10.04.2014

Zentralafrika erstickt am Hass

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Zentralafrika erstickt am Hass

von Simone Schlindwein

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Ob man die Bibel oder den Koran liest, ob man als Halsschmuck eine Kette mit Kreuzanhänger oder eine Misbaha trägt, kann in der Zentralafrikanischen Republik über Leben oder Tod entscheiden. Antimuslimische Milizen haben in den vergangenen Wochen grausame Verbrechen an der muslimischen Minderheit begangen. Tausende Menschen, schätzt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), wurden seit dem erneuten Ausbruch der Gewalt im Dezember 2013 brutal ermordet.1

Die letzten noch verbliebenen Muslime packen ihre Habseligkeiten zusammen und fliehen in den Norden. Ihr Auszug gleicht einer Völkerwanderung. Der Süden des Landes um die Hauptstadt Bangui wird von marodierenden Jugendbanden beherrscht. Der Staat ist nicht mehr existent, die Übergangsregierung handlungsunfähig, das Land faktisch zweigeteilt. Doch das, was sich im Herzen des Kontinents abspielt, ist nur auf den ersten Blick ein Religionskrieg. In diesem erbitterten Konflikt, der eine brandgefährliche Eigendynamik entwickelt hat, geht es vor allem um Macht und Ressourcen.

Die Zentralafrikanische Republik ist seit jeher zweigeteilt, und zwar in topografischer und wirtschaftlicher, aber auch in kulturell-religiöser Hinsicht: Hier grenzt die wüstenartige Sahelzone mit ihren muslimischen Nomadenstämmen an die subsaharische Savanne, in der christliche, sesshafte Bauern siedeln. Markiert wird die Grenze von Sümpfen, die in der sechsmonatigen Regenzeit praktisch unpassierbar sind.

Zentralafrika ist ein bettelarmes Land: Der Human Development Index (HDI) der UN führt die Republik unter 187 Staaten an 180. Stelle. Der einzige Ort, wo es Strom und Internet gibt, ist die Hauptstadt Bangui. Aber das Zentrum der Macht und der Vetternwirtschaft ist auch zutiefst katholisch.

Am 24. März vorigen Jahres wurde die Regierung des autoritären Regimes von François Bozizé durch die Séléka, eine Koalition muslimischer Rebellen aus dem Norden, gestürzt. Präsident Bozizé flüchtete samt seinen Anhängern ins Ausland.2 An seiner Stelle installierte die Séléka – das Wort bedeutet schlicht „Allianz“ – Michel Djotodia, der damit zum ersten muslimischen Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik wurde. Die im September 2012 gegründete Allianz hatte ihr Ziel erreicht: nach Bangui zu marschieren, die Regierung zu stürzen und endlich die eigenen Vertreter an die Macht zu bringen.

Seit Jahrzehnten waren die Völker des Nordens von der Macht ausgeschlossen, die in der Hauptstadt und damit im Süden konzentriert war. Die von Bangui weit entfernt liegenden Provinzen sind eine Art Niemandsland, wo der Staat faktisch nicht existent ist. Oder genauer, wo er sich weigert, existent zu sein: Es gibt in dieser Gegend praktisch keine Infrastruktur, keine Schulen, keine Krankenhäuser, keine befestigten Straßen.

Doch ausgerechnet in diesem vernachlässigten Norden liegen die Reichtümer des Landes: Diamanten, Erdöl und Uran. Die Zentralafrikanische Republik ist einer der größten Diamantenproduzenten des Kontinents. Viele der Diamantenhändler sind Muslime, die sich nicht länger mit ihrer rein wirtschaftlichen Rolle zufriedengeben. Sie wollen auch an politischen Entscheidungen teilhaben, zum Beispiel über die Ausbeutung der Rohstoffe.

Jugendliche auf Droge gegen schwer bewaffnete Kämpfer

Was als klassischer Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie begann, entwickelte sich zu einer Rebellion der muslimischen Minderheit. Und die schaffte es im März 2013, den durch Korruption ausgehöhlten Staat im Handstreich zu erobern. Doch in der Folge scheiterten die Rebellen an der Aufgabe, eine funktionierende Regierung und Verwaltung einzusetzen. Dieses Scheitern setzte eine neue Dynamik in Gang.

Die Séléka-Rebellen verfügten über keine einheitliche Führung, keine klare Kommandostruktur, keine innere Disziplin und vor allem über kein politisches Konzept. Ihrem Monate dauernden Marsch nach Bangui hatten sich immer mehr Männer und auch Frauen angeschlossen, die mit dem Regime unzufrieden waren. Als die Rebellengruppen am 24. März 2013 in die Hauptstadt einzogen, hatten sie mehrere tausend Mitläufer im Gefolge.

Während sich die Anführer im nagelneuen Fünfsternehotel Ledger einquartierten und begannen, um die Ministerposten zu feilschen, zogen Tausende ihrer muslimischen Kämpfer durch Bangui. In der katholischen Hauptstadt wurden diese Gestalten mit ihren Gebetsketten und den ledernen, mit arabischen Schriftzeichen verzierten Riemen um den Oberkörper als fremde Besatzer wahrgenommen.

Es war ein gigantischer Raubzug: Ministerien, Universitäten, Schulen, Geschäfte, Privathäuser, Warenlager wurden geplündert. Die Eindringlinge nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Die meisten einfachen Séléka-Kämpfer sind ungebildete junge Männer aus dem Busch, die vorher Ziegen und Kühe gehütet hatten. Viele haben lediglich eine Koranschule besucht. Daher sprechen sie besser Arabisch als Sango, das seit 1991 neben Französisch die Amtssprache der Republik ist. Diese Leute hatten noch nie einen Lichtschalter angefasst oder ein Handy benutzt: Sie steckten auch die Fernbedienungen der Klimaanlagen ein, weil sie jedes elektronische Gerät mit Display und Tasten für ein Telefon hielten.

Für die Bevölkerung der 700 000-Einwohner-Stadt war es ein gewaltiger Schock, als ihnen die fremdartigen „Buschmänner“ mit Waffengewalt ihre wenigen Habseligkeiten wegnahmen.

Die muslimischen Stadtviertel von Bangui blieben von den Plünderungen verschont. Vor dem Einmarsch der Séléka waren weniger als 10 Prozent der Hauptstädter Muslime. Aber in der neuen Séléka-Regierung bekamen viele Muslime gute Posten, die Christen hatten das Nachsehen. Aber nicht nur aus diesem Grund fühlten sich die Christen als Opfer. Denn die Séléka regierte mit Terrormethoden: Willkürliche Erschießungen und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Zahlreiche Mitglieder der alten Regierung verschwanden spurlos. Später entdeckten internationale Truppen Massengräber in den Kasernen von Bangui.

Bald formierte sich Widerstand gegen die Willkürherrschaft der muslimischen Rebellen. Organisiert und manipuliert von den alten Machtfiguren des Bozizé-Regimes entstanden, die sogenannten Anti-Balaka: Banden von Jugendlichen, die sich als Bürgerwehr aufspielen. Der Name leitet sich ab von „Anti-Balle-AK47“, also „gegen die Gewehrkugeln der AK47“. Aber „Balaka“ bedeutet auf Sango auch „Machete“.3

Viele Jugendliche nehmen Drogen, die sie sich aus gemahlenen Kokablättern und stimulierenden Kräutern zusammenmischen. Tausende dieser jungen Leute – auf Droge und nur mit leichten Waffen ausgerüstet – begannen im Dezember letzten Jahres gegen die Maschinengewehre der Séléka-Rebellen anzurennen.

Nach blutigen Kämpfen zog sich die Séléka aus der Hauptstadt zurück. Als auch ihr Präsident Djotodia im Januar nach internationalen Druck abtreten musste, wurde eine Übergangsregierung installiert. Doch die schaffte es ebenfalls nicht, eine funktionierende Autorität zu errichten. Seitdem herrschen Bürgerkrieg und Anarchie.

Die aufgehetzten Anti-Balaka richteten ihren Hass alsbald auch gegen muslimische Zivilisten. Sie beschuldigten schlichtweg alle Muslime, mit den Angehörigen der Séléka verwandt zu sein oder sie zumindest unterstützt zu haben. Es kam zu extremen Gewaltakten: Muslime wurden bei lebendigem Leib verbrannt, auf offener Straße wurden ihnen Gliedmaßen abgehackt, und das menschliche Fleisch wurde vor laufender Kamera gegessen. All diese Bilder gingen um die Welt. Der UN-Sicherheitsrat sprach von völkermordähnlichen Zuständen. Die Zahl der Toten wird auf mehrere tausend geschätzt. Das Rote Kreuz sammelt noch immer täglich Leichen auf.

Wie sind solche Gewaltexzesse zu erklären? Junge Männer gehören in Zentralafrika, wie in vielen afrikanischen Ländern, zu den vernachlässigten Gruppen der Gesellschaft. Bei der anhaltend hohen Geburtenrate können die Eltern ihre vielen Kinder häufig nicht einmal mit dem Lebensnotwendigen versorgen, von einer Ausbildung ganz zu schweigen. Zur Schule oder gar zur Universität zu gehen, ist viel zu teuer. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs sind die wenigen staatlichen Schulen des Landes ohnehin geschlossen. Der Staat ist der größte Arbeitgeber des Landes, aber einen Job bekommt man nur mithilfe entsprechender Beziehungen.

Die Séléka-Kämpfer gehören ebenso zu den Verlierern des korrupten Systems wie ihre Gegner, die Anti-Balaka. Junge Männer zu rekrutieren ist ein Kinderspiel: Die Miliz oder Rebellengruppe bietet den Verlierern das Erlebnis von Zusammengehörigkeit, die Machete oder Kalaschnikow verleiht ein Gefühl von Macht, im Akt der Gewalt entlädt sich die aufgestaute Wut.

Viele Jugendliche entwickeln einen starken Hass als Folge extremer Erniedrigung oder Bedrohung, erklärt der Psychologe Pierre Ibor. Der Kongolese arbeitet für eine Nichtregierungsorganisation namens ADSE (Association pour le développement social et la sauvegarde de l’environnement), die sich für Umwelt und Soziales engagiert. Ibor hat zuvor Kindersoldaten im Ostkongo behandelt, jetzt wurde er in die Flüchtlingslager an der Grenze zu Zentralafrika geschickt, um dort Jugendliche zu therapieren.

Diese extreme Form von Gewalt sei ein Instrument, um wieder Macht auszuüben, und zwar in übersteigerter Form, erklärt Ibor: „Man ist nicht nur mächtig genug, einen anderen Menschen zu töten, man kann ihm auch den Kopf abhacken und damit Fußball spielen.“ Diese Zurschaustellung der Gewalt sei eine Art Hilferuf an die Gesellschaft. Er besagt: Seht her, Leute, ich habe so sehr gelitten, und niemand hat mir geholfen, da musste ich mich eigenhändig wehren, und jetzt bin ich genauso brutal wie die, die mir das angetan haben.“

Der Kampf „Christen gegen Muslime“ ist die Endphase eines Machtkonflikts, in dessen Verlauf alle staatlichen Strukturen wie ein Kartenhaus zusammengefallen sind und mit ihnen auch das Gewaltmonopol des Staats. Die nationale Armee ist beim Séléka-Staatsstreich 2013 davongelaufen. Bis heute stehen die Kasernen leer. Die Ohnmacht des Staats ermöglichte eine Spirale der brutalen, von Rachsucht angetriebenen Gewalt nach dem schlichten Motto: Wie du mir, so ich dir.

Die Spirale der Gewalt dreht sich unablässig weiter. Schon kommt es überall zu Kämpfen zwischen den verschiedenen Anti-Balaka-Gruppen. Da-bei geht es unter anderem auch um die Macht in verschiedenen Vierteln von Bangui und in den umliegenden Dörfern, wobei die Milizen oder einzelne ihrer Fraktionen im Auftrag verschiedener Hintermännern agieren.

Die größte Anti-Balaka-Miliz wurde von Angehörigen des Bozizé-Klans aufgerüstet. Ihr Chefkoordinator ist Patrick Eduard Ngaissona, ehemals Jugend- und Sportminister unter Expräsident Bozizé und Chef des nationalen Fußballverbands. Er floh im März 2013 mit Bozizé vor der Séléka nach Kamerun. Sein Haus im Viertel Boy-Rabe in Bangui wurde später zum Gründungslokal und Hauptquartier der Anti-Balaka.

Ebendieser Stadtteil war früher der Wahlbezirk des gestürzten Präsidenten. Hier lebten seine entfernten Verwandten, die Familien seiner Leibwächter, Soldaten und politische Verbündete. Hier hatte die Séléka mehrfach Raubzüge unternommen, willkürlich Menschen erschossen und Frauen vergewaltigt. Und in diesem Viertel formierte sich die stärkste Anti-Balaka-Miliz.

Im Stadtviertel Combattant nahe dem Flughafen herrscht dagegen eine Anti-Balaka, die von Bozizés Erzrivalen Jean-Jacques Demafouth angeführt wird. Diese Truppe liegt jetzt in Fehde mit der Bozizé-treuen Anti-Balaka in Boy-Rabe.

Die im Januar gebildete Übergangsregierung hat den Auftrag, noch in diesem Jahr Neuwahlen zu organisieren. In ihr sind alle Seiten vertreten, auch die Séléka hat drei Ministerposten erhalten. Allerdings sind sämtliche Ministerien geplündert, oft gibt es nicht einmal Stühle. Die Verwaltung ist nach wie vor lahmgelegt. Die Übergangsregierung muss als Erstes ein Budget verabschiedet, damit neue Einrichtungen angeschafft und die Beamtengehälter bezahlt werden können. Die Armeeführung hat angekündigt, die Soldaten erst dann in die Kasernen zurückzurufen, wenn Geld da ist, um ihnen ihren rückständigen Sold auszuzahlen.

Am 20. Januar wählte das Übergangsparlament eine neue Präsidentin: Cathérine Samba-Panza. Die 59-jährige Anwältin, die in Frankreich studiert hat, ist eine von beiden Seiten geachtete Persönlichkeit. Obwohl sie Christin ist, wurde sie von der früheren Séléka-Regierung zur Bürgermeisterin von Bangui ernannt. Schon am Ende des Bürgerkriegs von 2007 hatte sie sich als Vermittlerin betätigt.4

Doch bereits bei ihrer Antrittsrede, die Frau Samba-Panza vor Angehörigen der ehemaligen und jetzt neuen Armee hielt, zeigte sich auf tragische Weise, dass der neue Staat eine Totgeburt ist. Einige der angetretenen Soldaten griffen sich einen Mann, den sie für einen Muslim hielten, und lynchten ihn vor laufender Kamera. Die Präsidentin agiert seitdem sehr zurückhaltend und ist viel im Ausland unterwegs, um finanzielle Unterstützung für ihr Land zu organisieren.

Die Gendarmerie ist wieder auf der Straße, allerdings unbewaffnet. Im Dezember 2013 haben die UN ein Waffenembargo verhängt. So wagen sich die Uniformierten kaum in die umkämpften Viertel. Stattdessen kontrollieren sie in der Innenstadt Führerscheine, um mit dem Bußgeld ihr Salär einzutreiben. Seit sechs Monaten hat der Staat kein einziges Gehalt mehr ausbezahlt.

Die Hälfte des Landes ist auf der Flucht

Der moribunde Staat wird derzeit von ausländischen Truppen am Leben gehalten. Auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats wurden bis zu 6 000 Soldaten einer Mission der Afrikanischen Union (Misca) nach Zentralafrika entsandt. Sie werden von rund 2 000 französischen Soldaten (Operation „Sangaris“) unterstützt.5 Die beiden Missionen werden zwar auf Generalstabsebene koordiniert, doch es herrscht trotzdem ein notorisches Durcheinander. Französische Patrouillenfahrzeuge passieren unangemeldet Gebiete, in denen Misca-Truppen stehen. Und wer in der Kommandohierarchie letztlich das Sagen hat, bleibt ebenfalls unklar.

Auch unter den Misca-Truppen herrscht nicht immer Einigkeit. Auf dem Papier scheint es eine klare Aufgabenteilung zu geben. Verschiedene Nationen sind für verschiedene Regionen des Landes zuständig: Tschads Truppen stehen im Norden, Soldaten der Republik Kongo und Kameruns im Westen, und die Armee der Demokratischen Republik Kongo ist für den Südosten zuständig – jede Nation also nahe der Grenze zu ihrer eigenen Heimat. Soldaten aus Ruanda und Burundi, die keine gemeinsame Grenze mit der Zentralafrikanischen Republik haben, sind in der Hauptstadt Bangui stationiert. Beide Armeen haben Erfahrungen aus Friedensmissionen in Darfur und in Somalia.

Die Misca hat die Aufgabe, Zivilisten zu schützen, Milizen und Rebellen zu entwaffnen sowie zu gewährleisten, dass Hilfseinsätze etwa des Welternährungsprogramms oder des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) die bedürftigen Vertriebenen erreichen können.

Die Kampagne zur Entwaffnung war, wie man inzwischen offiziell zugibt, eine sehr riskante Mission, die anfangs zahlreiche Todesopfer forderte. Denn sobald die eine Seite entwaffnet war, griff die andere Seite wieder an. Diese Operationen wurden deshalb vorerst eingestellt. Die UNO will jetzt ein Entwaffnungs- und Demobilisierungsprogramm erstellen. Derweil konzentrieren sich die Misca-Truppen auf einfache Aufgaben: Sie bieten Geleitschutz für die militärischen Konvois mit Hilfsgütern, die auf dem Weg von Kamerun nach Bangui die Straßensperren der Anti-Balaka passieren müssen.

Jenseits der Hauptstadt Bangui sind die Misca-Truppen kaum präsent. Ihnen fehlt schlicht das Benzin. Im Südwesten werden die Dörfer und die wenigen Straßen von Anti-Balaka kontrolliert, die ihre Organisation und Koordination laufend verbessern. Sie benutzen sogar Funkgeräte, mit denen sie Befehle aus ihrer Kommandozentrale in Boy-Rabe empfangen.

Die Séléka hat sich in den Nordosten zurückgezogen. Die Frontlinie verläuft rund 200 Kilometer von Bangui entfernt quer durch das Land. Die Séléka kontrolliert den Nordosten, die Anti-Balaka den Südwesten. Die Séléka soll inzwischen ebenso gespalten sein wie das ganze Land: Die einen wollen einen neuen Vorstoß nach Süden wagen, die anderen wollen sich ergeben oder in eine neue nationale Armee eintreten.

Inzwischen warnen Menschenrechtsorganisationen vor einer humanitären Katastrophe. Nach ihren Angaben wurde etwa die Hälfte der 4,5 Millionen Einwohner (mindestens zeitweilig) vertrieben und ist von Hilfslieferungen abhängig. 90 Prozent der Bauern, so das UN-Welternährungsprogramm (WFP), können nicht aussähen, obwohl die Regenzeit naht. In dem eigentlich fruchtbaren Land droht eine Hungersnot. Die Wirtschaft liegt am Boden. Die Händler sind geflohen, da die meisten von ihnen Muslime sind. Auf den Märkten gibt es kaum noch etwas zu kaufen.

Dabei ist das Land reich an Rohstoffen. Ein Großteil des Staatsbudgets stammt aus den Exportsteuern für Diamanten. Doch nach dem Staatsstreich der Séléka wurde die Zentralafrikanische Republik aus dem Kimberly-Prozess, dem internationalen Selbstregulierungsmechanismus der Diamantenindustrie, vorübergehend ausgeschlossen. Die Begründung lautete, Diamanten dürften keine bewaffneten Gruppen finanzieren. Damit verloren abertausende Schürfer, meist junge Männer, in den zahlreichen Diamantenminen ihr einziges Einkommen. Viele schlossen sich danach entweder den Anti-Balaka oder der Séléka an.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat den Sicherheitsrat Anfang März aufgerufen, eine 12 000 Mann starke Friedensmission mit einem robusten Mandat nach Zentralafrika zu entsenden. Bis die Blauhelmtruppe in Bangui eintrifft, können noch Monate vergehen.

Fußnoten: 1 Siehe den letzten Human Rights Watch Report vom 24. März 2014: www.hrw.org/news/2014/03/23/central-african-republic-country-turmoil. 2 Vgl. Vincent Munié, „Verspätete Hilfe für Bangui“, Le Monde diplomatique, Oktober 2013. 3 Schon in den 1990er Jahren hatten sich im ganzen Land ähnliche Milizen gebildet, um den Schutz von Dörfern sicherzustellen, da es so etwas wie eine Polizei nicht gab. 4 Zur Person der Präsidentin siehe die Analyse der International Crisis Group (ICG) vom 21. Januar 2014: „Central African Republic: The Third Government in Thirteen Months Gets Under Way“. 5 Zusätzlich soll eine 800 Mann starke EU-Militärmission (Eufor RCA) bis Ende Mai einsatzbereit sein und nach Bangui verlegt werden. Simone Schlindwein ist Auslandskorrespondentin der taz.die tageszeitung in Afrika in der Region der Großen Seen. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 10.04.2014, von Simone Schlindwein