierungsführung im Kongo zu sorgen. Die Leute haben schon zu viel gelitten. Hier in Goma ist eine Fleischmahlzeit schon der totale Luxus.“

Auf dem großen Markt von Virunga liegt das Gemüse, das zum Verkauf angeboten wird, auf dem Boden ausgebreitet. Die 25-jährige Riziki muss für ihren „Marktstand“ eine Gebühr entrichten, die etwa 8 Eurocent pro Tag entspricht. Ihre wöchentlichen Einnahmen liegen zwischen 10 und 30 Dollar. Für ein Kilogramm „beschädigter“ Tomaten nimmt sie 100 kongolesische Francs (8 Eurocents), für ein Kilo von bester Qualität schon 500 Francs (40 Eurocents). „Die meisten Leute hier können sich Fisch oder Fleisch nicht leisten“, erzählt Riziki. „Mindestens 3 000 kongolesische Francs (2,40 Euro) kostet ein Fisch, der von sehr weit herkommt. Im See hier nebenan wird nicht gefischt, warum, weiß ich auch nicht.“

Riziki isst höchstens zweimal im Monat Ziegen- oder Rindfleisch. Ansonsten gibt es eiweißreiche Bohnen, das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Allerdings werde das Angebot sofort knapp, wenn die Kämpfe wieder losgehen, erzählt die junge Marktfrau Riziki. Mehr kann oder will sie nicht über den Krieg sagen. Und wenn man sie fragt, um was es da überhaupt geht, lautet die Antwort: „Weiß ich nicht.“

Im Schein von Kerzen, Sturmlaternen oder Stirnlampen wird auf dem Markt noch bis 20 Uhr gehandelt. „Strom gibt es nur in den Unterkünften der VIPs, da wo die Monusco, der Gouverneur und die Ausländer untergebracht sind“, sagt die Marktfrau Maman Rebecca. Aber sie will sich nicht beklagen: „Trotz allem lässt es sich in Goma immer noch leben. Das Problem ist nur, dass die Lebensmittel immer teurer werden, weil so viele Flüchtlinge hier ankommen.“

Ein Stück weiter im Arbeiterviertel Kassika lassen die Marktfrauen ihrer Wut freien Lauf. „Wir sind Meister im Niedermetzeln“, klagt eine Maniokmehlverkäuferin. „Jeden Abend wird hier im Viertel jemand umgebracht. Und nachts schleichen Gangster oder marodierende Soldaten durch das Viertel und rauben die Häuser aus. Und wo bleibt die Polizei? Die lässt sich hier gar nicht erst blicken!“ Aber auch Patrouillen der Monusco-Blauhelme waren in den Straßen von Goma noch nie zu sehen.

„Oft wacht man morgens auf und erfährt, dass der und der tot ist“, erzählt Bissimwa Chifizi, Geschichtslehrer an der Realschule, und nebenberuflich Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts. „Kaum dass die Nacht vorbei ist, sind schon wieder zwei Morde geschehen. Die vielen Waffen, die in dieser Gegend kursieren, fallen früher oder später in die Hände von Dieben. Die sägen die Läufe der Kalaschnikows ab und machen daraus Revolver.“

Chifizi hat nach sechs Stunden Arbeit in seinem vier Quadratmeter großen und von drei Kerzen erleuchteten Laden lediglich 1,50 Euro eingenommen. Dafür hatte er genug Zeit, um seinen Nachbarn zu erzählen, was er als Vorsitzender des Ausschusses für die Elektrifizierung des Stadtteils erlebt hat: „Wir hatten genug Geld zusammengekratzt, um Stromkabel verlegen zu lassen und so dem staatlichen Stromversorger zu helfen. Aber er schickt uns einfach keinen Strom. Das ist bei denen schon zum Geschäft geworden: Die Vertreter der Elektrizitätsgesellschaft beliefern nur die, die am meisten bieten. Die sind so was von korrupt. Überall kassieren sie. In jeder kleinen Bäckerei oder Werkstatt.“

Und Wasser – „das hat es in Kassika nie gegeben“, erzählt eine Mutter. Für die 2 000 Bewohner der Häuser entlang der unbefestigten Gassen gibt es nicht einen einzigen Brunnen mit Trinkwasser. Die Frauen müssen das Wasser aus dem benachbarten Stadtteil Bisso holen, wo das Rote Kreuz einen Brunnen gebaut hat. Ein Kanister mit 20 Litern lässt sich für 4 Eurocents weiterverkaufen. „Wir sind so etwas wie ein Nichtstaat“, klagt Chifizi. „Die Behörden schicken die NGOs nicht zu Projekten, die sich um das Allgemeinwohl kümmern. Sie werden allein für Notfälle und die Versorgung mit Lebensmitteln gebraucht.“

Nachts sitzen überall in der Stadt Gruppen von Jugendlichen am Straßenrand und grillen Würstchen aus Hundefleisch. Von Zeit zu Zeit hört man Pfiffe. So warnen die Leute einander vor Einbrechern.

Fußnoten: 1 Siehe Colette Braeckman, „Der Kongo und seine Nachbarn“, Le Monde diplomatique, November 1999. 2 Siehe Juan Branco, „Afrikanische Machtspiele“, Le Monde diplomatique, November 2012. 3 Das „Comité catholique contre la faim et pour le développement“ (CCFD-Terre Solidaire) entspricht etwa dem deutschen Hilfswerk Misereor. 4 Die ICGLR ist eine 2006 gegründete zwischenstaatliche Organisation, zu der Angola, Burundi, die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische Republik Kongo, Kenia, Ruanda, Sambia, der Sudan, der Südsudan, Tansania und Uganda gehören. 5 Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo; bis 2010 wurde sie als Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) bezeichnet. 6 Diesen Vorwurf äußerte im Dezember 2012 der ugandische Präsident Yoweri Museveni nach dem Angriff der M23-Rebellenbewegung einen Monat zuvor auf die Stadt Goma, in der nur 1 500 Blauhelme stationiert waren. 7 Wegen Verstoßes gegen die humanitären und die Umweltschutzrichtlinien der OECD hat der World Wide Fund For Nature (WWF) eine Klage gegen die Aktivitäten von Soco angestrengt: wwf.panda.org/?211151. Aus dem Französischen von Nicola Liebert Sabine Cessou ist freie Journalistin.

Was wann geschah

1994 Völkermord an den Tutsi in Ruanda. Im zairischen Goma entsteht ein riesiges Flüchtlingslager.

Mai 1997 Die Banyamulenge, Angehörige einer mit den Tutsi verwandten Ethnie in der Region Kivu, beteiligen sich mit Unterstützung von Burundi, Uganda und Ruanda am Sturz des zairischen Präsidenten Mobutu Sese Seko. Neuer Präsident wird Laurent-Désiré Kabila, Zaire nennt sich fortan Demokratische Republik Kongo. Ende des Ersten Kongokriegs.

August 1998 Mit Hilfe Ruandas gründen die Banyamulenge von Goma eine politisch-militärische Organisation, die Kongolesische Vereinigung für Demokratie (RCD). Beginn des Zweiten Kongokriegs.

Juli 1999 Waffenstillstand von Lusaka.

30. November 1999 Der UN-Sicherheitsrat beschließt die Mission der Vereinten Nationen in der DR Kongo (Monuc).

16. Januar 2001 Mordanschlag auf Präsident Laurent-Désiré Kabila, der zwei Tage später stirbt. Sein Sohn Joseph wird zehn Tage danach zum Nachfolger ernannt.

30. Juli 2002 Abkommen von Pretoria zwischen der DR Kongo und Ruanda: Die ruandischen Hutu-Rebellen werden entwaffnet, dafür zieht Ruanda seine Truppen aus der DR Kongo zurück.

31. Dezember 2002 Abkommen von Gbadolite: Ende des Zweiten Kongokriegs.

2004 Kampfhandlungen zwischen den Streitkräften der DR Kongo (FARDC) und zwei Banyamulenge-Gruppierungen in Bukavu (Süd-Kivu) wie auch mit der RCD in Kanybayonga (Nord-Kivu).

30. August 2007 Kämpfe in Nord-Kivu zwischen FARDC und dem Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) des früheren RCD-Kämpfers Laurent Nkunda.

Januar 2008 Friedenskonferenz in Goma.

März 2012 Zusammenstöße zwischen FARDC und den Mai-Mai-Rebellen der Allianz der Patrioten für einen freien und souveränen Kongo (APCLS) in Nord-Kivu.

Mai 2012 Gründung der Bewegung 23. März (M23), die im November Goma einnimmt.

18. März 2013 Kapitulation des M23-Anführers Bosco Ntaganda.

Le Monde diplomatique vom 10.01.2014, von Sabine Cessou