13.08.2010

Ferngesteuerte Experten

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Ferngesteuerte Experten

Ob Gesundheitspolitik, Finanzkrise oder Afghanistankrieg – im US-Privatfernsehen dürfen bezahlte Lobbyisten den Zuschauern die Probleme erklären. von Sebastian Jones

Am 4. Dezember 2009 besuchte US-Präsident Obama die Industriestadt Allentown, Pennsylvania, und sprach mit Arbeitern über die Folgen der Finanzkrise. Einige Stunden später formulierte Tom Ridge, ein ehemaliger Gouverneur des Bundesstaats, im Kabelsenders MSNBC seine eigenen Vorschläge zur Bewältigung der Krise.

In der Sendung „Hardball With Chris Matthews“ schlug er ein paar „kleinere Maßnahmen“ vor, die das Weiße Haus ergreifen könne, und nannte als Beispiel Steuersenkungen oder Kredite für Kleinunternehmen. Wenn der Präsident der Wirtschaft jedoch wirklich helfen wolle, dann müsse er „als Erstes sein Umweltprogramm einstampfen“. Sodann propagierte er den Bau neuer Atomkraftwerke, die Förderung von Erdgas und das Verfeuern von Abfallkohle. Das werde einen Innovationsschub erzeugen, „der Arbeitsplätze und Exporte schafft“.

Bei der Vorstellung dieses „Maßnahmenpakets“ trat Tom Ridge wie ein neutraler Kommentator auf. Was die Zuschauer nicht erfuhren: Ridge ist seit 2005 Aufsichtsratsmitglied des größten amerikanischen Atomkonzerns Exelon, hat in dieser Funktion 530 659 Dollar verdient und besitzt ein Aktienpaket von Exelon, das im März 2009 rund 250 000 Dollar wert war.

Am selben Tag erklärte der pensionierte General und „NBC-Militärexperte“ Barry den Fernsehzuschauern, der Krieg in Afghanistan werde „noch drei bis zehn Jahre dauern und viel Geld kosten“. Unerwähnt blieb, dass er vom privaten Militärdienstleister DynCorp allein im vergangenen Jahr 182 309 Dollar erhielt – und dass die US-Regierung kurz zuvor mit DynCorp einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen hatte, der dem Unternehmen für seine Dienstleistungen in Afghanistan am Ende bis zu 6 Milliarden Dollar einbringen dürfte.

Damit traten bei zwei NBC-Sendern innerhalb einer Stunde zwei Personen als neutrale Experten auf, über deren Interessenkonflikte die Zuschauer nicht informiert waren. Eine derartige Missachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht ist bei US-Kabelsendern nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.

Schon 2003 wurde in der Zeitschrift The Nation enthüllt, dass McCaffrey Geld von privaten Militärfirmen bezog, deren Interessen er in mehreren Fernsehauftritten als vermeintlich neutraler Kommentator vertreten hatte. Und 2008 gewann der New-York-Times-Journalist David Barstow den Pulitzerpreis für eine Reportageserie, in der er eine interessante Praxis des Pentagon aufdeckte: Als Gegenleistung für den Zugang zu wichtigen Entscheidungsträgern im Verteidigungsministerium konnten pensionierte hohe Offiziere, die als Berater oder Lobbyisten für Rüstungsfirmen tätig waren, ihre militärfreundlichen Argumente als „Expertenmeinung“ im Fernsehen verbreiten.

Diese Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs, fanden die Journalisten von The Nation heraus. Private Unternehmen und Branchenverbände schleusen systematisch bezahlte Interessenvertreter bei den Kabelsendern ein. Seit 2007 traten mindestens 75 eingetragene Lobbyisten, PR-Vertreter und Firmenangehörige in Sendungen von MSNBC, Fox News, CNN, CNBC und Fox Business Network auf, ohne dass man als Zuschauer von ihrer Nähe zur Privatwirtschaft erfuhr. Etliche dieser Leute sind bei diesen Sendern seit 2007 dutzende Male, in einigen Fällen sogar hunderte Male zu Wort gekommen.

Kabel-TV-Sender sind in den USA die meistgesehene und meistzitierte Nachrichtenquelle. Sie bieten daher aus Sicht der Lobbyisten und PR-Agenturen beste Chancen, die Positionen ihrer Arbeitgeber und Kunden bekannt zu machen. Zudem hilft eine durch TV-Auftritte gewonnene Prominenz, das Wohlwollen einflussreicher Akteure in den beiden Großparteien zu gewinnen. Die Kabelsender wiederum drücken oft beide Augen zu und scheren sich wenig um ihre eigenen Ethikrichtlinien, weil sie ihre Programm füllen müssen und die Politiker nicht vor den stoßen Kopf wollen. Fast alle Beteiligten haben also etwas von diesem System – mit Ausnahme der Zuschauer.

Dass Lobbyisten und PR-Strategen die Berichterstattung beeinflussen wollen, ist keineswegs neu. Doch erst seit dem Start von Fox News und MSNBC im Jahr 1996 und dem Amtsenthebungsspektakel rund um Bill Clinton und Monica Lewinsky gibt es jene irrwitzige Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung, die so vielen Einflusshausierern ein Forum bietet. Mittlerweile ist es fast schon normal, dass auf allen Kanälen Gäste zu Wort kommen, die schwere Interessenkonflikte mit sich tragen. Besonders aufdringlich war ihre Präsenz in letzter Zeit bei den Debatten über die Wirtschaftskrise und beim Streit über die Gesundheitsreform.

Kurz nachdem 2008 die Rezession zugeschlagen und die Regierung ihren Bankenrettungsplan beschlossen hatte, tauchten Lobbyisten und PR-Personal mit verstörender Regelmäßigkeit im Fernsehen auf, um als neutrale Fachleute zu posieren. Ihre Ansichten, die vornehmlich die Interessen ihrer Auftraggeber und Kunden artikulierten, blieben dabei meist unwidersprochen.

Einer der prominentesten Fernsehexperten ist Bernard Whitman, Chef der Werbefirma Whitman Insight Strategies, die ihren Kunden hilft, „durch zielgenaue Recherchen erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung und Informationskampagnen zu betreiben“. Zu Whitmans Kunden gehören Lobbyfirmen wie die BGR Group und große Werbeagenturen wie Ogilvy & Mather, deren Klienten wiederum Großkunden sind, die Einfluss auf die „große Politik“ in Washington gewinnen wollen. Bernard Whitman selbst ist ein Veteran der Clinton-Ära, und wann immer er im Fernsehen auftritt, wird er mit dem Hinweis auf diese lange zurückliegende Tätigkeit vorgestellt.

Laut ihrer Webseite hat Whitman Insight Strategies für den Versicherungsgiganten AIG ein Unternehmensprofil erarbeitet und optimiert. Er berät das Unternehmen auch heute noch. Whitman Strategies hat außerdem mehr als 100 Clips mit Fernsehauftritten des Firmenbosses bei YouTube eingestellt. In den Fox News vom 18. September 2008 über Sarah Palin übte Whitman scharfe Kritik an dem Republikaner John McCain. Dessen Idee, „AIG pleitegehen zu lassen“, zeige nur, „wie wenig McCain von der heutigen globalen Wirtschaft versteht“.

Auch während der aufgeregten Debatte um die Bonuszahlungen für AIG-Manager trat Whitman in den Fox News auf. Dabei räumte er ein, das amerikanische Volk sei über AIG „verständlicherweise empört“, beschwor aber gleich darauf die Zuschauer: „Wir müssen jetzt unsere Wut, Frustration und Hysterie überwinden und endlich die Probleme anpacken, die unsere Wirtschaft wirklich belasten.“ Bei beiden Auftritten wurde nicht erwähnt, dass Whitmans Firma nach wie vor für AIG tätig ist.

Auf der Gehaltsliste von AIG standen auch ehemalige politische Amtspersonen. Kurz nach der ersten staatlichen Bürgschaft im Jahr 2008 buchte das Unternehmen den PR-Giganten Burson-Marsteller als Berater für den Umgang mit „strittigen Themen“. Im April 2009 stellte Burson-Marsteller für diese Aufgabe mit Dana Perino eine ehemalige Pressesprecherin des Weißen Hauses ein. Kurz darauf wurde sie von Fox News als politische Kommentatorin eingestellt.

Damit hatte Perino reichlich Gelegenheit, sich über die Wirtschaftskrise zu äußern. So war sie im Juli 2009 zu Gast in einer Diskussionsrunde der Fox-Business-Network-Sendung „Money for Breakfast“. Dabei wurde ihre Anstellung bei Burson-Marsteller kurz erwähnt, nicht aber die Verbindung zu AIG. Als die Rede auf die verschärften Aufsichtsmaßnahmen kam, denen der Versicherungsriese von staatlicher Seite unterworfen wurde, startete Perino eine Polemik gegen die Neigung der Regierung, „auf Krisen übertrieben zu reagieren“. Als der Verbraucherschutzvertreter Gary Kalman erwiderte, in Wahrheit seien die Regeln über Jahrzehnte immer weiter gelockert worden, spottete Perino: „Ich glaube nicht, dass es in der Wirtschaft viele Leute gibt, die das bestätigen würden.“

Der verschwiegene Interessenkonflikt

Auch in den Fernsehdebatten über die Gesundheitsreform wurden die Grenzen zwischen objektiver Expertise und privatwirtschaftlicher Interessenvertretung immer wieder verwischt. Da ist zum Beispiel der konservative Politiker Terry Holt. Der ehemalige Kommunikationsdirektor für den Bush-Cheney-Wahlkampf von 2004 betätigte sich seit 2003 – mit Pausen – auch als Lobbyist für den Branchenverband der privaten Krankenversicherungen (America’s Health Insurance Plans, AHIP). Als er 2007 mit drei anderen republikanischen Strippenziehern die PR- und Werbeagentur HDMK gründete, war AHIP einer der ersten Kunden.

Am 5. März 2009 stellte der MSNBC-Moderator David Shuster seinen Gast als Republikaner vor, ohne seine Verbindungen zu AHIP zu erwähnen. Holt sagte in der Sendung, die Regierung Obama wolle „die staatlichen Gesundheitsvorsorge für ungefähr 11 Millionen Rentner kürzen, um dieses große Reformprojekt zu ermöglichen.“ Sieben Monate später startete AHIP in mehreren Staaten eine Anzeigenkampagne mit der demagogischen Frage: „Ist es in Ordnung, von den zehn Millionen Senioren, die über das (staatliche) Medicare-Programm versichert sind, mehr zu verlangen als einen fairen Beitrag?“1

In der Folge war Holt mehrmals bei CNN zu Gesprächsrunden über die Gesundheitspolitik eingeladen. Dabei wurde seine Verbindung zu AHIP nur in einem Fall nicht erwähnt, betonte Holt vor kurzem gegenüber dem Autor. Er ist fest davon überzeugt, dass im Kabelfernsehen „größtmögliche Transparenz“ herrscht. Und die Zuschauer hätten die berechtigte Erwartung, zu erfahren, aus welcher Perspektive ein Kommentator zu ihnen spricht: „Ich halte es für meine Pflicht, den jeweiligen Sender über meine Tätigkeit zu informieren. Die Produzenten müssen dann entscheiden, wie sie mich der Öffentlichkeit vorstellen.“

Auch in den Reihen der Demokratischen Partei gibt es Lobbyisten und Berater interessierter Unternehmen, die sich ebenfalls öffentlich über die Gesundheitsreform geäußert haben, ohne dass ihre Arbeit für die Pharmaindustrie oder für die Krankenversicherer zur Sprache kam. Am 24. September 2009 bezeichnete Dick Gephart in der MSNBC-Sendung „Morning Meeting“ die Alternative der staatlichen Krankenversicherung („public option“) als „entbehrlich“. Der Moderator vergaß allerdings zu erwähnen, dass sich sein Interviewpartner mittels seiner Firma Gephardt Government Affairs als Lobbyist für Versicherungs- und Pharmaunternehmen betätigt.

Ähnlich gelagert ist der Fall des prominenten Demokraten Tom Daschle. Der saß am 12. Mai und am 2. Juli im MSNBC-Studio und am 16. August in der NBC-Sendung „Meet the Press“. Beide Male sprach er über die Gesundheitsreform, ohne dass jemand erwähnte, dass der Exsenator aus South Dakota für die Lobbyfirma Alston & Bird arbeitet, die den privaten Krankenversicherer United Health Group berät. Ein einziges Mal wurde in einer MSNBC-Sendung – wenn auch sehr dezent – darauf angesprochen, dass seine Lobbytätigkeit für die Versicherungsbranche mit seiner Rolle als Verhandlungspartner der Regierung in Sachen Gesundheitsreform nicht so recht vereinbar ist. Daschles Antwort lautete: „Natürlich muss ich darauf achten, wie ich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde.“ Einen Monat später war der ehemalige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat bei MSNBC erneut zu Gast. In dem fast zehnminütigen Interview kam seine Arbeit für den privaten Krankenversicherer nicht zur Sprache.

Natürlich wäre es Unfug, zu behaupten, dass Daschles Fernsehauftritte allein für die Verzögerung der Gesundheitsreform verantwortlich waren, die erst im März 2010 verabschiedet wurden. Oder dass Dana Perinos Sprüche für die Verwässerung der Finanzmarktreform gesorgt haben. Völlig unzweifelhaft ist aber auch, dass einige hundert Fernsehauftritte von dutzenden verdeckter Lobbyisten die Berichterstattung der Medien und die öffentliche Meinung beeinflussen.

Diese Einflussnahme wird von der Ethnologin Janine Wendel in ihrem Buch „Shadow Elite“2 untersucht. Die Tätigkeit von Lobbyisten sei nicht von vornherein unmoralisch, antwortete Wendel auf meine Frage, aber doch eine „Gefahr für die Demokratie“. Wenn nämlich Scharen von Experten im Fernsehen immer dasselbe sagen, „ wird dieser kumulative Effekt die öffentliche Meinung in ihrem Sinne beeinflussen“.

Wer regelmäßig im Fernsehen zu Wort kommt, wird auch Zugang zu politischen Entscheidungsträgern finden – die dann vielleicht überrascht feststellen, dass sie es nicht nur mit einem Fernsehstar zu tun haben, sondern mit einem bezahlten Lobbyisten. Im März 2009 veranstaltete das Weiße Haus ein exklusives „communications message meeting“ für die Topstrategen der Demokraten. Von den 18 Teilnehmern, die Obamas engster Berater David Axelrod begrüßen konnte – allesamt bekannte Fernsehpersönlichkeiten – waren fast ein Drittel Lobbyisten.3

Doch letzten Endes kann man den Lobbyisten gar keine Vorwürfe machen, wenn sie ihre medialen Auftritte für ihren eigenen oder den geschäftlichen Vorteil ihrer Kunden nutzen. Sehr häufig versuchen sie nämlich keineswegs, ihre bezahlte Arbeit für die Privatwirtschaft zu verschleiern. Einige, wie Terry Holt, legen sogar größten Wert daraus, die Produzenten der Sender von ihrer Arbeit in Kenntnis zu setzen.

Die Verantwortung liegt also letztlich bei den Nachrichtensendern, die bezahlte Interessenvertreter und PR-Berater ins Studio holen, ohne deren lobbyistische Verbandelung zu ermitteln. Der ehemalige CNN-Moderator und heutige Professor für Journalistik Aaron Brown meint, dass es nicht an ethischen Maßstäben fehlt, sondern an deren Umsetzung: „Die Redakteure bei den Kabelsendern sind oft unerfahrene junge Leute, die unter großem Druck stehen“, sagt er. „Sie fragen die Studiogäste nur selten nach möglichen Interessenkonflikten. Sie sind einfach schlampig bei ihren Recherchen.“

Eine preiswerte Lösung für die Kabelsender

Für Brown zeigt sich in solchen investigativen Defiziten aber auch ein grundsätzliches Problem des Kabelfernsehens: Die Sender gehen immer mehr dazu über, zahllose Experten und Kommentatoren ins Fernsehen zu holen, um die Sendezeit möglichst einfach und kostengünstig zu füllen. „Das ist viel billiger, als einen Korrespondenten nach Afghanistan zu schicken“, meint Brown und findet diese Praxis auch deshalb skandalös, „weil es sich nicht um Zeitungen handelt, die ums Überleben kämpfen und Kosten sparen müssen, weil sie kein Geld haben. Das Kabelfernsehen macht im Gegenteil enorme Gewinne für die Medienkonzerne, deren Töchter sie sind.“

Ganz ähnlich argumentiert Jeff Cohen, einer der Gründer der medienkritischen Fairness & Accuracy in Reporting (FAIR). Er hat 2002 selbst einige Monate bei MSNBC gearbeitet und vier Jahre später ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben.4 Auf die Frage, warum Leute wie Gephart im Fernsehen auftreten können, ohne dass das Publikum von ihrer Arbeit als Lobbyisten und PR-Berater erfährt, erwidert Cohen, dass solche regelmäßigen Gäste, jedenfalls bei MSNBC „genau so vorgestellt werden, wie sie vorgestellt werden wollen“. Entscheidend sei, dass ein Mann wie Gephart für das Publikum stets der ehemalige demokratische Mehrheitsführer im Kongress bleibe. „Diese Leute sind sich also sicher, dass sie nicht mit ihrer heutigen Tätigkeit vorgestellt werden, sondern mit ihrer prominenten Position, die sie vor Jahren oder gar Jahrzehnten innehatten.“

Seit einiger Zeit beginnen sich die Dinge aber zu ändern. CNN informiert neuerdings über die Kunden oder Branchen, für die manche der geladenen Experten arbeiten. Auch Fox News nennt inzwischen – wenn auch nicht immer – Namen von Lobby- oder PR-Firmen, für die ein Gesprächspartner arbeitet. Doch das gilt keineswegs für alle Kommentatoren, und die Zuschauer erfahren auch nicht, welche Klienten die oft relativ unbekannten PR-Firmen vertreten.

Am wenigsten Interesse an der Offenlegung versteckter Einflussnahme hat man offenbar bei MSNBC. Dort konnte der Lobbyist Todd Boulanger auftreten, ohne dass das Publikum von dem gegen ihn laufenden Verfahren wegen Korruption erfuhr (er bekannte sich 2009 schuldig). Ebenfalls auf MSNBC wurde im Hauptabendprogramm eine Sendung namens „Countdown“ von Richard Wolffe und später von dem Exsenator Howard Dean moderiert. Wolffe war zugleich für die PR-Firma Public Strategies Inc. tätig, Dean war Berater der Pharmaindustrie. Bei beiden wurden ihre Nebentätigkeiten nicht erwähnt. Und auch der DynCorp-Angestellte Barry läuft bei MSNBC bis heute nur als „Militärexperte“.

Als ich den Sender im Januar auf dieses Problem ansprach, gaben die Verantwortlichen vor, intensiv an einer Lösung zu arbeiten. David McCormick ist der Ombudsman bei NBC News und ist auch für die Einhaltung der entsprechende Richtlinien bei MSNBC zuständig.5 McCormick meinte auf meine Frage, dass MSNBC wolle künftig seine Gäste darauf hinweisen, dass der Sender sich zum Prinzip der Offenheit bekennt. Und er fügt hinzu: „Unser Geschäft beruht weitgehend auf Vertrauen.“ Deshalb erwarte man von allen Gästen „dass sie uns wissen lassen, wenn es potenzielle Interessenkonflikte gibt“.

McCormick beteuert: „Wir versuchen unseren Leuten seit einigen Jahren klarzumachen, dass die Zuschauer erfahren müssen, wie die Meinungen von freien Journalisten oder auch unbezahlten Kommentatoren und Fachleuten in das Mosaik von Informationen einzuordnen sind. Ist uns das perfekt gelungen? Nein.“

Das ist erstaunlich, denn der Sender macht sich über dieses Problem schon seit langem Gedanken. In den „Regeln und Richtlinien“ von NBC News vom Oktober 1998 handelt ein ganzes Kapitel von potenziellen Interessenkonflikten. Hier heißt es unter anderem:

„Es ist sehr wichtig, dass unsere Zuschauer begreifen, welche besondere Sichtweise jeder (bezahlte oder unbezahlte) Gast oder Experte unserer Sendungen mitbringt. […] Unsere Zuschauer brauchen alle relevanten Information, damit sie sich ihre eigene Meinung zum Thema bilden können. Es genügt nicht zu sagen: ‚Herr X von der Stiftung XYZ‘. […] Die exakte Identifikation muss klar und eindeutig sein.“

Zwölf Jahre später ist McCormick allerdings der Meinung, es reiche schon aus, wenn auf mögliche Interessenkonflikte des Studiogastes nicht im Programm selbst, sondern auf der Website des Senders hingewiesen wird. Genau das ist bei MSNBC die übliche Praxis.

Einige Tage nach diesem Gespräch mit McCormick sah ich zufällig auf MSNBC die Sendung „Morning Joe“. Ein gewisser Mark Penn wurde als Meinungsforscher der Regierung Clinton und Politstratege der Demokraten vorgestellt. Er empfahl der Regierung Obama, die Gesundheitsreform auf Eis zu legen. Was nicht erwähnt wurde: Penn ist Chef der PR-Agentur Burson-Marsteller, in der eine ganze Abteilung damit befasst ist, im Auftrag von Pharma-Unternehmen wie Eli Lilly und Pfizer „öffentliche Wahrnehmungen zu erzeugen und zu steuern, die zur positiven Geschäftsentwicklung beitragen“.

Ergebnis: ein Defizit an Fakten

Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem endemisch und unlösbar geworden ist. Offenbar gehört es in den USA heute zur Realität der Medienlandschaft, dass sich die Grenzen zwischen dem Dienst an der Öffentlichkeit und der Arbeit für private Geschäftsinteressen weitgehend aufgelöst haben. Und auch der Druck der Öffentlichkeit hat bisher keine grundsätzliche Wende bewirkt.

David Barstow mag für seine Recherchen in der New York Times den Pulitzerpreis gewonnen und die Aufmerksamkeit für das Thema gesteigert haben, aber General a. D. McCaffrey tritt weiterhin im Fernsehen als Experte auf, ohne dass sich jemand daran stören würde, dass er für die Rüstungsindustrie arbeitet. Der Blogger Glenn Greenwald hat ermittelt, dass alle von David Barstow entlarvten Sender in ihrer Berichterstattung über die Pulitzerpreise 2009 nicht nur die Vorwürfe, sondern sogar den Namen des Journalisten totgeschwiegen haben. Dazu meint Andy Scholz, der Leiter des Komitees für journalistische Ethik im Berufsverband Society for Professional Journalists: „Dieses Problem, das enorme Bedeutung hat, wird von den Übeltätern selbst völlig ausgeblendet.“ Deshalb konstatiert er in der Berichterstattung ein „mysteriöses schwarzes Loch“.

Für den Journalistikprofessor und Medienkritiker Jay Rosen stellt sich die Frage noch grundsätzlicher: „Offenlegung ist eine gute Sache, auch ich bin dafür. Aber warum sind solche Leute überhaupt im Fernsehen? Sie haben feststehende Ansichten und können die öffentliche Meinung jederzeit zu jedem Thema manipulieren.“

Auf den Punkt gebracht hat diese Kritik der Exmoderator Aaron Brown. Als wir beim Präsidentschaftswahlkampf 2008 die Meuten von Analysten und Beobachter sahen, die sich in den Studios der Kabelsender drängten, ohne dass sie etwas Wesentliches zu sagen hatten, meinte er lakonisch: „Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Mangel an Meinungen, aber ein unglaubliches Defizit an Fakten gibt.“

Aus dem Amerikanischen von Herwig Engelmann

Fußnoten: 1 Ein weiterer Skandal bei CNN wurde im Oktober 2009 von dem Blogger Greg Sargent aufgedeckt: Der Experte Alex Castellanos, der bei CNN regelmäßig zu Wort kam, war am Entwurf einer Anzeigenkampagne von AHIP beteiligt. Bei seinen gleichzeitigen Fernsehauftritten, bei denen sich Castellano über die Gesundheitsreform äußerte, stellte ihn CNN lediglich als Vordenker der Republikaner vor, ohne auf seine AHIP-Connection hinzuweisen. 2 Janine Wendel, „Shadow Elite: How the World’s New Power Brokers Undermine Democracy, Government, and the Free Market“, New York (Basic Books) 2009. 3 Zu ihnen gehörten Kelly Bingel (Mitarbeiter bei AHIP und Teilhaber an der PR-Agentur Mehlmann Vogel Castagnetti) und Rich Masters (Geschäftsführer des Mehlmann-Konkurrenten Qorvis Communications, der auch für den Branchenverband der pharmazeutischen Industrie PhRMA arbeitet). 4 Jeff Cohen, „Cable News Confidential. My Misadventures in Corporate Media“, Sausalito 2006. 5 Beide Sender stützen sich auf Richtlinien, die McCormick mitentwickelt hat. Nur der Wirtschaftssender CNBC muss den strengeren Bestimmungen der US-Börsenaufsicht SEC genügen.

Sebastian Jones ist Journalist in Brooklyn. Er schreibt für The Nation, Pro Publica, Harper’s und American Prospect.

Le Monde diplomatique vom 13.08.2010, von Sebastian Jones