13.10.2006

Waffen zu Rendite mit Hilfe der EU

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Waffen zu Rendite mit Hilfe der EU

von Luc Mampaey

Investition oder Riesenbetrug? Getragen von der optimistischen Stimmung nach dem Ende des Kalten Kriegs, finanzierten EU-Staaten wie die USA umfängliche Programme zur Konversion bzw. Diversifizierung des Rüstungssektors mit dem Ziel, obsolete Militärbasen und Produktionskapazitäten abzubauen. Die EU-Kommission vergab für diesen Zweck im Zeitraum 1991 bis 1999 über 900 Millionen Euro. Nimmt man die Initiativen auf nationaler Ebene hinzu, summierten sich die Gesamtinvestitionen in diesem Bereich auf fast 2 Milliarden Euro.

Während der Steuerzahler glaubte, an der Gestaltung einer friedlicheren Welt mitzuwirken, sorgten die Marktlogik und die Globalisierung1 dafür, dass der „militärisch-industrielle Komplex“ expandierte. Und nicht politischer Wille, sondern Wirtschafts- und Industrieinteressen führten im Dezember 2000 auf dem EU-Gipfel in Nizza zu dem Beschluss, eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu etablieren.

Das Tempo wurde bereits 1993 vom Pentagon vorgegeben. Wohlwissend, dass profitable Aufträge wie zu Zeiten der Reagan-Administration künftig nicht mehr möglich sein würden, setzte das US-Verteidigungsministerium einen spektakulären Konzentrationsprozess in Gang, dessen Ausgestaltung allerdings völlig den Aktionären und den Hauptakteuren des Finanzkapitals (Investmentfonds, Pensionsfonds usw.) überlassen wurde. Das galt zumindest bis 1998, als das Justizministerium die 8,3 Milliarden Dollar schwere Übernahme von Northrop Grumman durch Lockheed Martin verhinderte.2 Nach 2001 folgte die Übernahme von Newport News Building und TRW durch Northrop Grumman für 2,6 Milliarden bzw. 7,8 Milliarden Dollar (2002), die Übernahme von Titan durch L3-Communications für 2,65 Milliarden Dollar (2005) und der Erwerb von Anteon durch General Dynamics für 2,2 Milliarden Dollar (2006).

Der Ehrgeiz, alle Aspekte einer Technologie zu kontrollieren und potenzielle Konkurrenten am Markteintritt zu hindern, verschaffte einigen Konzerne eine Quasimonopolstellung. Das verstärkte ihren Einfluss auf Regierungsentscheidungen und damit auch die Militarisierung der Außenpolitik. Nachdem die Anleger eine Zeit lang auf die „New Economy“ gesetzt hatten, fassten sie allmählich wieder Zutrauen in die Rüstungsindustrie. 1999 wurde der US-Verteidigungshaushalt erstmals seit Jahren wieder aufgestockt (insbesondere die seit 1986 rückläufigen Ausgaben für neue Waffensysteme). Seitdem zogen auch die Aktienkurse der Rüstungs- und Sicherheitsindustrie wieder an, zumal seit dem Frühjahr 2000, als die Nasdaq-Spekulationsblase platzte.

Einen unverhofften Glücksfall für die institutionellen Anleger, für Rentiers und sonstige Spekulanten stellten dann die Anschläge vom 11. September dar. Am 17. September 2001, als die Wall Street erstmals nach den Anschlägen wieder ihre Türen öffnete, konnten die Rüstungstitel ihre Kurse um 15 bis 30 Prozent steigern. Fünf Jahre später ist die Begeisterung der Anleger ungebrochen. Der stetige Anstieg des Spade Defense Index (DXS), der die Kursentwicklung der 58 repräsentativsten Börsentitel der Rüstungs- und Sicherheitsindustrie widerspiegelt, widerlegt die Behauptung neoklassischer Ökonomen, die Finanzmärkte hätten eine Abneigung gegen den Einsatz militärischer Gewalt. Von Friedensdividende keine Spur: Das 21. Jahrhundert beginnt im Zeichen der Kriegsdividenden.3

Der US-Konkurrenz standhalten

Dass militärische Fragen in der Europäischen Union seither einen höheren Stellenwert einnehmen, resultiert also nicht so sehr aus dem politischen Willen, die europäische Einigung voranzutreiben, als aus dieser durch den „Kampf gegen den Terror“ und die Finanzeuphorie geprägten Stimmung. Bis in die 1980er-Jahre spielten Verteidigungs- und Rüstungsfragen in den Debatten und Vorhaben der Union keine Rolle, weil die Abstinenz Frankreichs eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) verhindert hatte. Die Rüstungsproduktion lag meist in der Hand von Staatsunternehmen und machte den Kernbestand staatlicher Hoheitsrechte in Verteidigungsfragen aus. Für die Rüstungskonzerne galten Sonderregeln, die von den gemeinschaftlichen Bestimmungen zum Wettbewerb bei öffentlichen Ausschreibungen deutlich abwichen. Doch diese Zeit ist längst vorbei.

Seit Mitte der 1990er-Jahre favorisieren die Regierungen eine europaweite Integration ihrer Rüstungsunternehmen, um der Konkurrenz der US-Rüstungskonzerne besser standhalten zu können. Diese Politik hat drei Ziele: eine konkurrenzfähigere Rüstungsindustrie, die Öffnung der Märkte und die Erleichterung von Rüstungsexporten. Alle drei fallen mit den Interessen der neuen Aktionäre zusammen und resultieren aus den Erfolgen einer Branche (und deren Brüsseler Lobby), die fest entschlossen ist, ihre Interessen gegen die Befürworter eines friedlichen Europa durchzusetzen, das als „ruhige Macht“4 wirken will. Ablesen lassen sich diese Entwicklungen an den institutionellen Veränderungen der 1990er-Jahre. Bereits 1997 betraute die Westeuropäische Union, damals die Militärorganisation der EU, die Westeuropäische Rüstungsgruppe (GAEO) mit der Koordinierung der Rüstungszusammenarbeit auf EU-Ebene. Die GAEO, eine informelle Gruppe aus 19 Staaten (die 16 europäischen Nato-Mitglieder plus Österreich, Finnland und Schweden) sollte darauf hinarbeiten, die nationalen Rüstungsmärkte für den innereuropäischen Wettbewerb zu öffnen und die verteidigungsrelevante Industrie- und Technologiebasis der Europäischen Union zu stärken. Am 12. Juli 2004 wurde die Europäische Rüstungsagentur gegründet, die einen wettbewerbsfähigen europäischen Markt für Verteidigungsgüter schaffen soll. Zudem verabschiedeten die EU-Verteidigungsminister am 21. November 2005 einen nicht verbindlichen „Verhaltenskodex“ zur Liberalisierung der nationalen Rüstungsmärkte.5

Die Unionsstaaten gaben schließlich dem Drängen ihrer Rüstungskonzerne nach und beseitigten die seit Jahrzehnten bestehenden Schutzmauern um ihre nationalen Rüstungsmärkte. Dieser Konzentrations- und Privatisierungsprozess brachte ein nachgerade spektakuläres Resultat: Unter den zehn Spitzenreitern der Branche befinden sich nun auch drei europäische Unternehmensgruppen: BAE Systems (hervorgegangen aus British Aerospace), EADS (European Aeronautics Defense and Space), ein deutsch-französisch-spanisches Konsortium mit Sitz in den Niederlanden und die französische Thales-Gruppe.

Während die US-Rüstungskonzerne aber ausnahmslos börsennotiert sind und sich mehrheitlich im Besitz institutioneller Anleger befinden (Finanzinstitutionen, Pensionsfonds und Investmentfonds halten in der Regel 70 bis 100 Prozent des Firmenkapitals), stellt sich die Branche in Europa als vielfach verschachteltes Gebilde dar, bei dem man vor lauter Überkreuzbeteiligungen, Joint Ventures und Unternehmenspartnerschaften kaum durchschaut, wer was kontrolliert. Am Ende dieser durch staatlichen Rückzug geprägten Entwicklung war die Beschäftigung um rund 40 Prozent gesunken. Allein in den beiden Ländern mit der größten Rüstungsproduktion in Europa – Frankreich und Großbritannien – gingen von 1991 bis 2000 über 200 000 Arbeitsplätze verloren.

Dennoch halten Geschäfts- und Finanzkreise die bisherige Umstrukturierung für ungenügend und fordern einen völligen Rückzug des Staats aus diesem Bereich. In einem Kurzbericht betonten 2002 die Analysten von Ernst & Young, einer führenden Unternehmensberatungsfirma, mehrfach, dass nicht den Kunden (sprich Regierungen), sondern den Aktionären „das letzte Urteil über Management- und Strategieentscheidungen“ zustehe.

In erster Linie auf die Gewinne achten

Denn Wachstum und globales Leistungsniveau seien der Maßstab der Beurteilung von Unternehmensführern, und „nicht ihre Fähigkeit, den Interessen einer bestimmten Regierung oder einer Gruppe von Regierungen zu dienen“. Nur bei einem hinreichend attraktiven Angebot solle ein Unternehmen einen Auftrag seines Verteidigungsministeriums akzeptieren. Auch sollten sich die europäischen Rüstungsindustriellen aus ihren traditionellen und regionalen Bindungen an den Alten Kontinent lösen und sich dort entwickeln, wo die besten Wachstumschancen winken, also in den USA.6

Diese Stellungnahmen scheinen im Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen mehrerer EU-Regierungen zu stehen, die mit Sorge beobachten, wie große Teile europäischer Rüstungsunternehmen in den Besitz institutioneller Anleger und Industriegruppen aus den USA übergehen. So übernahm General Dynamics mit der österreichischen Steyr-Daimler-Puch 2003 und der spanischen Santa Barbara 2001 zwei führende europäische Heereslieferanten. Die Carlyle-Gruppe erwarb 2003 die italienische Fiat Avio sowie 30 Prozent an der britischen Qinetiq, während Kohlberg Kravis die deutsche MTU Aero Engine schluckte. Angesichts der US-Offensive müssten die staatlichen Aktionäre eigentlich dafür sorgen, dass größere ausländische Kapitalbeteiligungen von der Zustimmung der Regierung abhängig gemacht werden. Sie müssten außerdem daran interessiert sein, dass der Staat im Bereich der Ausrüstung von Heer und Marine die starke Präsenz behält, die er trotz der Privatisierungswelle der letzten Jahre nach wie vor besitzt.

Doch solche protektionistischen Reflexe zeigen seit Ende der 1990er-Jahre im Kräfteverhältnis zwischen Staat und Finanzkapital keine große Wirkung mehr. Unter dem Einfluss der Finanzmärkte und der Rentabilitätsforderungen der Aktionäre ist die Rüstungsindustrie mittlerweile zum Motor der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) geworden. Diese merkwürdige Konstellation innerhalb des europäischen Rüstungssektors steht für eine Entwicklung, die John Kenneth Galbraith als „revidierten Ablauf“ beschrieben hat. Im klassischen Modell verlaufen die „Instruktionen vom Verbraucher zum Markt und von da zum Hersteller“. Beim revidierten Ablauf hingegen „streckt der Produktionsbetrieb seinen Arm aus, um seine Märkte zu kontrollieren und darüber hinaus das Marktverhalten zu steuern und die soziale Haltung derer zu formen, denen der Produzent angeblich dient“7 .

Resultat dieser Konstellation ist eine wachsende Militarisierung Europas und Tendenz zur Aufstockung der nationalen Verteidigungshaushalte, wie sie auch der europäische Verfassungsentwurf vorsah.8 Eine derart an der kurzfristigen Finanzlogik der Rüstungskonzerne orientierte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird der Europäischen Union nicht helfen, politisch an Profil zu gewinnen. Sie wird im Gegenteil zu einer politischen Schwächung Europas führen.

Fußnoten: 1 Dazu Claude Serfati, „Impérialisme et militarisme: actualité du XXIe siècle“, Lausanne (Editions Page deux) 2004. 2 1998 hat das amerikanische Justizministerium auf Grundlage des Antitrust Acts gegen die Fusion der beiden Konzerne sein Veto eingelegt. 3 Den Verlauf des DXS-Index dokumentiert eine Grafik in: Atlas der Globalisierung, Berlin (Le Monde diplomatique) 2006, S. 71. 4 Bernard Adam, „Pour une Europe, puissance tranquille“, Enjeux Internationaux 12 (April 2006) Paris. Dazu auch: Tilman Evers, „Verhinderte Friedensmacht“, Le Monde diplomatique, September 2006. 5 Siehe meine Analyse in: www.grip.org/bdg/g0999.html. Mit diesem Verhaltenskodex gingen die EU-Mitgliedstaaten unter Führung von Großbritannien und Frankreich erneut in die Offensive, um der Europäischen Kommission zuvorzukommen, die am 24. September 2004 ein Grünbuch zur „Beschaffung von Verteidigungsgütern“ vorlegte: ec.europa. eu/internal_market/publicprocurement/docs/defence/green-paper/com04-608_de.pdf. 6 Ernst & Young, „Europe’s Aerospace and Defence sector: An Industry at the Crossroads“, 9/2002. 7 John Kenneth Galbraith, „Die moderne Industriegesellschaft“, München/Zürich (Droemer Knaur) 1967, S. 238 f. 8 Dazu meine Analyse in: www.grip.org/bdg/g1046.html. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Luc Mampaey ist assoziierter Forscher bei der Groupe de Recherche et d’information sur la Paix et la Sécurité (Grip), Brüssel.

Le Monde diplomatique vom 13.10.2006, von Luc Mampaey