12.06.2014

Noch gibt es Hürden

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Noch gibt es Hürden

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Bis zur Unterzeichnung des Freihandelsvertrags Tafta sind noch mehrere Etappen zu bewältigen. Diese stellen zugleich Zeitfenster für den Widerstand dar.

Die Europäische Kommission hat das Monopol auf die Initiative: Sie allein gibt Empfehlungen für den Ablauf der Verhandlungen über ein Wirtschafts- oder Freihandelsabkommen.1 Die Mitgliedstaaten, organisiert im Europäischen Rat, prüfen die Empfehlungen und erteilen dann den Auftrag zu Verhandlungen. Da der Rat die Empfehlungen der Kommission nur selten verändert, definiert diese im Grunde das Verhandlungsmandat. Im Fall der Tafta-Verhandlungen wurde das Mandat am 14. Juni 2013 erteilt.

Die Verhandlungen werden von der Kommission geführt, unterstützt durch einen Sonderausschuss, in dem alle 28 Mitgliedstaaten vertreten sind. Letztere können also nicht behaupten, dass sie vom Inhalt der laufenden Verhandlungen nichts wissen. EU-Handelskommissar Karel De Gucht ist Verhandlungsführer für die europäische Seite. In Artikel 188 c des Vertrags von Lissabon heißt es zwar, „die Kommission erstattet […] dem Europäischen Parlament regelmäßig Bericht über den Stand der Verhandlungen“, aber die kommt ihrer neuen Verpflichtung eher zögerlich nach. Die Bedingungen, unter denen der Ausschuss für internationalen Handel des Europaparlaments informiert wird, belegen einen sehr restriktiven Begriff von Transparenz. Tafta befindet sich derzeit in dieser Phase.

I. Akt Zustimmung der Mitgliedstaaten

Nach Abschluss der Verhandlungen legt die Kommission die Ergebnisse dem Rat vor, der mit qualifizierter Mehrheit darüber entscheidet. Erforderlich ist die Zustimmung von mindestens 55 Prozent der Länder, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen.2 Einschränkend gilt: Enthält der Text Regelungen zum Handel mit Dienstleistungen, zu kommerziellen Aspekten des geistigen Eigentums und zu ausländischen Direktinvestitionen, muss er einstimmig gebilligt werden.

Einstimmigkeit erfordern auch Abkommen über den „Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, wenn diese Abkommen die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union beeinträchtigen könnten“, sowie Abkommen über den „Handel mit Dienstleistungen des sozialen, des Bildungs- und des Gesundheitssektors, wenn diese Abkommen die einzelstaatliche Organisation dieser Dienstleistungen ernsthaft stören und die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Erbringung beeinträchtigen könnten“.3 Damit verfügen die Regierungen über einen großen Spielraum bei der Bewertung des Verhandlungsergebnisses und können das Projekt unter Berufung auf das Prinzip der Einstimmigkeit blockieren. Bevor der Rat sein Votum abgibt, muss er den Text dem Europäischen Parlament vorlegen, um zu verhindern, dass dieses später seine Zustimmung verweigert.4

II. Akt Zustimmung des Europäischen Parlaments Seit 2007 besitzt das EU-Parlament mehr Macht in Ratifizierungsverfahren. Ein von der Kommission ausgehandelter Vertrag braucht die Zustimmung des Parlaments. Am 4. Juli 2012 hat das Parlament dem Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, Acta), über das mehr als vierzig Länder von 2006 bis 2010 unter größter Geheimhaltung verhandelt hatten, seine Zustimmung verweigert. Außerdem kann das Parlament ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs über die Vereinbarkeit eines Handelsabkommens mit den EU-Verträgen einholen.5 Diese Phase des Verfahrens beginnt, wenn der Ministerrat dem Parlament das Ergebnis der Verhandlungen mitteilt.

III. Akt Ratifizierung durch die nationalen Parlamente Haben das EU-Parlament und der Rat das Abkommen über die transatlantische Partnerschaft angenommen, bleibt noch eine Frage offen: Ist die Zustimmung der nationalen Parlamente überflüssig, wenn der Vertrag alle in dem (aus 46 Artikeln bestehenden) Verhandlungsmandat formulierten Bedingungen erfüllt?

Handelskommissar De Gucht beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja. Zur noch ausstehenden Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada meinte er: „Die 28 EU-Kommissare müssen grünes Licht für den endgültigen Text geben, den ich ihnen vorlegen werde; danach wird er zur Ratifizierung an den Ministerrat und an das Europäische Parlament weitergeleitet.“6

De Gucht schließt damit die Möglichkeit einer Ratifizierung durch die nationalen Parlamente aus. Offensichtlich geht er davon aus, dass dieses Verfahren auch für Tafta gilt, weil nach dem Vertrag von Lissabon Freihandelsabkommen in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, anders als gemischte Abkommen, deren Bestimmungen sowohl die Zuständigkeit der Union wie auch der Einzelstaaten berühren. Solche Abkommen sind sowohl dem EU-Parlament als auch den nationalen Parlamenten vorzulegen.

Mehrere Regierungen, darunter die deutsche und die belgische, haben im Rat bereits signalisiert, dass sie den Standpunkt von Handelskommissar De Gucht nicht teilen. Dieser hat bereits angekündigt, er werde wegen dieser Meinungsverschiedenheit den Europäischen Gerichtshof anrufen.7

Schon früher gab es Diskussionen über die Frage, ob Freihandelsabkommen gemischte Abkommen sind oder nicht: 2011 forderten deutsche, irische und britische Parlamentarier, die Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru als gemischte Abkommen einzustufen und durch die nationalen Parlamente ratifizieren zu lassen. Das französische Parlament hat am 14. Dezember 2013 das von der Kommission ausgehandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea ratifiziert und wird demnächst die Ratifizierung der Abkommen mit Kolumbien und Peru prüfen.

Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA reicht über seinen eigentlichen Gegenstand hinaus und berührt auch die Vorrechte der Mitgliedstaaten in vielen Bereichen. Das gilt etwa für soziale, gesundheitliche, ökologische oder technische Normen und Standards, aber auch für die Frage, ob geheim tagende Schiedsgerichte in Streitfällen zwischen Unternehmen und staatlichen Instanzen entscheiden dürfen. Die ausschließliche Kompetenz der Union erstreckt sich nicht auf Bereiche, die noch – zumindest teilweise – in die Hoheitsgewalt der Staaten fallen.

Raoul Marc Jennar

Fußnoten: 1 Artikel 188 c (207) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (Fassung des Vertrags von Lissabon) regelt die Rolle von Kommission und Rat bei Aushandlung und Annahme von Handelsabkommen. 2 Nach der neuen Definition der qualifizierten Mehrheit, die am 1. November 2014 in Kraft treten wird. 3 Artikel 188 c (207), Absätze 4a und 4b. 4 Artikel 188 n (218), Absatz 6a. 5 Artikel 188 n (218), Absatz 11. Diese Möglichkeit steht auch jedem Mitgliedstaat offen. Derzeit bereiten Campact, BUND, Mehr Demokratie, Attac und das Umweltinstitut München die Gründung einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) vor, siehe: www.ttip-unfairhandelbar.de/start/ebi/. 6 Libération, Paris, 28. Oktober 2013. 7 So De Gucht bei der Sitzung des EP-Ausschusses für internationalen Handel am 1. April 2014. Aus dem Französischen von Ursel Schäfer Raoul Marc Jennar ist Verfasser von „Le grand marché transatlantique. La menace sur les peuples d’Europe“, Perpignan (Cap Bear Editions) 2014.

Le Monde diplomatique vom 12.06.2014, von Raoul Marc Jennar