Wie mächtig ist Ahmadinedschad?
Der neu gewählte Expertenrat ist das einflussreichste Gremium im Gottesstaat Iran von Alexandre Leroi-Ponant
Nachdem der Wächterrat einen großen Teil der reformorientierten Kandidaten wegen „Verstoß gegen den Islam“ nicht zugelassen hatte, waren bei den Parlamentswahlen 2004 mehrheitlich Konservative ins Amt gekommen. Ein Jahr darauf wurde der im Ausland bis dahin nahezu unbekannte Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt. Das Ergebnis zeigte nur zu deutlich, dass die Reformer einen erheblichen Teil der ärmsten Schichten nicht für sich hatten gewinnen können.
In der Mittel- und Oberschicht war man in den vorangegangen Regierungsepochen unter Mohammed Chatami (1997–2005) hingegen zu Wohlstand gekommen. Hier hatte man von der Einführung eines festen Wechselkurses zum Dollar und dem rasanten Anstieg der Immobilienpreise profitiert. Auch im aufgeblähten Staatsapparat waren die Gehälter der Funktionäre kräftig angehoben worden. Die armen Schichten dagegen litten unter der Inflation von rund 20 Prozent. So stärkten sie mit ihrem Votum die Konservativen, denen es um die Rückkehr zum reinen und strengen Islam ging. Ahmadinedschad wurde gewählt, weil er gegen die Mafia der Reichen wetterte und den Armen ein besseres Leben versprach. Und der geistliche Führer unterstützte diese Kräfte: Ajatollah Chamenei fürchtete, ein Sieg der Reformkräfte werde die Tendenz zur Säkularisierung verstärken und die Herrschaft der Rechtsgelehrten (velayat-e faqih) bedrohen.1
In den acht Jahren der Präsidentschaft Chatamis änderten die Reformer am Staatsapparat hingegen rein gar nichts, und sie machten auch keine Verbesserungsvorschläge für ein System, das sich vollkommen abhängig gemacht hat von Erdöleinnahmen und den damit verbundenen Bodenspekulationen. Nach den Parlamentswahlen von 2004 wuchs der Einfluss Ajatollah Chameneis auf das Parlament. Die Gerichte waren ohnehin stets von den Konservativen beherrscht. Doch mit der Wahl Ahmadinedschads zum Staatspräsidenten verschaffte sich Chamenei auch bestimmenden Einfluss auf die Exekutive.
Das Verbot zahlreicher unabhängiger Zeitungen wie der größten liberalen Zeitung Schargh und die Verhaftung des bekannten Philosophen und Publizisten Ramin Jahanbegloo, die andere Intellektuelle einschüchtern sollte, schwächten im Jahr 2006 das Engagement der Zivilgesellschaft. Außerdem haben die gestiegenen Ölpreise in den letzten Jahren den Aufstieg einer neuen Mittelschicht begünstigt, die lieber keine politischen Risiken eingeht, um im Fall der Krise ihren Wohlstand nicht zu gefährden.
Für den Staatsapparat bedeutete der Wechsel im Präsidentenamt eine Neuverteilung der Macht in der gesamten politischen und institutionellen Hierarchie. Tausende von Posten wurden neu besetzt. Auch die Universitäten waren betroffen. Rektoren, Dekane und Professoren, die den Reformern nahe standen, wurden in den Ruhestand geschickt. Gegen ihm nicht ergebene Funktionäre im Staatsapparat machte Ahmadinedschad Front. Im Herbst 2006 ließ er sogar die Organisation für Planung auflösen, die für die Zuweisung von Mitteln und das Budget der Ministerien zuständig war. Ihre Befugnisse wurden den Provinzen übertragen, die dem Innenministerium unterstehen, einer Bastion der Konservativen.
Unter Präsident Chatami hatte sich das Ministerium für Kultur und Islamische Leitung, das unter anderem die Medien kontrolliert, zu einer kulturfördernden Instanz gewandelt. Eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit der Gesellschaft, der politischen Öffnung und mit Kunst und Kultur auseinandersetzen, konnten damals erscheinen. Viele neue Zeitungen und Zeitschriften erhielten eine Druckerlaubnis. Doch nach Ahmadinedschads Amtsantritt zog das Kulturministerium seine traditionelle Aufgabe wieder an sich, Presse und Medien zu zügeln und abweichende Aktivitäten zu unterdrücken.
Die Revolutionswächter (Pasdaran), Irans Parallelarmee, bedachte der neue Präsident hingegen mit erheblichen finanziellen Mitteln. Wer ihn unterstützt hatte, wurde mit Regierungsaufträgen (in Dollar vergütet) belohnt. So erhielt die Pasdaran-Organisation Khatam al-Anbiya einen Auftrag im Umfang von mehreren Milliarden Dollar zum Bau von Gaspipelines. Die Revolutionswächter gehören zu den einflussreichsten wirtschaftlichen Kräften im Erdölsektor und darüber hinaus. Sie dürfen Waren unversteuert einführen und nach Belieben auf dem Binnenmarkt verkaufen. Solche großzügigen Zuwendungen des Staats an eine bestimmte Klientel sind neben dem unverantwortlichen Einsatz der Notenpresse verantwortlich für die Inflation, unter der vor allem die ärmsten Schichten des städtischen Kleinbürgertums leiden. Dabei hatten gerade sie sich von Ahmadinedschad eine Verbesserung ihres Lebensstandards erhofft.
Wortführer des Unmuts über die Wirtschafts- und Sozialpolitik und die wachsende Arbeitslosigkeit sind vor allem Universitätslehrer und Intellektuelle oder reformorientierte Zeitungen wie Etemad-e Melli („Nationales Vertrauen“), die zugleich das Sprachrohr ist für die gleichnamige Partei.
Kraftproben für die neue Führung
In der Tat hat die neue Führung gerade eine handfeste Kraftprobe zu bestehen. Seit zahlreiche Banken in Singapur und in den Emiraten – vor allem in Dubai und Katar, wo viele iranische Geschäftsleute aktiv sind – auf Druck Washingtons ihre Geschäfte mit dem Iran ausgesetzt haben, ist es für iranische Firmen immer schwieriger geworden, sich Kredite zu verschaffen. Außerdem verweigern große Teile der technokratischen Elite, darunter auch die „gemäßigten“ Konservativen, die Zusammenarbeit mit der Regierung. Und das Parlament, obwohl in konservativer Hand, hat bereits die Auswechslung des Sozialministers und des Ministers für die Genossenschaften erzwungen.
Die Regierung Ahmadinedschads stützt sich auf ein Bündnis verschiedener politischer und militärischer Gruppierungen. Die vielleicht wichtigste bildet die Fraktion um den Ajatollah Mesbah Jasdi, der es um die rigorose Durchsetzung der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten geht. Dabei weiß sie den Revolutionsführer an ihrer Seite. Ein weiterer Bündnispartner sind die Pasdaran, jedenfalls jene Fraktion, die den Iran zur bestimmenden Regionalmacht erheben will – und deren Führer bereits wichtige Posten in Politik und Wirtschaft einnehmen. Eine andere, eher modernistische Fraktion der Revolutionswächter sammelt sich um General Mahmud Bagher Ghalibaf, den Bürgermeister von Teheran, der auch bei den Präsidentschaftswahlen kandidierte.
Für jene 15 Prozent der Bevölkerung, die als Stammwählerschaft der Konservativen gelten können, sind kulturelle und religiöse Fragen mindestens ebenso wichtig wie wirtschaftliche und soziale Belange. Sie lehnen die angeblichen Entgleisungen der Reformer ab: deren Säkularisierungsbemühungen, die Infragestellung traditioneller Rollenverteilungen in der Familie, die Aufhebung der Segregation von Jungen und Mädchen, die Emanzipation der Frauen.
Ein großer Teil der Jugend wendet sich allerdings gegen Ahmadinedschads religiösen Konservatismus und wirft ihm vor, er habe sein Versprechen, sich für die Armen einzusetzen, nicht gehalten. Nach anderthalb Jahren unter einer konservativen Regierung glauben auch die Betroffenen selbst nicht mehr an dieses Wahlversprechen. Aber die junge Generation ist kaum organisiert. Es fehlt der politische Rahmen für eine offene Opposition.
Immerhin hat der Machtzuwachs der Konservativen eine Annäherung der Oppositionsgruppen untereinander bewirkt. Eine wichtige Kraft in diesem Lager bildet der Rafsandschani-Clan. Zu ihm gehören gemäßigte Konservative und Vertreter der Mitte und des rechten Flügels der Reformer. Unter den anderen Reformströmungen verfügt Chatami noch immer über moralischen Einfluss. Eine bedeutende Figur ist auch der Religionsgelehrte und Exparlamentspräsident Mehdi Karrubi, der für seine Fraktion bei den Präsidentschaftswahlen angetreten war und immerhin fünf Millionen Stimmen bekam. Gegenwärtig steht er an der Spitze der Partei Etemad-e Melli.
Das Regime ist zwar ganz klar antidemokratisch. So müssen alle Kandidaten einer Wahl vom Wächterrat bestätigt werden. Und die Hälfte des zwölfköpfigen Gremiums wird vom Revolutionsführer selbst ernannt. Regelmäßig werden all jene abgelehnt, deren Einstellung dem Wächterrat nicht „islamisch“ genug ist – also alle Befürworter einer politischen Öffnung. Dennoch wollen die Machthaber nicht ganz auf die Bestätigung durch Wahlen verzichten. So konnte 1997 Mohammed Chatami ins Amt kommen – zur allgemeinen und für den Revolutionsführer unangenehmen Überraschung.
Das politische und wirtschaftliche Scheitern der Reformer hatte aber auch zur Folge, dass die Islamische Republik wieder eine traditionell antiwestliche Haltung einnahm. Und der Rückgriff auf einen strengen unverfälschten Islam soll den laschen Umgang mit den islamischen Werten korrigieren, der sich während des Reformintermezzos vor allem in der jungen Generation eingebürgert haben soll. Auch die außenpolitische Hinwendung zum Westen soll abgelöst werden durch eine engere Bindung an Moskau und Peking.
Doch so einfach lassen sich die Säkularisierungstendenzen im Alltag nicht rückgängig machen. Nachdem zum Beispiel auf Anordnung des Wächterrats die Satellitenschüsseln auf den großen städtischen Wohnblocks demontiert werden mussten, dauerte es gar nicht lange, da schwebten sie schon wieder über den Dächern. Das Internet wurde mit chinesischer Technologie systematisch zensiert. Doch die Nutzer fanden neue Methoden, um die Filter zu umgehen. Die feministischen Gruppen versuchte man unter Druck zu setzen. Doch die Frauen ließen sich nicht erneut aus der Öffentlichkeit drängen. Der Präsident Ahmadinedschad wollte ihnen sogar erlauben, bei wichtigen Fußballspielen ins Stadion zu gehen. Doch wurde diese Entscheidung vom Revolutionsführer auf Betreiben der konservativen Geistlichkeit zurückgenommen. Gegen religiöse „Abweichler“ wie die Sufis in Qom ging das Regime jedoch deutlich schärfer vor. Im Februar 2006 wurde dort ein bedeutendes religiöses Zentrum der Sufis mit Bulldozern zerstört. Es gab aber keine Massenverfolgung, um keine sozialen Unruhen zu riskieren.
Spektakulär gescheitert ist Ahmadinedschad bei seinem Versuch, die Verantwortlichen für mafiöse Strukturen in der Wirtschaft zu disziplinieren. So wollte er die Führung der Privatbank Parsian ablösen, musste aber hinnehmen, dass die Justiz die von der Zentralbank nominierte neue Leitung ablehnte und die früheren Direktoren wieder einsetzte.
Im eigenen Land mag Präsident Ahmadinedschad an Popularität verloren haben. In der muslimischen Welt, und nicht nur unter den Schiiten, genießt er jedoch nach wie vor großes Ansehen. Seine Kritik an Washington und Israel sichert ihm den Beifall breiter Bevölkerungsschichten im Libanon, in Ägypten, Nordafrika und in Pakistan, wo die unilaterale Politik der USA, die Parteinahme für Israel und die Weigerung Washingtons, die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon als Volksbewegungen anzuerkennen, für Unruhe sorgen. Doch dass sich Ahmadinedschad zu deren Fürsprecher aufschwingt – so sind auch die unsäglichen Brandreden des Präsidenten zum Völkermord an den Juden und gegen das Existenzrecht Israels gemeint –, geschieht oft gegen den Willen der Machthaber in diesen Ländern.
Seit US-Präsident George W. Bush den Iran zur „Achse des Bösen“ zählt, gab es kaum noch Spielraum, um Verhandlungen zwischen den beiden Ländern zu führen. Zaghafte und verdeckte Konzessionen der USA im Atomstreit wurden in Teheran mit Misstrauen registriert. Andererseits mussten die Ermutigungen Washingtons an die Adresse der Aseris, Balutschen, Araber und Kurden im Iran, sich gegen die Zentralregierung in Teheran zu erheben2 , die Machthaber davon überzeugen, dass den USA einfach nicht zu trauen sei. Paradoxerweise haben die USA dem Iran politisch und militärisch mehr Gewicht verschafft, indem sie dessen langjährige Feinde entmachteten: die Taliban in Afghanistan und das Regime Saddam Husseins im Irak.
Nicht wenige in der politischen Führung des Iran sind heute davon überzeugt, dass man dem Hegemonialstreben der USA erfolgreich begegnen kann: Sie verweisen auf die Sanktionen, die Nordkorea nicht daran hinderten, nuklear aufzurüsten; auf den Erfolg der Hisbollah im Libanon und auf das Scheitern der USA in Afghanistan und im Irak. Überdies glaubt das Regime in Teheran, durch den hohen Ölpreis vor einer ernsten Wirtschaftskrise geschützt zu sein.
Chinas Energiebedarf stützt das Regime
Neue Allianzen mit Partnern, die sich gleichfalls gegen die USA behaupten wollen, bieten sich an: China braucht dringend Öl und Russland will Rüstungsgüter und Nukleartechnologie verkaufen. Solche Kontakte könnten den Iran auch vor allzu drastischen Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats bewahren. Ein Militärschlag der USA gilt als wenig wahrscheinlich. Dagegen spricht die chaotische Lage im Irak, aber auch Israels Scheitern beim Versuch, den Widerstand der Hisbollah im Libanon zu brechen.
Überhaupt setzen die Konservativen stark auf die Außenpolitik. Die Haltung Washingtons kommt ihnen äußerst gelegen. Vor allem die Anhänger von Ajatollah Mesbah Jasdi und eine Fraktion der Pasdaran sind sich ganz sicher, dass sie durch die Konfrontation mit den USA an Einfluss gewinnen: Jede neue Krise gibt ihnen die Gelegenheit, die nationale Einheit zu beschwören und die Reformer aus dem Feld zu schlagen, bis endlich die Rückkehr zur Ideologie des Märtyrertums und der revolutionären Opferbereitschaft gelingt und die glorreichen Zeiten der Islamischen Revolution wiederkehren.
Die neue Mittelschicht lehnt zwar die gegenwärtigen Machthaber ab, fürchtet aber nichts so sehr wie die soziale Unordnung – hier wirkt das Chaos im Irak ebenso abschreckend wie die Erfahrung der Elterngeneration mit der Iranischen Revolution. Sie hofft, die Segnungen hoher Ölpreise noch lange genießen zu können.
Die armen Schichten erleben zwar eine Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse, doch es geht ihnen immer noch weit besser als den Unterschichten in den angrenzenden Regionen in Afghanistan und besonders in Pakistan. Noch werden Brot und andere Grundnahrungsmittel subventioniert. Auch Benzin bleibt staatlich gefördert. Mit sechs Eurocent pro Liter ist der Preis in der gesamten Region konkurrenzlos. So lange es nicht zu einer schwerwiegenden Krise kommt, muss das Regime also kaum ernsthafte innenpolitische Protestbewegungen fürchten.
Fußnoten: