08.10.2010

Lauschangriff aus der Wüste

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Lauschangriff aus der Wüste

Die „Einheit 8200“ der israelischen Armee fängt E-Mails und Telefongespräche aus aller Welt ab von Nicky Hager

Die wichtigste nachrichtendienstliche Abhörstation Israels liegt etwa 30 Kilometer vom Be’er-Scheva-Gefängnis entfernt, wo in diesem Frühjahr alle Aktivisten von der Hilfsflottille für den Gazastreifen festgehalten wurden, nachdem am 31. Mai israelische Soldaten die „Mavi Marmara“ angegriffen und die anderen Schiffe blockiert hatten. Die bislang streng geheim gehaltene Anlage ist mit unzähligen Satellitenantennen ausgestattet, um Telefongespräche, E-Mails und andere Kontakte zwischen dem Nahen Osten, Europa, Afrika und Asien zu empfangen. Außerdem gibt es spezielle Antennen zur Überwachung des Schiffsverkehrs. Es ist anzunehmen, dass von hier aus auch die Besatzung der Hilfsflottille ausspioniert wurde.

Zu Israels Vormachtstellung in Nahost fällt einem zuerst seine hochgerüstete Armee ein, dann die atomaren Waffen und der Geheimdienst Mossad, der zuletzt von sich reden machte, als Agenten in Dubai von Überwachungskameras dabei enttarnt wurden, wie sie einen Mordanschlag auf den Hamas-Funktionär Mahmud al-Mabhuh verübten.

Mindestens genauso bedeutsam sind jedoch Israels elektronische Datensammlungen über Regierungen, internationale Organisationen, ausländische Firmen und Einzelpersonen. Alles, was der Regierung von Interesse zu sein scheint, wird ausgespäht. Seit Jahrzehnten trägt die Abhörstation am Rande der Negev-Wüste entscheidend dazu bei, Israels militärische Stärke und politischen Einfluss zu sichern.

Israelische Geheimdienstquellen haben uns die Basis genauestens beschrieben: ihre Lage, zwei Kilometer nordöstlich vom Kibbuz Urim entfernt, die Satellitenantennen in verschiedenen Größen beiderseits der Straße 2333 und die Verwaltungsgebäude und Kasernen mit Sicherheitszäunen und Wachhunden. Die Satellitenbilder kann man sich sogar im Internet anschauen – sie wurden nicht unkenntlich gemacht.1 Ein geübtes Auge erkennt die typischen Elemente einer elektronischen Abhöranlage: Ein großer Kreis inmitten des Ackerlands etwa deutet auf Richtantennen hin, die zur Überwachung des Schiffsverkehrs dienen.

Der Stützpunkt Urim wurde wie ähnliche Abhöreinrichtungen in Großbritannien und den USA schon vor Jahrzehnten eingerichtet, um die Kommunikation zu überwachen, die über das Satellitennetz Intelsat lief – eine wichtige Schnittstelle im internationalen Telefonverkehr und Datenaustausch. Später erweiterte man die Überwachung auf Schiffsverbindungen (Inmarsat) und nahm danach sehr schnell immer mehr regionale Satelliten ins Visier.

Insofern ähnele die israelische Anlage „den Bodenstationen des Echelon-Satelliten-Abhörnetzes“, sagt der britische Journalist und Geheimdienstexperte Duncan Campbell. Echelon ist ein weltweites Netzwerk von Überwachungsstationen, die sich in Satellitenverbindungen einklinken und E-Mails, Faxe und Telefongespräche nach bestimmten Adressen, Telefonnummern und Schlüsselbegriffen durchforsten.

Die gewonnenen Informationen werden an die Geheimdienste der fünf großen Partnerstaaten des UKUSA-Abkommens – USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland – weitergereicht. Das UKUSA-Abkommen wurde 1947 während des Kalten Kriegs zunächst nur zwischen Großbritannien (UK) und den USA abgeschlossen, um den Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten zu verbessern. Später schlossen sich weitere Staaten dem Netzwerk an, das sich inzwischen auch in Kanal- und Hochfrequenzverbindungen einschalten kann. Die Satellitentelefone, die auf den Schiffen der Hilfsflottille für Gaza benutzt und von Inmarsat und anderen Satelliten verwaltet wurden, dürften für solche Hightech-Anlagen ein leichtes Ziel gewesen sein.

Die Software von extrem leistungsstarken Computern wird so programmiert, dass sich aus den angezapften E-Mails, Anrufen und Daten bestimmte Stichwörter und Telefonnummern herausfiltern lassen. Die abgefangenen Nachrichten landen anschließend in der Überwachungszentrale „Einheit 8200“ in Herzlia, nördlich von Tel Aviv. Dort werden sie übersetzt und an das Militär, den Mossad und weitere Regierungsdienststellen weitergeleitet.

Die „Einheit 8200“, eine offizielle Dienststelle der israelischen Armee, ist ähnlich wie das britische Government Communication Headquarters (GCHQ) oder die amerikanische National Security Agency (NSA) personell und finanziell viel besser ausgestattet und zugleich der Allgemeinheit weit weniger bekannt als der Mossad, der MI6 – man denke nur an die James-Bond-Filme – oder die CIA.

Ob Freund oder Feind – angezapft wird jeder

Die Abhöraktionen richten sich unterschiedslos gegen Freund und Feind. Eine junge Frau, die ihren Wehrdienst in der „Einheit 8200“ in Herzlia verbrachte, erzählte, dass sie ausschließlich damit beschäftigt war, abgefangene E-Mails und Telefonate aus dem Englischen und Französischen ins Hebräische zu übersetzen. Es sei eine „interessante“ Aufgabe gewesen, die oftmals banale Korrespondenz nach echten Fundstücken zu durchstöbern. In ihrer Abteilung hörte man aber nicht nur „diplomatische Verbindungen“ ab. Sie verbrachte auch viel Zeit damit, Internetseiten von Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen zu durchforsten, welche die Regierung Netanjahu zur regelrechten strategischen Bedrohung erklärt hat.2

Und schließlich zapft die Anlage in Urim auch Unterseekabel an – vor allem die im Mittelmeer, die Israel über Sizilien mit Europa verbinden – und verfügt über Abhörgeräte in Israels Auslandsvertretungen. Die Einheit 8200 besitzt auch in den palästinensischen Autonomiegebieten geheime Relaisstationen und setzt mit Elektronik vollgestopfte Spezialflugzeuge ein. Abgesehen von TV-Satelliten, die als Überwachungsobjekte eher ausscheiden dürften, sind die meisten Sender auf einem imaginären Bogen, der vom Atlantik bis zum Indischen Ozean reicht, potenzielle Ziele. Neben Intelsat und Inmarsat sind das russische, arabische, europäische und asiatische Satelliten.

Mit ihren 30 Überwachungsantennen ist Urim die weltweit größte Abhörstation. Die einzige Anlage in vergleichbarer Größe ist die US-Basis im britischen Menwith Hill in Yorkshire. Weitere Abhörstationen sind seit den 1980er Jahren bekannt: In der Nähe von Bad Aibling in Oberbayern stand eine große NSA-Basis, eine weitere befindet sich auf dem britischen Atoll Diego Garcia im Indischen Ozean, und die 20 Abhörantennen der größten britischen Anlage stehen auf den Klippen von Cornwall in Morwenstow. Frenchelon, das Netz des französischen Auslandsgeheimdienstes, verfügt über mehrere Anlagen in Frankreich selbst und in Überseedepartements.

Die Stationen in Morwenstow und Bad Aibling kennt man spätestens seit den 1980er Jahren aus Medienberichten und Dokumentationen, und über Menwith Hill wird schon lange diskutiert. Nur Israel ist es bislang gelungen, seine Abhöranlage am Rande der Wüste jahrzehntelang vor der Öffentlichkeit zu verstecken.

Fußnoten: 1 Siehe dazu das Dossier auf der Internetseite der französischen Le Monde diplomatique: blog.mondediplo.net/2010-08-30-Un-tour-du-monde-des-stations-d-ecoute#La-base-d-Ourim. 2 Siehe Thomas Kennan und Eyal Weizman, „Die dritte Bedrohung Israels“, Le Monde diplomatique, Juli 2010.

Aus dem Englischen von Edgar Peinelt

Der neuseeländische Journalist Nicky Hager hat 1996 das erste Buch über das Abhörnetz Echelon verfasst: „Secret Power: New Zealand’s Role in the International Spy Network“, Nelson (Craig Potton Publishing) 1996.

Le Monde diplomatique vom 08.10.2010, von Nicky Hager