15.12.2006

Das Londoner Sprachrohr der Saudis

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Das Londoner Sprachrohr der Saudis

Zwei einflussreiche arabische Tageszeitungen verbreiten die verengte neoliberale Weltsicht des Königshauses in Riad von Mojammed El Oifi

Die ägyptische Publizistin Mona Eltahawy lebt in New York. Und sie konnte die International Herald Tribune als Forum nutzen, um sich über die Kündigung zu beschweren, die sie von der Tageszeitung al-Sharq al-Awsat (AAA) erhalten hatte.1 Das in London erscheinende Blatt (sein Name bedeutet „Der Nahe Osten“) versteht sich als panarabisches Organ und richtet sich als „internationale Zeitung der Araber“ an Leser in vielen Ländern.2 Doch sein Besitzer ist der saudische Prinz Salman bin Abdelasis, der Gouverneur von Riad. Ihn hatte Mona Eltahawy im Verdacht, ihre Entlassung bewirkt zu haben. Der öffentliche Protest einer arabischen Journalistin war so ungewöhnlich,3 dass renommierte Vertreter des saudisch-libanesischen Journalistennetzwerks zu Hilfe eilen mussten: Dschihad al-Chasen4 und Samir Attallah5 verteidigten die Entscheidung von AAA.

Mit dem Golfkrieg 1990 bis 1991 verlor das irakische Regime seinen Einfluss in der panarabischen Medienwelt. Fortan beherrschten saudische Prinzen dieses Feld fast allein. Die saudische Diplomatie konnte dieses Medienmonopol nutzen, um ihre Sicht der Entwicklungen in der Region zu verbreiten. Aber inzwischen ist diese Vormachtstellung bedroht. Erstens hat sich die arabische Medienlandschaft verändert, vor allem durch den Fernsehsender al-Dschasira, der im November 1996 in Doha (Katar) den Betrieb aufnahm. Zweitens brachte der 11. September 2001 die Saudis in Bedrängnis und schwächte ihre internationale Position. Die USA setzten der Politik des Königreichs gegenüber der arabischen und islamischen Welt so enge Grenzen, dass sich Riad seitdem vornehmlich auf die inneren Belange des Landes konzentriert.

Nach dem 11. September gewannen neoliberale Positionen in den saudischen panarabischen Medien deutlich an Gewicht. Die Gruppe von Journalisten und Intellektuellen, die diesen Kurs vertrat, erhielt von ihren Kritikern bald den Spitznamen „Lohnschreiber der Marines“ (kuttab al-marines): Sie verteidigten die Strategie der Bush-Administration im Nahen Osten, setzten sich für religiöse und soziale Reformen ein, ohne allerdings einen politischen Wandel zu befürworten.

Für Saudi-Arabien bot dieser radikale Kurswechsel einen doppelten Vorteil. Innenpolitisch konnte die Führung damit gegen die Islamisten Front machen und die schwache Truppe der neoliberalen Kräfte im Umfeld des Königshauses stärken. Außenpolitisch konnte sich das Land den Wohlwollen der USA sichern, indem die saudischen Prinzen nun als Vertreter gemäßigter Positionen und Vermittler der Politik George W. Bushs im Nahen Osten erschienen.

Ihre Strategie, beherrschenden Medieneinfluss der arabischen Welt zu gewinnen, verfolgt die saudische Führung schon seit Anfang der 1970er-Jahre. Damals ging es darum, dem nasseristischen Radiosender Stimme der Araber Paroli zu bieten. Zu denen, die diese Herausforderung annahmen, gehörte der Gouverneur von Riad, Prinz Salman bin Abdelasis. Sein wichtigster Coup war die Mehrheitsbeteiligung an der Zeitung al-Sharq al-Awsat, die Anfang Juli 1978 in London von den Brüdern Hischam und Mohammed Ali Hafes gegründet wurde, „unter Beteiligung von Kamal Adham und Turki al-Faisal“, die lange für den saudischen Geheimdienst gearbeitet hatten.6

Seither war an den Leitartikeln des Blattes stets der wahre diplomatische Kurs der Führung in Riad abzulesen. 2003 schien das deutliche Eintreten von AAA für den Krieg der USA gegen den Irak im Widerspruch zur reservierten offiziellen Haltung der Regierung zu stehen. Doch der US-amerikanische Reporter Bob Woodward7 beschrieb 2004 in einem Buch, wie die Kriegsvorbereitungen der USA mit Prinz Bandar bin Sultan, damals saudischer Botschafter in den USA, genau abgestimmt wurden. Man kann also die saudische Außenpolitik besser anhand der Artikel in al-Sharq al-Awsat einschätzen als anhand der offiziellen Stellungnahmen.

„Al-Hayat“ stellt auch das Personal der US-Sender im Irak

Die Tageszeitung al-Hayat wurde 1946 von dem libanesischen Journalisten Kamil Mroué gegründet. Das Blatt vertrat eine konservative Position, pflegte gute Kontakte zu den Monarchien in Jordanien und Saudi-Arabien, war für ein Bündnis mit dem Westen und gegen die Politik Nassers und 1958 gegen den Zusammenschluss Syriens und Ägyptens zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR). 1996 fiel Mroué einem Mordanschlag zum Opfer – vermutlich das Werk des ägyptischen Geheimdienstes. Nach dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs 1976 wurde die Zeitung eingestellt.

Doch am 30. Oktober 1988 erfolgte in London die Neugründung durch Kamil Mroués Sohn Jamil. Das Startkapital stellte der saudische Prinz Khaled bin Sultan, Sohn des damaligen Verteidigungsministers. Er übernahm in der Folge die Position des Verlegers. Im Golfkrieg 1990 bis 199l spielte al-Hayat eine wichtige Rolle bei der „Verteufelung“ Saddam Husseins und der Rechtfertigung der US-Intervention. Hier kamen die Oppositionellen zu Wort, vor allem kurdische und schiitische Stimmen. Wegen dieser Haltung und weil die Redaktionsleitung mit libanesischen Christen besetzt war, wurde die Zeitung als Blatt „der Minderheiten im Dienste eines Prinzen“ kritisiert.

Aber al-Hayat steht auch für Meinungsvielfalt: In der Redaktion gibt es eine „westliche“ und eine „arabische“ Fraktion. Und trotz der deutlich panarabischen Ausrichtung im Nachrichtenteil pflegt das Blatt die Bindungen an den Libanon in einem Maß, dass häufig der Nationalstaat größere Bedeutung bekommt als die arabische Solidarität.

Bei der Planung ihrer Medienstrategie in der arabischen Welt haben sich die USA wiederholt auf Mitglieder der „westlichen“ Fraktion von al-Hayat verlassen. So wurde die Leitung des seit 2002 sendenden Radio Sawa und der 2004 auf Sendung gegangenen Satelliten-TV-Station al-Hurra – beide wurden von den USA gegründet – dem früheren Leiter des Al-Hayat-Büros in Washington, dem Libanesen Mouaffak Harb, übertragen. Schon als die USA 1998 (in Prag) Radio Free Baghdad installierten, machten sie einen Redakteur von al-Hayat zum Programmchef, den militanten irakischen Kurden Kamaran Qura Dhari. Und im Mai 2004 ernannte im Irak US-Zivilverwalter Paul Bremer zwei Al-Hayat-Journalisten zu Leitern des irakischen Rundfunk- und Fernsehprogramms.

Die Rolle von al-Hayat in der arabischen Medienwelt hat dem Blatt Missgunst, aber auch gezielte Kritik eingebracht. Am besten hat ihr früherer stellvertretender Chefredakteur, der Palästinenser Bilal al-Hassan, die paradoxe Rolle der Zeitung beschrieben: Sie will panarabisch auftreten, doch ihre Linie wird zum Teil von libanesischen Journalisten mit „radikal antiarabischen“ Positionen geprägt. Nach al-Hassan pflegen diese „eine übermäßige Begeisterung für die Tugenden des Nationalstaats, unter Abwertung aller Begriffe und Gefühle arabischer oder gar islamischer Solidarität“.

Al-Hassans Kritik zielt vor allem auf den Libanesen Hasem Saghieh, Vordenker einer arabischen neoliberalen Schule, „der den Kolonialismus für einen Segen hält“8 . Aber er schildert auch die „Empörung“ gegen diese Haltung, die innerhalb der Redaktion Ausdruck fand. Hier nennt er vor allem Abdel Wahab Badrakhan und Daud al-Shiryan. Der Erste musste allerdings aus der Zeitung ausscheiden und versucht inzwischen, ein neues Blatt zu gründen, das wie al-Dschasira vom Golfemirat Katar finanziert werden soll. Al-Shiryan wurde kürzlich zum stellvertretenden Leiter des von Saudi-Arabien finanzierten Satelliten-TV-Senders al-Arabija. Hier soll er als „Gegengewicht“ zum Intendanten Abderrahman al-Raschid9 wirken, einem ausgewiesenen Neoliberalen, der zuvor Chefredakteur von al-Sharq al-Awsat war. Saudi-Arabien hat im Medienspiel offensichtlich mehr als einen Trumpf auf der Hand.

Was Bilal al-Hassan nicht erwähnt, ist der bestimmende Einfluss von Prinz Khaled bin Sultan (einem Neffen des 2005 verstorbenen Königs Fahd) auf die politische Ausrichtung der Zeitung.10 Hasem Saghiehs Attacken gegen den arabischen Nationalismus sind sicher Ausdruck seiner persönlichen Überzeugung, sie passen aber auch perfekt in die politische Strategie der saudischen Herrscher. Wenn Saghieh Islamisten und Nationalsozialisten auf eine Stufe stellt,11 hilft dies dem Regime, die Islamisten innenpolitisch abzuwerten und zu unterdrücken. Dass Bilal al-Hassan davon nicht spricht, könnte übrigens damit zu tun haben, dass er selbst Leitartikel für al-Sharq al-Awsat schreibt, die Zeitung von Prinz Salman Ben Abdelasis.

Die Versuche der USA, in der Nahostregion eine wirksame Kommunikationsstrategie zu entwickeln, sind gescheitert.12 Umso wichtiger werden die Lobgesänge auf den Neoliberalismus in den panarabischen Medien unter saudischer Kontrolle. Dieses saudisch-amerikanische Zusammenwirken erklärt auch, warum das israelische Middle East Media Research Institute (Memri)13 bevorzugt Artikel aus saudischen Quellen übersetzen lässt. Die weite Verbreitung von Auszügen aus der arabischen Presse durch Memri lasst sich als Teil einer geschickten Strategie der Informationsmanipulation begreifen, deren Folgen gar nicht absehbar sind. Diese panarabischen Presseorgane, die von den Saudis diplomatisch gedeckt, finanziert und verbreitet werden, erzeugen ein völlig falsches Bild der mehrheitlichen Meinungen in den arabischen Ländern.14 In Krisensituationen wird immer wieder die Meinung einiger Leitartikler weltweit als die Mehrheitsmeinung in der arabischen Welt verkauft. So entsteht eine „imaginäre arabische Welt“, die 2003 für den Krieg der USA gegen den Irak und 2006 für den Vernichtungsangriff israelischer Truppen auf die libanesische Hisbollah war. Damit werden letztlich auch die Politiker und die Medien in den USA in die Irre geführt, die den Kurs ihres Landes im Nahen Osten bestimmen.

Fußnoten:

1 Mona Eltahawy, „A perilous dance with the Arab press“, International Herald Tribune, 19. Juni 2006. 2 Inzwischen gibt es auch eine Online-Version in englischer Sprache: www.asharqalawsat.com/english/. 3 Fawaz Turki, „How to Lose Your Job at a Saudi Newspaper“, The Washington Post, 15. April 2006. 4 Al-Hayat, 9. Juli 2006. 5 Al-Sharq al-Awsat, 14. Juli 2006. 6 So erklärte es Hischam al-Hafiz in einem Fernsehinterview mit dem saudischen Journalisten Adbel Aziz al-Khamiz. Siehe: www.hishamalihafiz.com/tv_ar.htm. 7 Bob Woodward, „Der Angriff. Plan of Attack“, Stuttgart (DVA), 2004. 8 Bilal al-Hassan, „Die Kultur der Kapitulation“ (arab.), Beirut (Riad el-Rayyes) 2005, S. 79, 135. 9 Ein Interview mit al-Raschid zu den Debatten um die Presse erschien in der saudischen Zeitung al-Medina am 3. November 2006. 10 Der Leitartikler Lafif Lakhdhar soll auf direkte Anordnung von Prinz Khaled die Kündigung eingereicht haben. Siehe Barry Rubin, „What’s wrong with the Arab Liberal critiques of the Arab Society?“, The Middle East Review of International Affairs, Jerusalem, Dezember 2005. 11 Hazem Saghieh, Al-Hayat, 20. Juli 2006. www.daralhayat.com. 12 Art Levine, „Bad Reception“, American Prospect (Boston), 11. Juli 2005. Online-Ausgabe: www.prospect.org/web/page.ww?section=root&name= ViewWeb&articleId=10595. 13 Siehe Mohammed El Oifi, „MEMRI, das umstrittene Informationsbüro für arabische Angelegenheiten“, Le Monde diplomatique/WOZ, September 2005. Memri musste Anfang 2006 aus Geldknappheit seinen deutschsprachigen Übersetzungsdienst einstellen. 14 Al-Harithi et al., „Haltungen in Leitartikeln und in der saudischen Presse insgesamt zum Krieg gegen den Irak“ (Arab.), Riad (Asbar for Studies Research and Communications) 2005. Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Mojammed El Oifi ist Politologe und lehrt am Institut d’études politique de Paris.

Le Monde diplomatique vom 15.12.2006, von Mojammed El Oifi