13.10.2006

Von rechts gegen den Krieg

zurück

Von rechts gegen den Krieg

Die konservative Kritik an der imperialen Präsidentschaft von George W. Bush wächst von Jeremy Brecher und Brendan Smith

In den Vereinigten Staaten assoziiert man „Friedensbewegung“ in der Regel mit der politischen Linken. Vom Koreakrieg über den Vietnamkrieg bis zur Invasion im Irak stand das konservative Lager stets für Nationalismus, Militarismus, Imperialismus und Krieg. Doch ein winziger Nebenarm der konservativen Strömung hat sich dieser Zuordnung schon immer verweigert. Der katastrophale Fehlschlag im Irak hat die Zahl der Zweifler wachsen lassen. Für die Hegemonie des konservativen Lagers könnte das höchst folgenreich sein.

Im Kalten Krieg war in den USA ein breiter Konsens für eine Politik der Aufrüstung und Konfrontation mit dem Kommunismus entstanden. Er wurde in den 1960er-Jahren auch von liberalen Demokraten wie Präsident John F. Kennedy und seinem Nachfolger Lyndon B. Johnson geteilt. Als der Vietnamkrieg zum außen- wie innenpolitischen Fiasko wurde, gewann die Antikriegsbewegung der Linken immer mehr Anhänger bis hin zur Führung der Demokratischen Partei, während die konservativen Republikaner den Kern der unbelehrbaren Kriegsbefürworter bildeten.

Als die Bush-Administration den Irak angreifen ließ, hatte sie die Republikaner geschlossen hinter sich. Dagegen stimmten mehr als die Hälfte der Demokratischen Abgeordneten und Senatoren im Kongress gegen die Resolution, die Präsident George W. Bush zum Irakkrieg ermächtigte.1 Doch eine winzige Minderheit konservativer Politiker lehnte den Krieg ebenfalls ab.

So warnte der Publizist Patrick Buchanan, ehemals Redenschreiber für Präsident Nixon: „Bald werden wir einen imperialen Krieg gegen den Irak beginnen, mit dem ganzen patriotischen Maulheldentum der französischen poilus und der britischen Tommies, die im August 1914 ‚Auf nach Berlin‘ schrien.“2 Und nach dem Sieg über Saddam würden diese Neokonservativen, die „nach einem Vierten Weltkrieg lechzen“, auch noch „kurze chirurgische Kriege gegen Syrien und Iran“ folgen lassen.3 Gegen die Resolution zum Irakkrieg stimmten aber auch Leute wie Ron Paul, ein Republikaner im Repräsentantenhaus, der sich allerdings zur isolationistischen Schule zählt, die etwa den Rückzug der USA aus der UNO befürwortet.

Die wohl interessanteste Stimme der aktiven Kriegsgegner unter den Konservativen gehört einer Gruppe, die sich auf der Website www.antiwar.com zur „Philosophie der Nichtintervention“ bekennt. Politisch definiert sich diese Gruppe als libertär und bezieht sich dabei explizit auf Randolph Bourne, der gegen den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg opponiert hatte.

Die Website der Gruppe bietet die neuesten Nachrichten über die militärischen Interventionen der USA in aller Welt und wird von vielen Aktivisten der linken Antikriegsbewegung gelesen. Die Gruppe wendet sich kompromisslos gegen die „Kriegspartei“, die für sie aus einem republikanischen und einem demokratischen Flügel besteht, und fordert die Zusammenarbeit aller Gegner von Militarismus und Imperialismus von rechts bis links.

Der Irakkrieg hatte zu Beginn keinen glühenderen Befürworter als den stockkonservativen Christen Walter Jones, republikanischer Abgeordneter aus North Carolina. Als Frankreich im UN-Sicherheitsrat versuchte, den von den USA angeführten Angriffskrieg zu verhindern, war es Jones, der mit seiner Kampagne erreichte, dass die Cafeterias im Kongress auf ihren Speisekarten das Wort French Fries (Pommes frites) durch Freedom Fries ersetzten.

Zwei Monate später nahm Jones in seinem Wahlbezirk am Begräbnis eines jungen Elitesoldaten teil, der im irakischen Nasirijah gefallen war. Und nachdem er von seiner Tochter das Buch „A Pretext for War“ (Ein Vorwand zum Krieg) erhalten hatte, in dem der pensionierte General James Bamford den Irakkrieg kritisiert, traf er sich mit dem Autor und danach mit der Friedensaktivistin Cindy Sheehan, die Mutter eines im Irak getöteten Soldaten, die durch ihre Mahnwachen vor der Farm der Familie Bush in Texas bekannt wurde. Am Ende brachte er im Repräsentantenhaus eine Resolution ein, die einen Zeitplan für den Rückzug aus dem Irak forderte.4 Auf die Frage, ob er parteiinterne Sanktionen befürchte, antwortete Jones: „Ich will das tun, von dem ich denke, dass mein Gott es von mir erwartet.“

Von den Offizieren der US-Streitkräfte ist bekannt, dass sie konservativ eingestellt sind, in ihrer überwältigenden Mehrheit republikanisch wählen, ihren direkten Vorgesetzten nicht widersprechen und im Zweifel den Einsatz militärischer Machtmittel befürworten. Doch selbst in diesem Offizierskorps regt sich eine konservative Opposition gegen die unilaterale Interventionspolitik, die am klarsten von pensionierten hohen Militärs artikuliert wird.

Ein Beispiel ist General Anthony Zinni, ehemals Sonderbeauftragter des Präsidenten für den Nahen Osten und vier Jahre lang Kommandeur der US-Streitkräfte in dieser Region. Zinni war von Beginn an gegen den Irakkrieg, den er im Rückblick einen „Fehler“ nennt: „Wer sich in der Region auskannte, für den stand fest, dass es ein Desaster werden würde.“5

Hohe Militärs rebellieren gegen die offizielle Linie

Besonders klar und hart wird von diesen oppositionellen Militärs kritisiert, dass die Bush-Regierung die traditionelle Verpflichtung der USA auf Einhaltung der Genfer Konventionen unterminiert. Als bekannt wurde, dass ausgerechnet der juristische Chefberater des Weißen Hauses, Alberto Gonzales, diese politische Linie erfunden und umgesetzt hatte, wandten sich zwölf hochrangige Exmilitärs öffentlich gegen dessen Berufung zum Justizminister. Und in jüngster Zeit äußerten hohe Militärs starke Bedenken gegen Bestrebungen der Regierung, einen Militärschlag gegen den Iran vorzubereiten. Die Washington Post zitiert die Auskunft eines ehemaligen Nahostexperten der CIA, wonach das Pentagon heftig gegen eine solche Option argumentieren soll. Wie Seymour Hersh berichtet, warnten die Oberbefehlshaber aller Waffengattungen ihre Präsidenten in einem formellen Schreiben davor, „eine nukleare Option für den Iran in Erwägung zu ziehen“6 .

Auch die Unterstützung konservativer Intellektueller für den Irakkrieg wird zunehmend schwächer. Der prominenteste Abtrünnige ist Francis Fukuyama. Als Ikone der neokonservativen Rechten hatte er 1997 einen Brief unterschrieben, in dem der Sturz Saddam Husseins gefordert wurde. Anfang 2006 meinte er im Magazin der New York Times, das Urteil der Geschichte über die Intervention im Irak werde kaum freundlich ausfallen. Sein Fazit: „Die sogenannte Bush-Doktrin, der politische Rahmen für die erste Amtszeit der Regierung, ist nur noch ein Trümmerhaufen.“7

Inzwischen schwindet die intellektuelle Unterstützung für den Krieg auch im harten Kern des konservativen Establishments. William Buckley Jr., für viele in den Vereinigten Staaten der Begründer des modernen Konservatismus, erklärte Ende Februar 2006, die USA hätten ihre Ziele im Irak verfehlt. Und nach dem Fiasko im Libanon schrieb der prominente konservative Kolumnist George F. Will im Hinblick auf das Bestreben der Neokonservativen, den Nahen Osten umzugestalten: „Stabilität im Nahen Osten ist für die ‚realistische‘ Schule der Außenpolitik das Ziel. Deren Kritiker halten eben diese Stabilität für das Problem. Dieses Problem ist nunmehr gelöst.“8 Sowohl Buckley als auch Will sagen heute, dass George W. Bush in ihren Augen kein Konservativer ist.9

Die Unzufriedenheit in konservativen Kreisen rührt weitgehend daher, dass die Bush-Regierung im Sinne einer ‚imperialen Präsidentschaft‘ die Kompetenzen der Exekutive radikal ausgeweitet hat. Kürzlich hat das libertäre Cato Institute unter dem Titel „Power Surge“ die Eingriffe der Bush-Administration in die Verfassung bilanziert: die Abschaffung der Habeas-Corpus-Garantie (Festnahme ohne richterliche Anordnung), die Verletzung der internationalen Antifolterkonventionen, die Bestrebungen, das Grundrecht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren abzuschaffen, und Versuche, rechtliche Kautelen zu verwässern, die im Kriegsfall die Macht der Exekutive einschränken.

Der Grundsatz der Regierung lautet: „Wenn wir uns im Krieg befinden, ist alles erlaubt, und ob wir uns im Krieg befinden, entscheidet der Präsident.“ Ein solches Verständnis der exekutiven Befugnisse sei beunruhigend, denn damit könne der US-Präsident nach Belieben einen Krieg beginnen und sei durch niemand davon abzuhalten, Kriegsverbrechen zu begehen, wenn er diese für nötig hielte.

In den letzten Monaten greift dieses konservative Unbehagen auch innerhalb der Parteien um sich. Der republikanische Abgeordnete Christopher Shays unterstützte anfangs den Irakkrieg noch kompromisslos. Heute forderte Shays einen zeitlichen Rahmen für einen Rückzug der US-Truppen aus dem Irak.10

Auch Chuck Hagel, Senator von Nebraska, der in Vietnam diente und darauf besteht, nur der Verfassung verpflichtet zu sein, meint inzwischen: „Die Verhältnisse im Irak sind eine völlige Wiederholung von Vietnam.“ Die Zukunft des Irak werde „vom irakischen Volk entschieden, genau wie damals in Vietnam“. Hagel fordert, innerhalb von sechs Monaten mit dem Truppenrückzug zu beginnen.11

Verhandeln als Zeichen der Schwäche

Was diese eher konservative Opposition gegen den Krieg auf lange Sicht bedeutet, ist allerdings ungewiss. Denn während ein Teil der Rechten den Rückzug aus dem Irak verlangt, hält ein anderer Teil der Bush-Regierung im Gegenteil vor, sie sei zu schwach. So wirft Newt Gingrich, der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses, der Regierung eine Appeasement-Politik vor: „Sie glaubt an die von Anwälten und Diplomaten gepflegte Wahnidee, dass es ein Fortschritt ist, wenn wir verhandeln, während Nordkorea weiter Bomben und Raketen baut, und wenn wir mit den Iranern sprechen, während sie Bomben und Raketen bauen.“ Und mit Blick auf die Außenministerin der Bush-Regierung fragt Gingrich ironisch: „Wird Condi in der nächsten Runde mit Kim Jong Il das Tanzbein schwingen“?12

Für den Fall, dass die US-Truppen aus dem Irak abziehen sollten, werden diese Leute die Gegner des Krieges und vor allem die früheren, heute bekehrten Kriegsbefürworter für das Scheitern verantwortlich machen. Eine solche Dolchstoßlegende wurde auch nach dem Vietnamkrieg verbreitet, um dem konservativen Militarismus zum Comeback zu verhelfen.

Andererseits ist auch unklar, wie weit die konservativen Kriegskritiker gehen werden. Auf der Website www.antiwar.com wird eine grundsätzliche Opposition gegen Militarismus und Imperialismus artikuliert, die viele Linke teilen würden. Dagegen lehnen viele konservative Kritiker den Krieg nur deshalb ab, weil es im Irak schlecht gelaufen ist.

Um die politische Macht zu erlangen, ist das konservative Lager letzten Endes auf Wähler angewiesen, die gegen ihre eigenen Interessen stimmen, also für eine innenpolitische Agenda, die ihren sozialen Status weiter verschlechtert. Dieser Zaubertrick, die Wähler gegen ihre eigenen Interessen zu mobilisieren, klappte nur deshalb, weil die Rechte den Menschen einreden konnte, dass allein ihre Politik aggressiver militärischer Intervention die Sicherheit in einer gefährlichen Welt garantieren könne. Wenn dieses Argument sogar auf der Rechten nicht mehr zieht, könnte dies die politische Landschaft erheblich verändern.

Joe Scarborough, ehemals republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus und heute Moderator beim Sender MSNBC, hat in seiner Talkshow kürzlich die Frage gestellt, ob „die intellektuelle Schwäche von George W. Bush die Glaubwürdigkeit Amerikas im In- und Ausland beeinträchtigt“. Auf dem Bildschirm lief dabei die Unterzeile „Ist Bush ein ‚Idiot‘?“

Scarborough begründete die Unterzeile damit, dass selbst gestandene Republikaner inzwischen die intellektuellen Fähigkeiten des Präsidenten anzweifeln. In Bezug auf den Irakkrieg hält nicht nur er die Zeit zum Abzug gekommen: „Viele Konservative sagen: ‚Enough is enough‘.“

Fußnoten: 1 Diese Resolution wurde am Oktober 2002 im Senat mit 77 zu 23 und im Repräsentantenhaus mit 296 zu 133 Stimmen angenommen. 2 New York Times, 8. September 2002. 3 Editorial in: The American Conservative, Nr. 1, September 2003, Arlington (Virginia). 4 Robert Dreyfuss, „The Three Conversations of Walter B. Jones“, in: Mother Jones, Januar/Februar 2006, San Francisco. 5 „Former Bush envoy, Centcom chief calls Iraq a blinde“’, MSNBC, 25. Mai 2005. 6 Siehe Anatol Lieven, „Wer befreit die Vereinigten Staaten vom Irak?“, Le Monde diplomatique, Juni 2006. 7 Francis Fukuyama, „After Neoconservatisms“’, The New York Times Magazine, 19. Februar 2006. 8 The Washington Post, 20. August 2006. 9 Siehe „The conservative crack-up“, in: The National Catholic Reporter (Kansas City), 1. September 2006. 10 Zitiert nach: The Washington Post, 29. August 2006. 11 In der Sendung „Fox News Sunday“ am 20. August 2006. Siehe auch: Robert Kuttner, „Rebelling against torture and Bush“, in: International Herald Tribune, 19. September 2006. 12 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2006/07/18/AR2006071801373.html Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Jeremy Brecher ist Historiker und Brendan Smith ist Jurist. Sie sind Autoren des Buches: „In the Name of Democracy: American War Crimes in Iraq and Beyond“, New York (Metropolitan Books) 2005.

Le Monde diplomatique vom 13.10.2006, von Jeremy Brecher und Brendan Smith