Boko Haram, der Schrecken Nigerias
von Elizabeth Pearson und Jacob Zenn
Am 5. Mai 2014 ging ein Video um die Welt, in dem Abubakar Shekau, der Anführer der radikalislamischen Boko-Ha-ram-Rebellen1 , verkündete, er werde die in der Nacht vom 14. auf den 15. April im nordnigerianischen Chibok entführten Schülerinnen als „Sklavinnen auf dem Markt“ verkaufen. Kurz darauf hat die Terrorgruppe viele der etwa 270 Mädchen vermutlich zu ihren Stützpunkten in Kamerun und Tschad gebracht.
Am 12. Mai tauchte das nächste Video auf, das angeblich 130 der verschleppten Teenager zeigte. Dabei weckte Shekau die Hoffnung, dass diese zu ihren Familien zurückkehren könnten, allerdings nur, wenn die nigerianische Regierung eine Gegenleistung erbringt: Gebt uns unsere inhaftierten Boko-Haram-Kämpfer zurück, dann bekommt ihr auch die Mädchen wieder.
Die nigerianische Regierung wird von allen Seiten zum Handeln gedrängt. Der christliche Präsident Goodluck Jonathan hat seit der Entführung keine gute Presse. Wenige Tage nach dem Kidnapping behauptete das Militär fälschlicherweise, dass es die meisten Mädchen gerettet habe. Und als Armeechef Alex Badeh versicherte, er wisse, wo die Entführten sind, wurde er von Regierungssprecher Reuben Abati mit der Bemerkung düpiert, der Armeechef habe damit nur die Moral seiner Truppe heben wollen. Verhandlungen mit Boko Haram wurden abwechselnd angekündigt und dann wieder abgesagt. Die betroffenen Familien in Chibok hat der Präsident bis heute nicht besucht. Inzwischen hört man, dass zwei der Mädchen nach Schlangenbissen gestorben seien. Viele von ihnen sollen sich längst nicht mehr in Nigeria befinden, einige bereits im Sudan verkauft worden sein.
Der Hauptvorwurf an die nigerianische Regierung lautet, sie verbreite falsche Informationen und habe nichts unternommen, weshalb sie weiter an Legitimation eingebüßt habe. Allerdings kann man der Regierung kaum vorwerfen, dass sie das Problem verkannt habe. Seit fünf Jahren geht sie durchaus massiv gegen die Islamisten vor, wobei sie anfangs sogar Erfolge hatte. 2009 töteten nigerianische Soldaten Mohammed Yusuf, den damaligen Anführer der Gruppe, und mit ihm 800 seiner Kämpfer. Seit Mai 2013 wurde für die nördlichen Unruheregionen Yobe, Adamawa und Borno der Notstand ausgerufen, das Militär entsandte in diese Bundesstaaten mehrere tausend Soldaten.
Die Polizei verhaftete zuerst die Frauen der Islamisten
Aber all das waren Scheinerfolge, die langfristig nur zu neuen Problemen führten. Der eigentliche Vorwurf an die Regierung muss daher lauten, dass sie das ganze Problem falsch angepackt und damit weiter verschärft hat.
Die Entführung der Schülerinnen des staatlichen Mädchengymnasiums vom 14. April hat die ganze Welt schockiert und eine internationale Twitter- Kampagne unter dem Hashtag #BringBackOurGirls ausgelöst. Aber die Aktion kam für Leute, die seit 2012 die propagandistischen Videoclips von Abubakar Shekau verfolgt haben, keinesfalls überraschend. Diese Botschaften enthielten eine direkte und explizite Anweisung, junge Mädchen zu entführen. Und sie waren die Reaktion auf ähnliche Methoden der Polizei und der staatlichen Sicherheitsorgane.
2011 begann die nigerianische Polizei damit, die Häuser von Boko-Haram-Führern zu stürmen und zu durchsuchen. Diese Razzien galten allerdings nicht den islamistischen Kämpfern selbst, sondern ihren Frauen und Kindern. Dabei verhaftete die Polizei mehr als 100 Frauen und Kinder ohne jede juristische Handhabe oder auch nur belastendes Material.
Das Ziel dieser Aktion war unklar. Vielleicht wollte man Druck auf ihre Männer ausüben, um sie zu Verhandlungen zu bewegen. Vielleicht wollte man Boko Haram aber auch schlicht zur Kapitulation zwingen. Erreicht hat man allerdings nur, dass Shekau eine Gegenstrategie entwickelte. Seitdem Shekau 2010 die Nachfolge von Yusuf angetreten hatte, lebte er im Untergrund. Er war also außerstande, die Frauen und Kinder der Islamisten zu verteidigen. Unter den Verhafteten war auch eine seiner eigenen Frauen, die Witwe seines Vorgängers und weitere Ehefrauen und Kinder von engen Gefährten. Die Festnahmen trafen die Boko-Haram-Führer ins Mark. Und Shekau reagierte sofort. Seit Anfang 2012 empörte er sich in mehreren Videobotschaften über die Geiselnahme. Einmal spekulierte er sogar, die Frauen würden im Polizeigewahrsam vergewaltigt. Es folgte der Ausruf „Allah, Allah, sieh auf uns – und was wir zu erdulden haben!“ und die Drohung: „Jetzt haltet ihr unsere Frauen fest, aber wartet nur ab, was mit euren eigenen Frauen passieren wird …“
Der angekündigte Rachefeldzug begann 2013. Am 7. Mai überfiel Boko Haram die Stadt Bama an der Grenze zum Tschad. 55 Menschen wurden getötet, 12 Frauen und Töchter von nigerianischen Sicherheitskräften gekidnappt. Eine Woche später drohte Shekau in einem Video, das in der anderen Bildhälfte die Gefangenen zeigte, er werde die Frauen zu seinen „Sklavinnen“ machen, falls die nigerianischen Sicherheitskräfte nicht „unsere Frauen und Kinder freilassen“. Damit begann ein Kreislauf gegenseitiger Festnahmen und Entführungen.
Beide Konfliktparteien haben da-mit Frauen zur Verhandlungsmasse degradiert. Für die Boko Haram zahlte sich das aus: Im Mai 2013 kamen Malama Zara und Shekaus eigene Frau frei, dazu 90 islamistische Kämpfer samt Angehörigen. Aus diesem Anlass inszenierte die Regierung eine spezielle Zeremonie, bei der die Amnestierten in ein staatliches „Berufsausbildungsprogramm“ aufgenommen und mit je 100 000 Naira (etwa 400 Euro) und fünf neuen Gewändern entschädigt wurden. Jedes der freigelassenen Kinder bekam zehn Meter Kleiderstoff.
Als Gegenleistung für die Rückgabe der Frauen und Kinder musste Boko Haram lediglich 12 Frauen und Töchter von staatlichen Sicherheitsleuten ausliefern, die sie wenige Wochen zuvor in Bama als Geiseln genommen hatten. Angesichts solcher Erfolge sahen die Boko-Haram-Leute keinen Grund, ihre Entführungsstrategie aufzugeben.
Auch die Offensive im Norden vom Mai 2013 erreichte eher das Gegenteil: Der Ausnahmezustand bedeutete für die Frauen dieser ländlichen Regionen nicht mehr, sondern weniger Sicherheit: Die vor den Regierungssoldaten fliehenden Islamisten griffen sich unterwegs einheimische Frauen. So geschah es Anfang Mai in der vorwiegend christlichen Region um Gwoza, einer Stadt im nordöstlichen Bundesstaat Borno, die unter der Boko Haram besonders zu leiden hatte.
Hier wurde im Juli 2013 die 19-jährige Hadscha von 14 Boko-Haram-Mitgliedern entführt. Über ihre dreimonatige Gefangenschaft hat Hadscha nach ihrer Flucht berichtet.2 Die Entführer zwangen sie – buchstäblich mit dem Messer am Hals – zum Islam überzutreten, sie wurde geschlagen, und sie musste die Kämpfer bekochen und bedienen. Außerdem benutzte man sie, um Regierungssoldaten in einen Hinterhalt locken und zu töten. Hadscha konnte fliehen, aber Dutzende Frauen werden unter ähnlichen Umständen gefangen gehalten.
Die Aktionen der nigerianischen Regierung trugen ungewollt dazu bei, dass Boko Haram engere Kontakte zu dschihadistischen Organisationen suchte, die außerhalb Nigerias agieren. Die nigerianische Armee hat kaum etwas unternommen, um diese überregionalen Verbindungen zwischen Boko Haram und Al-Qaida-Gruppen zu unterbinden. Dabei hat Boko Haram erst von der al-Qaida im Islamischen Maghreb gelernt, wie man Entführungen organisiert, und auf deren Anregung spezielle „Kidnapping-Kommandos“ gebildet.
Diese engeren Kontakte mit Al-Qaida-Gruppen bedeuten für Nigeria eine erhöhte Bedrohung. Aber auch diese Entwicklung begann mit einem scheinbar schnellen Sieg der nigerianischen Regierung. 2009 wurde der Boko-Haram-Führer Ustaz Mohammed Yusuf gefangen genommen und noch in Polizeigewahrsam getötet.3 Die mit einer Handykamera aufgezeichnete „außergerichtliche Hinrichtung“ wurde tausendfach im Internet abgerufen. Das Video hat zahlreiche nigerianische Muslime radikalisiert und zu Boko-Haram-Anhängern gemacht.
Eine lokale Sekte wird zum Arm von al-Qaida
Yusufs Nachfolger Shekau erwies sich bald als der weitaus härtere Führer. Unter ihm wurde aus einer Sekte bekehrungswütiger Ideologen, die gegen die „Verweltlichung“ des Landes und gegen die verbreitete Korruption kämpfte, eine brutale Aufstandsbewegung, die bislang 8 000 Menschen getötet hat, 2000 allein in diesem Jahr.
Der Führungswechsel hat die Boko Haram jedenfalls nicht geschwächt, sondern ihre strategische Weiterentwicklung zu einer Art al-Qaida noch beschleunigt. Schon im Juli 2010 versprach Abdelmalek Droukdel, der Führer der al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM), den „Mudschaheddin in Nigeria“ seine Unterstützung durch „Männer, Waffen und Munition“.4 Nach dieser Botschaft des AQIM-Führers erklärte Shekau gegenüber einem nigerianischen Journalisten – der ihn mit verbundenen Augen in seinem Versteck interviewte –, dass er die Führung von Boko Haram übernommen und den Dschihad eröffnet habe.
Mit dieser Proklamation bekannten sich Shekau und Boko Haram endgültig zu al-Qaida. Am 2. Oktober 2010 veröffentlichte die Al-Andalus Media Production, die Medienagentur von AQIM, eine Erklärung des „Imam Abubukar Shekau“ auf der dschihadistischen Website „Shumukh al-Islam“. Es war das erste Mal, dass al-Qaida im Maghreb die Botschaft eines anderen islamistischen Führers verbreitet hat. Darin erklärte Shekau seine Loyalität zu al-Qaida und deren Untergruppen. Seitdem erklärten die AQIM, die al-Qaida im Irak und die somalische al-Shabaab mehrfach ihre Verbundenheit mit den „Mudschaheddin“ in Nigeria. Die al-Shabaab ging sogar so weit, die Entführung von Chibok explizit zu loben.
Langfristig und für die ganze Region bedeutsamer ist allerdings, dass Boko Haram das, was die Gruppe von al-Qaida gelernt hat, auch anderen Gruppen beibringt. Allem Anschein nach trainieren die nigerianischen Dschihadisten die muslimischen Séléka-Aufständischen in der Zentralafrikanischen Republik und beginnen, über solche Ausbildungsdienste neue Netzwerke aufzubauen.5 Und sie sind dabei, ihre Kidnapping-Aktionen auf das Nachbarland Kamerun auszudehnen. Zum Beispiel sollen sie einige der entführten Mädchen an Séléka-Kämpfer weitergereicht haben, die im Norden Zentralafrikas die Gegend von Birao an der Grenze zum Sudan kontrollieren.6
Diese Expansion passt zur neuen „globalen Ideologie“ und zu der neuen geknüpften Verbindung mit dem internationalen Dschihad. Shekau selbst erklärte am 5. Mai, für ihn gebe es kein Kamerun, keinen Tschad und keinen Sudan: „Ich habe kein Heimatland. Ich habe nur Islamiyya [das Reich des Islam].“
Für die nigerianische Regierung stellt sich zunächst vor allem die Frage, was aus den entführten Mädchen wird. Um ihre Freilassung zu erreichen, scheint Verhandeln die beste Strategie zu sein, allerdings ist sie zugleich riskant. Die Entführung der Schülerinnen von Chibok ist eine Methode, die für Boko Haram schon einmal funktioniert hat, als sie ihre Geiseln gegen ihre eigenen Leute austauschen konnte. Vielleicht könnten die Mädchen auch per Lösegeld freikommen, aber das würde viele andere Frauen im Norden Nigerias in Gefahr bringen, weil die Islamisten danach wahrscheinlich nur noch mehr kidnappen werden. Militärische Aktionen würden natürlich auch die entführten Schülerinnen in Gefahr bringen. Dieses Risiko will die nigerianische Regierung derzeit nicht eingehen. Man könnte aber auch abwarten und bei der Suche auf örtliche Einsatzkräfte (die sogenannte Joint Civilian Task Force) setzen, die gegen die Boko Haram agieren und für jedes gerettete Mädchen eine Belohnung erhalten sollen. Diese Taktik würde auch eine größere ausländische Beteiligung vermeiden, vor der viele Nachbarländer Angst haben.
Eine zweite Option bietet der Nationale Aktionsplan, den Nigeria 2013 auf Basis der Resolution 1 325 des UN-Sicherheitsrats verabschiedet hat. Diese Resolution soll den Schutz von Frauen in Konfliktzonen gewährleisten. Wenn das Jahr 2014 mehr Sicherheit für die Frauen Nigerias bringen soll, muss sie entschlossen umgesetzt werden. Geschieht das nicht, wird es schwieriger, den Aufstand der Boko Haram einzudämmen und die am stärksten gefährdete Gruppe zu schützen, und das sind die Frauen.
Noch wichtiger wäre es, die Polizei und Sicherheitsorgane Nigerias zu der Einsicht zu bringen, dass im Konflikt mit den Islamisten auf keinen Fall Frauen zum Faustpfand der einen oder der anderen der Seite werden dürfen. Die Polizei darf Frauen und Kinder nicht einfach festnehmen, egal wer ihre Verwandten sind. Wenn sie es trotzdem tut, muss sie wissen, dass nicht sie, sondern Boko Haram den weiteren Lauf der Dinge diktiert.
Die nigerianischen Machthaber müssen vor allem eines kapieren: Ihre aggressiven Methoden mögen kurzfristig Erfolg versprechen, aber langfristig können sie sich als verhängnisvoll erweisen. Boko Haram ist inzwischen zu einem internationalen Problem geworden. Ihre Kämpfer entführen Frauen und bieten sie ihren Verbündeten in ganz Afrika an. Sie kennen keine Grenzen und sie kennen kein Erbarmen.
In Borno geht es heute genauso gesetzlos zu wie immer. Und die Menschen sind den Attacken genauso schutzlos ausgesetzt. Die Boko Haram hat sogar eine muslimische Autorität wie den Emir von Gwoza ermordet, ohne dass ihre Kämpfer zur Rechenschaft gezogen werden. Diese haben allein in der letzten Woche mindestens 400 Menschen getötet. Im Nordosten des Landes ist niemand mehr sicher.
Dass der Boko Haram auf dem Pariser Gipfeltreffen vom 17. Mai der „totale Krieg“ erklärt wurde, ändert daran nichts. Nigerias Präsident Goodluck Jonathan dürfte versucht sein, solche internationalen Zusagen für seine im Jahr 2015 anstehende Wiederwahl zu instrumentalisieren. Aber er sollte sich fragen, was das Eingreifen fremder Mächte auf längere Sicht bewirken könnte.
Womöglich würde Nigeria dann ausländische Dschihadisten aus Europa anziehen, die heute schon in Syrien und in Somalia kämpfen. Und die Boko Haram könnte, wenn man sie nach Kamerun oder nach Tschad vertreibt, dort neue Hochburgen aufbauen. Entscheidend ist eine langfristige Strategie, die verhindern kann, dass sich die Unsicherheit ausbreitet, die Nigeria und seine Nachbarn heute erleben. Und nicht nur sie.
Land und Leute
Der Aufschwung des radikalen Islamismus im Nordosten Nigerias hängt eng mit den inneren Spannungen des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika zusammen, das mit seinen rund 170 Millionen Menschen etwa zu gleichen Teilen christlich und muslimisch ist. Der Norden war in vorkolonialen Zeiten Herrschaftsgebiet mächtiger islamischer Sultanate der Sahelzone; der Süden war währenddessen in den Sklavenhandel mit Europa und Amerika verwickelt, wurde früh christianisiert und später Zentrum der britischen Kolonisierung. Die militärische Elite ist im Norden verwurzelt, die Handels- und Geschäftselite eher im Süden. Wie in vielen afrikanischen Ländern setzte sich nach der Unabhängigkeit 1960 die Militärelite politisch durch.
Unter den vom Norden dominierten Militärdiktaturen, die Nigeria mit kurzen Unterbrechungen von 1966 bis 1999 regierten, wurde Nigeria zum größten Ölförderland Afrikas, aufgrund der Ausbeutung der Ölvorkommen im Süden. Weder im Süden noch im Norden profitierte die Bevölkerung vom Ölreichtum. Doch der Süden – wiederum in sich äußerst heterogen, mit großen Differenzen zwischen den Völkern der Ölregion des Niger-Flussdeltas und den großen Ethnien der Igbo und Yoruba – fühlte sich vor allem politisch entrechtet, während der Norden vor allem wirtschaftlich zurückblieb. Kein Landesteil weinte den Militärs eine Träne nach, als sie die Macht abgaben.
Bei der Demokratisierung 1999 trafen die nigerianischen Politiker die informelle Absprache, dass ab jetzt der Süden und der Norden einander an der Staatsspitze abwechseln und somit die Macht faktisch zwischen den Landesteilen rotiert. Zunächst wurde mit Olusegun Obasanjo ein Vertreter des Südens Präsident. Nach acht Jahren folgte 2007 der Nordnigerianer Umaru Musa Yar’Adua. Der starb aber 2010. Daraufhin rückte sein Vize Goodluck Jonathan aus dem Süden ins oberste Staatsamt nach – und ließ sich 2011 zum Präsidenten wählen, was viele Nordpolitiker als Verrat ansahen, da auf acht Jahre Obasanjo nur drei Jahre Yar’Adua gefolgt waren.
Der aus einfachen Verhältnissen stammende Jonathan wird also von mächtigen Kräften des nigerianischen Establishments als Usurpator angesehen. Er kommt als erster Staatschef Nigerias überhaupt aus der Ölregion des Niger-Flussdeltas und hat dafür gesorgt, dass mehr Ölgelder dorthin zurückfließen – aber um den Preis, die Akteure der Korruption im Ölsektor ungeschoren zu lassen.
Diese Differenzen finden nur zum Teil in Nigerias Mehrparteiensystem Ausdruck, da alle drei Präsidenten seit der Demokratisierung derselben Partei angehören – der People’s Democratic Party (PDP), die deswegen tief zerstritten ist. Sowohl die militanten Islamisten als auch unzufriedene Generäle sind immer wieder in undurchschaubare PDP-interne Machtkämpfe verwickelt. 2015 stehen wieder Wahlen in Nigeria an. Eine erneute Kandidatur Jonathans dürfte die Partei und vielleicht sogar das ganze Land in eine Zerreißprobe stürzen.
Kein Wunder, dass die aktuelle Krise in Nigeria als die schwierigste seit dem Biafra-Sezessionskrieg Ende der 1960er Jahre gilt.
Dominic Johnson