Demokratie für Togo
Hoffen auf das Ende der Diktatur von Frankreichs Gnaden von Michel Galy
Von Amnesty International einst als „Terrorstaat“1 bezeichnet, bereitet Togo einem französischen Journalisten auch heute noch ein gewisses Unbehagen. Er kommt schließlich aus einem Land, das seit 49 Jahren das blutrünstige Regime unterstützt und dessen Journalisten dabei teils tatkräftig mithalfen. Der langjährige Korrespondent der Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) und gleichzeitig enger Vertrauter von General Gnassingbé Eyadéma, der das Land von 1967 bis 2005 regierte, war niemand anderes als Jean-Christophe Mitterrand, der Sohn des früheren französischen Präsidenten François Mitterrand.
Fast 39 Jahre lang war Eyadéma der Inbegriff eines afrikanischen Diktators von Frankreichs Gnaden. Er hatte zehn Jahre lang als Soldat in der französischen Armee gedient und an den Kriegen der Kolonialmacht in Indochina und Algerien teilgenommen. 1962 kehrte er nach Togo zurück und beteiligte sich am Militärputsch gegen Sylvanus Olympio,2 Togos erstem frei gewählten Präsidenten, der dabei getötet wurde. Beim zweiten Putsch gegen Olympios Nachfolger Nicolas Grunitzky ergriff Eyadéma vier Jahre später selbst die Macht. Seinen Nachfolger Faure Gnassingbé legitimiert nur die Tatsache, dass er sein Sohn ist. Als dieser nach dem Tod seines Vaters 2005 durch manipulierte Wahlen an die Macht kam, kostete das rund 1 000 Oppositionelle das Leben und 40 000 waren auf der Flucht.3
Akoko Agbezouhlon heißt uns mit einem strahlenden Lächeln willkommen. Auf Gen, der Sprache des Volkes der Mina, erzählt sie von ihrem Leben in einer Wellblechhütte. 8 000 CFA-Franc (12 Euro) Miete muss die 36-Jährige monatlich an einen selbst ernannten Stadtteilchef für ihren windschiefen Schuppen zahlen. Wegen des extremen Lehrermangels an den öffentlichen Schulen hat sie sich entschieden, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken. Das kostet im Jahr um die 50 000 CFA-Francs (76 Euro). Sie ernährt ihre Familie mit Gelegenheitsjobs, mal hilft sie in einer Schneiderei, mal kocht sie das traditionelle Maisgericht Akpan und verkauft es an der Straße.
Die Hauptstadt Lomé wirkt, als sei sie erst geplündert und dann verlassen worden. Es gibt hier weder einen Bürgermeister noch sonstige gewählte Amtsträger. Vier der größten Stadtviertel stehen seit Monaten unter Wasser. Das kleine Land mit nur knapp 7 Millionen Einwohnern belegt im UN-Index der menschlichen Entwicklung Rang 159 von 186 Ländern.4
Bei Wahlen zeigen die vorläufigen Ergebnisse, die meist durchsickern, bevor die Wahlen annulliert werden und die Repression einsetzt, dass die Popularität der Oppositionsparteien von Mal zu Mal zunimmt. Je dreister die Regierungsanhänger ihren Reichtum zur Schau stellen, umso mehr Zulauf bekommen die Gegner des Regimes.
Die jüngere Geschichte Togos ist eine Abfolge enttäuschter Hoffnungen. Bis 1987 war das Land ein Einparteienstaat.5 Und als sich das System zu öffnen begann, griff die Präsidentenfamilie immer häufiger zur Gewalt und sicherte sich ihre Macht durch Wahlfälschungen. Die Opposition trotzte der Regierung zwar immer wieder Vereinbarungen ab, doch die wurden später stets einkassiert.
Mit dem Ende des Kalten Kriegs 1991 begann auf dem afrikanischen Kontinent eine Ära der Demokratisierung. In Togo wurde der Anwalt und Gründer der togoischen Menschenrechtsliga, Joseph Kokou Koffigoh, zum Premierminister gewählt. Aber die Sturmtrupps von General Eyadéma setzten diesem „Experiment“ schon bald ein Ende. Zwei Monate lang wurde der Amtssitz des Premierministers belagert. Der damalige französische Botschafter Bruno Delaye versuchte zu vermitteln – ohne nachhaltigen Erfolg.
Politisch zunehmend isoliert, sah sich Koffigoh gezwungen, mit seinen Gegnern erst zu kollaborieren und schließlich zurückzutreten. Mit purer Gewalt zerstörte Eyadémas Partei bald alle Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel.
In den folgenden Jahren gelang es der Regierung – mehr oder weniger ungeplant –, wichtige Persönlichkeiten der Opposition hinter sich zu bringen. Der bekannte Ökonom Edem Kodjo und der Anwalt Yawovi Agboyibo etwa galten bis 1994 als Hoffnungsträger. Eyadéma konnte sie jedoch auf seine Seite ziehen, indem er beiden einen Ministerposten anbot. Auch Gilchrist Olympio, ehemals die zentrale Figur der Opposition und Sohn des ersten Präsidenten, diskreditierte sich selbst, als er 2010 begann, mit dem Regime zusammenzuarbeiten. Nach wiederholten Treffen mit Präsident Gnassingbé war er zur Teilnahme an einer Regierung der nationalen Einheit bereit.
Drei Viertel der Mitglieder von Olympios Partei, der Union des Forces de Changements (UDF), spalteten sich daraufhin ab und gründeten die Alliance Nationale pour le Changement (ANC). Dass das Kürzel an die Bewegung des südafrikanischen Freiheitskämpfers Nelson Mandela erinnert, ist kein Zufall. Derzeit verhandelt der ANC-Chef Jean-Pierre Fabre mit dem Regime, um bei den Präsidentschaftswahlen 2015 größtmögliche Transparenz zu gewährleisten. Doch sonderlich optimistisch ist er nicht. Wenn man Fabre nach der Diktatur fragt, antwortet er: „Der Sohn ist noch schlimmer als der Vater!“
Der Wahlkampf für 2015 läuft schon auf vollen Touren
Die Macht eines mafiösen Staats wie Togo stützt sich in erster Linie auf seine Milizen. Die Stoßtrupps des Regimes, die sich aus dem Volk der Kabiye rekrutieren, schrecken vor nichts zurück.6 Doch die Opposition ist ihrerseits äußerst wachsam und aktiv. Die togoische Menschenrechtsliga veröffentlicht regelmäßig Berichte, die von westlichen Entwicklungshilfeorganisationen aufgegriffen werden.7 Die Regierung fürchtet solche Veröffentlichungen in Europa, denn dadurch könnten ihre Schirmherren in Paris und Brüssel aufgeschreckt werden.
Allerdings waren Faure Gnassingbés Unterstützer bislang erstaunlich verlässlich. So hetzte beispielsweise der ehemalige EU-Entwicklungskommissar, der Belgier Louis Michel, bei einem Besuch in Lomé gegen ANC-Chef Fabre.8 Ausgerechnet Michel könnte bei den Wahlen in Togo im kommenden Jahr die EU-Wahlbeobachtermission leiten, wie er es schon bei den Präsidentschaftswahlen 2013 in Mali getan hat. Der Eyadéma-Clan hat schon früher Wahlen durch bekannte internationale Juristen legitimieren lassen, etwa durch den Franzosen Charles Debbasch9 , der für seine Gefälligkeitsgutachten fürstlich entlohnt wurde.
Togos Zivilgesellschaft beginnt jedoch sich zu organisieren. In Lomé entstehen immer mehr selbst verwaltete Stadtteilausschüsse. Im Viertel Kangnikopé, das unterhalb des Meeresspiegels liegt und regelmäßig überschwemmt wird, haben sie Pumpen installiert und Dämme gebaut. Jeder hilft, wo er kann. Die einen kümmern sich um die Schule, die anderen legen ein Fußballfeld an oder bauen eine überdachte Markthalle. Die Untätigkeit des Staats lässt auf diese Weise lauter Mikrolabore der Demokratisierung entstehen.
Trotz der Unfähigkeit des Regimes ist von Politikverdrossenheit jedoch nichts zu spüren. Im Gegenteil. Seit vier Jahren strömen in Lomé die Massen am Wochenende zu den ANC-Veranstaltungen, die mal am Strand, mal in der Stadt stattfinden. Im vergangenen Februar etwa fand eine Versammlung in einem Viertel statt, in dem vor allem Kabiye wohnen. Nach den Ansprachen der Pfarrer und Imame trat ein Redner nach dem anderen auf, die abwechselnd auf Gen, Kabiye und Tem sprachen. Stundenlang harrten die Menschen in der sengenden Hitze aus, um den Ansprachen zu lauschen.
Auf dem Land spielen sich seit Monaten ähnliche Szenen ab. Alles strömt herbei, wenn die Politiker kommen. „Lasst uns Togo retten!“, schallt es dann im Chor aus dem Publikum, und man spürt den Enthusiasmus, mit dem die Leute immer wieder wählen gehen und den Repressionen trotzen.
Ein Musterbeispiel der neuen Oppositionsbewegung ist das Collectif Sauvons le Togo (CST), das von dem charismatischen Juristen Adjavon Zeus angeführt wird. Neun Organisationen (drei Menschenrechtsgruppen sowie sechs Parteien und politische Bewegungen) haben sich vor vier Jahren zum CST zusammengeschlossen. Dieses Jahr hat das Netzwerk 100 000 Menschen mobilisiert, die für eine Wahlrechtsreform und das „Ende der Gewaltherrschaft“ demonstrierten – mit gemischtem Erfolg, denn die der Regierung abgerungenen Versprechen wurden gleich wieder gebrochen.
Das CST veröffentlichte außerdem einen detaillierten Bericht über die Brandanschläge, bei denen im Januar 2013 zwei große Märkte in Kara und Lomé verwüstet wurden.10 Damit wollte das Bündnis nachweisen, dass die Täter im Auftrag des Regimes handelten – und nicht im Auftrag der Opposition, wie von der Regierung behauptet.
Bei ihrem Kampf gegen die Diktatur greift die togoische Opposition auf alle erdenklichen Mittel zurück: Strafanzeigen, SMS, E-Mails, Plakate, Demos und Aktionen mit Auslandstogoern. Ihre Hoffnung ist, dass eine der Diktaturen in Westafrika stürzt und einen Dominoeffekt auslöst. Der erste Stein könnte Burkina Faso sein, wo Präsident Blaise Compaoré verdächtigt wird, wider die Verfassung eine vierte Amtszeit anzustreben. Ein weiterer Kandidat ist Kamerun, wo es immer öfter zu antifranzösischen Protesten kommt. Auch in Gabun, wo Präsident Ali Bongo nicht über das Charisma seines Vaters verfügt, rumort es. Und warum sollte nicht Togo den Anfang machen?
Die für 2015 angesetzte Präsidentschaftswahl könnte dafür der geeignete Anlass sein. Laut Gesetz darf Gnassingbé nicht noch einmal antreten. Doch der Verfassungsrechtler Debbasch meint bereits eine Lösung für dieses Problem gefunden zu haben: Man braucht nur den Namen der Präsidentenpartei zu ändern – schon wäre der Fall erledigt.
Eigentlich stehen vorher noch die Kommunalwahlen an. Aber im Moment sieht es nicht so aus, als würde daraus noch etwas werden. Es gibt keine Wählerlisten, keinen unabhängigen Wahlausschuss und keine Regeln zur Wahlkampffinanzierung. Die entsprechenden Vereinbarungen mit den verschiedenen Parteien werden schon jetzt nicht eingehalten. Auch der Zuschnitt der Wahlbezirke wurde nicht überarbeitet. Sie sind nach wie vor auf der Basis von Sozial- und Clanstrukturen organisiert, was dem Regime zugutekommt.
Ohne Wahlrechtsreform hätte die Opposition nur mit einer Einheitsliste eine Chance, deren natürlicher Spitzenkandidat der ANC-Chef Jean-Pierre Fabre wäre. Doch andere Kandidaten haben ihren Hut ebenfalls schon in den Ring geworfen, zum Beispiel der militante Trotzkist Claude Ameganvi für die Arbeiterpartei oder der Expremier Agbéyomé Kodjo (2000–2002), der sich neuerdings als unbeugsamer Oppositioneller geriert. Dagegen ist die „Wahlkampfstrategie“ des Regimes schon jetzt klar: erneute Kandidatur Gnassingbés, Bestechung und Spaltung der Opposition durch gezielte Abwerbung von Aktivisten, Schutzgelderpressung zur Wahlkampffinanzierung und hoch dotierte Aufträge an PR-Agenturen, wie die Pariser Havas Worldwide, die unter dem Firmennamen Euro RSCG bereits 1998 und 2003 im Einsatz war.
Selbst ein halbes Jahrhundert nach der vermeintlichen Unabhängigkeit wird der Wahlausgang in Togo letzten Endes jedoch in Paris entschieden. Die informelle Fünfergruppe aus Vertretern des UN-Entwicklungsprogramms, der Europäischen Union sowie den Botschaftern der USA, Frankreichs und Deutschlands – das wie Frankreich ehemalige Kolonialmacht ist – könnte mit ihren Vermittlungsversuchen eher noch dazu beitragen, den politischen Stillstand zu verlängern.
So bleibt abzuwarten, was die Afrikaberater aus dem französischen Außenministerium ihrem Präsidenten anlässlich der togoischen Wahlen im kommenden Jahr raten werden. Dass Frankreich auch unter François Hollande noch ein wenig länger in seinem afrikanischen „Hinterhof“ verweilen möchte, haben nicht zuletzt die Militäreinsätze in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik gezeigt.