10.04.2014

Jobbik und die Liebe zu den Turkvölkern

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Jobbik und die Liebe zu den Turkvölkern

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Ab und zu trägt Gábor Vona, 35, Vorsitzender der Partei „Bewegung für ein besseres Ungarn“ (Jobbik), ein Palästinensertuch um den Hals. Für den Chef einer Partei, die als rechtsradikal eingestuft wird, ist das, denkt man, ein eher ungewöhnliches Kleidungsstück. Vona trug die Kufija zum Beispiel im November 2012 in Budapest – bei einer Demonstration gegen die israelischen Militäroperationen im Gazastreifen. Zuvor hatte er im Parlament eine Resolution vorgelegt, die den „Genozid in Gaza“ anprangerte.

Dazu erklärte der bei Jobbik für internationale Beziehungen zuständige Márton Gyöngyösi, der auch stellvertretender Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im ungarischen Parlament ist: „Mit der tagtäglichen Demütigung des palästinensischen Volkes weckt Israel Erinnerungen an die dunkelsten Perioden der Geschichte.“ Wenige Tage später forderte er die ungarische Regierung auf, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen und eine Liste aufzustellen mit „Menschen jüdischer Abstammung, die hier leben, insbesondere Mitglieder des ungarischen Parlaments und der ungarischen Regierung, die tatsächlich ein nationales Sicherheitsrisiko für Ungarn darstellen“.

Der Skandal schlug in Ungarn wie im Ausland hohe Wellen. Doch das Verhalten der Partei resultiert nicht allein aus ihrer feindseligen Haltung gegenüber Israel. Bei den letzten Wahlen vom Mai 2010 hatte Jobbik 16,7 Prozent der Stimmen gewonnen und damit 47 von 386 Parlamentssitzen errungen. Seither gab die Partei immer wieder Sympathie für die muslimische Welt zu erkennen. Gábor Vona erklärte gar, er sei vom Islam fasziniert, der für ihn die letzte Bastion des Traditionalismus gegen die Globalisierung darstellt: „Der Islam ist die letzte Hoffnung der Menschheit in der Finsternis des Globalismus und Liberalismus“, erklärte er bei einem Besuch türkischer Universitäten im November 2013.

Vona behauptet darüber hinaus: „Unsere nationalen Wurzeln sind in den Völkern des Orients.“ Seine Partei lehnt die von den meisten Wissenschaftlern unterstützte Hypothese ab, die Ungarn seien ein entfernt mit Finnen und Esten verwandtes Volk, das mehrere Assimilationsprozesse durchlaufen habe. Sie behauptet vielmehr, dass die Ungarn direkt von den Hunnen und deren Anführer Attila abstammen. Der Jobbik-Abgeordnete Gyöngyösi verkündet: „Strenge Wissenschaften wie Genetik, Anthropologie, Archäologie, aber auch die schlichte Beobachtung der volkstümlichen Traditionen, etwa in Märchen und Mythen, in Tänzen, in der Volksmusik und in der Reitkunst, zeigen uns auf, dass wir ohne jeden Zweifel ein turanisches Volk sind und dass unsere nächsten Verwandten in Zentralasien und in der Kaukasusregion leben.“

Die mythischen Ursprünge und der „Panturanismus“, der die Einheit der Völker beschwört, die von den turksprachigen Stämmen Zentralasiens abstammen, werden alljährlich im August mit einem großen Festival namens Nagy-Kurultáj gefeiert. In der Puszta, hundert Kilometer südlich von Budapest wollen Tausende Zuschauer erleben, wie ungarische, usbekische, uigurische, türkische, aserbaidschanische und kasachische Bogenschützen und Reiter gegeneinander antreten.

Am Rande des Festivals, das auch von der Regierungspartei Fidesz gefördert wird,1 gab es Gelegenheit zu diplomatischen Kontakten. 2013 waren die Botschafter Kasachstans und Aserbaidschans und eine türkische Delegation anwesend, 2012 auch ein Vertreter der iranischen Botschaft.

Der Iran steht bei Jobbik ebenfalls hoch im Kurs. 2010 hatte die Partei sogar gefordert, die Parlamentswahlen nicht nur von ihrer eigenen Miliz, der Magyar Garda, sondern auch von islamischen Revolutionswächtern überwachen zu lassen. Auch in den Jahren, in denen der Iran wegen seines Atomprogramms international geächtet war, pflegte man enge Beziehungen zu Teheran.

2011 organisierte Jobbik eine Konferenz mit iranischen Geschäftsleuten und Staatsvertretern, darunter der Botschafter der islamischen Republik in Ungarn. Die Delegation wurde anschließend von mehreren Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz und vom Budapester Bürgermeister empfangen. „Für den Iran ist Ungarn der Westen, und für Ungarn ist der Iran das Tor zum Orient“, erklärte Vona nach den Gesprächen.

Am Ortseingang der Kleinstadt Tiszavasvári, die seit dem Sieg der rechtsradikalen Partei bei den Kommunalwahlen im Oktober 2010 als „Jobbik-Hauptstadt“ gilt, weist ein kleines Monument auf die Städtepartnerschaft mit dem iranischen Ardabil hin. Wie kam es dazu, dass dieses Nest von 13 000 Einwohnern mitten in der ungarischen Tiefebene eine Partnerschaft mit einer iranischen Stadt mit 500 000 Einwohnern eingehen konnte? Jobbik ersuchte die iranische Botschaft, den Kontakt mit einer Stadt zu vermitteln. Die Umsetzung erfolgte dank der „sehr guten Beziehungen zum Botschafter. Es war ein natürlicher Prozess“, erklärt Gyöngyösi, der auch der Parlamentariergruppe für iranisch-ungarische Freundschaft vorsteht.

Tiszavasvári hat auch eine Partnerschaft mich Yichun in China und Osmaniye in der Türkei. Im zweiten Fall ging die Initiative laut Gyöngyösi allerdings von den Türken aus, die sich auf Vorschlag des ungarischen Botschafters in Ankara für Tiszavasvári entschieden. Die Stadt wurde von türkischen Geschäftsleuten besucht, es folgte eine bilaterale Konferenz. Aber die „blühenden kulturellen Beziehungen“ finden auf ökonomischer Ebene noch keine rechte Fortsetzung. Nur ein ungarisches Werk, das Bauteile für die Automobilindustrie exportiert, hat sich 2012 in Osmaniye angesiedelt, wobei es auch den iranischen Markt im Auge hat.

Die engen Kontakte zwischen Jobbik und dem Iran beruhen auf den traditionell guten diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten. Als einziges EU-Land gratulierte Ungarn dem Iran am 11. Februar 2014 zum 35. Jahrestag der islamischen Revolution. Staatspräsident, Ministerpräsident, Außenminister und Parlamentspräsident sandten Grußadressen an ihre iranischen Amtskollegen. So hatte es allerdings auch schon der Chefdiplomat der letzten, von den Sozialisten geführten Regierung zum 25. Jahrestag gehalten. Im Dezember 2013 erklärte Madschid Tacht-Ravanchi, der für Europa und Amerika zuständige Vizeaußenminister des Iran, bei einem Treffen in Teheran, sein Land lege besonderen Wert auf die Entwicklung der Beziehungen zu Ungarn, das er als „unseren traditionellen Freund in Osteuropa“ bezeichnete.

Ravanchis Vorgänger Ali Ahani hatte schon wenige Monate nach dem Wahlsieg der Fidesz vom Mai 2010 einen Antrittsbesuch in Budapest gemacht, um „die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu stärken“ und über Ungarn Zugang zur Europäischen Union zu finden. In einem Gespräch mit Außenminister János Martonyi begrüßte Ahani den Machtwechsel in Budapest und meinte, die alte Regierung sei zu stark auf das Verhältnis zur EU fokussiert gewesen.

Die Zahl der iranischen Studenten an ungarischen Universitäten wurde 2012 auf 3 000 geschätzt.2 Seit Beginn des Tauwetters in den Beziehungen zwischen dem Iran und dem UN-Sicherheitsrat im November 2013 wartet Ungarn ungeduldig auf die Lockerung der internationalen Sanktionen, da der Wirtschaftsaustausch zwischen beiden Staaten in den letzten Jahren praktisch zum Erliegen gekommen war.

Die geschilderten Initiativen der Jobbik passen zur pragmatischen Regierungsdoktrin der „Öffnung nach Osten“. Diese Politik zielt auf strategische und handelspolitische Partnerschaften mit dem Orient, um Ungarns starke wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen EU-Staaten zu mindern. Derzeit gehen mehr als drei Viertel der Exporte in die EU; ein Großteil davon produziert von Tochterunternehmen westeuropäischer Konzerne. Schon die sozialistischen Regierungen hatten, wenn auch vorsichtiger, die Rolle Ungarns als geostrategisches Scharnier zwischen Ost und West betont und versucht, ihr Land als Basis für die Expansion des europäischen Markts nach Osten anzudienen.

Unter Viktor Orbán hat sich diese Entwicklung beschleunigt. Seit Dezember 2013 sind ungarische Diplomaten in die Türkei, nach Aserbaidschan und nach China gereist; in Budapest wurde der kasachische Außenminister empfangen. Jobbik begrüßt die Neuorientierung einer Außenpolitik, „die bis 2010 sehr stark bis ausschließlich europäisch-transatlantisch ausgerichtet war“, wie Gyöngyösi mit einiger Übertreibung urteilt. Sein Fazit: „Nach dem Ende der Sowjetunion gehörte die Aufnahme in die EU und die Nato3 zu Ungarns vorrangigsten Zielen. Das war die falsche Wahl. Wir müssen unsere eigenen Lösungen finden und für die nationalen ungarischen Interessen kämpfen, mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik, aber auch mittels der Diplomatie und militärischer Allianzen.“

Ungarn misstraut der EU und den USA, von denen es seine Souveränität bedroht sieht. Mit dem Iran, der Türkei oder auch Aserbaidschan hat das Land Handelspartner gefunden, die sich offensichtlich nicht in seine inneren Angelegenheiten einmischen wollen.

Corentin Léotard

Fußnoten: 1 Siehe G. M. Tamas, „Das eiserne Rückgrat der Nation“, Le Monde diplomatique, Februar 2012. 2 Die meisten von ihnen studieren Medizin. Angaben nach Héti Válasz, Budapest, 22. Februar 2012. 3 Ungarn gehört seit 1999 zur Nato und seit 2004 zur Europäischen Union. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Le Monde diplomatique vom 10.04.2014, von Corentin Léotard