12.06.2014

Zehn Einwände aus Europa

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Zehn Einwände aus Europa

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1. Missachtung grundlegender Arbeitsrechte  Die Vereinigten Staaten haben nur zwei von acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Arbeitnehmer ratifiziert. Auf EU-Seite haben jedoch alle Mitgliedsländer die Normen dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen angenommen. Erfahrungsgemäß läuft die „Harmonisierung“ im Rahmen von Freihandelsabkommen meist darauf hinaus, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Die europäischen Arbeitnehmer müssen darum eine Erosion ihrer bestehenden Rechte fürchten.

2. Verschlechterung bei der Arbeitnehmervertretung  Die Logik von Tafta besteht darin, „Hürden“ zu beseitigen, die den Warenverkehr zwischen den beiden Kontinenten behindern. Das erleichtert es den Unternehmen, ihre Produktionsstandorte nach den Kosten auszuwählen, insbesondere den Lohnkosten. Aber die Mitspracherechte der Arbeitnehmer – wie die Information und Konsultation von Betriebsräten – enden auch weiterhin an den nationalen Grenzen. Die transatlantische Annäherung würde damit eine Schwächung der Arbeitnehmerrechte bedeuten, wie sie in der Grundrechtscharta der EU formuliert sind.

3. Aufweichung technischer Normen und Standards  In diesem Bereich unterscheidet sich die europäische Regelungsweise sehr stark von der amerikanischen. In Europa gilt das Prinzip der Vorsicht: Vor der Markteinführung eines Produkts muss geprüft werden, welche Risiken es womöglich birgt. In den Vereinigten Staaten ist das Vorgehen umgekehrt: Die Überprüfung erfolgt nachträglich und ist mit der Garantie verbunden, dass bei allen auftretenden Problemen Schadenersatz geleistet wird (Möglichkeit von Sammelklagen, Entschädigungszahlungen). In Europa werden darüber hinaus nicht nur mögliche Gefahren für die Konsumenten berücksichtigt, sondern auch Risiken, die die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer betreffen können, und zwar auch dann, wenn diese die Sicherheitsvorschriften nicht beachten. In den USA gibt es keinen vergleichbaren Schutz.

Die Harmonisierung in diesem Bereich begeistert die Arbeitgeber, birgt aber mehrere Gefahren: die Schwächung des Vorsichtsprinzips (ohne nachträgliche Haftung); die Entstehung eines Doppelsystems, in dem die Unternehmen sich die Standards aussuchen können; die Beschneidung des Arbeitnehmerschutzes am Arbeitsplatz. Angesichts dessen kann die Aussicht auf die Einrichtung eines „Transatlantischen Regulierungsrats“, der praktisch keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, niemanden beruhigen.

4. Eingeschränkte Personenfreizügigkeit  Die Personenfreizügigkeit wird nur unter dem Aspekt der Erbringung von Dienstleistungen nach dem sogenannten Modus 4 betrachtet, das heißt als „Präsenz natürlicher Personen eines Landes auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Landes“.1 Dieses Prinzip wird auch als Arbeitnehmerentsendung bezeichnet und trägt bereits jetzt zum Sozialdumping in der EU bei.

In den laufenden Verhandlungen zählen Mobilität und Migration nur im Hinblick auf das wirtschaftliche Interesse, vom Grundrecht der Freiheit der Person ist nicht die Rede. Dabei hätte man erwarten können, dass eine Harmonisierung des Arbeitsrechts und der Arbeitsbestimmungen den Menschen die gleichen Rechte und Garantien gewährt wie Waren und Kapital.

5. Keine Sanktionen bei Verstößen Freihandelsabkommen enthalten normalerweise ein Kapitel über die sogenannte nachhaltige Entwicklung mit Bestimmungen zum Sozial- und Arbeitsrecht, zum Umwelt-, Klima- und Tierschutz sowie zum ländlichen Raum. Doch anders als in anderen Bereichen sieht dieses Kapitel in der Regel keinen Mechanismus zur Konfliktlösung vor und keine Sanktionsmöglichkeit bei Verstößen. Während in den Artikeln über wirtschaftliche und technische Fragen die rechtlichen Abläufe und möglichen Sanktionen sehr genau dargelegt sind, bleiben die Ausführungen zum Sozialrecht vage, und die Möglichkeiten für eine gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen in diesem Bereich sind gering.

6. Abbau öffentlicher Dienstleistungen Die Verhandlungen bewegen sich in Richtung einer Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen durch die Einführung sogenannter Negativlisten. Auf diesen Listen sollen alle Dienstleistungen aufgeführt werden, die von der Privatisierung ausgenommen sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Privatisierung als Regelfall gilt. Auch hier lässt die Erfahrung vermuten, dass Probleme bei der Definition oder der Formulierung Hintertüren öffnen, die Privatisierungen über den ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinaus ermöglichen. Außerdem würde jede neue Dienstleistung zur Abdeckung neuer Bedürfnisse automatisch dem Privatsektor zugeschlagen.

7. Anstieg der Arbeitslosigkeit  In der EU können sich Unternehmen aus Nichtmitgliedsländern um öffentliche Aufträge bewerben. Für die USA gilt das nur eingeschränkt, weil die „local content requirements“ ein Minimum an lokaler Beteiligung verlangen. Da die US-Seite diese Schutzklausel kaumaufgeben wird, blieben die europäischen Unternehmen benachteiligt. Das hätte negative Auswirkungen auf die Beschäftigung in der EU.

8. Weniger Schutz von personenbezogenen Daten  Die Menschen in Europa legen traditionell großen Wert auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten. Die US-Regelungen lassen vermuten, dass das jenseits des Atlantiks anders ist. Vor dem Hintergrund einer Liberalisierung der Dienstleistungen wird die Garantie des Datenschutzes hypothetisch: Wie lassen sich der Ort der Datenspeicherung und das anwendbare Recht bestimmen, wenn die Daten in einer „cloud“ liegen?

9. Unterwerfung der Menschen unter den Schutz des geistigen Eigentums Was die europäischen Gewerkschaften sowie politische Organisationen und Verbände in einer gemeinsamen Anstrengung während der Debatte über das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (Acta) verhindern konnten, droht mit Tafta wieder auf den Tisch zu kommen. Die Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums und zum Schutz vor Produktpiraterie sind derzeit Gegenstand der Verhandlungen und könnten die Freiheit des Internets bedrohen, Autoren des Rechts berauben, selbst über die Verbreitung ihrer Werke zu entscheiden, oder auch den Zugang zu Generika einschränken.

10. Unterwerfung der Staaten unter ein für die Großkonzerne maßgeschneidertes Recht  Siehe dazu den Artikel auf Seite 19. Wolf Jäcklein

Fußnoten: 1 Siehe die Website der Generaldirektion Handel: www.europarl.europa.eu. Aus dem Französischen von Ursel Schäfer Wolf Jäcklein ist Politikberater bei dem französischen Gewerkschaftsbund Confédération générale du travail (CGT).

Le Monde diplomatique vom 12.06.2014, von Wolf Jäcklein