10.12.2010

Panamax

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Panamax

Neue Formen der US-Militärpräsenz in Lateinamerika von Adriana Rossi

Zwanzig Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, im Juli dieses Jahres, beantragte Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe eine außerordentliche Sitzung des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Es ging um eine Anklage gegen Venezuela. Die Regierung in Bogotá legte nachrichtendienstliche Erkenntnisse und Satellitenfotos vor – die den Medien „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ vorenthalten wurden –, mit denen sie belegen wollte, dass auf venezolanischem Territorium 86 Lager der kolumbianischen Guerillaorganisationen Farc und ELN mit 1500 Kämpfern existierten – unter Duldung der Regierung Chávez.

Der Vorstoß Uribes löste eine Kettenreaktion gegenseitiger Anschuldigungen aus, die zum offenen Bruch zwischen beiden Ländern führten. Damit drohte eine die ganze Region gefährdende Eskalation des seit Jahren schwelenden Konflikts, der Venezuela schon 2009 dazu gebracht hatte, den Warenverkehr mit Kolumbien zu unterbinden. Unmittelbarer Anlass war dabei ein Abkommen, mit dem Bogotá den US-Amerikanern die Nutzung von mindestens sieben Militärbasen gestattete.1 Dieser Vertrag wurde von den Regierungen der Region und den meisten anderen südamerikanischen Ländern als Bedrohung und Provokation betrachtet.

Hinter Uribes Anschuldigungen vor dem Forum der OAS witterte Venezuela die Hand der USA, deren Regierung Chávez eine Verschwörung nicht allein gegen Venezuela, sondern gegen die Region insgesamt vorwarf. Die Krise wurde durch den Regierungsantritt von Juan Manuel Santos in Kolumbien und die Vermittlung des Generalsekretärs von Unasur vorläufig entschärft und mit einer von beiden Präsidenten unterzeichneten „Grundsatzvereinbarung“ beigelegt.2

Seine Gegner mögen Hugo Chávez vorwerfen, unnötig heftig reagiert zu haben. Doch die zunehmende militärische Präsenz der USA in Lateinamerika ist eine Realität. Ende Oktober 2009, wenige Tage vor der Unterzeichnung des Militärabkommens zwischen Bogotá und Washington, kündigten die USA ein weiteres Abkommen mit Panama an, in diesem Fall über den Bau von vier Luftwaffen- und Marinestützpunkten, je zwei im Pazifik und im Atlantik.

Gegen Drogenbanden und Naturkatastrophen

Zwar beteuerte Panamas Innenminister José Raúl Molina, diese Militärbasen würden unter panamaischer Oberhoheit verbleiben.3 Doch das klingt wenig glaubwürdig, bedenkt man die Höhe der dafür nötigen Investitionen und das extreme Machtgefälle zwischen den Vertragspartnern. Zumal die USA auch noch sehr stark darauf dringen, die Kanalzone zu kontrollieren – angeblich um Drogenhändler, Terroristen und Waffenhändler zu bekämpfen.

Tatsächlich ist die Sicherheit des interozeanischen Korridors seit langem ein Leitmotiv des Pentagons. 2003 organisierte das US-Southern Command (Southcom) in der Kanalzone erstmals Militärmanöver (unter dem Codenamen Panamax). An den diesjährigen Übungen im August waren 2 000 Personen – Militärs und Zivilisten – aus 18 Ländern des Kontinents beteiligt. Der offizielle Manöverauftrag war, die Bedrohung durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen, wie sie für das 21. Jahrhundert typisch sind, abzuwehren und ein von einer Naturkatastrophe betroffenes Gebiet mithilfe einer multinationalen Truppe zu stabilisieren.4

Aus Kostengründen wurden die Simulationsübungen zeitgleich auf den zwei Southcom-Basen (Mayport, Florida, und Norfolk, Virginia) und in Panama-Stadt abgehalten. Nur bei den Landmanövern entlang der Kanalzone waren zentralamerikanische Truppen unter panamaischem Befehl im Einsatz.

Der Kampf gegen den Drogenhandel muss auch als offizielle Begründung dafür herhalten, dass in der zweiten Jahreshälfte 2010 US-Truppen in Costa Rica im Einsatz sind. Dabei operieren 7 000 Marines und 46 Kriegsschiffe (die 200 Hubschrauber und Flugzeuge transportieren können) in einem Land, das selbst über keine Armee verfügt. Präsidentin Laura Chinchilla verteidigt das Abkommen damit, dass riesige Mengen von Drogen durch das Land geschleust werden und dass mexikanische und kolumbianische Drogenkartelle in Costa Rica Fuß gefasst haben, denen die einheimische Polizei und Küstenwache nicht gewachsen sind.

Gemeinsam mit der Dominikanischen Republik und Haiti beteiligt sich Costa Rica auch an der „Iniciativa Mérida“ – oder „Plan México“ –, die ebenfalls der Bekämpfung des Drogenhandels dient. Aber Chinchilla drängt auf eine Ausweitung der Initiative, damit die gesamte Region Finanz- und Militärhilfe aus den USA beziehen kann. 2009 erhielten die Mitgliedsländer im Rahmen der „Iniciativa Mérida“ insgesamt 110 Millionen US-Dollar und Mexiko noch einmal 300 Millionen.5

Trotz dieser Initiative tobt in Mexiko ein Krieg, der seit Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón vor vier Jahren rund 28.000 Todesopfer gefordert hat: Drogenhändler, Polizisten, Militärs, Politiker, die mit dem organisierten Verbrechen gemeinsame Sache machen, Politiker, die genau dies verweigerten, aber auch viele völlig Unbeteiligte. Die Lage ist so ernst, dass Mexiko wie Washington die verschiedenen Drogenkartelle zu „terroristischen“ Vereinigungen erklärt haben. Das sind sie auch, wenn auch nicht in dem politischen Sinne, der damit intendiert ist. In jedem Fall ist dieses Etikett natürlich von erheblicher innenpolitischer Bedeutung und Brisanz.

Das Pentagon spart sich eigene Anlagen

Dieser „Drogenterrorismus“ dient Washington zudem als Vorwand dafür, die belagerte Grenze zu Mexiko quasi abzuriegeln: administrativ durch die Verschärfung der Einwanderungsgesetze und physisch durch die Betonmauer und einen virtuellen Wall von Sensoren. Die insgesamt 15 000 Grenzpolizisten und ihre Überwachungsdrohnen kosten insgesamt 600 Millionen Dollar.6 Derweil kann Southcom in Belize auf Einladung der Regierung unbemannte Helikopter mit Radarausrüstung erproben, die Personen und Fahrzeuge auch unter dem dichten Laubdach des Urwalds entdecken können.7

In Kolumbien unterstützt das US-Militär indigene Gemeinden in der Bucht von Málaga – unweit der Marinebasis, deren Nutzung im Abkommen zwischen Bogotá und Washington vereinbart wurde – mit dem Ziel, die indianische Eigenheiten und Kultur zu studieren (wie es übrigens in der US-Militärdoktrin formuliert ist). Solche Initiativen wie auch gemeinsame Manöver in Chile, Brasilien und künftig vielleicht auch in Bolivien8 kommen meist auf Drängen des Pentagons und der US-amerikanischen Rechten zustande.

In letzter Zeit zwingt die Wirtschaftskrise das Weiße Haus allerdings zu finanziellen Einsparungen. Das Pentagon muss deshalb die Beschäftigung von privaten Sicherheitsfirmen einschränken und und Beförderungen verschieben; der Verwaltungsapparat muss abspecken, und das Joint Force Command (JFC), das bis jetzt für den Einsatz und die Ausbildung von Einheiten der verschiedenen Waffengattungen für gemeinsame Operationen verantwortlich war, wird ganz abgeschafft.

Damit will man innerhalb von fünf Jahren Einsparungen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar erzielen.9 Allein im Haushaltsjahr 2010 beläuft sich das US-Militärbudget auf 700 Milliarden Dollar, das sind 43 Prozent der weltweiten Militärausgaben.

Diese Einsparungen waren schon aus Rationalisierungsgründen vorgesehen und sind Ausdruck einer strategischen und taktischen Umorientierung. Damit reagiert das Pentagon auf die Entwicklung neuer Technologien und auf neue Herausforderungen (siehe Kasten), wobei die Grundidee ist, eigene Militäranlagen in aller Welt „einzusparen“. Stattdessen setzt man auf Nutzungsabkommen für die Anlagen befreundeter Staaten, denen man im Gegenzug die Modernisierung ihres Militärs im Sinne der neuen taktisch-strategischen Erfordernisse finanziert.

Eine OAS ohne die USA und Kanada ist machbar

Diese Logik entspringt der Notwendigkeit, die Beziehungen zu Partnern und Alliierten zu vertiefen. Die wachsenden machtpolitischen Ambitionen von internationalen Akteuren wie Indien und China zwingen die USA, sich als einzige Großmacht zu profilieren, die imstande ist, Kriege auch weit jenseits des eigenen Territoriums zu führen.

Eine Partnerschaft setzt gemeinsame Interessen und Ziele voraus. Für Lateinamerika definiert Washington diese Ziele mit der Formel Frieden, Sicherheit und Wohlstand, die aus ihrer Interessenperspektive durchaus zutreffend ist. Entsprechend wollen die USA ihre Partner und Verbündeten so ausrüsten, dass sie Bedrohungen wie illegale Migration, Drogenhandel, organisierte Kriminalität und Drogenterrorismus wirksam bekämpfen können.

Für Länder, die solche Hilfe verschmähen oder explizit ablehnen (wie Venezuela), besteht die Gefahr eines mehr oder minder versteckten Staatsstreichs (siehe Honduras) oder gar einer militärischen Aggression.10 Die erhebliche Verstärkung der bereits massiven Militärpräsenz, die wir in jüngster Zeit beobachten, bedeutet auch, dass solche Interventionen sofort möglich wären.

Washington steht allerdings vor dem Problem, dass Länder wie Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Paraguay und Venezuela – mit ihren verschiedenen politischen, kulturellen und historischen Voraussetzungen – Wege und Ziele verfolgen, die denen der USA zuweilen direkt zuwiderlaufen. Außerdem konnten in letzter Zeit, anders als früher, regionale Konflikte intern beigelegt werden – durch die Unasur: etwa der Konflikt zwischen Kolumbien und Ecuador und in jüngster Zeit der zwischen Kolumbien und Venezuela.

Hier zeichnet sich ab, dass man irgendwann auch ohne US-dominierte interamerikanische Organismen wie die OAS auskommen kann. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat sogar schon angedeutet, dass eine OAS ohne die USA und Kanada notwendig werden könnte. Dieser Vorstoß ist bislang ohne Konsequenzen geblieben, aber er beweist, wie sehr sich die politische Situation in der Region verändert hat.

Einige Entwicklungen haben sich schon beschleunigt. So kommt man mit der Schaffung eines Zentrums für Strategische Studien des Südamerikanischen Verteidigungsrats voran, das sich mit Bedrohungen des Kontinents befassen und gemeinsame Strategien entwickeln soll, allerdings unter Wahrung der Souveränität jedes einzelnen Staats.

Fußnoten: 1 „Acuerdo complementario para la Cooperación y Asistencia Técnica en Defensa y Seguridad entre los Gobiernos de la República de Colombia y de los Estados Unidos“, www.analitica.com, 5. November 2009. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat dieses Abkommen am 17. August 2010 für unzulässig erklärt: www.clarin.com, 19. August 2010. 2 In der Grundsatzerklärung wird auch gefordert, die wirtschaftlich-soziale Lage der Bevölkerung in der Grenzregion zu verbessern, um der Guerilla die Basis zu entziehen. Presidencia de la República de Colombia, „Declaración de Principios“, wsp.presidencia.gov.co, 10. August 2010. 3 „Ministro panameño desmiente construcción de bases militares de EE.UU.“, www.telesurtv.net, 12. November 2009. 4 „Multinational Panamax 2010 exercise begins“, www.southcom.mil, 17. August 2010. 5 „Costa Rica wants US anti-drug program for CentAm“, AP, 18. August 2010. 6 „Aprueba Congreso de EE.UU. más efectivos para zona fronteriza“, www.frontera.info, 11. August 2010. 7 „A160T Flies Forester in Belize“, www.aviationweek.com/aw/blogs/defense/. 8 www.southcom.mil, 22. November. 9 „Anuncian recortes en Defensa en EE.UU.“, noticias.latino.msn.com/, 9. August 2010; www.zeit.de/politik/ausland/2010-08/pentagon-gates-sparen. 10 Siehe das immer noch gültige Southcom-Dokument aus der Ära Bush: „Command Strategy 2016. Partnership for the Americas“; www.southcom.mil/AppsSC/files/0UI0I1175252190.pdf.

Aus dem Spanischen von Ralf Leonhardt

Adriana Rossi ist Professorin an der Universidad Nacional von Rosario, Argentinien. Sie ist Spezialistin für Auswirkungen des Drogenhandels.

© Le Monde diplomatique, edición Cono Sur

Das Netz

Die großen Kriegsszenarien, die die Truppenstationierung auf großen Basen bedingten, wie im Zweiten Weltkrieg oder noch im Kalten Krieg, werden selten. Heute ist es für die USA immer weniger notwendig, große Truppenkontingente außerhalb der USA zu unterhalten, obwohl das Land in zwei Kriege verwickelt ist: im Irak, aus dem sich Washington im vergangenen August zurückgezogen hat und nur mehr ein „Minimum“ von 50 000 Uniformierten zurückließ; und in Afghanistan, einem schwarzen Loch, das Menschen und Mittel verschlingt. Die Protagonisten dieser neuen militärischen Ära sind jetzt Marine und Luftwaffe.

Um Konflikten vorzubeugen, einzuschüchtern, neuen Bedrohungen zu begegnen und einen Krieg zu führen, richtet sich die neue Militärstrategie der USA auf das Herstellen eines Netzes1 nicht nur für operative Einsätze, sondern auch für geheimdienstliche Arbeit. Dessen Knoten befinden sich an den Sicherheitskorridoren, die die USA mit den Schauplätzen der Konflikte verbinden. Sie liegen oft an unbedeutenden geografischen Punkten, etwa auf unbewohnten Inseln oder mitten im Ozean.

Damit das Netz funktioniert, hat das Verteidigungsministerium den Planeten in sechs Sektoren von vitalem Interesse eingeteilt, denen sechs Angriffskommandos zugeordnet sind: Northcom (Nordkommando, mit Sitz in Colorado), Southcom (Südkommando, in Florida), Eucom (Europakommando, in Deutschland), Pacom (Pazifikkommando, in Hawaii), Centcom (Kommando für den Nahen Osten und Zentralasien, in Florida) und Africom (Afrikakommando, in Deutschland); Letzteres wurde von George W. Bush geschaffen.

Alle sind mit einer Reihe von Stützpunkten und militärischen Einrichtungen ausgestattet. Weltweit gibt es etwa 1 000 solche Einrichtungen, einige davon sind geheim, und nicht alle gehören den USA, sondern auch befreundeten und verbündeten Ländern. Über diese mit modernster Technologie ausgestatteten Einrichtungen soll Information in Echtzeit geliefert werden, damit man mit minimaler Verzögerung in einer Vielfalt möglicher Szenarien eingreifen kann, sowohl an der Grenze als auch transnational.2 Die augenblickliche Intervention wird als wesentlich betrachtet, damit ein Konflikt verhindert wird, sich nicht ausweitet oder außer Kontrolle gerät.

In diesem Schema sind die verschiedenen Bereiche untereinander verlinkt. Deswegen hat auch das Abkommen mit Kolumbien über sieben Militärbasen für die USA besondere Bedeutung. Unter den Stützpunkten kommt der Basis Palanquero wegen seiner Lage und technischen Ausstattung besondere Bedeutung zu. Von dort kann nicht nur die kontinentale, sondern selbst die interkontinentale Kontrolle organisiert werden. Die C-17-Flugzeuge, die von Palanquero aus operieren sollen, haben eine Reichweite, die ihnen erlaubt, die von Großbritannien kontrollierte Insel Ascension vor der afrikanischen Westküste zu erreichen. Damit würde das Südkommando als Hilfsstruktur für das Afrikakommando fungieren.

Die USA versuchten sich eine näher am Atlantik gelegene Basis zu sichern. Sie bemühten sich um eine in Französisch-Guayana und eine andere in Recife, Brasilien, die wegen ihrer räumlichen Nähe zum afrikanischen Kontinent am besten geeignet gewesen wäre. Aber die brasilianische Regierung ließ die Benutzung der Basen nicht zu.

Fußnoten: 1 Department of Defense, „Quadrennial Defense Review Report“, www.defense.gov/qdr, Februar 2010. 2 „White Paper Air Mobility Command. Global en Route Strategy“, www.heise.de.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2010, von Adriana Rossi