Grenzen des Freihandels
Noch vor seiner Vereidigung erklärte der peruanische Präsident Alan García am 11. Juni, er werde sich nicht gegen die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA sperren. Garcías Vorgänger Alejandro Toledo wollte den Vertrag in den letzten Tagen seiner Amtszeit durchs Parlament peitschen, was ihm Ende Juli auch gelang. Luis Zuñiga, der Vorsitzende des peruanischen Bauernbunds, war empört. Dies geschehe nur, „um ein paar Importeuren von Mais, Weizen und Reis und einigen Konzernen einen Gefallen zu tun“. Die bereits gewählten Abgeordneten der Nationalistischen Partei von Ollanta Humala mussten ohnmächtig zusehen, wie sie bei dieser folgenreichen Entscheidung außen vor blieben.
Das Abkommen ist auch in den USA umstritten. NGOs, Umwelt- und Kirchengruppen warnen, dass die negativen Erfahrungen, die man in Mexiko mit der Nafta und in Zentralamerika mit der Cafta gemacht hat, sich in Peru wiederholen werden.1 Im Kongress wurde die Abstimmung über das im Dezember 2005 ausgehandelte Vertragswerk bis nach den Novemberwahlen verschoben. Dort fürchten zahlreiche Abgeordnete, dass durch diese Freihandelsabkommen Arbeitsplätze in den USA verloren gehen. Die Bush-Regierung hält dennoch an ihrem Kurs fest, zunächst mit kleineren lateinamerikanischen Staaten – Kolumbien, Chile, Ecuador, Peru – Freihandelsabkommen abzuschließen, um so den Druck auf den regionalen Giganten Brasilien zu erhöhen.
Die Entscheidung des peruanischen Kongresses verschärfte die politische Krise in der Region. Venezuela verließ schon im April den Andenpakt CAN, Staatschef Hugo Chávez beklagte den Niedergang der bestehenden regionalen Handelsbündnisse. Es kam zum Streit zwischen Venezuela und Peru, und später auch zwischen Peru und Bolivien, nachdem Evo Morales gesagt hatte: „Der Andenpakt steckt in der Krise, weil darin die Interessen der Unternehmen und der Regierungen zu viel und die Interessen der Bevölkerung zu wenig Gewicht haben.“
Alan García warf dem Präsidenten Venezuelas vor, er vergehe sich „an den Idealen des Bolivarismus“. In Ecuador sagte Rafael Correa, aussichtsreicher linker Kandidat der Präsidentschaftswahlen am 15. Oktober: „Venezuela hat mit seinem Rückzug die Sterbeurkunde unterschrieben. Zerstört wurde der Andenpakt von Kolumbien, Ecuador und Peru. Wie können drei von fünf Ländern einer angeblichen Gemeinschaft im Alleingang bilaterale Handelsverträge mit den USA abschließen? Schluss mit der Heuchelei!“ Durch das Abkommen wird Kolumbien für US-Exporte und -Kapital zum Sprungbrett in die Märkte der übrigen Andenstaaten. Die internen wirtschaftlichen Regeln des Bündnisses sind damit hinfällig.
Bolivien bleibt zwar im Andenpakt, sorgt sich aber um die Zukunft seiner Exporte nach Kolumbien – darunter jährlich 500 000 Tonnen Soja im Wert von 160 Millionen Dollar. Doch die hoch subventionierten Farmer der USA werden Bolivien vermutlich verdrängen.
Ecuador strebte ebenfalls ein Freihandelsabkommen an, wurde jedoch von Washington bestraft, weil es den US-Konzern Occidental Petroleum nach einer Vertragsverletzung des Landes verwiesen und dessen Besitz konfisziert hat. Washington setzte daraufhin die Gespräche aus, was von den sozialen Bewegungen bejubelt wurde.
Noch bis zum Ende des Jahres exportieren Bolivien und Ecuador auch ohne Freihandelsverträge zu relativ günstigen Konditionen in die USA – als Teil des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft in den Anden und zur Bekämpfung der Drogenkartelle (ATPDEA). Dank dieser Regelungen verkaufen beide Länder bestimmte Waren zollfrei in die USA, als Gegenleistung für die Vernichtung der Kokakulturen. Doch dieser Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Bolivien und Ecuador forderten US-Präsident Bush zur Verlängerung des ATPDEA auf. Sie baten Kolumbien und Peru, ihre diplomatische Initiative zu unterstützen. „Nach schwierigen Verhandlungen“, so ein Mitglied der bolivianischen Delegation, „haben wir eine gemeinsame Erklärung zustande gebracht. Aber die Position des peruanischen Präsidenten Toledo hat uns überrascht. Sie war völlig abhängig von den Vereinigten Staaten.“
Washington hat angekündigt, dass die Behandlung dieser Anfrage kompliziert ist. Es könne vier oder fünf Monate dauern, bis erste Ergebnisse vorlägen, und die Erfolgsaussichten seien eher schlecht. Eigentlich sollte das ATPDEA zum Abschluss eines Freihandelsabkommens führen. Da diese nun in Kraft sind oder demnächst in Kraft sein werden, ist von den ködernden Vergünstigungen plötzlich keine Rede mehr.