10.11.2006

General Electric war immer dabei

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General Electric war immer dabei

Die Metamorphosen des US-Konzerns spiegeln ein Jahrhundert Wirtschaftsgeschichte von Olivier Vilain

Jeffrey Immelt, Chairman und CEO von General Electric (GE), übernahm das Steuer des Konzerns am 10. September 2001. Nur Monate später zeigten drei der wichtigsten Geschäftsbereiche deutliche Anzeichen von Schwäche: der Flugzeugmotorenbau wegen der Krise im Luftverkehr, die Rückversicherung wegen der hohen Zahlungen infolge der Anschläge vom 11. September 2001 und der Sektor Kraftwerksturbinen wegen des Enron-Debakels, das den gesamten Energiesektor in Mitleidenschaft zog. Fünf Jahre später hat sich der Börsenwert des Konzerns von diesem Schock noch immer nicht erholt. Er liegt 14 Prozent unter dem Niveau von 2001.

Ansonsten steht, glaubt man der Wirtschaftspresse, offenbar alles zum Besten. Die Financial Times kürte das Unternehmen in den letzten acht Jahren siebenmal zur „World’s Most Respected Company“, das US-Wirtschaftsmagazin Fortune setzte es am 22. Februar 2005 auf Platz eins der „Global Most Admired Companies“.

Das in über 40 Ländern ansässige Unternehmen gehört zu den weltweit größten Industriegruppen. Seine Börsenkapitalisierung liegt nur knapp unter der des Ölgiganten ExxonMobil, der die Rangliste anführt. Bei den Finanzdienstleistern wird General Electric nur von den größten US-Banken übertroffen. Der Geschäftsbereich Luftfahrtdienstleistungen (Gecas) besitzt mehr Flugzeuge als American Airlines, die Abteilung Konsumentenkredite verwaltet mehr Kreditkarten als American Express.

Mit einem erwarteten Umsatz von 163 Milliarden US-Dollar für 2006 erwirtschaftet GE so viel wie Argentinien. Die 2005 erzielte Rendite von 16,3 Milliarden US-Dollar überstieg sogar die Rekordprofite der Ölgesellschaft Total. Zwischen 1989 und 2004 kam GE auf Gewinne von insgesamt 139 Milliarden Dollar, fast ebenso viel wie IBM, McDonald’s und Wal-Mart zusammengenommen.1 Davon landeten 61,3 Milliarden Dollar in den Taschen der GE-Aktionäre, weitere 30 Milliarden Dollar dienten dem Rückkauf von GE-Aktien auf den Finanzmärkten.2

So sehr die Wirtschaftspresse und die akademischen Ökonomen General Electric über den grünen Klee loben, so sehr verehren sie den Mann, der die Unternehmensgruppe zwischen 1981 und 2001 leitete: John Francis („Jack“) Welch Jr. Das Wirtschaftsmagazin The Economist adelte ihn im November 2003 zum „Manager des 20. Jahrhunderts“, und Forbes schrieb ein Jahr vor seinem Rückzug: „Wenige Menschen erinnern sich an den Nachfolger von Mao Tse-Tung, an den Präsidenten nach Lincoln oder an den Orchesterchef, der Leonard Bernstein ablöste. […] Von dieser Art ist der Schatten, den Jack Welch auf GE wirft.“

Als die Financial Times im November 2004 namhafte Wirtschaftsführer fragte, welche „historischen Persönlichkeiten“ sie gern in ihren Verwaltungsrat holen würden, nannten sie neben Bill Gates, Winston Churchill, Carlos Ghosn – der Renault-Chef, der als „Retter von Nissan“ gefeiert wurde – und Jesus Christus auch Jack Welch.

Doch gibt es auch kritischere Stimmen. Die gemeinnützige Organisation „United for a Fair Economy“ (UFE), die sich für eine gleichmäßigere Verteilung von Macht und Reichtum einsetzt, zählte GE im April 2002 zu den „Enron-ähnlichen Wirtschaftsgiganten“, in Anspielung auf den Konzern, der im selben Jahr pleite ging und dessen ehemaliger Chef Jeffrey Skilling 2006 wegen Betrugs zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Die UFE-Studie3 von 2002 bewertete die führenden US-Unternehmen nach zehn Negativmerkmalen des Enron-Kapitalismus. Die ersten zehn, darunter Coca-Cola und AOL Time Warner, erhielten den „Enny Award“. Die Sonderauszeichnung „Lifetime Achievement Award“ für den höchsten Punktedurchschnitt ging an General Electric.

Vom paternalistischen zum kannibalistischen Kapitalismus

Thomas O’Boyle, vormals Journalist beim Wall Street Journal, bezeichnete den Multi in einer detailreichen Untersuchung als „eine der wichtigsten und faszinierendsten Institutionen der amerikanischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts“. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil General Electric eine wichtige Rolle im Übergang vom „paternalistischen“ zum „kannibalistischen“ Kapitalismus spielte. Für Letzteren sei charakteristisch, dass die Unternehmen sich den Rentabilitätserwartungen der Spekulanten unterwerfen: „Die Aktionäre zufrieden zu stellen, hat sich bei Unternehmensführern zur Vollzeitbeschäftigung entwickelt, und keiner hat dieses Ziel so rückhaltlos verfolgt wie Jack Welch.“4 Resultat: Die Unternehmensentwicklung wurde vernachlässigt, und die Beschäftigten, deren Belange früher ernst genommen wurden, fühlten sich bedroht und feindselig behandelt.

Nicht wenige Leiter von GE-Tochtergesellschaften wechselten im Laufe ihrer Karriere zu anderen Unternehmen, wie etwa die Chefs der Baumarktkette Home Depot, des Mischkonzern 3M und des Avionik-Anbieters Honeywell. Entsprechend breitete sich der Paradigmenwechsel zum „kannibalistischen“ Kapitalismus in allen anderen Branchen aus.

General Electric ging 1892 aus dem Zusammenschluss der Edison General Electric Company von Thomas Edison und der Thomson-Houston Company hervor. Der Dow-Jones-Index listete das Unternehmen seit 1896. Von den zwölf Unternehmen, die zu Beginn den Dow Jones Industrial Average ausmachten (heute sind es 30), ist nur noch General Electric übrig. Der Konzern hat die US-Industrie durch zahllose Erfindungen geprägt, vom Toaster bis zur Glasfaser (siehe Kasten). Lange Zeit war GE der weltweit wichtigste Hightechkonzern, der mehrere Chemie- und Physiknobelpreisträger hervorbrachte. Sein technisches und technologisches Know-how trug nachhaltig zu Patenteinnahmen bei, die von keinem US-Unternehmen übertroffen wurden.

Auch seine Managementstrategien exportierte der Konzern in alle Welt. Bereits 1935 besaß GE Beteiligungen in Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Im Zweiten Weltkrieg rückte das Pentagon zum wichtigsten Kunden auf, zwanzig Jahre später profitierte GE vom Vietnamkrieg. Ab 1951 übertrug GE die Leitung des operativen Geschäfts den Tochtergesellschaften. Bald darauf reiste Ronald Reagan durchs Land, um Image und Corporate Identity des Konzerns zu stärken (siehe Kasten). Die Dezentralisierung hatte freilich ihre Grenzen, denn die Manager waren streng auf ein in acht Blaubüchern festgelegtes Regel- und Verfahrenswerk vergattert.

An der Spitze der GE-Töchter wurden die Ingenieure nach und nach von den Betriebswirten verdrängt, die sich aufgrund ihres Wissensprofils bestens eigneten, mehrere Tochterunternehmen nacheinander zu leiten. Reginald Jones, Chef des Konzerns von 1972 bis 1981, unterstützte diese Mobilität der Führungskräfte. Die von ihm eingeführte „strategische“ Planungsstelle erarbeitete für jedes Tochterunternehmen langfristige Entwicklungsprognosen. Auch diese Neuerung wurde von anderen US-Unternehmen übernommen.

Zum Pionier wurde General Electric auch auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen. Bereits in den 1930er-Jahren führte das Unternehmen eine betriebliche Altersvorsorge ein, um „die Beschäftigten von den Gewerkschaften fernzuhalten“. Gerald Swope, von 1922 bis 1940 an der GE-Spitze, verzichtete während der Großen Depression auf Massenentlassungen und beriet US-Präsident Franklin D. Roosevelt bei der Umsetzung des New Deal. Bis 1981 folgte „Generous Electric“ – wie Generationen von Beschäftigten das Unternehmen nannten – dem fordistischen Modell. Das sieht unter anderem eine Umverteilung des produzierten Reichtums zugunsten der Beschäftigten vor, deren Kaufkraft den Absatz amerikanischer Produkte fördert.

Die Aktionäre als heimlicher Boss

In den 1960er-Jahren konnte sich diesem Modell niemand entziehen. Zum einen besaßen die Gewerkschaften noch mehr Macht als heute. Wie John K. Galbraith damals diagnostizierte, spielte in Riesenunternehmen wie GE das Kapital der ursprünglichen Aktionäre keine wesentliche Rolle. Da sie in wenigen Tagen genug verdienten, um diese Aktionäre auszubezahlen, „erhebt in solchen Firmen kein einzelner Aktionär irgendwelche Machtansprüche“5 .

Erst Jack Welch sollte dieses Modell in Frage stellen. Der studierte Chemiker, der seine gesamte Karriere bei General Electric absolvierte, wurde 1981 zum Chef des Unternehmens berufen. Statt wie seine Vorgänger „einen Ausgleich zwischen den Interessen der Beschäftigten, der Aktionäre und des Unternehmens als Ganzes zu finden“, machte Welch den Preis der GE-Aktie zum „neuen Maßstab für Unternehmenserfolg“6 .

Dieser Kurswechsel zeigte das veränderte Kräfteverhältnis an, zu dem der frisch gewählte US-Präsident Ronald Reagan beitrug, als er die Finanzmärkte von der politischen Vormundschaft „emanzipierte“, der sie seit der Krise von 1929 unterstanden. Jetzt avancierten die Pensions- und Investmentfonds mit ihren ständig steigenden Renditeerwartungen zu den Hauptanlegern an der Wall Street. Und Unternehmenschefs, die sich diesem Druck nicht beugen wollten, wurden postwendend fallen gelassen.

Da die GE-Aktie damals sehr niedrig notiert war, hätte der Konzern leicht Opfer einer feindlichen Übernahme werden können. Genau das wollte Welch verhindern. Als Erstes stieß er defizitäre Geschäftsbereiche ab. „174 Personen waren mit Planungsaufgaben befasst, und drei Geschäftsbereiche schrieben seit zwanzig Jahren rote Zahlen“, erklärte Welch später. Noch den letzten Tropfen „aus der Zitrone pressen“7 lautete seine Devise.

Die Unternehmensbilanz wies in den folgenden Jahren zweistellige Wachstumsraten auf, damit war der Mischkonzern für Übernahmewillige außer Reichweite. In den zwanzig Jahren, die Welch als GE-Chef fungierte, stieg der Börsenwert des Konzerns um das Dreißigfache. Heute ist er so viel wert wie die französischen Konzerne Total, EDF, GDF, Suez, Saint-Gobain und Alcatel zusammen.8 In puncto Börsenkapitalisierung ist GE weltweit die Nummer zwei, knapp hinter ExxonMobil.

Umschichtungen dieser Art gehen natürlich nicht ohne Reibungsverluste ab. Doch Welch hatte auch darauf eine Antwort: „Die Menschen haben Angst wegen fehlender Arbeitsplatzsicherheit, aber ein Unternehmen, das Verluste macht, nützt ihnen nichts.“ Vom US-Wirtschaftsmagazin Business Week im Oktober 2004 zum „Management-Apostel“ ernannt, arbeitete Welch unermüdlich an der Intensivierung der Arbeit und Erhöhung der Produktivität. In den 1980er-Jahren stellte eine GE-Fabrik in Erie (Pennsylvania) mit 7 500 Beschäftigten 350 Lokomotiven im Jahr her; im Jahr 2000 brauchte man für 911 Loks nur noch 3 500 Beschäftigte.9

Viele Fabriken wurden geschlossen, zahlreiche Aktivitäten ausgelagert. Die Gesamtzahl der GE-Beschäftigten sank unter Welch von 400 000 auf 300 000. Berücksichtigt man dazu den Stellenabbau in den 1 000 Unternehmen, die GE zwischen 1981 und 2001 hinzukaufte, so hat der Konzern in diesem Zeitraum insgesamt eine halbe Million Arbeitsplätze vernichtet.

Das verschaffte Welch den Spitznamen „Neutronen-Jack“: Er säuberte die Beschäftigten hinaus, ließ die Gebäude aber stehen. Laut Welch musste sich der Konzern Jahr für Jahr von 10 Prozent der „leistungsschwächsten“ Beschäftigten trennen. Welch sah darin das „beste Gegenmittel gegen die Entstehung bürokratischer Wasserköpfe“. Dieselbe Politik führte auch sein Nachfolger Jeffrey Immelt fort, wenn auch „weniger strikt“10 .

Auch in dieser Hinsicht war der Epochenwechsel unübersehbar: Die Schaffung von Arbeitsplätzen zählte nicht mehr zu den Zielen des Kapitalismus, die Entlassung von Beschäftigten galt nunmehr als Zeichen mutigen Unternehmertums. Im Juni 2005 wurde Welchs Nachfolger Immelt vom französischen Wirtschaftsminister Thierry Breton zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Dabei erklärte Immelt vor 800 Wirtschaftsführern und Vertretern europäischer Entwicklungsagenturen: „Wenn ich die Prioritäten für GE festlege, frage ich die Beschäftigten nicht nach ihrer Meinung.“11

Schon sein Vorgänger Welch hatte geträumt: „In einer idealen Welt würden sich alle Fabriken auf Booten befinden.“ Kein Wunder also, dass der Konzern das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta12 seit 1994 zur Standortverlagerung nach Mexiko nutzte. Im Vorfeld der Unterzeichnung von Nafta durch die Clinton-Administration hatte General Electric im außenpolitischen Ausschuss des Repräsentantenhauses vorgerechnet, wie viele GE-Arbeitsplätze das Abkommen in den USA sichern würde.13 Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags drängten einige GE-Töchter ihre Zulieferer, die Produktion ebenfalls nach Mexiko auszulagern.

Die Hälfte des Umsatzes wird im Ausland erzielt

1991 beschäftigte GE in den USA noch viermal so viele Mitarbeiter wie in allen anderen Ländern. Derzeit liegt das Verhältnis bei 1,15 zu 1, und der Auslandsumsatz (vor allem in Europa, Indien und China) erreicht mit 80 Milliarden Dollar rund die Hälfte des Gesamtumsatzes. Dazu meinte Welch: „Die Globalisierung ist das wirksamste Mittel zur Steigerung des Lebensstandards in den armen Ländern.“

Am 8. Dezember 1981, acht Monate nach seiner Ernennung zum Firmenchef, erklärte Welch in New York vor einem Publikum von Finanzanalysten, das Unternehmen führe einen „totalen Krieg“ gegen den niedrigen Kurs der GE-Aktie und werde von seinem Töchtern fordern, auf ihren Märkten Platz eins oder zwei zu erobern – andernfalls würden sie verkauft.

In der Folge trennte sich GE unter anderem von einem Kohlebergwerk, einem Plattenproduzenten und dem Geschäftsbereich Satelliten. Um der immer heftigeren Konkurrenz aus Japan zu entkommen, stieß Welch sogar den Bereich Consumer Electronics ab, ein Markt, auf dem der Konzern in den USA damals noch die Nummer eins war. 1983 trennte sich GE von der Herstellung elektrischer Haushaltsgeräte, ohne das Management der betroffenen Tochterunternehmen vorher in Kenntnis zu setzen. „Das ist, als würde General Motors die Autoproduktion aufgeben“, kommentierte damals die New York Times. In der zwanzigjährigen Welch-Ära trennte sich GE von insgesamt 400 Tochterunternehmen, kaufte zugleich aber über 1 000 Unternehmen hinzu.

Die Entlassung von 130 000 Beschäftigten und der Verkauf von über 100 Tochterunternehmen brachten General Electric zwischen 1981 und 1986 6,5 Milliarden Dollar ein. Mit der wohlgefüllten Kriegskasse ging der Konzern auf Unternehmensfang, um seine Gewinne schneller steigern zu können. Im Bereich Chemie erwarb er 1980 die Plastikproduktion von Borg-Warner, im Bereich Medizintechnik 1987 die französische Compagnie Générale de Radiologie; 1989 kam die ungarische Glühbirnenfirma Tungsram dazu.

Vor allem aber weitete der Mischkonzern seine Tätigkeit im Geschäftsbereich Finanzdienstleistungen (Leasing, Finanzierungen, kommerzielle Versicherungen) aus. 1981 entfielen auf dieses Geschäftsfeld erst 10 Prozent des Gesamtumsatzes, zwanzig Jahre später waren es 40 Prozent.

1986 zahlte GE 6 Milliarden Dollar für die symbolträchtige Übernahme von RCA (Radio Corporation of America). Welch stieß alle industriellen Produktionsfelder von RCA ab und behielt nur die Senderkette NBC. RCA war 1919 gemeinsam von GE und Marconi gegründet und nach einem Antitrustverfahren der US-Regierung 1932 selbstständig geworden. Die Rückkehr von RCA zu GE folgte den neuen „Regeln“ des Konzerns, die eine „Konsolidierung“ forderten. Für den Rundfunk- und Fernsehsektor der USA war damit eine weit reichende Transformation eingeleitet.14

Im Zentrum der GE-Strategie stand unter Welch jedoch der finanzielle Aspekt. Das in Unternehmenskäufe investierte Geld fehlte natürlich für die industrielle Fortentwicklung. Als die Spekulationsblase der 1990er-Jahre zwischen 2001 und 2003 platzte, zeigte sich, wie das Wall Street Journal notierte, dass „die Initiativen des GE-Managements nicht nur die Rentabilität erhöht und die Gewinne wie im Rausch gesteigert, sondern auch viele Schwächen verdeckt haben“15 . So sanken die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den 1990er-Jahren um real 19 Prozent. Heute ist der Konzern, der im 20. Jahrhundert bei Innovationen an der Spitze lag, auf der Rangliste angemeldeter Industriepatente nicht mehr unter den Top 20 zu finden. Dabei wären die Gewinne, die sich Welch zugute hält, ohne die kostspieligen Neuentwicklungen in den Bereichen Plastik und Avionik zwischen 1960 und 1980 kaum möglich gewesen.

Welchs Nachfolger stieß daher einen Teil der Finanzaktivitäten ab und steigerte die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die 2004 den Höchststand von 3,1 Milliarden US-Dollar erreichten.16 Der Schwerpunkt liegt inzwischen wieder auf technologischen Entwicklungen, insbesondere zur Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen. General Electric hofft sogar, Präsident Bush zur Unterzeichnung des Kioto-Abkommens bewegen zu können, sodass auch die Unternehmen in den USA die Grenzwerte für den Klimaschutz einhalten müssten.

Obwohl Welch das Motto verkündete, „Staaten schaffen nichts“17 , konnte General Electric jederzeit auf finanzielle Zuwendungen aus der Staatskasse rechnen. Im Zeitraum von 1990 bis 2002, als Welch das Unternehmen lenkte, erhielt GE nach Angaben des Center for Public Integrity die meisten Staatsaufträge überhaupt, im Wert von insgesamt 43,7 Milliarden US-Dollar. Zudem profitierte der Konzern von Exportbeihilfen, örtlichen Subventionen und sinkenden Unternehmensteuern in den USA.18 So zahlte GE zwischen 2001 und 2003 nur 3,4 Milliarden US-Dollar Unternehmensteuern – Höhe der Einsparungen: 9,5 Milliarden US-Dollar. Und bereits zwischen 1996 und 1998 hatte der Konzern von Steuernachlässen in Höhe von 6,9 Milliarden US-Dollar profitiert.

Dass dabei „Investitionen“ zur Beeinflussung staatlicher Stellen an diesem Geldsegen nicht unschuldig sind, liegt auf der Hand. Das Fernsehnetz NBC wie die Universal-Filmstudios und Kabelfernsehnetze, die GE 2003 von Vivendi übernahm, sichern dem Konzern einen gewissen Einfluss. Aber auch Führungskräfte des Konzerns bedienen die politischen Parteien immer wieder mit Wahlkampfgeldern. Insgesamt spendeten GE-Manager in den Jahren von 1990 bis 2006 rund 12 Millionen Dollar an politische Parteien. Bevorzugte Methode zur Beeinflussung politischer Entscheidungen ist bei GE nach wie vor das direkte Lobbying. Dafür gab man im ersten Halbjahr 2005 nicht weniger als 13,9 Millionen Dollar aus – mehr als die allermeisten US-Unternehmen.19

Auch bei seinen strategischen Personalentscheidungen hat der Konzern eine glückliche Hand. So wird Clara Gaymard, die vor kurzem Chefin von GE-Frankreich wurde, die zahlreichen Kontakte, die sie als Leiterin des „Französischen Büros für internationale Investitionen“ (AFII) geknüpft hat, nun für ihren neuen Arbeitgeber nutzen können.

Nachdem Jack Welch seinen Aktionären gegeben hatte, was sie von ihm erwarteten, wurde er großzügig belohnt. Allein im Jahr 2000 erhielt er 164 Millionen US-Dollar, einschließlich der Einnahmen aus dem Verkauf von GE-Aktien. 2001 verdiente er immerhin noch 16 Millionen US-Dollar, wozu eine Abfindung von 9 Millionen US-Dollar aus Anlass seiner „Pensionierung“ kam. In den zwanzig Jahren an der Spitze von General Electric hat Jack Welch 900 Millionen US-Dollar bezogen.

Das dürfte kaum zu viel sein für die öffentliche Aufklärungsarbeit, die der Mann geleistet hat: Als er 1981 eine Fabrik in Kalifornien zumachte, musste er sich vom CBS-Magazin „60 Minutes“ noch harsche Kritik gefallen lassen. Heute, darf Welch behaupten, „akzeptiert die amerikanische Gesellschaft das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit“. Sie hat sich eben „modernisiert“20 .

Fußnoten:

1 Wall Street Week, PBS, 13. September 2002, sowie die Jahresberichte der Unternehmen seit 2002. 2 David Paul, „GE long term debt skyrocketing“, Agentur Bloomberg, April 2003; Thomas O’Boyle, „At Any Cost: Jack Welch, General Electric and the Pursuit of Profit“, New York (Alfred A. Knopf) 1998. 3 Scott Klinger und Holly Sklar, „Titans of the Enron Economy. The Ten Habits of Highly Defective Corporations, United for a Fair Economy“, Boston (Massachussetts), 10. April 2002, www.fairecono my. org/press/2002/titans_pr.html. 4 Thomas O’Boyle, siehe Fußnote 2. 5 John K. Galbraith, „Die moderne Industriegesellschaft“ München/Zürich (Droemer Knaur) 1967. 6 „Tyrants, statesmen and destroyers, a brief history of the C.E.O.“, Fortune, 18. November 2002. 7 „Want to win? Here’s some practical advice from Jack Welch“, Bulletin de l’école de commerce de Wharton, 1. Juni 2005. 8 Kapitalisierung und Dollarkurs Ende des 1. Quartals 2006. 9 So John Hovis, Vorsitzender der Gewerkschaft United Electrical Workers (UEW), die bei General Electric mit am stärksten vertreten ist. Zitiert nach „The case against GE“, Multinational Monitor, Juli/August 2001. 10 Dazu Kathryn Kranhold, „Five years later, Immelt transforms GE“, The Wall Street Journal, 11. September 2006. 11 Le Monde, 5. Juli 2005. 12 Zur Nafta gehören Kanada, die USA und Mexiko. 13 Dazu „Nafta’s broken promise: Failure to create U.S. jobs“, Public Citizen, Washington, 1. Februar 1997. Siehe auch Serge Halimi, „Triomphe ruineux pour l’administration démocrate“, Le Monde diplomatique, Dezember 1993. 14 Dazu Eric Klinenberg, „Dix maîtres des médias américains“, Le Monde diplomatique, April 2003. 15 „GE’s Immelt renovates house that Jack built“, The Wall Street Journal, 6. Februar 2003. 16 „A lean, clean electric machine“, The Economist, 10. Dezember 2005. 17 Siehe Fußnote 7. 18 Laut einer Studie von „Citizen for Tax Justice“ über 275 führende US-Unternehmen, in: Citizen for Tax Justice & Institute on Taxation and Economic Justice (Itep), „Corporate income tyxes in the Bush years“, September 2004. Siehe auch Itep, „Corporate income taxes in the 90’s“, Oktober 2000. 19 The Wall Street Journal, 14. Februar 2006. 20 „How Jack Welch runs GE“, Business Week, 8. Juni 1998. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Olivier Vilain ist Journalist. Le Monde diplomatique nimmt am Zeitschriftenprojekt Documenta 12 magazines teil.

Le Monde diplomatique vom 10.11.2006, von Olivier Vilain