Geschichte einer Idee
Sie waren überzeugte Zionisten, der Philosoph Martin Buber (1879–1965) und der Rabbiner Judah Magnes (1877–1948), der erste Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem. Für sie stellte sich überhaupt nicht „die Frage, ob es eine jüdische Nation gibt. Selbstverständlich gab es sie, und sie hatte das Recht, nach Palästina zurückzukehren und der ganzen Welt ein Beispiel für Gerechtigkeit zu werden.“1
Doch ihr Anspruch, „ein Beispiel für Gerechtigkeit“ zu werden, vertrug sich nicht mit der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung. Wie viele andere Einwanderer auch hatten sie bei ihrer Ankunft überrascht festgestellt, dass Palästina kein Land ohne Volk war, und sie waren es sich schuldig, eine Formel für das Zusammenleben von Juden und Arabern zu finden.
Das politische Pendant zu Bubers und Magnes’ im Wesentlichen moralischen Haltung verkörperte die mächtigen Organisation Hashomer Hatzair („Der junge Wächter“), die den Binationalismus ab 1929 in ihr Programm einbaute. Sie verwarf die Idee, ein spirituelles jüdisches Zentrum in Palästina zu schaffen, und versuchte stattdessen die „jüdische Frage“ mit der Gründung eines Staats zu beantworten. Ihre marxistisch gesinnten Anführer waren überzeugt, dass „das zionistische Projekt nur einer kleinen Fraktion der arabischen Nation in die Quere kommt, nämlich den Ausbeutern“.2
Die Anhänger des Binationalismus waren damals keine Randgruppe. 1944 vereinigten sie 40 Prozent der jüdischen Stimmen auf sich. Doch wie andere linke zionistische Organisationen brachte es auch Hashomer Hatzair nicht fertig, den Widerspruch zwischen ihrer Theorie und ihrer nationalistischen Praxis aufzulösen, die mit dem Schlagwort „jüdische Arbeit“ in die Enteignung und Vertreibung arabischer Bauern mündete. Sie fand folglich keinen einflussreichen arabischen Gesprächspartner, der eine jüdische Ansiedlung in Palästina als legitim hätte akzeptieren können.
Anfang 1947 beschloss Großbritannien, das vom Völkerbund erhaltene Mandat für Palästina aufzugeben, und die Frage nach der Zukunft dieses Gebiets wurde der gerade erst gegründeten Organisation der Vereinten Nationen vorgelegt. Eine elfköpfige Sonderkommission (Unscop) prüfte die verschiedenen Optionen; allerdings hatte sie nur Verbindungen zu den Zionisten – von den arabischen Organisationen wurde sie boykottiert. Hashomer Hatzair und Martin Buber sprachen sich für einen binationalen Staat aus, doch diese Option wurde von der Kommission mehrheitlich verworfen.3 Am 29. November 1947 stimmte die Generalversammlung für die Teilung Palästinas in zwei Staaten plus Jerusalem und Umgebung unter internationaler Kontrolle. Alle drei Gebiete sollten durch eine Wirtschaftsunion verbunden sein.
Damals lehnten die meisten palästinensischen Organisationen die Teilung ab. Einzig die nationale Befreiungsliga, eine kommunistische Bewegung, empfahl die Gründung eines Staates, der allen seinen Bürgern, auch den jüdischen, gleiche Rechte einräumen sollte. Dieses Projekt, das 20 Jahre lang vergessen war, wurde nach dem israelisch-arabischen Krieg von 1967 durch Jassir Arafats Fatah wieder zum Leben erweckt. Am 1. Januar 1969 verkündete das Zentralkomitee der Fatah, sie kämpfe „nicht gegen die Juden als ethnische und religiöse Gruppe“, sondern „gegen Israel als Ausdruck der Kolonisation auf Grundlage eines rassistischen und expansionistischen theokratischen Systems, Ausdruck des Zionismus und des Kolonialismus. […] Die Fatah verkündet feierlich, dass der Endzweck ihres Kampfes die Wiederherstellung des autonomen und demokratischen palästinensischen Staates ist, dessen Bürger, unabhängig von ihrem Bekenntnis, allesamt gleiche Rechte genießen.“4
Das war ein Wendepunkt. Von nun an akzeptierten die Palästinenser zwar nicht die Rechtmäßigkeit des zionistischen Projekts, doch immerhin die vollendete Tatsache: die Anwesenheit von mehreren Millionen Juden auf palästinensischem Gebiet. Es wäre absurd, wie die Fatah feststellte, zu erwarten, dass sie „nach Hause“ zurückkehrten.
Der fünfte Palästinensische Nationalrat der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) trat im Januar und Februar 1969 zusammen, wählte Jassir Arafat zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees und verfasste eine Resolution mit dem Ziel der „Errichtung einer freien und demokratischen Gesellschaft in Palästina, für alle Palästinenser, seien sie Muslime, Christen oder Juden“.5
1970 brachte der Verlag Les Éditions de Minuit in Paris eine Reihe von Schriften der Fatah heraus („La Révolution palestinienne et les juifs“), die maßgeblich dazu beitrug, dass sich in Europa mehr Fürsprecher für die palästinensischen Sache fanden. „Neu ist“, heißt es etwa in einem der Texte, „dass sich die nichtjüdischen Araber, die von den in Palästina angesiedelten Juden aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben wurden, wieder an einen Staat wenden können, der die ehemaligen Opfer und die ehemaligen Angreifer in sich vereint. Diese Idee ist revolutionär …“
Ein Staat, zwei Nationen
Revolutionär war der Vorschlag zweifellos. Aber er war auch uneindeutig: Was für eine Art Staat soll gegründet werden? Wie sollte eine Verfassung aussehen, die allen Bürgern gleiche Rechte garantiert? Welchen Status sollten das Hebräische und die jüdische Kultur haben?
Andererseits warf die Fatah, als sie die Unumkehrbarkeit der jüdischen Präsenz in Palästina anerkannte, ein Problem auf, das sie niemals lösen konnte: Die Gründung eines gemeinsamen Staates hätte die Mitarbeit zumindest eines Teils der israelischen Juden vorausgesetzt. Doch der Fatah gelang es nicht, Brücken zu den maßgeblichen Kreisen der israelischen Bevölkerung zu schlagen, sie hatte nur Kontakt zu kleinen antizionistischen Gruppen. So wurde das Projekt schließlich wieder aufgegeben.
Paradoxerweise aber war es gerade die Anerkennung der unumkehrbaren jüdischen Präsenz, die das palästinensische Volk auf die Idee einer Teilung vorbereitete. Die internationale Anerkennung des palästinensischen Anliegens, zumal nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, die Unterstützung, die der PLO insbesondere von der Sowjetunion zuteil wurde, die wie die allermeisten Staaten die Legitimität Israels anerkannte, und das geringe Echo, das die Idee des gemeinsamen Staates bei der israelischen Gesellschaft fand: All das bewog die Fatah nach und nach, der Zweistaatenlösung den Vorzug zu geben.
Die Osloer Abkommen des Jahres 1993 erschienen wie ein Weg zu diesem Ziel, das erst die westlichen Länder, allen voran Europa, dann aber auch die USA guthießen. Eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen von 2003 bestätigte den Konsens, der in den Neunzigerjahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Am 14. Juni 2009 schloss sich endlich auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, wenngleich nur halbherzig, der Idee an.
Es ist eine Pirouette der Geschichte, dass die Zweistaatenlösung ausgerechnet in dem Moment, in dem sie vor Ort als unmögliches Unterfangen erscheint, innerhalb der internationalen Gemeinschaft auf einhellige Zustimmung stößt. Alain Gresh