12.06.2014

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Ein wesentliches Merkmal der Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen Tafta ist ihre Undurchsichtigkeit. Auf der einen Seite hat EU-Handelskommissar Karel De Gucht zwar immer wieder betont, es gebe „keinerlei Geheimnisse.“1 Auf der anderen Seite aber hat der EU-Chefunterhändler, Ignacio Garcia Bercero, seinem US-Kollegen Daniel Mullaney in einer E-Mail vom 5. Juli 2013 zugesichert, sämtliche Dokumente über diese Verhandlungen würden „vertraulich behandelt“.2

Eine vergleichbare Geheimnistuerei hat 1998 zur Auflösung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) beigetragen sowie 2012 zur Ablehnung des Anti-Produktpiraterie-Abkommens (Acta) geführt. Doch davon lässt sich die Europäische Kommission nicht beeindrucken: „Damit Verhandlungen über den Handel erfolgreich verlaufen, bedarf es einer gewissen Vertraulichkeit – sonst würde man sich von den Mitspielern in die Karten schauen lassen.“3

Das Europaparlament erfährt nicht viel von dem, was zwischen Washington und Brüssel derzeit verhandelt wird. Die Unterhändler schicken ihre Informationen an den Ausschuss für internationalen Handel (Inta), deren Mitglieder weder mit Parteikollegen noch externen Experten darüber reden dürfen. Hinzu kommt, dass die Europäische Kommission für Handel nur Dokumente zur Verfügung stellt, bei denen es um Vorschläge aus der EU geht.

Die USA haben ihrerseits die Überprüfung ihrer Verhandlungspositionen durch andere Staaten oder das Europaparlament untersagt. Erlaubt ist nur die Einsicht in Dokumente auf Papier in einem extra Lesezimmer, kein Kopieren, keine Notizen. Dagegen sind bei Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO), die nicht gerade für ihre Transparenz bekannt ist, die Beiträge der jeweiligen Staaten und die Grundlagentexte immerhin zur Veröffentlichung vorgesehen.

Warum können Gespräche über ein derart wichtiges Thema nicht öffentlich und zwischen gewählten Volksvertretern stattfinden? Müsste die Kommission denn nicht vollständige Transparenz verlangen, um einen Ausgleich der Machtverhältnisse herbeizuführen? Der NSA-Skandal hat ja gerade die Stärke der US-amerikanischen Internetspionage bestätigt, die praktisch jede Kommunikation abfangen kann, einschließlich der von europäischen Staatschefs. Aus anderen Verhandlungen wie beispielsweise dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) ist zudem durchgesickert, dass die Europäische Kommission für Handel in ihrer Einschätzung manchmal ziemlich danebenliegt – und kompetenten Rat von außen braucht.

Es gibt freilich auch Leute, die sich über die Undurchsichtigkeit der Verhandlungen kaum beklagen: die Lobbyisten der internationalen Konzerne. Sie stellen bei den von der Kommission organisierten öffentlichen Beratungen über Tafta die große Mehrheit und bekommen Vorzugsbehandlung. Während ein gut informierter Gewerkschaftsvertreter für seinen Beitrag lediglich ein förmliches Dankeschön erhält, werden die Interessenvertreter der Autozulieferindustrie zu einer Konferenz eingeladen und können ihre Anliegen im Detail beraten. Die Lobby der Pestizidhersteller wurde vor dem Stichtag aufgefordert, Vorschläge einzureichen und einen gemeinsam mit ihren US-Partnern erarbeiteten Beitrag abzugeben. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks erfahren die Lobbys über den Stand der Verhandlungen weit mehr als die Öffentlichkeit und die Medien.4

Von den 130 vorbereitenden Sitzungen, die die EU-Handelskommission abgehalten hat, waren 119 dazu anberaumt, die Anliegen der Großkonzerne und ihrer Vertreter zusammenzutragen.5 Den Regeln zufolge wäre es möglich, die entsprechenden EU-Dokumente sowie die Unterlagen über mehrere Dutzend Treffen öffentlich zu machen. Aber der Informationsfluss wurde weitgehend zensiert. Zur Begründung führt die Kommission an, dass einige Passagen die Verhandlungspositionen der Europäischen Union betreffen und dass es sich um sensible Informationen handle – die sie den Unternehmen allerdings zukommen lässt.

In den Verhandlungen hat man sich darauf geeinigt, eine „Konvergenz“ zwischen bestehenden und künftigen Regelungen anzustreben. Das machte es möglich, besonders heikle Punkte aus dem Abkommen auszuklammern und auf später zu verschieben. Dass dies auf Druck der Industrie geschah, zeigt ein internes Papier6 der Handelskommission, das versehentlich der New York Times7 übermittelt wurde.

Der Verband Business Europe, der die europäischen Arbeitgeber und die US-Handelskammer vertritt, fordert darin „neue Instrumente und ein Verfahren, um die Zusammenarbeit beim Aufstellen neuer Regeln abzustimmen“. Das werde helfen, die Diskrepanzen bei den bestehenden und den künftigen Regulierungen anzugehen. Die europäischen Arbeitgeber wollen bei dem besagten „Verfahren“ natürlich gern mitmachen.

Martin Pigeon

Fußnoten: 1 The Guardian, London, 18. Dezember 2013. 2 Siehe ec.europa.eu/trade. 3 Siehe ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/questions-and-answers/index_de.htm. 4 „This Time, Get Global Trade Right“, Editorial der New York Times, 19. April 2014. 5 Siehe www.asktheeu.org. 6 Corporate Europe Observatory, Brüssel, „TTIP documents released by the european commission“, 9. Oktober 2013. 7 Danny Hakim, „European officials consulted business leaders on trade pact“, The New York Times, 8. Oktober 2013. Aus dem Französischen von Dirk Höfer Martin Pigeon ist Mitarbeiter der lobbykritischen NGO Corporate European Observatory (CEO).

Le Monde diplomatique vom 12.06.2014, von Martin Pigeon