Was dir Ikea verschweigt
Der Nebel, hinter dem sich das Unternehmen Ikea mitsamt seinen vielen Verflechtungen verbirgt, ist einigermaßen undurchdringlich. Und da Ikea nicht an der Börse notiert ist, braucht das Unternehmen weder Teil- noch Gesamtbilanzen, weder Vermögens- noch Investitionsvolumina zu veröffentlichen.
Eigentümerin des Ikea-Konzerns ist eine Stiftung, die in den Niederlanden eingetragene Stichting Ingka Foundation. Sie ist Inhaberin der Ingka Holding B. V. Sie bildet das Dach, unter dem die Ikea-Unternehmen zusammengefasst sind. Eigentümerin des Ikea-Konzepts ist Ikea Systems, die im belgischen Waterloo südlich von Brüssel residiert und zur Inter Ikea Group gehört. Diese vergibt die Lizenzen an alle Einrichtungshäuser der Kette und kontrolliert Firmenlogo, Produktnamen und Firmenrichtlinien, die dafür sorgen, dass ein Ikea-Markt in China sich nur unwesentlich von einem Ikea-Markt in den USA oder in Kuwait unterscheidet.
Wer steht hinter Ikea Systems? Wer ist Eigentümer der Marke und der Lizenzrechte? Formal lässt sich das unmöglich sagen. Der schwedische Journalist Stellan Björk, der umfangreiche Recherchen zu Ikea angestellt hat, kommt zu dem Schluss: „Soweit man weiß, gehört Ikea Systems einer Reihe von Stiftungen und Offshore-Unternehmen, manche mit Sitz in der Karibik.“1 Dieses undurchsichtige Geflecht illustriert sehr schön, wie es mit dem Bemühen um Transparenz steht, die das Unternehmen sich ansonsten so gern auf die Fahne schreibt.
Zu Beginn ihrer Ikea-Kampagne bat die belgische NGO Oxfam – Magasins du monde das Einrichtungshaus, fünf mit der Unternehmensleitung ausgewählte Produkte zurückverfolgen zu dürfen. Nach einem Jahr und zahlreichen Kontakten hat Oxfam bis heute keine definitive Antwort erhalten. Ikea vermeidet es systematisch, schriftliche Stellungnahmen abzugeben.
Die angeblich unabhängigen Kontrolleure, die überprüfen sollen, ob in Ikea-Betrieben soziale und ökologische Standards eingehalten werden, dürfen ihre Erkenntnisse nicht an die Öffentlichkeit bringen. Und als der Weltkonzern im Mai 1998 einen Rahmenvertrag mit der International Federation of Building and Wood Workers (IFBWW)2 abschloss, verpflichtete sich der Gewerkschaftsverband darin, bei sozialen Missständen zunächst das Unternehmen zu informieren. Der Konzern werde dann „der Sache nachgehen und geeignete Maßnahmen ergreifen“3 .
Man lässt einfach nichts nach außen dringen. Auch von den Ikea-Mitarbeitern in Waterloo wollte niemand auf unsere Fragen antworten. Gespräche mit der Presse sind den Beschäftigten untersagt. Wenn dennoch Fehler ans Licht kommen, wirft Ikea seine gigantische Kommunikationsmaschine an. Das Muster ist immer dasselbe: Das Unternehmen gesteht den Fehler ein, spielt den Fall herunter, nimmt seinen Kritikern den Wind aus den Segeln und verspricht Lösungen.
Nachdem Umweltschutzorganisationen dem Unternehmen Raubbau an der Natur vorgeworfen haben, hat Ikea seit den 1990er-Jahren seine Beziehungen zu den großen Umweltschutzorganisationen World Wildlife Fund und Greenpeace ausgebaut. Nachdem der Vorwurf laut wurde, Ikea verdiene an Kinderarbeit, suchte man die Partnerschaft mit Unicef und „Save the Children“. Dabei geht es freilich nicht um ein „philanthropisches“ Engagement, sondern um die Sicherung der Geschäfte. Diese Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen gewährleistet keineswegs, dass die Missstände behoben werden. Keine der genannten privaten Organisationen führt Produktionskontrollen durch oder inspiziert die Zulieferbetriebe.
Als 1994 bekannt wurde, dass der heute 80-jährige Ikea-Gründer Ingwar Kamprad zwischen 1941 und 1950 finanzielle und freundschaftliche Verbindungen zu Nazigruppierungen hatte, zeichnete die PR-Abteilung des Unternehmens das Bild eines sensiblen Mannes, der sich bei seinen Mitarbeitern reumütig für seine braunen Jugendsünden4 entschuldigt. Unablässig und begeistert kolportieren die Medien die zahllosen Geschichten, die über den Ikea-Gründer in Umlauf sind – von den ersten Zündhölzern, die der fünfjährige Bengel verkaufte, bis hin zur Knausrigkeit des greisen Milliardärs, der die Preise von Postkarten vergleicht. Ingvar fährt ein altes Auto; Ingvar kauft kurz vor Ladenschluss ein, weil das Gemüse dann billiger zu haben ist; Ingvar reist zweiter Klasse, um dem Volk nahe zu sein.
Allerdings hat kein Mann aus dem Volk mit dreißig schon zwei Porsches, und keiner aus dem Volk besitzt 17 Hektar Weinberge und dazu ein Haus mit 435 Quadratmetern Wohnfläche in der Schweiz. Die Widersprüche zwischen Realität und Darstellung interessieren die Medien kaum. Die meisten lieben den Ikea-Mythos. Ein Beispiel von vielen ist das Interview, das Kamprad im März 2006 dem französischsprachigen Schweizer Fernsehen in der Sendung „Pardonnez-moi“ gegeben hat.
Der Moderator scheint den Milliardär, der ihm da gegenüber sitzt, nicht zu schonen. Die berühmte Knausrigkeit wird ausführlich behandelt und sogar ein wenig ironisiert: Sie reisen zweiter Klasse? Papier soll auf beiden Seiten beschrieben werden? Sie haben lange Zeit einen alten, verrosteten Volvo gefahren? Sie kaufen Salat wirklich erst kurz vor Ladenschluss?
Auch Kamprads Nazivergangenheit wird offen angesprochen. Kurzum, das Gespräch ist höflich, aber direkt. Doch in den 18 Minuten kommt keine einzige Frage zu den Umweltproblemen und zu den Arbeitsbedingungen der 90.000 Beschäftigten des Unternehmens und hunderttausenden von Arbeitern in den Zulieferbetrieben.
Trotz der scheinbar inquisitorischen Fragen hält sich der Schweizer Journalist ziemlich genau an das, was im Ikea-Drehbuch vorgegeben ist. Er rennt brav die Türen ein, die Ikea selbst aufgestoßen hat. So lenkt der Möbelriese das Gespräch. Ohne dass jemand eingreifen muss, bewegt sich das Gespräch im Rahmen der von Ikea autorisierten Themen. So einfach ist das.
Fußnoten: