13.10.2006

São Tomé und sein petrolblaues Wunder

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São Tomé und sein petrolblaues Wunder

Der ölreiche Inselstaat zieht Glücksritter, internationale Energiekonzerne und nigerianische Investoren an von Jean-Christophe Servant

Der Weißwein, ein Chamonix Chardonnay, trinkt sich gut in der Äquatorhitze von São Tomé und Príncipe. Aber Chris Hellinger, der unter anderem Weingüter in Südafrika besitzt, ist verbittert: „Unter den politisch Verantwortlichen hier herrscht nur noch Korruption und Neid. Wegen des Erdöls.“

Der Mann weiß, wovon er spricht. Hellinger verdankt sein ursprüngliches Vermögen dem Handel mit Diamanten aus Angola. Heute ist er Chef einer auf den Bahamas registrierten Ölerkundungsfirma. Seine „Island Oil Exploration“ war eine der ersten Gesellschaften, die Ende der 1980er-Jahre auf dem Inselarchipel von der Größe Andorras – vergeblich – nach Erdöl suchte. Damals sagte sich die vor der Küste Gabuns gelegene ehemalige Kolonie Portugals, die am 12. Juli 1975 die Unabhängigkeit erlangt hatte, vom Marxismus los. Auf einer historischen Nationalkonferenz – der ersten in Afrika überhaupt – beschloss man die Einführung eines Mehrparteiensystems.

Die Probebohrungen in den Hoheitsgewässern im Norden, an der Grenze zu den nigerianischen Ölvorkommen, zeigten zu Beginn des neuen Jahrtausends die ersten Erfolge. Mit nachgewiesenen Reserven von 11 Milliarden Barrel Rohöl könnte der Inselstaat mit seinen rund 140 000 Einwohnern bis 2010 knapp 80 000 Barrel pro Tag fördern. Man könnte zum Brunei Westafrikas werden, aber um welchen Preis?

Das Erdöl beginnt das politische Klima des Landes zu vergiften. Seit der Wahl von Fradique de Menezes zum Staatspräsidenten im Jahr 2001 wird die innenpolitische Lage immer instabiler. Während eines Putschversuchs im Juli 2003 musste der frühere Kakaogroßhändler, der von seinem Vorgänger an die Macht gehievt worden war, zeitweise das Feld räumen. Es folgten heftige Machtkämpfe zwischen dem Staatschef und seiner Regierungskoalition unter Führung der ehemaligen Einheitspartei MLSTP-PSD (Befreiungsbewegung von São Tomé und Príncipe – Sozialdemokratische Partei). Wann immer die Türen knallten, ging es um das schwarze Gold, also um die Vergabe von Förderkonzessionen an ausländische Ölgesellschaften im Rahmen der Gemeinsamen Entwicklungszone (JDZ), die der Inselstaat seit 2001 gemeinsam mit seinem mächtigen Nachbarn Nigeria betreibt.1

Während der jüngsten Krise kam die Wut der Menschen zum Ausbruch. Dreißig Jahre nach der Unabhängigkeit gingen die Gymnasiasten zum ersten Mal auf die Straße. Am 2. Juni 2005 reichte Ministerpräsident Damião Vaz d’Almeida seinen Rücktritt ein, womit Staatspräsident Fradique seine fünfte Regierung abhanden kam.

Dubiose Konzessionsvergabe

Hintergrund der Krise war eine Entscheidung, die aus Sicht der MLSTP-PSD ein Betrug war: Tausende Quadratkilometer Meeresoberfläche waren an dubiose Gesellschaften vergeben worden, ohne dass deren technische Fähigkeiten, Offshore-Bohrungen durchzuführen, geprüft worden wären. Die Anwürfe und Beschimpfungen, die in diesem jüngsten Kapitel der são-toméischen Tragikomödie zu hören und zu lesen war, passten zu den enormen Summen, um die es dabei ging. Noch bevor ein Tropfen Öl gefördert ist, sollen für diese Konzessionen 113,2 Millionen Dollar in die Staatskassen fließen – das Dreifache des Bruttosozialprodukts, das bislang überwiegend aus dem Kakaoanbau stammt.

Die Menschen von São Tomé und Príncipe, die im Durchschnitt von weniger als 300 Euro im Jahr leben, verfolgen das Schauspiel mit großer Fassungslosigkeit. Seit Ende 2004 liegen die Dividenden der ersten Bohrkonzessionen zinslos bei der örtlichen Filiale der nigerianischen Hallmark Bank, die inzwischen bankrottgegangen ist.2 Die harsche Ermahnung des nigerianischen Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo, der nach São Tomé reiste, um „technische Fragen zu regeln, die zu politischen Problemen geworden waren“, heizte die Gerüchteküche weiter an. Am 31. Mai 2005 wurde das Land durch einen Generalstreik im öffentlichen Dienst lahmgelegt.

In São Tomé muss man zwischen den Zeilen lesen können. Die politische Elite des Mikrostaats, die aus der Unabhängigkeitsbewegung gegen die Kolonialmacht Portugal hervorging, bereichert sich auf Kosten der Bevölkerung, für die Stromanschlüsse und Straßen außerhalb der adretten Hauptstadt São Tomé noch immer eine Seltenheit sind.3 Die herrschende Klasse lenkte einen Großteil der internationalen Hilfe in die eigenen Taschen um und erkannte rasch die potenziellen Segnungen des schwarzen Goldes.

Eine ebenso dubiose wie entscheidende Rolle in diesem Geschäft spielt die Environmental Remediation Holding Corporation (ERHC), ein US-Unternehmen, das mit São Tomé 1997 besonders vorteilhafte Exklusivverträge unterzeichnet hatte. Seither hat sich das Unternehmen allen Neuverhandlungen und Zweifeln an seiner Leistungsfähigkeit zum Trotz im Staatsapparat eingenistet und schafft es immer wieder, sich den technischen und ethischen Regeln und Transparenzwünschen des bilateralen Verwaltungsausschusses der gemeinsamen Entwicklungszone (JDZ) zu entziehen. So konnte sie sich den Löwenanteil der Erschließungskonzessionen sichern. Heute ist die ERHC, die auch an den Ölvorkommen der Diktatur Äquatorial-Guinea partizipiert, bereits mehrheitlich an den zwei vielversprechendsten der fünf Konzessionsblöcke beteiligt, die jüngst vergeben wurden.

2001 erwarb die Firma Chrome Energy des Nigerianers Emeka Offor die Kapitalmehrheit an ERHC. Seitdem fungiert er als Vorsitzender des Verwaltungsrats, in dem auch der ehemalige US-Botschafter in Lagos Howard F. Jeter sitzt. Offor, der sein Privatvermögen auf drei Milliarden Dollar beziffert, finanzierte die Wiederwahl des nigerianischen Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo, dessen zweite und letzte Amtszeit im April nächsten Jahres ausläuft. Gibt es also einen nigerianischen Plan, über die ERHC und mit Hilfe einiger kleinerer Unternehmen den Zugriff auf das Erdöl von São Tomé zu erlangen?

Dies jedenfalls legt ein bissiger Leitartikel der Washington Post vom 1. Juni 2005 nahe, in dem es heißt: „Diese Zuteilung von Explorationsrechten stinkt.“ Und Nicolas Shaxcon, Analyst des britischen Royal Institute of International Affairs, konstatiert: „Mittels der ERHC haben zuerst die Amerikaner und dann die Nigerianer dieses winzige Land verschaukelt. Um die Einnahmen aus den ersten Konzessionierungen freizubekommen, blieb São Tomé keine andere Wahl, als die nigerianischen Vorschläge zum zweiten Konzessionenblock zu akzeptieren.“

Patrice Trovoada, Sohn des ehemaligen Präsidenten des Inselstaats, berichtet über seine Erfahrungen bei der ERHC: „Bei den Verhandlungen über die JDZ wollten die nigerianischen Unterhändler nichts akzeptieren. Zu Beginn der Gespräche standen 90 Prozent für die Nigerianer, 10 Prozent für uns zur Diskussion. Aber wir ließen nicht locker, und schließlich mussten sie sich mit einem Drittel weniger (60 Prozent für Nigeria, 40 Prozent für den Inselstaat) zufriedengeben. Nicht schlecht bei 140 Millionen Einwohnern gegenüber unseren 140 000.“

Und dennoch. Der wundersame Zuschlag für die ERHC wie auch die Verwaltung der Gemeinsamen Entwicklungszone JDZ zeugen von der Unersättlichkeit des nigerianischen Nachbarn. Die JDZ wird von der Gemeinsamen Entwicklungsagentur (JDA) mit Sitz in Abuja verwaltet. Ein Journalist aus São Tomé klagt: „Nigeria behandelt uns mehr und mehr wie der Irak Saddam Husseins die Kuwaiter.“ Die Bevölkerung begreift indessen nicht, warum das Erdöl noch immer kein Geld bringt. „Wie wollen Sie das dem Volk erklären“, fragt Patrice Trovoada, „wenn Sie sich selbst nicht an die Regeln der Transparenz halten? Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo ein geschickter Demagoge bei uns leicht eine Diktatur installieren könnte.“

Bevor er sich dem ERHC-Diktat beugte, hatte Staatspräsident Fradique de Menezes Verträge mit dem dubiosen Unternehmen stets scharf kritisiert. Das war allerdings zu einer Zeit, als er den amerikanischen Ölgesellschaften, die seine Regierung heute heftig attackieren, noch schöne Augen machte. So ließ er sich seine historische Rede, die er am 27. Juni 2003 in Washington gehalten hat, von einer in São Tomé lebenden US-Beraterin schreiben. Damals wollten die USA einen Marinestützpunkt in dem Inselstaat aufbauen, um die Offshore-Vorkommen im Golf von Guinea zu sichern, aus dem Washington bis 2015 ein Viertel seines Rohöls beziehen will. Heute scheinen diese Pläne nicht mehr aktuell zu sein.

Die Regierungspartei MLSTP-PSD ist historisch mit der staatlichen angolanischen Ölgesellschaft Sonangol verbunden, die bei diesem Lügenpoker ebenfalls ihren Schnitt machen will. Und dann gibt es noch die Brasilianer von Petrobras – Staatspräsident Luíz Inácio Lula da Silva hat São Tomé und Príncipe bereits zweimal besucht – und natürlich die Franzosen, die in dieser Gegend allerdings nicht mehr recht zum Zuge kommen. Die Volksrepublik China hofft nicht ohne Grund, demnächst an die historische Partnerschaft der Jahre nach der Unabhängigkeit anknüpfen zu können. Die Beziehung war, nachdem der Inselstaat in den 1990er-Jahren Taiwan anerkannt hatte, abgekühlt. Doch im vorigen Jahr war die chinesische KP bereits beim Parteitag der MLSTP-PSD vertreten, was wiederum den taiwanesischen Botschafter erboste.

Wo der Segen zum Fluch wird

„Wir sollten dieses Erdöl als Geschenk der Götter betrachten“, meint Oberst Fernando Pereira. „Aber anstatt uns zu einen, trennt es uns.“ Pereira war der Anführer des gescheiterten Staatsstreichs im Juli 2003. Er stellt den „gewaltlosen Putsch“ von damals als eine Aktion dar, die „die internationale Gemeinschaft auf die Verhältnisse in São Tomé aufmerksam machen sollte, wo Demokratie nur Fassade ist, wo der Staat schlicht nicht existiert, wo die Armee von Politikern kontrolliert wird, die ihre eigenen Interessen über die der Nation stellen, wo das Volk verarmt und die Korruption blüht.“

Doch in São Tomé wird wohl eher die Junta im Gedächtnis bleiben, mit der sich der heute 53-jährige Offizier umgab. Zu den Verschwörern gehörten die vierzehn von Alersio Costa angeführten „Buffalos“, die einst als antimarxistischer Stoßtrupp dem Apartheid-Regime in Südafrika dienten und in den 1970er-Jahren gegen das kommunistische Regime des Inselstaats unter Präsident Pinto da Costa agierten.

„Die Buffalos sind Profis, die von Pretoria ausgebildet und in Namibia und Angola eingesetzt wurden“, erläutert Oberst Pereira. „Und sie sind noch immer genauso gefährlich. Seit 2003 wurde kein einziges Problem gelöst. Anstatt die Verwaltungsprobleme in Angriff zu nehmen, rächt man sich lieber an der Armee. Unsere Küstenwache hat noch nicht einmal Schiffe! Und das bei einem Land, das seine Hoheitsgewässer mit ihren Erdölvorkommen nun wahrlich schützen müsste.“ Der Oberst macht eine düstere Prognose: „Jetzt, wo Öl fließt und die politische Klasse sich um die Konzessionen reißt, wird der nächste Staatsstreich weit blutiger ausfallen.“

Als Staatspräsident Fradique Menezes in den Wahlen am 30. Juli dieses Jahres seinen Konkurrenten Patrice Trovoada besiegt hatte, dankte er kurz darauf seinem Generalstaatsanwalt Adelino Pereira für die Ermittlungen wegen Veruntreuung, die er im Zusammenhang mit der Vergabe von Konzessionen für Ölerkundungen begonnen hatte. Das führte in Nigeria, wo man den richterlichen Vorladungen nicht Folge leistete, zu heftigen Reaktionen.4 Eine unmittelbare Krisensituation könnte demnächst aber vor allem auf Príncipe entstehen, der kleineren Schwesterinsel von São Tomé.

Von Príncipe, das im Wesentlichen von „contradores“5 kapverdischer Abstammung bevölkert ist, flohen in den Siebzigerjahren die meisten Gegner des damaligen Staatspräsidenten Manuel Pinto da Costa. Die 150 Kilometer nördlich von São Tomé gelegene Insel liegt in den Gewässern der Gemeinsamen Entwicklungszone und führt mit ihren 5 000 Einwohnern ein noch unscheinbareres Dasein als São Tomé. Von den 40 Prozent der JDZ-Einkünfte, die dem Inselarchipel zustehen, fließen nur 7 Prozent nach Príncipe. In São Antonio, der größten Stadt der Insel, sind die wenigen Nigerianer besorgt wegen der wachsenden Fremdenfeindlichkeit. Unter der Jugend herrscht Aufruhrstimmung.

Könnte Príncipe, dem Beispiel der angolanischen Erdölprovinz Cabinda folgend, ebenfalls versuchen, sich vom Zentralstaat loszusagen?6 Jedenfalls stattete Anfang 2005 der cabindische Menschenrechtler Raul Danda São Tomé einen Besuch ab und warnte seine Gastgeber vor dem „Fluch“ des Erdöls: „Die Politiker werden das Öl zu ihrem persönlichen Reichtum machen und der Bevölkerung den Albtraum des Elends reservieren.“ Öl dürfte in São Tomé und Príncipe erst Ende des Jahrzehnt fließen, doch das unheilvolle Ölfieber greift schon heute um sich.

Fußnoten: 1 Siehe: www.nigeriasaotomejda.com/Pages/Intro duction.html. 2 Um diesen Bankrott ranken sich in Nigeria Korruptionsgerüchte, die u. a. den Präsidenten des Senats Adolphe Wabara belasten. Siehe: www.elendureports.com/index2.php?option=com_content &do_pdf=1&id=183 -. 3 Dazu Gerhard Seibert, „Comrades, Clients and Cousins“, Boston (Editions Brill) 2006. 4 Siehe das Informationsblatt des Integrated Regional Information Network (Irin), 11. August 2006, www.irinnews.org. 5 Als „contradores“ wurden die kapverdischen Arbeiter bezeichnet, die nach der Abschaffung der portugiesischen Sklaverei nach São Tomé kamen. 6 Die zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Kongo-Brazzaville gelegene Enklave Cabinda strebt die Unabhängigkeit von Angola an. Das „Friedensabkommen“ vom 17. Juli 2006, das nur von einem Teil der Unabhängigkeitsbewegung unterzeichnet wurde, räumt der Provinz Autonomierechte unter angolanischer Kontrolle ein. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Jean-Christophe Servant ist Journalist und Afrikaexperte.

Le Monde diplomatique vom 13.10.2006, von Jean-Christophe Servant