Chefsache Iran
Die neuen Sanktionen stellen die russisch-iranischen Beziehungen erneut auf die Probe von Jacques Lévesque
Am 9. Juni hat der UN-Sicherheitsrat neue Sanktionen gegen den Iran beschlossen. Dass Russland und China die Resolution unterstützten, während die Türkei und Brasilien dagegen stimmten, zeigt die Unschlüssigkeit der „internationalen Gemeinschaft“. Das Votum ist außerdem eine Belastungsprobe für die komplizierte Partnerschaft zwischen Teheran und Moskau.
Kurz nachdem die USA ihre Initiative für neue Sanktionen dem Sicherheitsrat vorgelegt hatten, sagte Präsident Ahmadinedschad: „Unser Volk weiß nicht mehr, ob die Russen seine Freunde sind.“ Doch John Bolton, ehemaliger UN-Botschafter der USA, meinte, Russland gestehe Präsident Obama im Fall Iran auch nicht mehr zu als seinem Vorgänger Bush – trotz des Verzichts auf den Raketenschutzschild in Polen und Tschechien und seiner Zurückhaltung im Georgien-Konflikt 2008 (damals stand Obama im Wahlkampf gegen John McCain).
In welche Richtung sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Iran entwickeln, wird sich an zwei zentralen Punkten zeigen: Der eine ist die von russischen Unternehmen gebaute Atomanlage von Buschehr, deren Inbetriebnahme von Russland mehrmals aufgeschoben wurde, um Teheran dazu zu bewegen, die Forderungen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEO) zu erfüllen. Während des Besuchs von US-Außenministerin Clinton in Moskau im März kündigte Ministerpräsident Putin an, die Anlage werde in diesem Sommer ihren Betrieb aufnehmen.1
Der zweite Testfall ist die ausstehende Lieferung der russischen Luftabwehrraketen mit kurzer Reichweite vom Typ S-300. Der Kaufvertrag über 800 Millionen Dollar datiert vom Dezember 2007, doch die Lieferung an den Iran wurde auf Betreiben Washingtons zurückgestellt. Dabei sind diese Verteidigungswaffen – im Gegensatz zu anderen – aufgrund der russischen Intervention nicht von den Sanktionen betroffen.
Bei den meisten Gesprächspartnern in Teheran war das Misstrauen gegenüber Russland bereits vor der Vorlage der neuen Resolution zu spüren. Diese Haltung geht teilweise mit einer traditionellen Verachtung Russlands einher, die sich aus dem Gefühl einer ererbten Überlegenheit der großen persischen Zivilisation speist. Ein Experte, der von der Regierung in Teheran mit der Gründung einer iranisch-russischen Freundschaftsgesellschaft beauftragt wurde, muss einräumen, dass das Vorhaben gescheitert ist. Der Grund sei ein weitverbreitetes Desinteresse an Russland, nicht nur im intellektuellen Milieu. „Egal ob in Wirtschaft, Technologie oder Kultur, was sollen wir von diesem Land schon lernen?“, fragt er. „Wenn Sie nur ein paar Kilometer aus Moskau herausfahren, dann sehen Sie, dass da die Dritte Welt ist – und nicht hier. Wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten mit den Ländern Europas.“ Er fügt hinzu, dass die gegenwärtige Partnerschaft zwischen Iran und Russland vor allem der Feindseligkeit der USA und ihrer Verbündeten gegenüber der islamischen Republik geschuldet sei.
Andere meinen, der Iran sei sowieso nur eine Karte im politischen Spiel zwischen Moskau und Washington und dass in den höchsten iranischen Machtzirkeln die Anhänger einer engen politischen Bindung an den Kreml in der Minderheit seien. Ein ehemaliger Staatssekretär im Außenministerium sagt aber auch: „Wir verstehen, dass Russland sich mit den USA arrangieren muss, und wir müssen die Folgen für uns im Einzelfall sachlich abschätzen.“
Der Wunsch des Iran, seinen Beobachterstatus in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)2 in eine Vollmitgliedschaft umzuwandeln, sei von Russland und China abgelehnt worden, um auf Empfindlichkeiten in Washington Rücksicht zu nehmen. „In Wirklichkeit wird der Iran aber wie ein Vollmitglied behandelt und nimmt an allen Konsultationen teil.“ Dem SOZ-Gipfel am 10./11. Juni in Taschkent (Usbekistan) blieb Präsident Ahmadinedschad freilich fern, um gegen die Voten von China und Russland im Sicherheitsrat zu protestieren.
Der Exstaatssekretär verweist noch auf das kooperative Engagement von Teheran und Moskau in Zentralasien und im Südkaukasus und gibt sich zuversichtlich: „Mit dem wachsenden Einfluss des Iran im Nahen Osten wird uns Russland zunehmend anerkennen und respektieren. Es wird sehen, dass sich unser Part hier nur nachteilig auf die amerikanischen, aber nicht auf die russischen Interessen auswirken wird.“
Die Sanktionen wirken nicht wie beabsichtigt
In Moskau wiederum sorgt die iranische Unnachgiebigkeit in der Atomfrage für Irritation und Besorgnis. Manche finden, der Iran sei eine Bürde, derer man sich schnellstmöglich entledigen sollte, und raten zu drakonischen Sanktionen – ohne an deren Wirksamkeit zu glauben. Den meisten aber bereitet es Sorgen, wenn Russland am Entwurf neuer Vergeltungsmaßnahmen mitarbeitet, auch wenn sie keine besondere Sympathie für die islamische Republik hegen, wie Fjodor Lukianow, Chefredakteur der internationalen Zeitschrift Russia in Global Affairs. Er befürchtet, dass sich „Russland durch die Unterstützung ineffektiver Sanktionen in ein Verfahren verstrickt, das zur Legitimation militärischer Gewalt führt“.
Alle Entscheidungsträger und Analysten, unabhängig von ihrer Haltung, fürchten die katastrophalen Folgen, die eine Eskalation in den an Russland grenzenden muslimischen Regionen und auch auf seinem eigenen Territorium auslösen könnte.
Seit April weiß man in Moskau wie in Washington, dass die Sanktionen keine „lähmende Wirkung“ haben werden, wie Hillary Clinton beabsichtigt hatte. Russland wurde in seiner gemäßigten Haltung von China unterstützt, das sich anfangs an den Verhandlungen mit den übrigen Mitgliedern des Sicherheitsrats nicht beteiligen wollte, dann aber doch einschwenkte.
Alexander Schumilin, Leiter des Moskauer Zentrums für Nahostkonfliktforschung,3 geht davon aus, dass das voraussichtliche Scheitern der Sanktionspolitik zu „israelischen Luftangriffen auf die iranischen Nuklearanlagen führen wird – noch vor Ende Oktober. Und Obama wird nichts dagegen tun können.“ Wie andere russische Analysten ist er überzeugt davon, dass der Iran „eines der Problemfelder ist, die Wladimir Putin persönlich bearbeitet“ und „wo er sich alle Entscheidungen selbst vorbehält“. So weist Schumilin darauf hin, dass Präsident Medwedjew in den letzten Monaten mehrmals angekündigt hat, dass Sanktionen unvermeidbar würden, während Ministerpräsident Putin das Thema nur ein einziges Mal und sehr viel zurückhaltender angesprochen habe.
Auch wenn Putin grundsätzlich eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA anstrebt, tut er dies nicht um jeden Preis. Die Tatsache, dass Washington die russischen Interessen im ehemaligen Sowjetgebiet jetzt mehr respektiert, führt Putin auch nicht auf einen Akt des guten Willens der Obama-Administration zurück, sondern auf Russlands am Ende erfolgreichen, jahrelangen und hartnäckigen Widerstand gegen den Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens. Nicht ohne Arroganz bekräftigen mehrere Putin-nahe Kommentatoren, dass die in ihre Probleme mit Afghanistan und dem Iran verstrickten USA auf Russland angewiesen seien – mehr als umgekehrt. Ein neuerliches umfassendes Entgegenkommen wie nach den Anschlägen vom 11. September 2001, das von Präsident Bush so wenig honoriert wurde, komme für Russland nicht infrage.
Die Resolution vom 9. Juni spiegelt diesen Ansatz wider: Die Sanktionen gehen weiter als die vorherigen – weit genug, um Teheran ernsthafte Sorgen zu bereiten –, aber sie bleiben hinter den Forderungen Washingtons weit zurück. Michail Margelow, Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten der Russischen Föderation, betonte noch Ende Mai, dass „neue Sanktionen gegen den Iran keine Auswirkungen auf den Handel und die Wirtschaftsabkommen“4 zwischen seinem Land und dem Iran haben würden.
Im Jahr 2008 beliefen sich die russischen Exporte in den Iran auf 3,34 Milliarden Dollar, etwas weniger als ein Prozent der gesamten Ausfuhren. Und der Anteil der Waffenverkäufe war mit 14 Millionen Dollar nur noch ein Fünftel der Summe des Vorjahrs. Gleichwohl ist der Iran Russlands wichtigster Wirtschaftspartner im Nahen Osten. Und beide Länder zusammen sitzen auf etwa der Hälfte der weltweiten Gasvorkommen. Neben Investitionen von Gazprom im Iran, die zurzeit noch gering sind, will sich Moskau die Möglichkeit offenhalten, in Abstimmung mit der iranischen Führung den sich verändernden Ölmarkt zu regulieren.
Die Vorlage der neuen Sanktionsresolution beim UN-Sicherheitsrat wurde durch ein unerwartetes Ereignis beschleunigt: Das Abkommen vom 16. Mai, nach 18-stündigen mühsamen Verhandlungen, zwischen dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, dem türkischen Premier Erdogan und Präsident Ahmadinedschad. Dieses Abkommen, das auf türkischem Boden den zeitgleichen Austausch von 1 200 Kilogramm schwach angereichertem iranischen Uran gegen 120 Kilogramm 20-prozentig angereicherter Brennelemente für den medizinischen Forschungsreaktor in Teheran vorsieht, entspricht weitgehend dem Vorschlag der IAEO vom Oktober 2009: Damals sollte Teheran sein Uran nach Russland schicken, um dafür später 120 Kilo angereichertes Material zu bekommen. Was die Iraner daran gestört hatte, war das „später“ – man fürchtete ein Täuschungsmanöver.
Brasilien und Türkei als neue Störenfriede
Das war ungünstig für Washington: Die Rolle der traditionellen „Störenfriede“ China und Russland, die im Sicherheitsrat gegen jede neue Zwangsmaßnahme gegen den Iran Einwände erhoben hatten, wurde damit von den nichtständigen Mitgliedern Brasilien und Türkei übernommen. Lula da Silva, Präsident der größten Demokratie in Lateinamerika, genießt hohes Ansehen nicht nur in den Ländern der Dritten Welt, sondern auch im Westen. Und die Türkei, ebenfalls ein demokratischer Staat, ist obendrein Mitglied der Nato. Das negative Votum dieser beiden Regionalmächte schwächt die Legitimation für die Sanktionen.
Für Russland und China, die sich beide als Freunde des Iran betrachten, ist das fast ebenso unangenehm wie für die USA. Moskau hat über Monate versucht, einen Kompromiss mit Teheran auszuhandeln, doch der Iran versagte dem anspruchsvollen russischen Freund, was er Brasilien und der Türkei gewährte, denen er wirtschaftlich und politisch weit weniger schuldet.
Aus Angst vor einem Rückzieher Moskaus oder Pekings aus dem hart erkämpften Sanktionskompromiss legte Washington den Resolutionsentwurf gleich dem Sicherheitsrat vor – wenige Stunden, nachdem Präsident Medwedjew erklärt hatte, man müsse das Dreierabkommen zwischen dem Iran, Brasilien und der Türkei sorgfältig prüfen und Außenminister Lawrow bedauert hatte, dass ein solcher Kompromiss nicht früher gefunden wurde. China und Russland waren unzufrieden, und ein paar Tage fürchtete der Westen, sie könnten die Sanktionen verschleppen. Dass sie darauf verzichtet haben, zeigt, dass sie über den Iran anhaltend verärgert sind.
Aus dem Französischen von Jakob Horst Jacques Lévesque ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Quebec, Montreal.