Chevron gegen Ecuador
von Hernando Calvo Ospina
Eines der Autos in unserem Konvoi hat eine Panne. Wir machen notgedrungen Halt in einem jener Dörfer im Amazonasgebiet von Ecuador, von denen Google Maps noch nie etwas gehört hat. Alles klebt vor feuchter Hitze. Neben der Werkstatt verkauft eine Frau ein paar Kleinigkeiten. Wir bitten sie um frisches Wasser. Sie will schon loslaufen, besinnt sich aber eines anderen. Verlegen zeigt sie auf einen etwas weiter entfernt liegenden Laden: „Sie kaufen besser eine Flasche bei der Nachbarin. Unser Wasser könnte Sie krank machen.“ Das hören wir auf unserer Reise nun schon das zweite Mal.
Wie viele Dörfer in den Provinzen Sucumbíos und Orellana wurde auch dieser Unort vor gut 50 Jahren von Menschen gebaut, die von dem damaligen Mineralölkonzern Texaco von weit her angelockt worden waren. Shushufindi, Tarapoa, Yuca, Socha: Viele dieser Dörfer sind kaum größer als ein Weiler. Andere wie Coca oder Lago Agrio haben inzwischen fast 30 000 Einwohner.
Josefa, eine Kolumbianerin, die hier vor 20 Jahren auf der Flucht vor der Gewalt in ihrem Land gestrandet ist, hatte uns am Abend zuvor geraten, Regenwasser zu sammeln. „Sonst bleibt einem nur das Brunnenwasser“, fügte sie mit resigniertem Lächeln hinzu. Jetzt erzählt uns eine Frau, es würden gerade die ersten Trinkwasserleitungen verlegt. Ein paar Meter weiter pickt ein Huhn begierig den Rost von einem riesigen Ölrohr.
Die Trinkwasserbrunnen von Yuca liegen knapp 200 Meter von zwei großen Absetzbecken entfernt. Man machte sich noch nicht einmal die Mühe, die riesigen Becken an Wänden und Böden zu isolieren, um zu verhindern, dass das Gift ins Grundwasser gelangt. Das sei nicht nötig, hatte es bei Texaco geheißen, der Boden Amazoniens sei extrem tonhaltig und daher undurchdringlich. Auch Dränagerohre hielt man für überflüssig, um die vom Regen ausgeschwemmten Rückstände aufzufangen.
Wenn Rohöl über längere Zeit im Wasser bleibt, setzen sich die schwersten Teilchen am Boden ab. Auf der Oberfläche verbleiben leichte und ölhaltige Stoffe. Vermischt mit Laub entsteht daraus im Laufe der Zeit eine dicke schwarze Brühe. Zwischen dieser Brühe und dem Bodensatz befindet sich eine Schicht von Wasser, und das, behauptete jedenfalls Texaco, könne man trinken. Um es abzupumpen, setzte die Firma speziell für diesen Zweck hergestellte Rohre, sogenannte Gänsehälse, ein. Die Ingenieure haben dieses Wasser nicht getrunken.
Nach einer 2003 hauptsächlich im ehemaligen Fördergebiet von Texaco vorgenommenen Untersuchung1 wohnen 87,3 Prozent der befragten Einwohner weniger als 500 Meter von Bohrlöchern, Absetzbecken und anderen Schauplätzen der damaligen Ölförderung entfernt. 42 Prozent leben in einem Umkreis von weniger als 50 Metern. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die örtliche Bevölkerung nach wie vor „einer intensiven Verschmutzung ausgesetzt“ sei.
28 Jahre lang besaß Texaco praktisch exklusiv die Förderkonzession in dieser Region. Von 1962 bis 1992 war das Unternehmen hier aktiv und hat in dieser Zeit nicht ein einziges Mal über die Gefahren für Menschen, Tiere und Pflanzen informiert. Es hat die Firma auch in keiner Weise irritiert, als ausgediente Giftmüllbecken mit Erde und Zweigen zugeschüttet wurden, um darauf Wohnhäuser zu errichten.
Insgesamt hat Texaco 356 Bohrlöcher gegraben. Zählt man die Absetzbecken hinzu, ergibt das 820 verseuchte Gebiete, wie das Gericht der Provinz Sucumbíos festhielt. Und die Bauern treffen immer noch auf weitere Löcher. Aus manchen tritt bis heute Öl aus. Nach Angaben der NGO Acción Ecológica hat Texaco „fast 1,5 Milliarden Barrel Rohöl […] in einem Gebiet von 442 965 Hektar Größe gefördert und vorsätzlich tonnenweise giftige Stoffe und Förderabfälle, dazu mehr als 19 Milliarden Gallonen [etwa 72 Milliarden Liter] verschmutztes Wasser in die Umwelt gekippt.“2 Das Gas wurde unkontrolliert abgefackelt. Wenn es regnete, fiel Ruß vom Himmel. Doch die Menschen tranken das Regenwasser trotzdem. Sie dachten, es sei nicht verschmutzt, weil es „vom Himmel kam“.
Abnorme Wurzeln, farblose Blätter
Die indigenen Gemeinschaften waren am stärksten betroffen. „Der Staat trat überhaupt nicht in Erscheinung“, erklärt uns Jimmy Herrera, der an den Gesprächen der jetzigen Regierung mit den Amazonasvölkern teilnimmt. „Texaco kontrollierte alles. Zum Ausgleich schenkte der Konzern den Indigenen irgendwelchen nutzlosen Krimskrams, und wenn sie protestierten, drohte er mit der Armee.“
Später kamen dann die Evangelikalen: Flugzeuge flogen über das Gebiet und warfen „Aluminiumtöpfe, Hosen, farbige Bänder, Knöpfe und Fotos von Missionaren“3 ab. Das Gemeindeleben, berichtet die Frau aus Yuca, sei damals völlig durcheinandergeraten, weil plötzlich alle von den Texaco-Löhnen abhängig waren: Wegen der Umweltverschmutzung waren Jagd und Fischfang unmöglich geworden.
Wer aus der Stadt kommt, lauscht in dieser dem Dschungel abgerungenen Siedlung fasziniert dem Gesang unbekannter Vögel, der sich mit den Schreien der im Dickicht verborgenen Tiere mischt. Das Blätterwerk verschwimmt zu einem einzigen grünen Aquarell.
Medardo Shingre reißt uns aus unseren Träumen. Er ist Bauer, lebt seit 40 Jahren in Tarapoa und ist eines von 30 000 Texaco-Opfern. Seine Äcker sind verseucht. Das muss man wörtlich verstehen: Wo immer er in einem großen Umkreis einen kaum 20 Zentimeter langen Stock in den Boden steckt, steigt Öl empor. Die Natur passt sich an: ausgewachsene, aber winzige Bananenstauden, merkwürdig geformte Wurzelknollen, farblose Früchte und Blätter. Auf den ersten Blick erscheint der Ackerboden ganz normal, aber in größerer Hitze weicht er auf und klebt an den Schuhen.
In den Provinzen Sucumbíos und Orellana ist die Krebssterberate dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. 43 Prozent der betroffenen Familien hatten Wasser getrunken, das zwischen 100 und 250 Meter von einer Verschmutzungsquelle entfernt entnommen wurde.4 Die Frau aus Yuca erinnert sich, dass die Leute von Texaco ihrem Vater erklärten, mangelhafte Hygiene würde krebskrank machen. Sie hat auch den blonden Mann nicht vergessen, der ihr versicherte, das ölverschmutzte Wasser würde sie stark machen: „Schließlich fahren auch die Lastwagen damit!“
1992 verließ Texaco das Land. Am 3. November 1993 erhoben Bauern und Indigene aus Orellana und Sucumbíos, unterstützt von mehrheitlich US-amerikanischen NGOs, vor einem New Yorker Gericht Anklage gegen den Ölkonzern. Sie warfen ihm vor, Umwelt- und Gesundheitsschäden verursacht zu haben. Sechs Monate später schlossen sich etwa 20 Organisationen aus der Region an und unterstützten die Klage der „Vereinigung der Opfer von Texaco“ (Updat). Die „Front zur Verteidigung des Amazonas“ war geboren.
Um ein Gerichtsurteil zu umgehen, vereinbarte Texaco mit der damaligen ecuadorianischen Regierung einen Aktions- und Sanierungsplan: Das Unternehmen versprach, 162 Absetzbecken zu reinigen. „Es hat einfach einen Subunternehmer engagiert, der Erde auf die Becken gekippt hat“, erinnert sich Medardo Shingre. „Aber wenn man die Becken abdeckt, wird das Problem noch größer, denn das Öl bleibt ja da und verseucht den Boden ringsum noch mehr.“ 1998 unterzeichneten Texaco und die Regierung das Finiquito-Abkommen, das den Konzern vor jeder staatlichen Klage nach dieser „Sanierung“ schützen sollte. Die 30 000 Opfer, die keine Entschädigung erhalten hatten, kamen in dieser Einigung nicht vor.
Doch das begonnene Gerichtsverfahren wurde weitergeführt. Texaco machte Druck, um den Prozess aus den USA an ein ecuadorianisches Gericht zu verlagern, und versprach sogar, die Gerichtsentscheidung zu respektieren. Das sei reine Strategie gewesen, sagt der junge Anwalt Pablo Fajardo, der aus der betroffenen Region stammt. Denn Texaco besaß „Einfluss auf Politik und Justiz“. „Der Konzern war überzeugt, er könne den Prozess kontrollieren. Er hatte nicht Unrecht.“5 Im Oktober 2003, zwei Jahre nach der Übernahme von Texaco durch Chevron, begann das Gerichtsverfahren in Ecuador.
Fajardo, der in den letzten zehn Jahren mit 39 Anwälten zu tun hatte, erzählt, Chevron habe mehrere Milliarden Dollar für Gerichts- und Anwaltskosten gezahlt. Die Front zur Verteidigung des Amazonas konnte nur auf ihre eigenen bescheidenen Mittel und die internationale Solidarität zurückgreifen. Chevron hatte nicht damit gerechnet, dass sich mit der Wahl Rafael Correas ins Präsidentenamt die Verhältnisse so stark ändern würden. Am 14. Februar 2011 erging schließlich das Urteil: Der Ölkonzern wurde schuldig gesprochen. Er sollte 9,5 Milliarden Dollar an die Updat zahlen, um Böden zu sanieren, Wasserleitungen zu bauen und Gesundheits- und Entwicklungsmaßnahmen in dem betroffenen Gebiet zu ermöglichen.
Außerdem verhängte der Richter eine weitere Auflage: Chevron sollte sich innerhalb von 14 Tagen nach der Urteilsverkündung öffentlich bei den Geschädigten entschuldigen. Im Fall einer Weigerung würde die Strafe verdoppelt. Chevron weigerte sich, der Auflage nachzukommen. Die Strafe wurde zunächst verdoppelt, doch dann kassierte der ecuadorianische Strafgerichtshof am 12. November 2013 die Auflage.
Chevron zog vor internationale Gerichte, mit der Begründung, dass die Beseitigung der Schäden Aufgabe der ecuadorianischen Regierung sei. Mindestens acht Lobbyorganisationen wurden beauftragt, um verschiedene Kongressabgeordnete und Mitarbeiter des US-Handelsministeriums zu bearbeiten. Das Ziel: die Regierung Ecuadors zu diskreditieren und ihre wirtschaftlichen Interessen zu untergraben.
2009 hatte Chevron in den USA vierzehn Klagen gegen die „Front zur Verteidigung des Amazonas“ erhoben. Im Februar 2010 schloss sich das New Yorker Bundesgericht der Argumentation an und erklärte, dass nach dem Gesetz gegen organisierte Schutzgelderpressung und Korruption (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations, Rico) die Mitglieder der „Front zur Verteidigung des Amazonas“ strafrechtlich zu verfolgen seien, da sie Chevron hätten „erpressen“ wollen. Im Augenblick klagt der Ölmulti vor einem Washingtoner Gericht gegen Quito wegen „Verletzung des bilateralen Investitionsschutzvertrags“ mit den USA. Die Entscheidung wird nicht vor 2015 erwartet. Bis heute hat Chevron den Opfern keinen Cent gezahlt.6
Epilog: Am 17. Dezember 2013 erhielt ich eine lange E-Mail von Chevron-Sprecher Morgan Crinklaw an meine private Mailadresse. Er teilte mir ohne Umschweife mit, er wisse, dass ich „Ölförderstätten im Osten von Ecuador besucht“ hätte, und erklärte, dass das Unternehmen von der ecuadorianischen Regierung „verfolgt“ werde. Am nächsten Tag begann ich, mich zu fragen, wie er an meine private Mailadresse gekommen ist. Ich weiß es bis heute nicht.