12.06.2014

Die sieben wichtigsten Fragen

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Die sieben wichtigsten Fragen

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Welche Bezeichnung: THIP, PTCI, TTIP, APT oder Tafta?

Die unterschiedlichen Akronyme bezeichnen ein und dieselbe Realität. Die offizielle deutsche Bezeichnung ist Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (THIP), geläufig ist auch der Begriff Transatlantisches Freihandelsabkommen. Die französische Abkürzung lautet PTCI (Partenariat transatlantique sur le commerce et l’investissement) und die englische TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership). Die Vielzahl der Begriffe erklärt sich zum Teil daraus, dass die Verhandlungen geheim geführt werden, was eine Vereinheitlichung der Bezeichnungen verhindert hat. Seit Dokumente durchgesickert sind und sich eine Protestbewegung formiert hat, wurden neue Akronyme geprägt: auf Englisch vor allem Tafta (Trans-Atlantic Free-Trade Agreement), eine Abkürzung, die auch verschiedene französische und deutsche Organisationen verwenden (wie das Kollektiv „Stop Tafta“1 ), und auf Französisch GMT (Grand marché transatlantique, Großer transatlantischer Markt).

Worum geht es offiziell?

Über das Freihandelsabkommen Tafta verhandeln die Vereinigten Staaten und die Europäische Union seit Juli 2013. Ziel ist es, den größten Markt der Welt mit mehr als 800 Millionen Konsumenten zu schaffen.

Eine Untersuchung des Centre for Economic Policy Research (CEPR) – eines von Großbanken finanzierten Thinktanks, der nach der Einschätzung der EU-Kommission „unabhängig“2 ist – kommt zu dem Ergebnis, dass durch das Freihandelsabkommen das Bruttoinlandsprodukt in Europa jährlich um 120 Milliarden Euro und in den USA um 95 Milliarden Euro wachsen würde. Nach der optimistischen Lesart der Kommission wären das pro Jahr für jeden europäischen Haushalt 545 Euro mehr.

Die Freihandelsabkommen, wie sie von der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Weg gebracht wurden, zielen nicht nur auf den Abbau von Zollschranken, sondern sollen auch die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse beseitigen. Das sind zum Beispiel Quoten, bürokratische Formalitäten und Gesundheitsvorschriften oder uneinheitliche technische und soziale Normen und Standards. Die Verhandlungsführer sagen, damit werde man letztlich eine allgemeine Anhebung der gesellschaftlichen und rechtlichen Standards erreichen, weil das Abkommen den Anspruch erhebe, den Rest der Welt auf seine Standards zu verpflichten.

Worum geht es tatsächlich?

Die WTO hat sich seit ihrer Gründung 1995 der Liberalisierung des Welthandels verschrieben. Doch die Verhandlungen im Rahmen der WTO stocken seit dem Scheitern der Doha-Runde (umstritten sind vor allem Landwirtschaft und Agrarpolitik). Um den Freihandel immer weiterzuentwickeln, bedurfte es einer Strategie, um die strittigen Punkte zu umgehen. Deshalb wurden Hunderte von bilateralen Abkommen zwischen Ländern beziehungsweise Regionen abgeschlossen, über weitere wird noch verhandelt. Tafta wäre gewissermaßen der Schlussstein dieser Strategie: Vertragspartner sind die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt, auf die fast die Hälfte der weltweiten Produktion von Gütern und Dienstleistungen entfällt. Seine Bestimmungen werden am Ende für den gesamten Planeten gelten.

Umfang und Reichweite des EU-Verhandlungsmandats und die von US-Seite formulierten Erwartungen lassen vermuten, dass Tafta sehr viel mehr sein wird als ein „einfaches“ Freihandelsabkommen. Konkret geht es um drei Hauptziele: erstens die Beseitigung der letzten Zollschranken; zweitens den Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse durch Harmonisierung von Normen, wobei man sich nach den Erfahrungen früherer Verträge wahrscheinlich auf die niedrigsten Standards einigen wird; und drittens die Einigung auf juristische Instrumente, die es Investoren erlauben, jedes regulatorische oder juristische Hindernis für den Freihandel zu beseitigen. Es sollen also Bestimmungen durchgesetzt werden, die bereits im Multilateralen Investitionsabkommen (MAI)3 von 1998 und im Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (Acta) von 2011 enthalten waren, in beiden Fällen aber nach massiven Protesten aufgegeben werden mussten.

Wann tritt das Abkommen in Kraft?

Nach dem offiziellen Zeitplan sollen die Verhandlungen 2015 abgeschlossen werden. Danach folgt ein langer Ratifizierungsprozess. Zunächst müssten der Europäische Rat und das Europäische Parlament zustimmen, dann aber auch die nationalen Parlamente derjenigen Länder, deren Verfassungen eine solche Zustimmung fordern (zum Beispiel Frankreich). Nach Einschätzung der Bundesregierung müssten in Deutschland sowohl Bundestag wie Bundesrat zustimmen.

Wer verhandelt?

Für die EU sitzen Beamte der Europäischen Kommission am Verhandlungstisch, für die Vereinigten Staaten Vertreter des Handelsministeriums. Sie alle sind massivem Druck von Lobbyorganisationen ausgesetzt, die zumeist Interessen der Privatwirtschaft vertreten. Die Europäische Kommission hat zugegeben, dass bei der Ausarbeitung des Verhandlungsmandats in der Zeit zwischen Januar 2012 und April 2013 bei 119 der insgesamt 130 Sitzungen ausschließlich Vertreter von Unternehmen und aus dem Finanzsektor angehört wurden.

Welche Folgen hat das Abkommen für die Staaten?

Tafta zielt darauf ab, die beidseits des Atlantiks geltenden Gesetze den Regeln des Freihandels zu unterwerfen, die häufig auf die Interessen der europäischen und US-amerikanischen Großunternehmen abgestimmt sind. Mit der Zustimmung zu dem Abkommen würden die Staaten einen beträchtlichen Souveränitätsverlust in Kauf nehmen: Verstöße gegen die Grundsätze des Freihandels würden mit drastischen finanziellen Sanktionen geahndet.

Nach dem Verhandlungsmandat der EU soll das Abkommen „europäischen Investoren in den Vereinigten Staaten ein Höchstmaß an juristischem Schutz und Sicherheit gewähren“, so wie auch umgekehrt US-Investoren in der Europäischen Union. Mit anderen Worten: Unternehmen sollen sich gegen Gesetze und Bestimmungen wehren können, wenn sie der Meinung sind, dass diese den Wettbewerb, ihren Zugang zu öffentlichen Aufträgen und ihre Investitionen behindern.

In Artikel 4 des Mandats heißt es: „Die Verpflichtungen aus dem Abkommen gelten auf allen staatlichen Ebenen“ – und damit nicht nur für den Gesamtstaat, sondern für alle öffentlichen Körperschaften: Regionen, Departements, Bundesländer, Kommunen und so weiter. Für die Klage gegen eine kommunale Vorschrift wäre nicht mehr die nationale Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig, sondern ein privates internationales Schiedsgericht. Dabei könnte ein Investor bereits aufgrund der Behauptung klagen, dass die betreffende Vorschrift eine Einschränkung seines Rechts darstelle, „zu investieren, was er will, wo er will, wann er will, wie er will, und den Profit daraus zu ziehen, den er daraus ziehen will“,4 wie es in einer gemeinsamen Definition US-amerikanischer Lobbygruppen heißt. Weil der Vertrag nur geändert werden kann, wenn alle Unterzeichner einer Änderung zustimmen, würde er unabhängig von politischen Machtwechseln seine Gültigkeit behalten.

Handelt es sich um ein Projekt, das die Vereinigten Staaten der Europäischen Union aufgedrängt haben?

Das ist keineswegs der Fall: Die Europäische Kommission wirbt mit Billigung der 28 Regierungen aktiv für Tafta, das ihrem Bekenntnis zum Freihandel entspricht. Zudem wird das Projekt von den großen Arbeitgeberorganisationen unterstützt. Besonders aktiv ist dabei der Trans-Atlantic Business Council (TABC), der 1995 auf Anregung der Europäischen Kommission und des US- Handelsministeriums mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet wurde, den Dialog zwischen den Wirtschaftseliten der EU und der USA zu fördern.

Raul Marc Jennar

Renaud Lambert

Fußnoten: 1 stoptafta.wordpress.com. 2 „Transatlantic Trade and Investment Partnership. The Economic Analysis Explained“, Europäische Kommission, Brüssel, September 2013. 3 Christian de Brie, „Wie das MAI zu Fall gebracht wurde“, Le Monde diplomatique, Dezember 1998. 4 Diese Definition der Investorrechten stammt vom CEO von American Express. Aus dem Französischen von Ursel Schäfer Raoul Marc Jennar ist Verfasser von „Le grand marché transatlantique. La menace sur les peuples d’Europe“, Perpignan (Cap Bear Editions) Perpignan 2014.

Le Monde diplomatique vom 12.06.2014, von Raul Marc Jennar und Renaud Lambert