Jutekönig und Pressezar
Indiens große Zeitungen haben riesige Auflagen, aber unabhängig sind sie nicht von Benjamin Fernandez
Wenn Mumbai aus nächtlichem Schlummer erwacht, wimmelt es auf den Straßen von Boten, die vor den Hauseingängen und Holzbuden der Straßenverkäufer stapelweise Zeitungen ablegen. Die Kunden warten schon, werfen ein paar Rupien auf die Theke und vertiefen sich bei einem Glas Tee in die Lektüre.
Nach Angaben des Economist1 belegt Indien mit seinen 130 Millionen regelmäßigen Zeitungslesern den ersten Platz auf dem globalen Pressemarkt – dank der Fortschritte in der Alphabetisierung (1974 konnten nur 12 Prozent der Bevölkerung lesen, heute sind es 74 Prozent2 ) und der unschlagbar billigen Preise: Eine Tageszeitung kostet in der Regel nicht mehr als 3 Rupien (5 Eurocent); sogar das Glas Tee auf der Straße ist teurer. Zudem sind Onlineportale weniger populär, als man meinen könnte (weniger als 10 Prozent der Inder haben einen eigenen Internetanschluss). Ist dieser Markt mit sage und schreibe 82 000 verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften aber auch ein Zeichen für die Pluralität und Lebendigkeit der weltweit größten Demokratie?
„Indien ist nicht ein Land, sondern mehrere Länder“, sagt Bhaskar Das, Geschäftsführer der Daily News and Analysis, einer großformatigen englischsprachigen Tageszeitung, die sich an ein eher jüngeres Publikum richtet. „Erstens gibt es das entwickelte Indien, die 20 Millionen Englischsprachigen, zweitens das aufstrebende und drittens das unterentwickelte Indien“, erklärt Das und zeichnet ein Schaubild auf das weiße Flipchart. „Uns interessiert nur Nummer eins, Nummer zwei ist noch nicht so weit, und Nummer drei ist uninteressant“, fügt er hinzu und streicht den letzten Teil seiner Zeichnung durch. „Englisch ist die Sprache der Geschäftswelt und Entscheider. 85 Prozent der Werbeeinnahmen fließen in die Kassen der englischsprachigen Presse.“ Hinter den Panoramascheiben seines Büros im 11. Stock des Indiabulls Finance Center ragen Dutzende Kräne und Rohbauten in den Himmel, die auf den Ruinen der alten Textilfabriken des Parel-Viertels errichtet werden.
32 Jahre lang hat Bhaskar Das für Indiens größten Medienkonzern Benneth Coleman & Company Ltd (BCCL) gearbeitet, bevor er 2012 zu Zee Media wechselte. BCCL besitzt mit The Times of India einen der ältesten Titel: Die weltweit größte englischsprachige Tageszeitung (Auflage: 5 Millionen) erzielt jährlich Werbeeinahmen von mehr als 1 Milliarde US-Dollar.3
Während der wirtschaftsliberalen Wende Indiens ab 1991 entwickelte sich die Times of India zum kommerziellen Pionier in der Medienbranche. „Die Liberalisierung war für uns wie eine zweite Unabhängigkeit“, begeistert sich Das. „Die Generation nach 1991 ist die Generation der neuen Mitternachtskinder“ – eine Anspielung auf den Titel des 1980 erschienenen Romans von Salman Rushdie, den er den Kindern widmete, die am 15. August 1947, dem Tag der Unabhängigkeit Indiens, zur Welt kamen. Der BCCL-Verwaltungschef Vineet Jain, dessen Vater Ashok schon die Times of India geleitet hat, drückt sich da prosaischer aus: „Wenn 90 Prozent unserer Einnahmen aus der Werbung stammen, sind wir kein Presseunternehmen mehr, sondern eine Werbefirma.“4
Der kommerzielle Erfolg der Times of India verdankt sich vor allem Vineets Bruder Samir Jain. Der zurückhaltende Vizevorsitzende von BCCL etablierte nach seiner Ankunft an der Spitze des Konzerns Ende der 1980er Jahre das sogenannte Advertorial-Format, eine Mischung aus Werbung (advertisement) und Leitartikel (editorial). Für 450 000 Dollar konnten Werbekunden fortan den Aufmacher auf der Titelseite kaufen. Die kommerziellen Reportagen werden zwar von der Redaktion verfasst, aber von Politikern und Film- oder Cricketstars in Auftrag gegeben.
Citizen Jain, die indische Legende
Die Times of India lieferte sich zudem einen gnadenlosen Preiskampf mit ihren Konkurrenten. Heute kostet eine Ausgabe der Times of India in Mumbai 5 Rupien, während die Herstellungskosten bei über 10 Rupien liegen. In Neu-Delhi kostet die Zeitung seit 1994 sogar nur 1,5 Rupien.
Und auch diese Geschäftsidee stammt von Samir Jain: der Tausch von Werbeplatz gegen Kapitalanteile, vor allem im Immobiliensektor. Heute besitzt BCCL Anteile an mehr als 350 Unternehmen, deren Dividenden 15 Prozent der Einnahmen des Medienriesen ausmachen. Die Strategie wurde sofort von den meisten indischen Tageszeitungen übernommen: „Was immer The Times of India gerade einführt, wir müssen es zwei Tage später nachmachen“, erklärt ein ehemaliger Redakteur der Hindustan Times, eines der wichtigsten Konkurrenzblätter.5
Heute „gehört die vierte Gewalt den Immobilienhaien“, sagt Paranjoy Guha Thakurta, Journalist und Mitbegründer der medienkritischen Website The Hoot. Seiner Meinung nach wurde das „Staatsmonopol“ in der indischen Medienlandschaft in den 1990er Jahren von einem „Oligopol der privaten Konzerne“ abgelöst. Ein bedeutender Teil der Presse befindet sich heute im Besitz von weniger als zehn Großkonzernen.6
BCCL gibt neben der Times of India auch die Economic Times heraus, das nach dem Wall Street Journal meistgelesene englischsprachige Wirtschaftsblatt, und besitzt darüber hinaus elf weitere Zeitungen, 84 Magazine, zwei Satelliten-Nachrichtensender, eine Kinokette für englische Filme und eine für die neuesten Blockbuster aus Bollywood, außerdem einen Radiosender, eine Firma für Plakatwerbung und mehrere Internetseiten.
Die Dainik-Bhaskar-Gruppe, Herausgeberin der gleichnamigen, zweitgrößten Tageszeitung, die auf Hindi erscheint, begann in den 1950er Jahren in Bhopal mit nur einer Zeitung; heute besitzt das Unternehmen sieben Zeitungen, zwei Magazine, 17 Radio- und sieben TV-Sender. Die drei Medienkonzerne, denen die wichtigsten englischsprachigen Tageszeitungen gehören (BCCL, HT Medias und Kasturi & Sons Ltd), kassieren allein 39 Prozent der Gesamteinnahmen und 44 Prozent der Werbeeinnahmen, obwohl sie lediglich 6 Prozent aller Leser erreichen.7 In Neu-Delhi, der einzigen Stadt der Welt, wo täglich 16 Zeitungen auf Englisch erscheinen, halten The Times of India, Economic Times (beide von BCCL) und Hindustan Times drei Viertel des Markts für englischsprachige Tageszeitungen.
Dieser einträgliche Werbemarkt lockt auch branchenfremde Akteure an, vor allem Telekommunikationsunternehmen. „Immer mehr große Industriekonzerne kaufen direkte und indirekte Beteiligungen an Medienunternehmen“, erklärt der Medienaktivist Thakurta. So kaufte sich die Petrochemiefirma Reliance Industries 2012 bei der Senderfamilie Network18 (19 Fernsehkanäle) ein und bei der Eenadu-Gruppe, die eine der wichtigsten Tageszeitungen in der südindischen Sprache Telugu herausgibt (Auflage: 6 Millionen) und den Regionalsender Eenadu TV betreibt. Dieser Megadeal machte Reliance Industries auf einen Schlag zu einem der einflussreichsten Medienunternehmen in Indien.
Dabei sei der Einfluss der Industriebosse auf die Medien „genauso alt wie unser Nationalstaat“, sagt Thakurta. Schon 1948 bezeichnete Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister, die Times of India als „Jutepresse“ und spielte damit auf den Jutehandel der Eigentümerfamilie Jain an. Nehru schimpfte auch über die „Stahlpresse“ und zielte damit auf den Tata-Konzern, dem die bedeutende bengalische Tageszeitung The Statesman gehörte. Weniger kritisch äußerte er sich über seinen Freund Ramnath Goenka, den Gründer des Indian Express, der in den 1960er Jahren vergeblich versucht hatte, die indische Eisen- und Stahlgesellschaft zu übernehmen. Andererseits haben sich die Zeitungen stets den Mächtigen angepasst. Während des Ausnahmezustands (1975 bis 1977) unter Indira Gandhi nannte man die Times of India auch gern „The Times of Indira“.
Ein Ende der familiendynastischen Verflechtung von Medien, Industriekonzernen und Politik ist nicht abzusehen. Wie die Brüder Jain die Times of India so hat auch Shobhana Bhartia die Hindustan Times von ihrem Vater geerbt und fungiert dort seit 2008 als Herausgeberin; bis 2012 saß sie zudem für die regierende Kongresspartei im Parlament. Nach Aussage eines ehemaligen Ressortleiters war ihr täglicher Anruf zur „Verbesserung“ des Blatts in der gesamten Redaktion gefürchtet. Dainik Jagran, mit 16,5 Millionen Lesern die größte hindisprachige Zeitung, gehört zum Imperium des (verstorbenen) Industriellen Narendra Mohan, der als Abgeordneter für die hindu-nationalistische Indische Volkspartei BJP (Bharatiya Janata Party) im Parlament saß. Sein Sohn Sanjay Gupta hat inzwischen seine Nachfolge angetreten. Dass es regelmäßig zu Skandalen kommt, verwundert angesichts dieser Verflechtungen kaum. In die „paid news“-Affäre, bei der Kandidaten während der Parlamentswahlen von 2009 bezahlte Artikel in Auftrag gegeben hatten, waren die wichtigsten Parteien und Zeitungen des Landes verwickelt: The Times of India, Dainik Jagran, Dainik Bhaskar und die größten in Regionalsprachen veröffentlichten Tageszeitungen: Lokmat (Marathi), Punjab Kesri (Pandschabi) und Eenadu (Telugu). Bereits 2008 hatte das Informations- und Rundfunkministerium einen Bericht über die Eigentumsverhältnisse in der Medienbranche beim Administrative Staff College of India (Asci) in Auftrag gegeben, das sich als unabhängig und gemeinnützig bezeichnet. Der Bericht unterstrich die „offensichtliche Marktbeherrschung“ und empfahl, die Konzentration im Mediensektor zu begrenzen.
Reportagen im Auftrag von Monsanto
Im Anschluss forderte die eigentlich eher liberal ausgerichtete Regulationsbehörde für Telekommunikation, „Schutzmaßnahmen zu treffen, um den Pluralismus und die Vielfalt von Presse, Radio und Fernsehen zu sichern“.8 All diese Empfehlungen blieben jedoch unbeachtet.
Im Februar 2013 empfahl eine zweite Studie, die horizontale Konzentration (den Besitz verschiedener Medien wie Radio, Presse und TV) ebenso einzuschränken wie die vertikale (die Kontrolle über Produktion und Verbreitung von Inhalten in einem Medium). Bis jetzt gibt es nur eine sehr zögerliche Regulierung, die auf das Fernsehen und einzelne Unternehmen beschränkt blieb, die großen Konzerne aber unbehelligt ließ.
Doch schon jetzt beginnen die Konzerne sich zu wehren: „Die Grenze zwischen Regulierung und Kontrolle ist sehr schmal“, warnt etwa Arindam Sen Gupta, der Chefredakteur der Times of India. Er fürchtet, den Medien solle „ein Maulkorb“ verpasst werden, wie zu Zeiten des Ausnahmezustands. Seiner Meinung nach sollte Medienregulierung auf Selbstkontrolle basieren. „So ist es bereits seit Jahrzehnten. Es gibt keinen Grund, weshalb es nicht auch in Zukunft funktionieren sollte.“9
Rao Inderjit Singh, Abgeordneter der Kongresspartei und Vorsitzender des Informations- und Technologie-Ausschusses im indischen Parlament, sieht durch die multimediale Konzentration sogar die indische Demokratie bedroht.10 Tatsächlich hatte der Asci-Bericht darauf hingewiesen, dass die marktbeherrschende Stellung einiger weniger Unternehmen sich vor allem bei den Regionalzeitungen negativ auswirken würde. Nach Meinung der Konzerne würde jedoch gerade die kulturelle, sprachliche und gesellschaftliche Vielfalt des indischen Marktes jede Monopolisierung per se unmöglich machen. „Indien ist bekannt dafür, zu viele Ideen zu haben“, witzelt Rachna Burman, Leiter des Wirtschaftsressorts der Times of India. Seiner Ansicht nach ist gerade eine wettbewerbsfähige Medienindustrie ein Garant für Pluralismus.11
„Die Überkreuzbeteiligungen in der Medienbranche zeugen von einem großen Umbruch“, erklärt dagegen Shoma Chaudhury, ehemalige Chefredakteurin des Wochenmagazins Tehelka. Nur so lasse sich erklären, warum sich die Presse mit Kritik an privaten Unternehmen und unsozialen Wirtschaftspraktiken zurückhält.
Gerade der Times of India wurde häufiger einseitige Berichterstattung vorgeworfen. Als in Bangalore zwei Arbeiter wegen eines kaputten Aufzugs auf der Baustelle eines Luxushochhauses ums Leben kamen und sieben weitere verletzt wurden, verzichtete das Blatt darauf, den Namen des Bauunternehmens Sobha Developers zu erwähnen, weil BCCL Anteilseigner der Firma ist. Während des achtmonatigen Streiks der Arbeiter in den Fabriken von Hero und Honda Motors 2005 in Gurgaon gab die Zeitung nur den Standpunkt der Firmenleitung wieder und sorgte sich um die Folgen für den Wirtschaftsstandort Indien. Und in einer „Werbereportage“ der Zeitung für den Agrarkonzern Monsanto war zu lesen, das Saatgut der Bt-Baumwolle (die durch gentechnische Manipulation ein Insektengift produziert) habe „zu einem wirtschaftlichen und sozialen Wandel in den betreffenden Dörfern geführt“.12
„Die Medien interessieren sich nur für die Börse und die Wirtschaftsdaten der Konzerne“, sagt Chaudhury. „Dabei kommen etwa 50 Prozent des indischen BIPs aus der Schattenwirtschaft. Das sogenannte indische Wirtschaftswunder ist eine Erfindung der Medien aus den 1990er Jahren. Sie haben nur die 5 bis 10 Prozent wohlhabenden Inder im Blick. Soziale Gerechtigkeit ist kein Thema mehr.“
Dabei gibt es in Indien auch noch eine andere Tradition: Im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft hatte die indische Presse nämlich eine wichtige Rolle gespielt. Das investigative Newsportal Tehelka („Sensationell“), das der frühere Outlook-Redakteur Tarun Tejpal 2000 gegründet hat, griff die Tradition des engagierten Journalismus wieder auf, um die Anfälligkeit der Politiker für Korruption und Extremismus anzuprangern.
Die Website wurde bekannt, als sie im März 2001 für einen Skandal sorgte: BJP-Abgeordnete hatten sich auf einen von Tehelka vorgetäuschten Waffendeal eingelassen und Schmiergeld angenommen. Der damalige Parteivorsitzende der BJP, Bangaru Laxman, der inzwischen verstorben ist, und der damalige Verteidigungsminister George Fernandes mussten sich wegen Korruption vor Gericht verantworten. Fernandes musste zurücktreten, wurde aber später entlastet und kehrte in sein Amt zurück.
Fast drei Jahre lang kämpfte die BJP mit allen juristischen Mitteln gegen Tehelka. 2003 wurde das Portal geschlossen, um nur ein Jahr später dank der Unterstützung durch die Leserschaft und prominente Gönner als Wochenmagazin auf Papier zu erscheinen.
Tehelka hat später weitere wichtige Recherchen veröffentlicht, vor allem zur Verwicklung der Kongresspartei in das Massaker an den Sikhs in Delhi 1984 und über die Rolle der BJP bei den antimuslimischen Pogromen im Bundesstaat Gujarat 2002, wo der Hindu-Nationalist Narendra Modi das Sagen hat.13 Das Magazin berichtet vorwiegend über Themen, die in der Mainstream-Presse eher vernachlässigt werden: Ureinwohner, Muslime, maoistische Rebellen, die Todesstrafe – und Gewalt gegen Frauen.
Doch Tehelka erlitt einen herben Schlag, als Gründer Tejpal wegen sexueller Belästigung einer Kollegin im November 2013 verhaftet wurde. Nun sitzt er in einem Gefängnis im Bundesstaat Goa, der von seinem Erzfeind, der BJP, regiert wird, und fürchtet deswegen, keinen fairen Prozess zu bekommen. Nach Tejpals Verhaftung traten auch die Chefredakteurin Shoma Chaudhury und fünf weitere Mitarbeiter zurück.
Kurz nach Beginn der undurchsichtigen Affäre um den Tehelka-Gründer entließ die bekannte linksliberale Zeitung The Hindu ihren langjährigen Chefredakteur Siddarth Varadarajan13 . Narasimhan Ram, Vorstandsvorsitzender des Medienunternehmens Kasturi & Sons Ltd, dem die Zeitung gehört, begründete die Entscheidung damit, man habe „die guten Beziehungen zur Industrie wiederherstellen“ wollen.14 Deutlicher kann man es nicht ausdrücken.
Die Journalistengewerkschaft von Delhi (Delhi Union of Journalists, DUJ) verweist zudem auf die „indirekte Zensur, die sich aus den Eigentumsverhältnissen und den Methoden zur Rekrutierung von Mitarbeitern ergibt“. In der Tat stammen die meisten Journalisten aus der oberen Mittelschicht. Angehörige niedriger Kasten oder „Unberührbare“ kommen praktisch nicht vor.15 Bis auf wenige Ausnahmen kümmert sich das Gros der Journalisten kaum noch um Themen wie Ungleichheit und Gewalt zwischen den Kasten. Stattdessen werden die vermeintlichen Erwartungen des englischsprachigen Großstadtpublikums bedient.
Die junge Journalistin Dilnaz Boga, die mehrere Jahre lang für The Hindustan Times und Daily News and Analysis (DNA) über den Kaschmirkonflikt berichtet hat, erzählt, wie sie mit ihren Geschichten in der Redaktion auf großen Widerstand stieß. Sie wurde von ihren Kollegen als Antinationalistin, ja sogar als „Undercover-Islamistin“ bezeichnet und warf schließlich das Handtuch. „Alles, was dem nationalistischen Diskurs entgegenläuft, wird verboten. Wir leben in einem Land, wo Kinder immer noch an Unterernährung sterben, aber man darf nicht offen darüber sprechen.“
Die Vergewaltigung und Ermordung einer Frau aus der Mittelschicht in Neu-Delhi im Dezember 2012 füllte wochenlang die Titelseiten der DNA, aber Bogas Artikel über ähnliche Gewalttaten an drei Kindern in einem Slum von Mumbai wurde auf wenige Zeilen zusammengestrichen. „Die indische Presse ist eine Klassenpresse“, stellt die Journalistin resigniert fest. „Die Armen sorgen eben nicht für Werbeeinnahmen.“ Derweil fordert die Journalistengewerkschaft eine „Medienregulierung, die für größere Inklusion sorgt und vor allem diejenigen zu Wort kommen lässt, die gesellschaftlich und wirtschaftlich benachteiligt sind“.
„Indien ist nicht ein Land“, sagt auch Dilnaz Boga. „Das Indien der Besitzlosen beginnt sich zu organisieren. Man schickt seine Kinder zur Schule, lernt Englisch, fordert seine Rechte ein und verlangt Gerechtigkeit. Auch in den Slums liest man Zeitung. Vielleicht sind diese Menschen in den Medien unsichtbar, aber auf der Straße hört man sie. Sie sind in der Mehrheit, und sie werden nicht mehr lange unsichtbar bleiben.“