10.04.2014

Stadien der Freundschaft

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Stadien der Freundschaft

China baut in Afrika eine Fußballarena nach der anderen von Elliot Ross

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Der „Garten der Bildhauer“ hinter dem Museu Nacional de Arte auf der Avenida Ho Chi Minh in Maputo ist zu einer Art Gefängnishof für die verschiedenen Ozymandiasen1 Mosambiks geworden, eine halböffentliche Müllhalde, auf der koloniale Monumente, die einst hochmütig von den besten Aussichtspunkten der Stadt herabschauten, vor sich hin modern, nicht länger fähig, noch irgendjemanden mit ihren unverschämten Ansprüchen zu schikanieren.

Eine Marmordame in dicker Robe lehnt dort, Gräser wachsen um ihren Sockel. Ihr sind beide Arme abgehackt worden, doch ihre amputierte Hand streichelt immer noch den muskulösen Bauch eines schwarzen Sklaven, der im Lendentuch neben ihr hockt. Gleich daneben steht eine enthauptete Justitia einem kleinem Flecken Unkraut und blanker Erde vor. Keine öffentliche Kunst mehr, aber auch noch nicht ganz Müll, das sind die Monumente, die den Plätzen und Gebäuden der Stadt gezogen wurden wie verfaulte Zähne, nachdem die portugiesische Kolonialherrschaft endlich beendet war, die zu zerstören jedoch niemand so richtig über sich bringen konnte.

An einem Augustnachmittag stieß ich zufällig auf den jüngsten Zuwachs dieser elenden Sammlung. Ein riesiger Bronzeengel lag mit dem Gesicht nach unten im Schmutz, die Flügel wie ein massiver vogelartiger Academy Award hoch über den Kopf gestreckt. Als ich darum herum zu seinem zerklüfteten Fuß ging, ausgerissen, von wo auch immer er mal verwurzelt war, stellte ich fest, dass die Figur völlig hohl war. Im Innern fand sich eine kleine Plakette, deren chinesische Schriftzeichen ich nicht lesen konnte.

Fasziniert ging ich ins Museum zurück und fragte den Mann am Tresen, woher diese riesige Statue gekommen und warum sie hier abgeladen worden war. Er antwortete mit der Miene desjenigen, der einem Idioten geduldig das Offensichtliche erklärt: Der Engel war 2011 von der chinesischen Regierung vor dem neuen Nationalstadion aufgestellt worden, wo er dem Ort etwas Charakter verleihen und als Treffpunkt dienen sollte. Als aber die mosambikanischen Offiziellen sahen, dass die Statue „ein chinesisches Gesicht“ hatte, entschieden sie, dass es nicht angehe, vor ihrem Nationalstadion einen derartigen Engel stehen zu haben, rissen ihn herunter und transportierten ihn mit einem Lastwagen in die Stadt, um ihn Maputos übrigen ungewollten kolonialen Symbolen im „Garten für Bildhauer“ beizugesellen.

Ich ging wieder in den Garten und versuchte, der Statue ins beleidigende Gesicht zu sehen, aber das schwere Ding ließ sich nicht bewegen. Es wäre schwierig genug geworden, die „Rasse“ des Engels festzustellen, selbst wenn ich es geschafft hätte, sein Gesicht zu sehen, und die Rückseite seines Messingkopfs war vollkommen nichtssagend und bot keinerlei Anhaltspunkte.

Das von den Chinesen errichtete Nationalstadion, das Estádio Nacional do Zimpeto, befindet sich am Rand von Maputo, unweit des internationalen Flughafens, der ebenfalls von den Chinesen gebaut wurde (die in den letzten Jahren auch das neue Parlamentsgebäude und einen neuen „Justizpalast“ hochgezogen haben). Als ich das neue Heim für Os Mambas2 zum ersten Mal sah, glaubte ich, dass die Außerirdischen aus District 9 ihr Raumschiff endlich wieder flott bekommen und es in Maputo geparkt hatten. Vor der riesigen grauen Betonschüssel steht in roten Buchstaben eine passende intergalaktische Losung in Mandarin und Portugiesisch: „Amizade entre a China e MoZambique irá prevalecer como o céu ea terra“. Übersetzung: Die Freundschaft zwischen China und Mosambik wird wie Himmel und Erde ewig bestehen.

Alle wissen über Chinas „Stadiondiplomatie“ in Afrika und der Karibik Bescheid. Und auch, wie dieser Trick funktioniert. China baut für relativ geringe Kosten – Zimpeto kostete Berichten zufolge gerade einmal 57 Millionen Dollar – eine sterile Nationalarena, die von Präsidenten in maßgeschneiderten Anzügen, für die Kameras einen Ball kickend, mit langen Reden eröffnet werden können. Im Gegenzug erhält China leichteren Zugang zu natürlichen Ressourcen. Alles im Namen der Freundschaft, selbstverständlich.

In Libreville, der Hauptstadt Gabuns, steht das Stade de l’Amitié, ein weiteres in Cotonou in der Elfenbeinküste. Mosambiks neues Stadion, das 2011 fertig wurde, war erst ziemlich spät dran. Bis 2010 waren mit chinesischer Regierungsunterstützung auf dem gesamten Kontinent über 50 Stadien gebaut worden, sodass wir uns jetzt dem Stadiensättigungspunkt nähern. Hätte es ein Millenniumsentwicklungsziel für Stadien pro Kopf der Bevölkerung gegeben, tauchte Professor Jeff Sachs möglicherweise eines Morgens in einem seiner Millenniumsdörfer auf und müsste feststellen, dass die Shanghai Construction Group ihm über Nacht einen 55 000-Sitzer neben eines seiner Bohrlöcher gestellt, das Ding Le Stade de la Fraternité getauft und alle Hartholzbäume aus dem Wald abtransportiert hätte.

Falls die Agenda hinter der Stadiondiplomatie geheim war, dann hatte man sie nicht besonders gut versteckt. Dennoch lag das Interesse auf der nicht besonders geheimnisumwitterten Frage, was China im Austausch für all diesen Stadien haben wolle, und weniger darauf, was diese Beigabe zu tatsächlich jeder afrikanischen Hauptstadt kulturell und historisch zu bedeuten hat, ganz zu schweigen, ob es überhaupt Spaß macht, sich darin ein Fußballspiel anzusehen (eher nicht). Im Großen und Ganzen waren jene Orte, die wir als Nationalstadien kannten, bevor Anfang des Jahrhunderts die große Welle der Bauprojekte über uns kam, in den 1960er Jahren nach der Unabhängigkeit gebaut oder umgebaut worden. In vielen fanden sogar die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten statt.

Nach der Unabhängigkeit von Portugal wurde Mosambiks altes Stadion in Estádio da Machava umbenannt. Das war 1968, als Estádio Salazar, mit einem Freundschaftsspiel zwischen Portugal, mit dem schwarzen Spieler Mario Coluna aus Maputo als Kapitän, und Brasilien, unter anderem mit Carlos Alberto und Tostao, eingeweiht worden. Spielt es keine Rolle, dass diese Orte, deren Traversen dick mit nationaler Geschichte belegt sind, abgerissen und durch seelenlose, platt gedrückte Stadien ersetzt werden, bei denen jeder zugibt, dass es sich um nichts anderes als populistisches Schmiergeld mit Flutlichtanlagen handelt?

Sehen Sie sich heute ein Qualifikationsspiel für den Africa Cup of Nations oder die Weltmeisterschaft an, und Sie befinden sich an einem Ort, der keine Erinnerung an öffentlichen Protest oder den nationalen Befreiungskampf mehr hat und stattdessen nur als weitere architektonische Erinnerung an den chinesischen Expansionismus des 21. Jahrhunderts funktioniert. Überall um sich herum werden Sie leuchtend bunte, leere Sitze sehen, und den Anblick werden Sie kaum genießen können.

Von Katar nach Malawi

In den 1960er Jahren entstanden in Lusaka das Independence Stadium und in Blantyre das Kamuzu Stadium. Das Independence Stadium wurde bereits durch das neue Levy Mwanawasa Stadium in Ndola ersetzt und wird noch in diesem Jahr erneuert werden. Malawis Flames aber werden ihre Heimspiele schon bald in Lilongwe austragen, nachdem Ken Lipenga (der Dichter, der Finanzminister wurde, aber das ist eine andere Geschichte) ein Geschäft abgesegnet hat, das sich so anhört, als bedeute es den Todesstoß für meinen liebsten Fußballplatz der Welt: das Kamuzu Stadium in Chichiri.

2006 kommentierte ich aus dem Kamuzu für TV Malawi live ein Spiel zwischen den Big Bullets und den Mighty Wanderers, ein zerfahrenes 0:0 nach endlosem Elfmeterschießen. Ich saß eingezwängt ganz oben im Rang, von dem aus man den VIP-Bereich einsehen konnte, der mit kostspielig aussehenden Stühlen und Sofas vollgestopft war, deren Polster Rückschlüsse auf die relative Macht der Hintern zuließ, die darauf saßen. Das Stadion besteht aus einer niedrigen Haupttribüne und sechs massiven Betonplatten, in die große Stufen hineingeschnitten sind, und fasst zwischen 50 000 und 100 000 Menschen.

Die Fifa und die Confederation of African Football schicken in regelmäßigen Abständen Inspektoren vorbei, die – bevor sie wieder abreisen – düster mit Schließung und Ausschluss drohen, bestürzt über die großen Risse im Beton, den zusammengeflickten Rasen und die fehlende Sicherheit (das Stadion wird praktisch durchgehend von gewöhnlichen Menschen genutzt, die sich dadurch fit halten, dass sie die tausenden Betonstufen hoch und runter laufen).

Es fühlte sich gewiss nicht wie das sicherste Stadion an, in dem ich je gewesen bin, aber es hat hier nie eine Katastrophe gegeben, und die Regelmäßigkeit, mit der die aufgeblasenen internationalen Bürokraten beleidigt verkündeten, das Ding wäre für seinen Zweck nicht gerüstet, hatte etwas Wundervolles angesichts des Umstands, dass es eine Woche später Schauplatz eines weiteren fröhlichen und friedlichen Fußballnachmittags war.

Der französische Philosoph Jacques Rancière vertritt die Ansicht, dass der Westen versucht habe, die Menschenrechte nach Afrika zu verschiffen, als wären es alte Kleidungsstücke. Nun ist es, so hat es den Anschein, an der Zeit, den Afrikanerinnen und Afrikanern Stadien zu schicken. Und es sind, kaum vorstellbar, noch weitere auf dem Weg – oder werden es zumindest sein, sobald 2022 der World Cup in Katar vorbei ist. Genau. Als Bestandteil ihrer komplett verrückten Ansage, das Lieblingssportereignis der Welt ausrichten zu wollen – einschließlich künstlicher Wolken, landesweiter Klimatisierung und einem Miniaturprototyp eines Stadions, der 27 Millionen Dollar gekostet hat –, versuchten die Katarer den Eindruck zu berichtigen, dass es verschwenderisch sein könnte, Milliarden in Stadien zu stecken, in denen niemand je wieder spielen würde. Deshalb wiesen sie darauf hin, dass man diese Stadien zerlegen würde, als bestünden sie aus Lego-Bausteinen, sobald der letzte Ball im World-Cup-Finale gespielt wäre, worauf man sie dorthin verschiffen würde, wo der Bedarf an Fußballstadien am größten sei.

Afrika offensichtlich. Nur: Wo sollen wir die alle hinstellen?

Fußnoten: 1 Anspielung auf Shelleys Gedicht „Ozymandias“, das von Überresten einer Pharao-Statue handelt. 2 Kosename für das Nationalteam von Mosambik. Aus dem Englischen von Thomas Brückner Elliot Ross ist Journalist in New York und Mitbegründer des Blogs „Africa is a country“: africasacountry.com. © Chimurenga Chronic (Kapstadt), siehe chimurengachronic.co.za. Der vorliegende Beitrag erscheint im Mai 2014 in der deutschsprachigen Chimurenga Chronic, einer einmaligen Beilage zum Magazin #22 der Kulturstiftung des Bundes, der wir für den Vorabdruck danken.

Le Monde diplomatique vom 10.04.2014, von Elliot Ross