Afrikas zweite Unabhängigkeit
Trotz der Abhängigkeit des Kontinents entwickeln sich Ansätze zu einer demokratischen Kultur von Anne-Cécile Robert
Gesellschaftliche Veränderungen in Afrika nehmen oftmals dramatische Formen an. All die sozialen Bewegungen, Staatsstreiche und Kriege, dazu Armut und Krankheiten, ergeben den Eindruck eines einzigen großen Chaos. Doch sie sind nicht schwerer zu erklären als gesellschaftliche Veränderungen in anderen Teilen der Welt. Dass sich die Wirklichkeit des Schwarzen Kontinents als „unentwirrbar komplex“ darbietet, ist oft nur das Resultat medial inszenierter Vereinfachungen und abwertender Vorurteile.1
In dem Jahrzehnt nach dem Fall der Berliner Mauer verloren die meisten politisch-ökonomischen Modelle, die den Kontinent bis dahin geprägt hatten, ihre Bedeutung. Das Ende des Ost-West-Gegensatzes löste Konflikte, die wie in Angola und Mosambik von außen geschürt worden waren; kryptokommunistische Regime wie in Benin und in Äthiopien verschwanden oder führten die Marktwirtschaft ein; das Ende der Apartheid in Südafrika besiegelte die Reste der Kolonialherrschaft; und das Mehrparteiensystem setzte sich in der Demokratischen Republik Kongo ebenso durch wie auf den Kapverden, in Kenia und in der Zentralafrikanischen Republik.
Man kann nun entweder die Spannungen herausstellen, die mit solchen Umwälzungen unweigerlich einhergehen und tagtäglich aus Afrika gemeldet werden. Oder man kann die neuen politischen und gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten hervorheben, die jede Infragestellung des Status quo automatisch mit sich bringt. Jedes Drama, jede Gefahr hat eine Kehrseite: neue Hoffnungen, neue Möglichkeiten für positive Veränderungen. Manchmal ermöglicht ein Staatsstreich die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen, wie 1991 in Mali, als das Militär Diktator Moussa Traoré stürzte und die Regierungsgewalt anschließend in zivile Hände legte. Dieselbe Absicht motivierte 2005 die Putschisten in Mauretanien.
Diese Ambivalenz wird an drei Bruchlinien sichtbar. Erstens zerstörten die neoliberalen Therapien – und ihr Scheitern – in den meisten Ländern den aus der Unabhängigkeit hervorgegangenen Gesellschaftsvertrag: Afrika südlich der Sahara ist die einzige Region der sich entwickelnden Welt, in der die Lebenserwartung der Neugeborenen auf unter 50 Jahre gesunken, also auf das Niveau von 1970 zurückgegangen ist. Dies führt zu sozialen Konflikten und bewaffneten Spannungen, stellt aber auch die gegenwärtig praktizierte Wirtschaftspolitik in Frage.
Zweitens erweitert die Demokratisierung den Raum für politisches Handeln. Allerdings schränkt die Kontrolle der internationalen Finanzinstitutionen nach wie vor die Spielräume der Regierungen ein. Und drittens verändert sich die geopolitische Landschaft des Kontinents.
Dass die Strukturanpassungspläne gescheitert sind, ist heute unbestritten.2 Trotz vergleichsweise hoher Wachstumsraten – der Vorjahresdurchschnitt lag bei 5 Prozent, mit Spitzenwerten in den erdölexportierenden Ländern Tschad (7,7 Prozent) und Äquatorial-Guinea (9,3 Prozent) – geht die Armut in Afrika nicht zurück. Selbst die neoliberalen Ökonomen beginnen angesichts der mageren Resultate ihrer Rezepte, die treibenden Kräfte wie die Substanz dieses Wachstums zu hinterfragen.
So wird in einem Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit dem Titel „Schmerzen und Wachstum“ nach einem Begriff von Wachstum gefragt, „das den Armen zugute kommen würde“. Da eine einheitliche Definition fehle, müsse man zunächst die Rolle der Ungleichheiten in Afrika noch genau untersuchen, nachdem sich die Einkommensverteilung seit 1980 stark verändert habe: „Wir wissen, dass stärkere Einkommensunterschiede einen Beitrag zur Armutsminderung leisten, den wachstumsinduzierten Rückgang von Armut teilweise aber auch wieder aufheben können.“3
Angesichts der katastrophalen La-ge haben IWF und Weltbank beschlossen, neue Wirtschaftsprogramme zu propagieren und zu fördern, die die Bekämpfung von Armut und Korruption sowie verbesserte Bildung und den Ausbau der Infrastruktur zum Ziel haben. Die Umsetzung von sogenannten „Strategiepapieren zur Armutsminderung“4 soll dazu beitragen, dass die betreffenden Länder die Millenniumsziele der Vereinten Nationen erreichen.5
Europas neue Rolle folgt alten Rezepten
Seit 2002 regelt das Cotonou-Abkommen die Wirtschaftsbeziehungen der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten zur Europäischen Union. Auch durch die „Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (Nepad)6 hat die EU seit Beginn des Jahrtausends ihre Rolle auf dem Kontinent neu definiert. Ebenfalls als Beitrag zur Entwicklung versteht sich die angekündigte Minderung oder Annullierung von Auslandsschulden im Rahmen der G-8-Initiative für hochverschuldete arme Entwicklungsländer (HIPC).7 Darüber hinaus riefen verschiedene multilaterale Organisationen zur Aufstockung der internationalen Hilfe auf.8
All diese Initiativen vermitteln den Anschein, man habe die Lehren aus der Vergangenheit gezogen, doch keine bricht mit der neoliberalen Ideologie, die jede Debatte über wirtschaftspolitische Alternativen verhindert.9 Typisch für diese Herangehensweise ist der von Tony Blair in Auftrag gegebene Bericht der „Commission for Africa“ mit dem Titel: „Unser gemeinsames Interesse“10 . Auch hier bleiben Schuldennachlässe an die todbringende Rezeptur von Liberalisierung und Freihandel, Privatisierung und Marktöffnung gebunden. Vergeblich schlägt die UN-Handels- und Entwicklungskonferenz einen klareren Strategiewandel vor, namentlich andere Welthandelsregeln.11
Manche Politologen und Beobachter liefern flankierende Argumente für die herrschende Wirtschaftslehre: Nicht deren Rezepte seien schlecht, sondern die Afrikaner seien zu dumm, sie erfolgreich umzusetzen. Der französische Journalist Stephen Smith vertritt die Ansicht, die Mentalität der Afrikaner sei ein wesentliches Hindernis der Entwicklung.12
Doch Kritikansätze dieser Art leiden an einem entscheidenden Konstruktionsfehler: Ihre Gültigkeit hängt von der Annahme ab, dass es zum Neoliberalismus keine Alternative gibt. Operation erfolgreich, Patient tot – diese Logik will den Afrikanern partout nicht einleuchten – wohl aus mangelnder Vorstellungskraft! Wie kein anderer symbolisiert der Schwarze Kontinent heute die Gewalttätigkeit der globalisierten Wirtschaft, weshalb das Weltsozialforum im Januar 2007 aus Solidarität in Nairobi (Kenia) stattfinden wird.
Die strukturellen Schäden für die afrikanischen Gesellschaften sind bereits erheblich. Dabei lassen sich drei Ursachen für die soziale und politische Destabilisierung ausmachen. Zum einen wurde durch die im Gleichschritt vollzogene Einbindung in die Weltmärkte die Landwirtschaft geschwächt, von der im subsaharischen Afrika zwei Drittel der Bevölkerung leben. Unfaire Konkurrenz in diesem Bereich führte zu Verarmung und zu anhaltender Landflucht.
Zum anderen wurde den Mittelschichten das Wasser abgegraben. Etwa ab 1980 setzte in den afrikanischen Gesellschaften eine starke Polarisierung zwischen sehr Reichen und sehr Armen ein: Die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung verfügen nach Angaben der UN über zehnmal höhere Einkünfte als das ärmste Fünftel. Die Entwicklung eines Landes hängt aber weitgehend von der Dynamik der Mittelschichten ab, deren Aufstieg den Ärmeren im Übrigen die Perspektive zu eigenem Fortkommen öffnen soll. „In der derzeitigen Expansionsphase des Kapitals mit seinen neuen Akkumulationsformen“, notiert der ghanaische Politologe Kwame A. Ninsin, „haben die Marktkräfte viele Menschen – auch aus der Mittelschicht – um ihre Existenzgrundlage gebracht, in Armut gestürzt, betrogen und zerstört.“13
Und drittens zerstörte die marktradikale Ideologie die Handlungsfähigkeit der Regierungen, indem sie Budgetdisziplin, die Liberalisierung der Finanzmärkte, die Öffnung der Binnenmärkte für den Außenhandel und die Privatisierung staatseigener Unternehmen durchsetzte. Für die wirtschaftliche Entwicklung bedeutet dies ein starkes Handicap.
Nach Forschungsergebnissen der Unctad schaffen staatliche Anschubinitiativen wie die Finanzierung der Infrastruktur und günstige gesetzliche Rahmenbedingungen überhaupt erst die Voraussetzungen, dass sich private Investoren und Unternehmer engagieren.14 Kein Wunder daher, dass Afrika vom „Boom“ der Auslandsdirektinvestitionen der letzten Jahre kaum profitierte.15
Die mangelnde Finanzkraft der öffentlichen Hand trägt auch zum Unmut bei den schlecht bezahlten Streitkräften bei. Im Extremfall provozieren sie Staatsstreiche (Guinea-Bissau 2003 und Mauretanien 2005). Die Beamten müssen Gehaltsrückstände von mehreren Monaten oder Jahren hinnehmen. Als erste Amtshandlung kündigte der zentralafrikanische Putschgeneral François Bozizé 2003 daher die Bezahlung der Staatsbediensteten an.
Eine Staatsgewalt, die der Gesellschaft ein Ziel vorgeben könnte, existiert nicht mehr. Die Regierung ist nicht mehr in der Lage, das Gemeinwohl zu definieren; Ersatz suchen die meisten Menschen in einer ethnizistischen Ideologie. Da geht es dann um die „Kongolität“ der Demokratischen Republik Kongo, die „Togolität“ Togos, die „Ivorität“ der Elfenbeinküste. Nicht von ungefähr erinnern diese Diskurse an Jean-Marie Le Pens Parole „Frankreich den Franzosen“.
Dazu meint der ägyptische Ökonom Samir Amin: „Als die Krise begann, war es zu Ende mit den Überschüssen, die eine gesellschaftliche Versöhnung ermöglicht hatten. Danach zerfiel die herrschende Klasse selbst in einzelne Fraktionen, die ihre Legitimität nun nicht mehr auf Entwicklungsfortschritte gründen können. Deshalb versuchen sie inzwischen, eine neue Basis zu schaffen – oft durch Rückzug auf die eigene Ethnie.“16 Der Gemeinwohlgedanke, von dem die Eliten der Unabhängigkeit getragen waren, muss deshalb, ausgehend von einer Neubestimmung des Gesellschaftsvertrags, von Grund auf rekonstruiert werden.
Die Entwicklung in der Republik Elfenbeinküste ist ein gutes Beispiel für die Probleme nach dem Scheitern der IWF-hörigen Politik. Dort ging die Rentabilität der Kakaobranche, die den Reichtum des Landes begründet hatte, nach deren Privatisierung zurück und damit der Lebensstandard der Bevölkerung. Die pauperisierte Stadtjugend, für die sich der seit 2000 regierende Präsident Laurent Gbagbo einsetzen wollte, ging auf die Barrikaden, und die von dem l993 gestorbenen Präsidenten Félix Houphouët-Boigny verhätschelte Landbevölkerung holte sich Ländereien zurück, die man in Zeiten des „ivorischen Wirtschaftswunders“ großzügig ausländischen Investoren überlassen hatte. Daher auch der nationalistische Diskurs über „Ivorität“ und die scharfen Interessengegensätze zwischen Stadt- und Landbevölkerung, Ausländern und Ivorern, Jungen und Alten.
Die Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse ließ auch andernorts in Afrika Konflikte offenkundig werden. In der Demokratischen Republik Kongo war die Beteiligung an den allgemeinen Wahlen im Juli mit 70 Prozent außergewöhnlich hoch. Neue Akteure – Organisationen von Frauen, Handwerkern, Kleinunternehmern und Beschäftigten – betraten die politische Bühne und verschafften sich Gehör. In Togo konnten Massendemonstrationen im Oktober 2006 die Bildung einer „pluralen“ Regierung durchsetzen, nachdem Faure Gnassigbé, der Sohn des verstorbenen Diktators Gnassigbé Eyadema, die Regierungsgewalt zunächst allein okkupiert hatte.
Die Zivilgesellschaft verschafft sich Gehör
In Madagaskar setzte die Bevölkerung 2002 den Amtsverzicht von Präsident Didier Ratsiraka durch. In der Demokratischen Republik Kongo protestierte die Bevölkerung mit einem „tote Stadt“ genannten Generalstreik gegen den schleppenden Übergangsprozess der Jahre 2003 und 2004. Ebenfalls mit Generalstreiks protestierten die Menschen in Guinea im Frühjahr dieses Jahres gegen zu hohe Lebenshaltungskosten, in Mali organisiert sich eine Bewegung gegen die Privatisierung der Eisenbahn, und in Südafrika machen die Bewohner von Elendsquartieren gegen die häufigen Stromabschaltungen mobil.
Zudem finden überall in Afrika regelmäßig Sozialforen statt, die den Anspruch auf Vormundschaft von IWF und Weltbank kritisieren.17 Populäre Künstler – Sänger, Rapper, Straßenmaler, Zeitungszeichner, Videofilmer, Filmemacher – tragen den Protest weiter.
Religiöse Bewegungen besetzen die vom Staat geräumten Positionen und spielen vor allem im sozialen Bereich eine immer größere Rolle. Dies gilt sowohl für die muslimischen Vereine als auch für die aus den USA stammenden evangelikanischen Kirchen. Einer dieser Erweckungskirchen ist auch Staatspräsident Gbagbo beigetreten. Sie werben mit chiliastischen Prophezeiungen18 , greifen bisweilen aber auch vermittelnd in innenpolitische Konflikte ein, etwa in der Demokratischen Republik Kongo.
Was wiederum den traditionellen und traditionell toleranten Islam Afrikas betrifft, so bleibt er nicht unbeeinflusst von den Ereignissen im Nahen Osten und den Auswirkungen des hilflosen Antiterrorkriegs der USA.
Die größten Sorgen bereiten den afrikanischen Demokratien jedoch die Kinder und Jugendlichen (bis zu 49 Prozent der Bevölkerung südlich der Sahara sind unter 15 Jahre alt).19 Sie bekommen die Misere im Bildungswesen voll zu spüren und sind stark von den großen Pandemien wie Aids bedroht.20 Ihre Wut äußert sich in permanentem Aufruhr, oder aber sie organisieren sich in mehr oder weniger mafiösen Banden, was sich etwa in den Sabotageanschlägen in den erdölproduzierenden Gebieten Nigerias niederschlägt.
In den Randbezirken von Großstädten wie Nairobi und Johannesburg leben die Jugendlichen entweder in Parallelgesellschaften oder sie studieren, falls sie den Sprung an die Universität schaffen, unter äußerst prekären Bedingungen. Protestbewegungen gegen überzogene Studiengebühren, fehlende Stipendien und die unzureichende Unterbringung und Verköstigung erschüttern regelmäßig die Hochschulen, vergangenen Winter zum Beispiel in Dakar. „Die Jugend dürstet nach Gerechtigkeit“, meint der mauretanische Filmemacher Abderhamane Cissako: „Sie verlangt Rechenschaft. Das heißt, sie will ihre Würde zurückerlangen und eine Erklärung für die schwierige Lage des Kontinents erhalten.“21
Hinzu kommt die Versuchung auszuwandern, die zu den inzwischen bekannten menschlichen Dramen führt. Mitunter verschulden sich ganze Familien und Dörfer, um die Auswanderung eines jungen Mannes zu finanzieren, in der Hoffnung auf spätere Unterstützung. Paradoxe Wirkungen zeitigt die Emigration aus Afrika insofern, als sie dem Kontinent einerseits „Lebenskräfte“ raubt, andererseits aber 232 Milliarden Euro im Jahr einbringt, mehr als die gesamte Entwicklungshilfe.
„Unsere führenden Politiker gehen mit schlechtem Beispiel voran“, klagt der senegalesische Historiker Ibrahima Thioub. „Sie schicken ihre Kinder in den Norden zum Studieren oder Geldverdienen und verstärken damit die Überzeugung, dass man hier nicht erfolgreich sein kann.“
Mehr als anderswo leben die afrikanischen Eliten in abgehobenen Sphären der Gesellschaft. Tatsächlich brachte die gleichzeitige Demokratisierung und Globalisierung eine ganz eigene Regierungsform hervor, die man als „IWF-Demokratie“ bezeichnen könnte. In ihr gehorcht die Selektion der Eliten einer doppelten Dynamik: hier demokratische Wahlen, dort der Ritterschlag durch internationale Finanzinstitutionen, wobei im Konfliktfall die Demokratie sich der Wirtschaft beugen muss.
An IWF und Weltbank führt noch kein Weg vorbei
Bewerber um höchste Staatsämter müssen sich nolens volens der Unterstützung oder Neutralität der internationalen Geldgeber versichern. Manche Führungspolitiker kommen sogar unmittelbar von IWF und Weltbank, etwa die liberianische Staatspräsidentin Ellen Johnson-Sirleaf.
Weitere Beispiele aus neuerer Zeit sind Alassane Dramane Ouattara, erst IWF-Abteilungsleiter, dann Ministerpräsident der Côte d’Ivoire, Nicéphore Soglo, IWF-Gouverneur und dann Staatspräsident von Benin, Ngozi Okonjo-Iweala, Generalsekretärin der Weltbank und dann Finanzministerin Nigerias. Unternehmer wie der madegassische Staatspräsident Marc Ravalomanana und Banker wie der ivorische Ministerpräsident und ehemalige Gouverneur der Zentralbank westafrikanischer Staaten (BCEAO) Charles Konan Banny genießen die Wertschätzung der internationalen Finanzinstitutionen.
Die Legitimität und Repräsentativität der Eliten stützt sich in vielen afrikanischen Ländern eher auf die internationalen Organisationen als auf das Volk. Bei einer parlamentarischen Aussprache konnte ein senegalesischer Minister die Opposition mit dem simplen Hinweis zum Schweigen bringen: „Die Geldgeber sind einverstanden.“
Dass die lokalen Eliten den tonangebenden Ökonomen nach dem Mund reden, zeigte sich im Baumwollkonflikt 2003: Die afrikanischen Politiker forderten die Einhaltung der Freihandelsregeln, nicht etwa eine Veränderung der durch Gewalt geprägten Nord-Süd-Beziehungen.
Manchmal allerdings lehnt die Bevölkerung den Wunschkandidaten der Bretton-Woods-Institutionen auch ab. Der ehemalige IWF-Gouverneur Nicéphore Soglo, der 1991 den Exdiktator Mathieu Kérékou aus dem Amt jagte, unterlag diesem bei den Wahlen 1996. Und die 2005 gewählte liberianische Staatspräsidentin Ellen Johnson-Sirleaf sieht sich einem feindseligen Parlament gegenüber.
Der demokratische Prozess wird immer dann beeinträchtigt, wenn die wirtschaftlichen Probleme überhand nehmen. Die politischen Parteien haben im Übrigen auch deshalb keine nennenswerte Basis, weil kaum jemand die Mitgliedsgebühren bezahlen kann. Der Wahlausgang wird verfälscht, wenn einige Kandidaten schier unbegrenzte Mittel in den Wahlkampf werfen können, während andere praktisch nichts haben.
Geschickte Regime fördern die Gründung von Oppositionsparteien, um ihre Gegner besser gegeneinander ausspielen zu können (siehe Gabun und Burkina Faso). Die „internationalen Beobachter“ bestätigen die Wahlergebnisse meist und schauen nur ökonomisch unbotmäßigen Regimen genauer auf die Finger, wie etwa dem in Simbabwe.
Nur mühsam schlägt die demokratische Kultur Wurzeln. Manche Staatsführer setzen Verfassungsänderungen durch, um sich auf unbestimmte Zeit wiederwählen zu lassen (Burkina Faso, Uganda, Tschad). Korruption zerfrisst die öffentlichen Verwaltungen. Oppositionspolitiker, Journalisten und Richter werden eingeschüchtert. So in Senegal, wo Exministerpräsident Idrissa Seck verhaftet und der Abgeordnete Talla Sylla zusammengeschlagen wurde, und so im Niger, wo zwei Regimegegner im Sommer wegen „Verbreitung von Falschnachrichten“ vor Gericht standen.
„Warum gibt es keinen afrikanischen Chávez?“, klagte jüngst ein Student auf dem Campus in Abidjan.22 Die Auseinandersetzung zwischen dem Tschad und der Weltbank im Winter 2005/2006 deutet eine Antwort an. Unter Verweis auf die sozialen Probleme im Land forderte die Regierung des Tschad die Freigabe von Ölgeldern, die die Weltbank unter Verschluss hält, um „die Interessen künftiger Generationen zu wahren“. Obwohl das Regime von Idriss Déby natürlich mehr an die Armee (und an den Konflikt mit dem benachbarten Sudan) dachte als an sein Volk, verweist die sichtbare Abhängigkeit von der Weltbank auf das, was man in Afrika den „Fluch des Erdöls“ nennt.
Ökonomische Abhängigkeit, die Profitsucht der Multis, die Afrika als ihr Spielkasino betrachten23 , und die Bestechlichkeit kaum repräsentativer Eliten – all dies erklärt, weshalb von den immensen Reichtümern nichts bei der Bevölkerung ankommt.
Neue Akteure, neue Bündnisse
Doch der Wandel in der Geopolitik des Kontinents könnte den afrikanischen Staaten größere Handlungsspielräume eröffnen. Die althergebrachten Abhängigkeiten und erst recht der französische Neokolonialismus werden zuweilen in Frage gestellt. In Elfenbeinküste, Togo und Senegal geriet er offen unter Beschuss, im Tschad und in Gabun ist er noch weitgehend intakt.24
Aber neuerdings bauen andere ausländische Mächte wie China und die Vereinigten Staaten ihre Positionen auf dem Kontinent zügig aus. Und auch Süd-Süd-Verbindungen zu Brasilien und Venezuela, das in Afrika drei neue Botschaften eröffnet hat, werden geknüpft. Für die nach der Unabhängigkeit geborenen Eliten zählen die aus Kolonialzeiten stammenden Bindungen nicht mehr; für sie sind alle Partnerschaften möglich.
Auf dem Kontinent selbst entstehen Regionalmächte wie Südafrika, Nigeria25 und der Sudan. Der Darfur-Konflikt, der zum Teil als Hegemonialkonflikt zwischen Khartum und N’Djamena zu verstehen ist, wird von der Afrikanischen Union (AU) aufmerksam verfolgt.
Die Afrikanische Union beteiligt sich an friedenserhaltenden Operationen (in den vergangenen Jahren in Sierra Leone, heute in der Demokratischen Republik Kongo). Die innerafrikanischen Organisationen gewinnen an Profil und spielen eine immer bedeutendere Rolle. Zum Beispiel bemühte sich der AU-Friedens- und Sicherheitsrat gemeinsam mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) im Oktober, den festgefahrenen Friedensprozess in Côte d’Ivoire wieder in Gang zu bringen. Die geringen Mittel dieser Organisationen schränken allerdings ihre Handlungsfähigkeit deutlich ein.
Dem Befreiungspotenzial der aktuellen historischen Phase sind durch die „vertikale“ Abhängigkeit der afrikanischen Länder und die mangelnde Repräsentativität ihrer Führer enge Grenzen gesetzt. Aber zugleich gibt es ermutigende Ansätze zu einer eigenständigen demokratischen Kultur. Der Traum von einer „zweiten Unabhängigkeit“, die auch wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bringt, breitet sich in ganz Afrika aus.