13.08.2010

Die Besiegten

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Die Besiegten

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist seit einem Jahr zu Ende. Die Tamilen fürchten eine neue Kolonisierung von Cédric Gouverneur

Seit dem März 2008 drängten die Regierungstruppen in Sri Lanka die tamilische Unabhängigkeitsbewegung LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) immer weiter in die Defensive. Die tamilische Zivilbevölkerung der eroberten Gebiete wurde in Lager umgesiedelt, insgesamt bis zu 300 000 Menschen. Allein im Lagerkomplex „Menik Farm“, im nördlichen Distrikt Vavuniya lebten zeitweilig 228 000 Tamilen.

Ein Jahr nach der militärischen Niederlage der Befreiungstiger vom Mai 2009 warten noch immer 70 000 Flüchtlinge hinter Stacheldraht auf die Erlaubnis, in ihre Dörfer zurückzukehren. Eines dieser Lager – mit dem offiziellen Namen „Dorf des Wohlergehens“ – durften Journalisten mit Erlaubnis der Armee besuchen. Das Plakat am Lagereingang ist sechs Meter hoch, es überragt die einstöckigen Baracken und zeigt Präsident Mahinda Rajapakse in Siegerpose, mit erhobenem Arm. Der Lagerkommandant erklärt, warum es absolut notwendig war, so viele Tamilen zu verhaften: „Wir mussten die Zivilisten von den Terroristen trennen, von denen sie als Geiseln benutzt wurden. Natürlich dauert es einige Zeit, bis wir sie in ihre Heimat zurückschicken können, schon weil wir da die Minen räumen müssen.“

Die wenigen Hilfsorganisationen, die man ins Lager lässt, zeigen ein gewisses Verständnis für die Zustände. „Die Armee war überfordert“, meint ein Menschenrechtsaktivist. „Sie hatte gedacht, dass vielleicht 100 000 Zivilisten im Machtbereich der Tiger leben, aber dann waren es fast 300 000, um die sie sich kümmern musste. Bei den Koordinationsgesprächen zwischen den UN-Organisationen, den NGOs und den zuständigen Offizieren hatten wir den Eindruck, dass sich das Militär alle Mühe gab. Ich war schon in Flüchtlingslagern der UN, in denen weit schlimmere Zustände herrschten.“ Solche Auskünfte entkräften allerdings nicht den Vorwurf, dass die Regierung massenhaft Zivilisten interniert, und das nur wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Mit Singhalesen hätte sie das nie gemacht.

Wir besichtigen den weitläufigen Lagerkomplex in Begleitung eines Majors und zweier Tamilen, die offensichtlich beauftragt worden waren, über unsere Gespräche zu berichten. Es gibt ein Gesundheitszentrum, Schulen, kleine Läden, Bankfilialen und ein Postamt. Auf Antrag dürfen die Internierten das Lager zeitweilig verlassen. Die Tamilen, die wir ansprechen, wirken eher erleichtert. Schließlich waren sie monatelang im Kampfgebiet eingeschlossen und haben überlebt, hier haben sie zu essen und ein Dach über dem Kopf. Das Schlimmste scheint überstanden und sie können schon wieder an die Zukunft denken.

Dann nimmt unser betreuter Rundgang eine kleine Wendung. Einige Lagerinsassen lassen sich durch die finsteren Blicke unserer beiden „Spitzel“ nicht einschüchtern: „Uns reicht es jetzt!“, rufen sie uns zu. „Wie lange müssen wir noch hier bleiben? Bei uns zu Hause ist alles leergeplündert. Warum sitzen wir hier fest? Andere durften schon zurück – wer entscheidet darüber? Und was tun eigentlich die Vereinten Nationen?“ Dann beschweren sie sich, dass die Demokratie vor den Lagertoren endet. Als draußen der Parlamentswahlkampf tobte, klagen sie, „durften nur die Kandidaten auftreten, die den Präsidenten unterstützen“.

Im Lager Menik Farm sieht man kaum junge Männer; die meisten sitzen im Gefängnis, weil man sie für Anhänger der Befreiungstiger hält. Auf 11 000 bis 13 000 wird die Zahl der Gefangenen geschätzt, denen man Verbindungen zur LTTE vorwirft. „Sie werden nach dem Grad ihrer militärischen Aktivität eingestuft“, erklärt Professor Rajiva Wijesinha, ein Vertrauter des Präsidenten. „Gegen höchstens tausend läuft ein Ermittlungsverfahren“, schätzt der Mann, der bis Februar 2010 Staatssekretär im Ministerium für Katastrophenschutz und Menschenrechte war.

Die meisten Kämpfer der Befreiungstiger haben sich ergeben oder wurden in ihren Verstecken aufgespürt, auch aufgrund von Hinweisen aus der tamilischen Bevölkerung. Die Menschen hatten genug von dem grausamen Durchhaltewillen der Tiger im Angesicht der unausweichlichen Niederlage. „Aus jeder Familie haben sie bis zu zwei Kinder rekrutiert“, berichten Überlebende. „Und sie feuerten auf jeden, der versuchte, in die von der Armee kontrollierten Gebiete zu fliehen.“

Unweit des Lagers Menik Farm liegt eine Haftanstalt, in der ehemalige Kindersoldaten betreut werden. Unter Aufsicht der Armee werden Jungen und Mädchen, die jahrelang im Fronteinsatz waren, von tamilischen Lehrern unterrichtet. Shivanesh war 13, als ihn die LTTE in die Uniform zwang. Heute ist er 17. Sein Gesicht ist von Narben entstellt. „Ich wurde verwundet, und ich habe Soldaten getötet“, erzählt Shivanesh, „mein Bataillon bestand eigentlich nur aus Kindern. Als die Armee uns eingekesselt hatte und unsere Anführer tot waren, haben wir uns alle ergeben.“ Er hat deswegen kein schlechtes Gewissen: „Die Tiger haben mir mein Leben gestohlen, haben mich von meiner Familie getrennt, ich konnte nicht zur Schule gehen. Töten ist das Einzige, was sie mir beigebracht haben. Von der Armee bekomme ich jetzt eine Ausbildung, auch meine Eltern können mich hier besuchen. Ich werde Informatiker, und bald darf ich nach Hause zu meiner Familie.“

Singhalesische Touristen posieren als Sieger

Dass sich die Regierung um diese Jugendlichen kümmert, ist löblich, aber nur wenige der ehemaligen Kindersoldaten kommen in den Genuss einer Ausbildung. Ein unabhängiger Experte, der Zugang zu Lagern der LTTE-Gefangenen hat, klagt über die staatliche Informationspolitik: „Die Regierung veröffentlicht keine Namenslisten. Auch die Familien erfahren nicht, wer verhaftet wurde und warum, und wo ihre Kinder interniert sind. Das löst natürlich Besorgnis aus in einem Land, in dem Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren üblich sind.“ Selbst das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) darf die Gefangenen nicht besuchen.

Die Region Vanni im Norden des Landes wurde zwei Jahrzehnte lang von der LTTE kontrolliert und erst Anfang 2009 von den Regierungstruppen zurückerobert. Seither ist das Gebiet vollständig abgeriegelt, auch ausländische Medienvertreter hatten bis vor kurzem keinen Zutritt. An der Fernstraße A 9, die durch Vanni führt, erblickt man alle paar hundert Meter eine Bunkeranlage; zu beiden Seiten der Straße wurden die Bäume gefällt, um keine Deckung für Hinterhalte zu bieten. Überall stehen Minen-Warnschilder. Das Militär dominiert die Szene; die wenigen Zivilisten, die man zu Gesicht bekommt, hausen meist in Zelten neben ihren zerstörten Häusern.

Auf dieser Straße herrscht viel Verkehr: Dutzende von Bussen bringen singhalesische Reisende in den Norden, der für sie so lange unzugänglich war. Die Regierung fördert den Ausflugstourismus, der meistens in der Kleinstadt Kilinochchi endet. Die frühere „Hauptstadt“ des selbst ernannten und diktatorisch geführten „Teilstaats“ der Be-freiungstiger1 ist nur noch ein Trümmerfeld. Nichts erinnert an die alten Zeiten, selbst der Wasserturm hat die Kämpfe nicht überstanden. Die Betonstruktur liegt umgestürzt am Boden, übersät mit Einschusslöchern.

Jetzt posieren vor der spektakulären Ruine die angereisten Mönche und ihre Angehörigen zum Erinnerungsfoto, dann steigen sie wieder in die beflaggten Busse mit den Bannern, auf denen der Präsident und seine „ruhmreiche Armee“ gepriesen werden. Abgesehen von einem Kriegerdenkmal gibt es in Kilinochchi nur ein neues Gebäude: Zum großen Missfallen der Einheimischen, die Hindus oder Christen sind, ließ die Armee sogleich einen buddhistischen Tempel errichten.

Solche Siegerposen verstören auch die Tamilen, die aus dem Lager Menik Farm entlassen werden, nicht wissen, was aus ihren Angehörigen geworden ist, und von den internationalen Hilfsorganisationen am Leben erhalten werden: „Wir sind durch die Hölle gegangen, und jetzt werden wir auch noch gedemütigt“, sagt Nayan, ein Anhänger der Tiger, der vor der letzten Offensive der Regierungstruppen fliehen konnte. Bei Mullaitivu hatte die Luftwaffe die LTTE gnadenlos unter Beschuss genommen – und damit auch tausende von Zivilisten, die von den Tigern als Schutzschild missbraucht wurden. „Die Tiger haben sich bis zur letzten Patrone gewehrt. Dann vergifteten sie sich mit Zyanid, die Kapseln trug jeder um den Hals. Wir lagen unter Dauerbeschuss. Meine Mutter starb vor meinen Augen, ich wurde verwundet.“

Nayan hat tiefe Narben am Arm und an der Wade. „Nach dem Angriff hat sich die Armee sehr korrekt verhalten, das muss ich zugeben. Sie wollten wohl die Zivilbevölkerung für sich einnehmen.“ Aber Nayan lässt sich nicht von seinen Überzeugungen abbringen: „Ich habe jahrelang unter der Regierung der Tiger gelebt, und da ging es mir sehr gut. Es herrschte Ordnung, es gab Arbeit, soziale Einrichtungen, und es herrschte Gerechtigkeit.“

Dass der LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran getötet wurde – was durch Genproben eindeutig bewiesen ist –, wollen viele Anhänger der Tiger nicht wahrhaben. Auch Nayan nicht: „Im Fernsehen haben sie bloß eine Leiche gezeigt, einen Mann mit Schnurrbart, der ihm ähnlich sah.“ Er glaubt, dass die Tiger nur einen taktischen Rückzug angetreten haben: „Wir hatten vier Hubschrauber und 35 weit reichende Geschütze. Wo sind die geblieben? Die Tiger halten sich versteckt, und sie werden zurückkommen!“

Bei den Singhalesen dagegen herrscht große Begeisterung über den Sieg. Man ist froh, nicht länger in der Furcht vor Selbstmordanschlägen leben zu müssen. Obwohl viele Singhalesen mit Tamilen befreundet sind – was sie manchmal lieber verheimlichen –, betrachten sie den Konflikt als „Kampf gegen den Terrorismus“. Und sie glauben tatsächlich, dass die Armee die Tamilen von der Zwangsherrschaft einer Bande von Kriminellen befreit hat, wie es ihnen die Medien jahrelang eingetrichtert haben. Mit der Niederlage der Befreiungstiger gilt dieses Kapitel nun als abgeschlossen. Nach einem Vierteljahrhundert sollen wieder Frieden und Harmonie auf der Insel herrschen. Dann könnten auch die Touristen und die Investoren nach Sri Lanka zurückkehren.

Bis 2016 rechnet die Regierung mit 2,5 Millionen Urlaubern – fünfmal mehr als in diesem Jahr. Die großen Hotelketten haben schon ein Auge auf die fantastische Bucht von Trincomalee geworfen, die bisher im Herrschaftsbereich der LTTE lag. Eine ziemlich optimistische Vorstellung, wenn man bedenkt, dass der Separatismus ja nicht erst mit den Bombenanschlägen der LTTE begann, sondern eine Reaktion auf die Diskriminierung der Tamilen durch die Regierung in Colombo war – und das war schon vor dreißig Jahren so.2

Der Stacheldraht um das Lager Menik Farm ist für Tamilen ein weiteres Indiz, dass sie als Bürger zweiter Klasse gelten. Trotz des totalitären Machtmissbrauchs der Tiger und der Rekrutierung von Kindersoldaten sind die Gefühle vieler Tamilen gegenüber der LTTE noch immer ambivalent. Shanti Satchithanandam, Vorsitzende der tamilischen NGO Viluthu („Vorwärts“), die selbst unter den Tigern zu leiden hatte, hört die Leute immer wieder sagen, die Tiger hätten ihnen immerhin eine Stimme verliehen: „Sie haben das Gefühl, dass die LTTE, trotz all ihrer Fehler, für sie gekämpft hat. Jetzt sind sie sprachlos und wie gelähmt.“

Dass die Tamilen heute ihre Interessen politisch nicht mehr vertreten können, liegt auch daran, dass die Tiger alle Politiker ermordet haben, die sie als Konkurrenten fürchteten. Die Tamil National Alliance (TNA), die sich früher als die wichtigste Stimme der LTTE im Parlament verstand, ist inzwischen gespalten. Einige ihrer Führer haben sich unabhängig gemacht und kandidierten bei den Parlamentswahlen unter einem neuen Etikett – manchmal sogar mit Unterstützung der Regierung in Colombo, die an der Spaltung des tamilischen Lagers interessiert ist.

Die TNA hat sich auf die neuen Realitäten offenbar noch nicht eingestellt: Ihr politisches Programm fabuliert immer noch von einer „föderalen Struktur für den Norden und Osten“. Aber natürlich werden sich die Singhalesen nach ihrem militärischen Sieg auf ein solches Modell nicht einlassen.

„Unsere Erwartungen sind bescheiden geworden“, meint Mavai Senathiraja, der für die TNA kandidiert. „Wir werden mit Colombo verhandeln und die tamilische Diaspora mobilisieren, so bekommen wir vielleicht aus der internationalen Gemeinschaft Unterstützung.3 Wenn wir scheitern, können wir immer noch eine Kampagne des zivilen Ungehorsams starten.“ Es klingt wie ein Eingeständnis der Niederlage.

„Die Tamilen haben die Hoffnung aufgegeben“, meint ein langjähriger Aktivist. „Wenn ich jünger wäre, würde ich jetzt ins Exil gehen. Dreißig Jahre politischer Kampf [von den 1950er Jahren bis zu Beginn der 1980er Jahre] waren umsonst, und dreißig Jahre bewaffneter Kampf ebenso. Weder die Verhandlungen noch die militärischen Auseinandersetzungen haben uns etwas gebracht. Also müssen wir jetzt unter militärischer Besatzung in einem buddhistischen singhalesischen Land leben. Die Armee wird den Norden und Osten so schnell nicht wieder aufgeben. Schauen Sie sich Jaffna an: Die Stadt wurde schon vor mehr als zwanzig Jahren eingenommen, und noch heute sieht man täglich Militärpatrouillen auf den Straßen.“

Die Halbinsel Jaffna im äußersten Norden Sri Lankas ist seit der Wiedereroberung durch die Armee 1996 eine Hochsicherheitszone (HSZ). Am Ortseingang der alten Hauptstadt der Tamilen, zwischen zwei mit schweren Maschinengewehren bestückten Bunkern, verkündet ein riesiges Plakat auf Englisch: „One Country, One Nation“. Die Stadt Jaffna war immer schon umkämpft. Mal hatte sie die LTTE besetzt, dann rivalisierende tamilische Gruppen, dann von 1987 bis 1990 ein indisches Expeditionskorps und jetzt wieder die Armee von Sri Lanka. Seit den 1990er Jahren ist Jaffna ein Trümmerfeld, von Wiederaufbau keine Spur. „Langsam bessert sich die Lage“, meint ein UN-Vertreter. „Die Ausgangssperre ist aufgehoben, die Fischer dürfen wieder aufs Meer hinaus. Und es gibt weniger Ausweiskontrollen.“

Aber auf der Halbinsel geht immer noch die Angst um, und die verbreitet nicht nur die Armee. In Jaffna hat die Eelam People’s Democratic Party (EPDP) das Sagen, eine tamilische Miliz, die sich 1987 auf die Seite der Regierung in Colombo geschlagen hat. In der Endphase der Kämpfe, in den Jahren 2006 bis 2009, wurden immer wieder Menschen ermordet oder sind spurlos verschwunden. Menschenrechtsorganisationen gehen von Hunderten aus. „Es war wohl ein Rachefeldzug der EPDP gegen die LTTE“, ist inoffiziell von einem Regierungsfunktionär zu hören. Ein Mann wie der EPDP-Führer Douglas Devananda, der jetzt in Colombo Sozialminister ist, hat allen Grund, die Tiger zu hassen. Er hat dreizehn Attentate überlebt; seine Lebensgefährtin wurde von der LTTE ermordet.

Obwohl der letzte Mord, der den regierungstreuen Milizionären zugeschrieben wird, noch nicht lange zurückliegt, traut sich niemand in Jaffna, auf Fragen nach der Rolle der EPDP zu antworten. Nur der katholische Bischof Monsignore Thomas Sandernayan, ein Tamile, fühlt sich durch seine Amtswürde offenbar genug geschützt. Er schildert, wie im August 2006 ein Pater namens Jim Brown und sein Fahrer verschwunden sind, während sie auf der Jaffna vorgelagerten Insel Kayts unterwegs waren. Kurz zuvor hatte ein Offizier dem tamilischen Geistlichen vorgeworfen, Kontakt mit der Guerilla zu haben, und ihm mit dem Tod gedroht. Was ist aus dem Fall geworden? „Wir haben eine Untersuchung gefordert“, erzählt der Bischof, „aber die Ermittler aus Colombo sprechen kein Tamil. Und das Militär verweigerte die Zusammenarbeit.“

Viele buddhistische Mönche sind Rechtsextremisten

Unweit der Insel Kayts liegt das Eiland Nainativu. Es ist zum Pilgerort für tausende singhalesischer Touristen geworden, weil hier der Tempel von Nagadipa liegt, den schon Buddha besucht haben soll. Marineinfanteristen helfen den Pilgern in die überfüllten Boote und versorgen die Reisenden, denen die Hitze nicht bekommen ist. Ein Offizier meldet stolz: „Gestern hatten wir 10 500 Besucher.“ Zufrieden zeigt sich auch ein buddhistischer Würdenträger in orangefarbenem Gewand, der aus dem Süden angereist ist: „Die tamilischen Terroristen haben den Tempel zerstört, die Armee hat ihn jetzt wiederaufgebaut. Nach all den Jahren kehrt endlich der Buddhismus hierher zurück.“

Dazu muss man wissen, dass viele buddhistische Mönche der extremen Rechten anhängen und der festen Überzeugung sind, dass Sri Lanka allein den buddhistischen Singhalesen gehöre. Einige Mönche, die für das Parlament kandidierten, ließen sich auf ihren Wahlplakaten zusammen mit Soldaten abbilden. Kein Wunder, dass die christlichen und hinduistischen Tamilen in dem Pilgerstrom nach Nainativu eine Art verdeckten „Kolonialismus“ sehen.

Die Angst vor einer schleichenden Kolonisierung ist auch im Osten des Landes zu spüren, wo Singhalesen, Tamilen und Muslime (die 7 Prozent der Bevölkerung Sri Lankas ausmachen) Seite an Seite leben, was nicht immer ohne Konflikte abläuft. Im Bezirk Ampara zum Beispiel hat man tausenden muslimischen Bauern unter dem Vorwand „archäologischer Ausgrabungen“ ihr Land weggenommen. Myown Mustaffa, ein Muslim und ehemaliger Bildungsminister in Colombo, sieht in diesen Enteignungen „das Werk buddhistischer Extremisten in hohen Positionen, die sich Einfluss im Beraterkreis des Präsidenten verschafft haben“.

Wie dieser Landraub vonstattenging, lassen wir uns von dem Bauern Farid erzählen: „Die Mönche haben einfach eine Stele auf mein Feld gesetzt und mir erklärt, das sei jetzt ein historischer Ort, den ich nicht mehr betreten darf.“ Seither liegen seine Felder brach – und Farid weiß, dass die Mönche die Staatsmacht auf ihrer Seite haben. Rechtsstaat ist hier, wie im Norden, ein leeres Wort. Und die Polizei arbeitet mit den Schlägertruppen der „Karuna-Fraktion“ zusammen, benannt nach „Colonel Karuna“. So lautete der nom de guerre des früheren Regionalkommandanten der LTTE, der 2004 ins Regierungslager überlief und dafür 2009, unter seinem richtigen Namen Vinayagamoorthy Muralidharan, zum „Minister für nationale Integration und Versöhnung“ ernannt wurde.4

In der Hauptstadt Colombo braucht es keine tamilischen Milizen, um oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen. Das erledigen hier die „White Vans“, weiße Kleinlaster ohne Nummernschild, die ungehindert durch jede Polizeisperre kommen und vor allem nachts unterwegs sind, um mutmaßliche Unruhestifter abzuholen. Auf diese Weise „verschwand“ am 24. Januar 2010 der Journalist und Karikaturist Prageeth Eknaligoda, als er gerade sein Büro verließ. Ein Jahr zuvor war bereits Lasantha Wickrematunge, Chefredakteur des Sunday Leader und bekannt für seine kritischen Leitartikel, auf offener Straße von einem Motorradkiller erschossen worden.5

„Lasantha war der Cousin der früheren Präsidentin Kumaratunga, und sie haben ihn am helllichten Tag und vor Zeugen ermordet“, meint ein tamilischer Intellektueller bitter. „Jetzt wissen wir, dass sie jeden umbringen können, ohne Ansehen der Person.“ Menschenrechtler, Anwälte und Journalisten erhalten Morddrohungen, sie werden als Verräter und Gefolgsleute der Tiger beschimpft. Thana Balasingam, Herausgeber der tamilischen Tageszeitung Thinakkural (Die Tagesstimme) meint mit Galgenhumor: „Bei uns dürfen Journalisten zwar ihren Beruf ausüben, aber das gilt auch für Journalistenmörder.“

Seit Präsident Mahinda Rajapakse durch die Wahlen vom 26. Januar 2010 im Amt bestätigt wurde, hat er den Druck auf die Opposition und die unabhängigen Medien deutlich verstärkt. Sein Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen, der frühere Generalstabschef Sarath Fonseka, sitzt seit Februar in Haft und muss sich vor einem Militärgericht verantworten.

Sieg über die Tamilen – dank der Hilfe Chinas

Über Fonsekas Sympathien für die Demokratie macht sich niemand Illusionen, aber dass er so gnadenlos verfolgt wird, kommt für viele überraschend. So kommentiert ein Menschenrechtler, der selbst schon Morddrohungen erhalten hat: „Der Präsident wirft Fonseka vor, einen Militärputsch geplant zu haben – aber er selbst war es, der den Staatsstreich ausgeführt hat.“ Zudem weiß jeder in Sri Lanka um die zentrale Rolle des Militärs und die Machtfülle des berüchtigten Verteidigungsministers Gotabhaya Rajapakse. Und der ist ein Bruder des Präsidenten.

Mahinda Rajapakse hat geschafft, woran seine Vorgänger gescheitert waren: die LTTE, eine der gefährlichsten Guerillaorganisationen der Welt, zu vernichten. Das gelang ihm nicht zuletzt dank der Unterstützung Chinas. Peking will Sri Lanka als Verbündeten gewinnen, die Insel liegt vor der Küste des Rivalen Indien und an der wichtigen Tankerrroute vom Persischen Golf nach China. Diese Entwicklung verstört natürlich die USA, weshalb Washington die Präsidentschaftskandidatur Fonsekas insgeheim unterstützt haben soll.

Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Missachtung der Menschenrechte für den militärischen Sieg entscheidend war. Selbst die Inder glaubten am Schluss, die LTTE wolle mit Verhandlungen nur noch Zeit gewinnen. Deshalb unterstützten sie Sri Lankas Kriegsstrategie – wenn auch nicht öffentlich, um Unruhen in der großen tamilischen Bevölkerungsgruppe des eigenen Landes zu vermeiden.6 Angesichts der Angriffe maoistischer „Naxaliten“ in Indien hat Colombo dem mächtigen Nachbarn sogar angeboten, seine „Erfahrungen“ in Sachen Aufstandsbekämpfung mit ihm zu teilen.

Die Siegerposen des Regimes wirken allerdings fast lächerlich: Das Bild des Präsidenten ziert einen neuen 1 000-Rupien-Schein, auf der Rückseite sieht man Soldaten die Landesflagge aufpflanzen – eine Kopie der Szene von 1945 mit den US-Marines auf der Insel Iwo Jima. Auf Versöhnung ist bei so viel nationaler Inbrunst nicht zu hoffen, meint der tamilische Intellektuelle Jehan Perera: „Für die Singhalesen ist der Norden jetzt erobertes Gebiet. Solange der Konflikt andauerte, haben sie die Tiger gefürchtet. Der Waffenstillstand bedeutete dann eine Art Gleichberechtigung zwischen Singhalesen und Tamilen. Jetzt aber entsteht zwischen Siegern und Besiegten ein Herrschaftsverhältnis.“

Politische Zugeständnisse an die Tamilen sind offenbar nicht vorgesehen. „Das Parlament der Ostprovinz hat nichts zu sagen“, erklärt Somasundram Pushparajah, der dem Gremium als unabhängiger tamilischer Abgeordneter angehört. „Man könnte das ethnische Problem lösen, wenn die Regierung den Provinzen echte Befugnisse zugestehen würde.“ Doch die Staatsführung geht davon aus, dass der Wiederaufbau der Kriegsregion ausreicht, um die tamilische Minderheit zufriedenzustellen. Das sieht der Bischof von Jaffna anders: „Eine von Colombo geplante und gesteuerte ökonomische Entwicklung, auf die sie keinen Einfluss haben, werden die Tamilen nicht akzeptieren.“ Schon deshalb nicht, weil das Wiederaufbauprogramm der Leitung eines weiteren Präsidentenbruders untersteht.

Das Scheitern der Tiger „bot die Chance auf eine pluralistische demokratische Gesellschaft, in der die Rechte der Einzelnen geachtet werden“, meint Jehan Perera. „Aber jetzt wird der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, und der geht Richtung Malaysia: ein autoritäres Regime mit eingeschränkter Demokratie, in der die Bürgerrechte der wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet werden.“

Fußnoten: 1 Siehe Cédric Gouverneur, „Die Tamil Tigers sind die erfolgreichste Widerstandsbewegung der Welt“, Le Monde diplomatique, Februar 2004. 2 Siehe Eric Paul Meyer, „Sri Lanka, der hoffnungslose Konflikt“, Le Monde diplomatique, April 2007. 3 Mehr als 1,5 Millionen Tamilen leben im Exil, vorwiegend in Nordeuropa und in Kanada. Von ihrer finanziellen Unterstützung, teils freiwillig, teils erzwungen, war die LTTE stets abhängig. 4 Siehe Anuradha Herath, „The Saga of Colonel Karuna“, Huffington Post, Juli 2009: www.huffingtonpost.com/anuradha-herath/the-saga-of-colonel-karun_b_227792.html. 5 Siehe die Berichte von Reporter ohne Grenzen; en.rsf.org/sri-lanka.html. 6 Siehe „Lessons from the war in Sri Lanka“, Indian Defence Review, September 2009. Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Cédric Gouverneur ist Journalist.

Was wann geschah

1815: Ceylon gerät vollständig unter britische Kolonialherrschaft. Zuvor gab es auf der Insel drei Königreiche, zwei singhalesische und ein tamilisches.

1948: Unabhängigkeitserklärung. Die von den Briten bevorzugt behandelte tamilische Minderheit (18 Prozent) muss sich der singhalesischen Mehrheit (74 Prozent) beugen, die ihre Sprache und ihre buddhistische Religion durchsetzt.

1956: Die diskriminierten Tamilen fordern politische Autonomie für den Norden und Osten.

22. Mai 1977: Ceylon wird zur Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka.

Juli 1983: Nach antitamilischen Pogromen schließen sich Tausende den Widerstandsgruppen an. Unter diesen setzen sich die Befreiungstiger (LTTE) unter Führung von Velupillai Prabhakaran durch, indem sie rivalisierende Gruppen ausschalten.

1987–1990: Abkommen zwischen Indien und Sri Lanka: Indische Truppen kämpfen in Jaffna gegen die LTTE.

1991: Ermordung des indischen Premierministers Rajiv Gandhi durch die LTTE.

1993: Ermordung des Regierungschefs von Sri Lanka, Ranasinghe Premadasa.

1996: Rückeroberung von Jaffna durch die Regierungstruppen.

1997 bis 2001: Die LTTE erkämpft sich die Kontrolle über den Norden und große Teile des Ostens.

Februar 2002: Norwegen vermittelt einen Waffenstillstand.

April 2003: Die LTTE steigt aus den Friedensverhandlungen aus.

März 2004: Der Kommandant der Tiger im Osten, „Colonel Karuna“, sagt sich von den LTTE los.

November 2005: Mahinda Rajapakse wird zum Präsidenten gewählt. Er kündigt die Vernichtung der LTTE an.

April 2006: Ausweitung der Kampfhandlungen.

September 2007: Unterstützt von Karuna, erobert die Armee den Osten zurück. Die Regierungstruppen starten eine Offensive im Norden.

2. Januar 2009: Eroberung von Kilinochchi, der früheren „Hauptstadt“ der LTTE.

20. Mai 2009: Nach dem Tod von Prabhakaran und der Vernichtung der LTTE-Verbände im Gebiet um Mullaitivu ist der Krieg offiziell beendet. Die Zahl der Todesopfer der letzten Offensive wird auf 8 500 bis 20 000 geschätzt. Etwa 300 000 tamilische Zivilisten werden in Lagern der Armee interniert.

Dezember 2009: Nach dem Sieg konkurrieren Präsident Rajapakse und sein ehemaliger Generalstabschef Sarath Fonseka um die Macht.

26. Januar 2010: Rajapakse wird erneut zum Präsidenten gewählt; Fonseka kommt vor ein Kriegsgericht.

Le Monde diplomatique vom 13.08.2010, von Cédric Gouverneur