12.11.2010

Indien und Iran

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Indien und Iran

Allein schon wegen seiner räumlichen Nähe ist der Iran für Indien ein wichtiger Partner, der ihm einen privilegierten Zugang nach Afghanistan und Zentralasien verschafft – unter Umgehung des unliebsamen Nachbarn Pakistan. Zudem hatten beide Länder das afghanische Taliban-Regime (1996 bis 2001) stets abgelehnt. Nach dessen Sturz drängte Neu-Delhi auf eine Öffnung Afghanistans Richtung Iran – vor allem um den pakistanischen Einfluss in Kabul zurückzudrängen.

Im Süden Afghanistans, zwischen Zaranj und Delaram, bauten der Iran und Indien gemeinsam eine Straße bis zur iranischen Grenze. Gleichzeitig wurde der iranische Hafen in Chabahar am Golf von Oman erneuert, wozu auch der Aufbau einer Eisenbahnverbindung zwischen dem Hafen und dem afghanischen Straßennetz gehörte. Um seinen wachsenden Energiebedarf zu decken, setzt Indien bereits seit einigen Jahren auf die Kooperation mit Iran.1

Auf der Basis ihrer gemeinsamen Interessen gingen die beiden Länder von 2000 bis 2005 eine strategische Partnerschaft ein, die sich jedoch nicht allein auf den Energiesektor und die Afghanistanfrage beschränkte, sondern auch den Austausch in militärischen Belangen und Waffenverkäufe einschloss.

Im Hinblick auf die iranische Atompolitik stieß die Partnerschaft allerdings an ihre Grenzen. Als der damalige US-Präsident Bush im März 2006 Neu-Delhi besuchte, kündigte er an, Indien eine Sonderstellung gewähren zu wollen: Obwohl Neu-Delhi den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, sprach sich Bush dafür aus, den Transfer sensibler Produkte – auch angereichertes Uran – zu gestatten, da sich Indien lobenswerterweise für Demokratie und die Nichtverbreitung von Atomwaffen eingesetzt habe.2 Durch die Vereinbarung mit Washington3 hat das Land seinen Status als Unterstützer der Nichtverbreitung gestärkt und hofft weiterhin auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, was seine Beteiligung an den multilateralen Maßnahmen gegen die islamische Republik erklärt. Dreimal stimmte Indien im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) gegen den Iran (2005, 2006 und 2009) und setzte seit 2006 die vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen um.

Dennoch steht Indien den Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats skeptisch gegenüber und setzt sich für eine diplomatische Lösung in der Iranfrage ein. Neu-Delhi sträubte sich gegen die zusätzlichen durch die USA und die EU im Mai 2010 beschlossen Sanktionen; vor allem weil die Beschränkungen auch die Geschäfte indischer Unternehmen im Iran betreffen.4 Indiens Außenminister Nirupama Rao beklagte in diesem Zusammenhang „einen direkten negativen Einfluss auf die indischen Unternehmen und – schlimmer noch – auf die Sicherung des indischen Energiebedarfs und damit auf die Versuche des Landes, dem Wunsch seiner Bevölkerung nach Entwicklung zu entsprechen.“5 Neben der Sicherung seiner wirtschaftlichen Interessen hat Indien mit Blick auf den Iran zwei Ziele: Erstens will Neu-Delhi den Iran nicht allein den Chinesen überlassen. Und zweitens möchte das Land verhindern, dass die durch den Afghanistankrieg und die unsichere Situation in Pakistan ohnehin fragile Region durch die Irankrise weiter destabilisiert wird.

Den US-amerikanischen Druck, sich einer Politik der Härte gegenüber Iran anzuschließen, registriert Neu-Delhi deswegen mit Unbehagen. Washington hat das Land daran erinnert, dass es als strategischer Partner der USA nicht nur seine Freunde mit Bedacht wählen, sondern auch größere Entschlossenheit zeigen sollte, um den Iran zum Nachgeben zu bewegen.

Die Iranfrage hat Indien allerdings auch dazu genutzt, deutlich zu machen, dass es den USA nicht bedingungslos folgt – vor allem dann nicht, wenn Washington im Namen des Antiterrorkampfs Pakistan gegenüber zu große Zugeständnisse macht. Dass Indien nach wie vor darauf achtet, die Beziehungen zu Teheran auf höchster Ebene zu pflegen, beweisen die Indienbesuche von Präsident Ahmadinedschad im Mai 2008 und von Außenminister Manoucher Mottaki im November 2009.

Isabelle Saint-Mézard

Fußnoten: 1 Zurzeit importiert Indien 12 Prozent seines Ölbedarfs aus dem Iran. 2 Siehe Christophe Jaffrelot, „Begehrter Partner Indien“, Le Monde diplomatique, September 2006. 3 Der Vertrag über eine Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor, bereits in einer gemeinsamen Erklärung am 18. Juli 2005 angekündigt, wurde schließlich am 10. Oktober 2010 unterzeichnet. 4 Wegen ihrer intensiven Aktivitäten im iranischen Öl- und Gassektor stehen fünf indische Unternehmen seit Anfang 2010 im Fadenkreuz der US-Administration. Siehe Joel Brinkley, „India leads list in ignoring Iran sanctions“, International Herald Tribune, 21./22. August 2010. 5 Zitiert bei Jeremy Kahn, „India’s nuclear diplomacy“, Newsweek, 16. August 2010.

Aus dem Französischen von Jakob Horst

Le Monde diplomatique vom 12.11.2010, von Isabelle Saint-Mézard