Wahlfarce mit Europas Segen
Ende April 2010 bestritt Tommaso Caprioglio, Stellvertretender Leiter der Wahlbeobachtermission der Europäischen Union (EOM), anlässlich des bevorstehenden Marathons von Kommunal-, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Burundi jede politische Rolle seiner Mitarbeiter: „Unsere Funktion ist rein technisch. Wir werden nur den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen nach internationalen Kriterien überwachen.“
Am 28. Mai, vier Tage nach den Kommunalwahlen, mischten sich die EOM-Mitarbeiter aber doch in die Politik ein: Sie sprachen der Regierung ihr Lob aus, obwohl die Opposition zahlreiche Verstöße angeprangert und das Wahlergebnis nicht akzeptiert hatte. Mit der offiziellen EOM-Absegnung, war die Kritik der Opposition praktisch diskreditiert.
Dabei war die politische Diskussion in Burundi seit Jahresbeginn bemerkenswert sachlich geblieben, und die ethnische Frage schien keine große Rolle zu spielen. Man kritisierte vielmehr die Regierung im Allgemeinen, die ineffiziente Wirtschaftspolitik und sprach viel über Burundis Entwicklung zum Polizeistaat.
Im Frühjahr 2010 wurde das ganze Land vom Wahlkampffieber gepackt. Wie in einer Demokratie gab es große Versammlungen, Parteiprogramme wurden vorgestellt und Umzüge veranstaltet. Sogar die Palipehutu-FNL, die letzte große Anhängerin der fanatischen „Hutu Power“1 , hatte den bewaffneten Kampf aufgegeben und sich an den Wahlen beteiligt. Nach den Kommunalwahlen am 24. Mai schwand die Begeisterung jedoch binnen weniger Stunden, weil es in den Wahllokalen chaotisch zuging. Nach Angaben der Opposition gab es weit mehr Wähler als im Wählerverzeichnis eingetragen.
Die EOM, die Anfang des Jahres mit 83 Beobachtern nach Bujumbura gekommen war, hatte 15 Teams mit je zwei Beobachtern in die 6 900 Wahllokale entsandt. Allerdings waren einige der Beobachter im Eilverfahren rekrutiert worden und kannten sich in Burundi kaum aus. Zudem gab es Schwierigkeiten beim Zugang zu ländlichen Wahlbüros. Die EOM-Mitarbeiter stellten dennoch sehr bald fest, dass sich die Unregelmäßigkeiten häuften. Umso erstaunlicher ist es, dass sie am Ende mit dem Ablauf der Kommunalwahlen „im Großen und Ganzen“ zufrieden waren.
Die Regierungspartei, der Nationalrat für die Verteidigung der Demokratie – Verteidigungskräfte der Demokratie (CNDD-FDD), erhielt offiziell 70 Prozent der Stimmen. Schon kurz nach der Schließung der Wahllokale verbündeten sich die unterlegenen Parteien zur Demokratischen Allianz für den Wandel (ADC) und stellten zwei Forderungen: den Rücktritt der unabhängigen Wahlkommission und die Wiederholung der Wahl. Da die Allianz keinerlei Kapazitäten zur Untersuchung der Vorgänge besaß, war sie aber nicht in der Lage, einen umfassenden Wahlbetrug nachzuweisen. Derweil zitierte die Regierung überall die Glückwünsche aus dem Ausland und die anerkennenden Worte der EOM-Beobachter. Schließlich entschloss sich die ADC alle nachfolgenden Wahlen zu boykottieren.
Von da an geriet das große Wahljahr in Burundi zur Farce: Präsident Pierre Nkurunziza wurde ohne Gegenkandidaten im Juni wiedergewählt und vollendete seinen Triumph im Juli bei den Wahlen zur Nationalversammlung, die nun zu gut drei Vierteln vom CNDD-FDD beherrscht wird.
Nach den Wahlen wandten sich die internationalen Medien von Burundi ab, und die Regierung begann unbehelligt politische Gegner zu verfolgen. Wichtige Köpfe der politischen Opposition verließen das Land, und Agathon Rwasa, der Führer der Palipehutu-FNL, verkündete, die bewaffneten Kämpfe können jederzeit wieder aufflammen. Tatsächlich gab es im September Scharmützel an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, und jede Woche werden neue Morde, Angriffe und Plünderungen gemeldet. Die Folgen einer Destabilisierung Burundis in dieser unruhigen Region sind unkalkulierbar – doch darüber hatte sich die EOM ganz offensichtlich keinerlei Gedanken gemacht.
Statt die Wahlen genau zu beobachten, ließ sie sich oberflächlich und sehr allgemein von einem politischen Klima beeindrucken, das bis zum 28. Mai als „gut“ bezeichnet wurde. Ohne sich um den Wahlboykott der Demokratischen Allianz zu kümmern, setzte sie die Beobachtung eines Präsidentschaftswahlkampfs mit einem einzigen Kandidaten und einer Parlamentswahl ohne Opposition fort, und Renate Weber, Leiterin der EOM, gratulierte den Protagonisten zur „ordentlichen Durchführung der Wahlen“. Der Abschlussbericht der EOM vom 12. Oktober 2010 ist die reinste Realsatire: In dem umfangreichen Dossier bedauern die Autoren den „möglichen Wandel Burundis zum Einparteienstaat“ und den „Rückgang des Pluralismus“.2 Kein Wort davon, dass die EOM möglicherweise zu dieser Entwicklung mit beigetragen hat, indem sie der Regierungspartei ihren Segen gab.
Vincent Munié
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Vincent Munié ist Dokumentarfilmer und Autor.