14.01.2011

Eine chinesische Metro für Mekka

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Eine chinesische Metro für Mekka

Saudi-Arabien erneuert eine uralte Beziehung von Alain Gresh

Ein großes Citylight-Poster neben der Autobahn verkündet: „China Mart“. In den Geschäften der riesigen Mall, die vor kurzem in Riad eröffnet wurde, gibt es nur Waren aus dem Reich der Mitte. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet über 322 Muslime aus der chinesischen Provinz Gansu, die auf ihrer Pilgerfahrt, der Hadsch – als Vorhut von mehreren tausend ihrer muslimischen Landsleute –, in Mekka eingetroffen sind. Im Juni 2010 haben Wissenschaftler aus China und Saudi-Arabien das Genom des (einhöckrigen) Dromedars entschlüsselt; die Chinesen schenkten ihren Freunden in Riad dafür 37 (zweihöckrige) Kamele, die auf der arabischen Halbinsel nicht zu Hause sind. Das neueste Produkt der interkulturellen Symbiose bietet das chinesische Restaurant Le Mirage in Riad auf seiner Speisekarte: Pekingkamel.

Diese und andere symbolische Ereignisse zeugen von der außergewöhnliche Annäherung, die zwischen China und Saudi-Arabien vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet im Gange ist. 2009 war China erstmals größter Abnehmer von saudischem Erdöl und verkaufte mehr Autos an die Saudis als die USA. 2010 bezog Peking 11,3 Prozent seiner Erdölimporte aus Saudi-Arabien, dreimal so viel wie 2004.

Einige Kommentatoren sprechen bereits – teils besorgt, teils erfreut – von einer neuen Allianz unter Umgehung Washingtons. Doch Raed Krimli, Berater des saudischen Außenministers Saud al-Faisal, hält solche Einschätzungen für übertrieben: „Unsere Beziehungen zu China lassen sich in keiner Weise mit unserem strategischen Verhältnis zu Washington vergleichen; aber wir wissen natürlich, dass sie in Washington einiges Unbehagen hervorrufen.“ Und er erzählt, dass Riad des Öfteren von den „amerikanischen Freunden“ gebeten wird, auf Peking einzuwirken – zum Beispiel in Sachen iranisches Atomprogramm.

Eine ähnlich vorsichtige Einschätzung hat auch einer der besten Kenner des saudischen Königreichs, John Sfakianakis von der Saudi Fransi Bank. Er betont den rein wirtschaftlichen Charakter der saudisch-chinesischen Beziehungen: „Es ist richtig, dass China jetzt mehr nach Saudi-Arabien exportiert, aber das gilt für viele andere Länder auch.1 Die Beziehungen werden aber erst dann eine politische Dimension bekommen, wenn China in der Region ernsthaft mitreden will, was es bisher noch nicht tut.“

Der Kitt dieses neuen Bündnisses ist zweifellos das Erdöl. Zu Beginn des Jahrtausends stagnierte der Verbrauch in den USA und in der EU, während die Nachfrage in China steil anstieg. Die Kooperation bot sich an: Riad wollte sich einen dauerhaften Absatzmarkt erschließen, Peking wollte ebenso dauerhaft seine Ölversorgung sichern. Die chinesischen Politiker verstehen es, das pragmatische Bündnis in ziselierter Diplomatensprache zu feiern und das gemeinsame Schicksal der Völker und die Notwendigkeit der Koexistenz zu beschwören.

Doch jenseits diplomatischer Kommuniqués artikulieren sich unübersehbar die Sorgen einer aufstrebenden Weltmacht: 2003 erschien in China ein erfolgreicher Roman mit dem Titel „Die Schlacht zum Schutz der Ölrouten“, in dem beschrieben wird, wie „die vor China zitternden imperialen Mächte“ eine Energieblockade betreiben, was am Ende zum Krieg führt.2 In der chinesischen Presse kommen Experten zu Wort, die eine Sperrung der Straße von Malakka befürchten, die für die Ölversorgung Chinas lebenswichtig ist. Und als der Preis für ein Barrel Öl im Juli 2008 auf fast 150 Dollar stieg, sahen viele die Hand Washingtons darin.

Um seine Energieabhängigkeit zu reduzieren, setzt China auch verstärkt auf beiderseitige Investitionen im Erdölsektor: So errichtete die staatliche saudische Ölgesellschaft Aramco in Kooperation mit ExxonMobil und dem chinesischen Unternehmen Sinopec in der südchinesischen Provinz Fujian eine Raffinerie mit einer Kapazität von 240 000 Barrel pro Tag; ein saudisches Unternehmen namens Sabic (Saudi Basic Industries Corporation) hat zusammen mit Sinopec einen großen Petrochemiekomplex im ostchinesischen Tianjin aufgebaut, der gerade den Betrieb aufgenommen hat. Umgekehrt investieren chinesische Firmen in Saudi-Arabien in den Bau petrochemischer Industrieanlagen, und vor kurzem wurde ihnen gestattet, sich an der Erkundung von Gasvorkommen zu beteiligen.

Öl und petrochemische Produkte machen das Gros der saudischen Exporte nach China aus; die Chinesen bauen in Saudi-Arabien auch Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge, Trinkwasserentsalzungsanlagen und Zement- und Aluminiumfabriken. Zudem setzen sie dort ihre Billigprodukte (Textilien, Spielzeug) ab. Lokaler Widerstand, wie in Afrika, ist nicht zu befürchten, weil es keine konkurrierenden saudischen Produkte gibt. Die Chinesen verkaufen auch zunehmend Waren mit höherer Wertschöpfung, von Computern und Handys bis zu Autos und Baggern.

Randale streikender Chinesen

Äußerst aggressiv treten die chinesischen Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Bauprojekte auf. Fast wäre es ihnen sogar gelungen, bei der Ausschreibung der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Mekka und Medina den französischen TGV zu besiegen. Das zeugt nicht nur von der Konkurrenzfähigkeit ihrer Erzeugnisse, sondern auch von ihrer Fähigkeit, enge Kontakte zu den politischen Entscheidungsträgern und dem saudischen Königshaus zu knüpfen. Ein wichtiger Vorteil sind die billigen Arbeitskräfte aus China (nach Angaben der chinesischen Botschaft in Riad derzeit 40 000), weshalb die Chinesen, „den Abschluss jedes Bauvorhabens bereits für gestern versprechen können“, wie es ein saudischer Geschäftsmann ausdrückt.

Doch es gibt auch eine Kehrseite. Im Oktober 2010 gingen chinesische Arbeiter, die an der neuen, im November eingeweihten Mekka-Metro3 arbeiteten, aus Protest gegen die niedrigen Löhne und die extremen Arbeitsbedingungen bei Temperaturen von bis zu 45 Grad zum zweiten Mal auf die Straße.4 Sie demolierten Autos und zerschlugen Fensterscheiben – für die heilige Stadt ein ungewohnter Anblick.

Das dürfte den saudischen Behörden kaum gefallen haben. Bei anderen Bauprojekten wurden mal die Fristen nicht eingehalten, oder die fertigen Gebäude entsprachen nicht voll den Erwartungen. Im China Mart gibt es Geldschränke zu kaufen, mit Gebrauchsanweisungen nur in chinesischer Sprache. Und chinesischen Medien zufolge wurden die geplanten Kosten der Mekka-Metro um 4 Milliarden Yuan (446 Millionen Euro) überschritten, die Baufirma führt nun einen Rechtsstreit mit den saudischen Behörden.

Trotz solcher Probleme haben die Chinesen in Rekordzeit einen ökonomischen Durchbruch geschafft: Das Handelsvolumen zwischen China und der Region ist von 2004 bis 2009 von 37 Milliarden auf 110 Milliarden Dollar angestiegen. Parallel haben sich die verschiedensten chinesisch-arabischen Gesprächsforen etabliert, von Politikern über Geschäftsleute bis zu Vertretern der Zivilgesellschaft. Auch der kulturelle Austausch wurde intensiver. Der Pekinger Nachrichtensender CNTV hat ein arabisches Programm gestartet,5 die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua ist inzwischen in den meisten arabischen Hauptstädten vertreten, und al-Dschasira unterhält ein Studio in Peking. Manche Kommentatoren beschwören bereits in lyrischen Tönen eine Wiedergeburt der Seidenstraße, die bis ins 15. Jahrhundert die wichtigste internationale Handelsroute zwischen China und dem Mittelmeer war.

Solch vorzeitige Begeisterung ist allerdings übertrieben. Und auch die historischen Analogien halten einer Überprüfung nicht stand: Die Blütezeit der Seidenstraße fiel zusammen mit der Blütezeit der asiatischen Reiche, die die Verkehrswege auch militärisch schützen konnten. Davon kann heute keine Rede sein. Doch bei vielen internationalen Themen, zum Beispiel beim Darfur-Konflikt, haben Peking und Riad einen gemeinsamen Ansatz: Beide betonen das Prinzip der nationaler Souveränität und der Nichteinmischung, und beide äußern sich ironisch bis abschätzig über die westliche „Menschenrechtsdiplomatie“, die sie für nackten Opportunismus halten.

Das vertrauensvolle Verhältnis beider Staaten entstand durch eine unwahrscheinliche Begebenheit, die aus einem Spionageroman stammen könnte. Im Februar 1985, während des irakisch-iranischen Kriegs beschoss Bagdad Städte und Industrieanlagen des Irans mit Raketen und gefährdete mit dem „Tankerkrieg“6 saudische Öltransporte. König Fahd wollte deshalb zur Abschreckung US-Raketen kaufen, doch US-Präsident Reagan lehnte ab – aus Angst vor der Reaktion der Israelis, deren Wohlwollen er bereits vorher durch die umstrittene Lieferung von Awacs-Flugzeugen an Saudi-Arabien strapaziert hatte. „Wir konnten in Moskau oder in Peking anfragen“, sagt Rihab Massoud, damals Mitarbeiter der saudischen Botschaft in Washington und heute Vizegeneralsekretär des Nationalen Sicherheitsrats. „Aber Präsident Reagan hatte die Sowjetunion als ‚Reich des Bösen‘ bezeichnet. Wir wandten uns also lieber an die Chinesen, mit denen wir nicht einmal diplomatische Beziehungen unterhielten.“

Die geheime und delikate Mission wurde Prinz Bandar anvertraut. Der Sohn des saudischen Verteidigungsministers war damals Botschafter in Washington, wo er diskret Kontakt mit chinesischen Diplomaten aufnehmen konnte. Nach Besuchen angeblicher „Wirtschaftsdelegationen“, geheimen Treffen in Hongkonger Hotels und langen Verhandlungen kauften die Saudis im Dezember 1986 rund 50 Raketen vom Typ Dongfeng 3, im Westen bekannt als CSS-2. Sie hatte eine Reichweite von 3 000 Kilometern und konnte theoretisch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden. Chinesische Schiffe lieferten das Material, das – um die USA zu täuschen – offiziell für Bagdad bestimmt war.

Anfang 1988 wurden die Raketen von US-Satelliten entdeckt. In der westlichen Presse hieß es damals, mit diesen „nuklearen Trägerwaffen“ könnten die Saudis überall im Nahen Osten zuschlagen. Die israelische Regierung drohte, die saudischen Raketenbasen zu bombardieren. In Washington war man über den saudischen Alleingang erbost und stellte Riad vor die Wahl, die Raketen zu verschrotten oder nach China zurückzuschicken oder eine Inspektion durch das US-Militär zu gestatten. Die Krise kulminierte in einer offiziellen Protestnote des US-Botschafters in Riad, die der erzürnte König mit der Ausweisung des Diplomaten beantwortete.

Aber der Sturm legte sich rasch. Im März 1988 unterzeichnete Saudi-Arabien den Atomwaffensperrvertrag und stellte damit klar, dass es keine nuklearen Ambitionen hegte. Doch die Saudis vergaßen nicht, dass ihnen die Chinesen im entscheidenden Moment beigestanden hatten. Die Chinesen wiederum waren den Saudis dankbar, dass sie die Inspektion des „sensiblen Materials“ abgelehnt hatten. Die militärische Kooperation zwischen Saudi-Arabien und China wurden diskret, aber stetig fortgeführt. Zwar bestand 2008 der einzige bekannte saudische Kauf von chinesischem Material in einigen Panzerhaubitzen. Doch regelmäßig gibt es auch Meldungen über die Anschaffung von CSS-5- und CSS-6-Raketen. Das nährt die Fantasien der Neokonservativen in den USA über die Existenz eines geheimen militärischen Atomprogramms in Saudi-Arabien.7 Als Komplizen sehen sie dabei nicht nur China, sondern auch einen anderen langjährigen Verbündeten und strategischen Partner der Saudis, nämlich Pakistan.

1990 nahm Riad offiziell diplomatische Beziehungen zu Peking auf und brach seine Beziehungen mit Taiwan ab.8 Abdul-Karim Yaqoub, Geschäftsführer der saudischen Industrie- und Handelskammer, meint, damals habe das Königreich erkannt, „dass es in seinem Interesse lag, nicht immer als Verbündeter des Westens gesehen zu werden“. Man habe auf eine ausgewogenere Außenpolitik gesetzt, und „unter diesem Aspekt erschien uns China als gute Wahl“. Während des ersten Golfkriegs (1990/91) kühlte sich das Verhältnis allerdings merklich ab: Bei der entscheidenden Resolution des UN-Sicherheitsrats enthielt sich China der Stimme. Dagegen war Saudi-Arabien eine treibende Kraft in der Anti-Saddam-Front. Es dauerte einige Jahre, bis die Beziehungen wieder enger wurden.

Kurz nach seiner Thronbesteigung 2006 unternahm König Abdullah al-Saud seine erste Auslandsreise, die ihn nach China, Indien, Malaysia und Pakistan führte. Es war der erste Besuch eines saudischen Monarchen in Peking. Zur Delegation aus Riad gehörten auch 25 Abgesandte zivilgesellschaftlicher Organisationen; fünf davon waren chinesischer Abstammung. Hu Jintao revanchierte sich höchstpersönlich mit einem einwöchigen Staatsbesuch, wobei er – eine seltene Ehre – vor der beratenden Versammlung (Madschlis al-Schura) eine Rede halten durfte. Bei diesem Besuch wurden viele Abkommen unterzeichnet, darunter eins über die Einführung der chinesischen Medizin.

In Riad genießt China heute „eine solide Bewunderung“, wie es ein saudischer Intellektueller ausdrückt, „für seine Zivilisation, für seine große Mauer und die Organisation der Olympischen Spiele. Viele Saudis wollen Chinesisch lernen. Und weil die meisten Leute die USA hassen, sind die chinesischen Erfolge ein gewisser Trost.“ Die Bewunderung beruht allerdings nicht auf Gegenseitigkeit: „Die Chinesen bewundern die arabische Welt nicht, weil wir schwach sind und weil die Wahrnehmung, die sie von uns haben, im Wesentlichen die des Westens ist.“ Gleichwohl studieren hunderte junger Saudis im Reich der Mitte, getreu der Lehre des Propheten Mohammed: „Geh und suche die Weisheit, und sei es in China.“

Die Saudis geben sich große Mühe, ihr Image zu verbessern. Nach dem Erdbeben in Sichuan im Sommer 2006 tat sich das Königreich mit 40 Millionen Dollar als größter Spender hervor, was in den chinesischen Medien auch gewürdigt wurde. Und auf der Weltausstellung 2010 in Schanghai war einer der meistbesuchten Pavillons der saudische: ein riesiges halbmondförmiges Schiff, die Decks mit Palmen bepflanzt, hängende Gärten, die an Oasen in der Wüste erinnern.

Al-Dschasira jetzt auch in Peking

Ein heikles Problem ist zweifellos das iranische Atomprogramm. China hat seine Beziehungen zum Iran – nach Saudi-Arabien und Angola sein drittgrößter Öllieferant – seit Jahren ausgebaut und gefestigt. Peking verkauft Teheran seine Waffensysteme, und der bilaterale Handel entwickelt sich in allen Bereichen dynamisch. Das 2009 erreichte Handelsvolumen von 30 Milliarden Dollar dürfte sich bis 2015 auf 50 Milliarden erhöhen.

Für Chinas Zustimmung zur Resolution 1929 des UN-Sicherheitsrats vom 9. Juni 2010, die weitere Sanktionen gegen den Iran vorsah, waren monatelange Verhandlungen, ein offizieller Besuch des saudischen Außenministers, weitere geheime Treffen und größte Anstrengungen von Seiten der USA nötig. Dazu ist aus diplomatische Quellen in Riad zu hören: Für den Fall, dass der Iran seine Energielieferungen an China aussetzt, hat das Königreich versprochen, einzuspringen. Trotzdem bleibt China vorsichtig , hält sich strikt an den Resolutionstext und lehnt die von den USA und der EU propagierte Ausweitung der Sanktionen ab. Nach und nach treten chinesische Unternehmen an die Stelle westlicher Unternehmen, die sich aus dem Iran zurückziehen.

Der entscheidende Grund für die saudische Angst vor einer iranischen Atomwaffe – und in Riad ist man sich sicher, dass Teheran die Bombe will – wird nur selten thematisiert: Eine solche Entwicklung hätte Folgen für das Verhältnis zu den USA. Wäre Washington nicht geneigt, sich mit einer persischen Nuklearmacht zu arrangieren – und zwar auf Kosten der Araber? Turki al-Faisal, Bruder des Außenministers und ehemaliger Chef des saudischen Geheimdienstes, gibt zu: „Es ist beunruhigend für uns, dass der Iran ebenso wie die Vereinigten Staaten unsere Interessen vergessen könnten. Wir wären eingeklemmt zwischen einer Atommacht Iran und einer Atommacht Israel.“ Und er fügt lächelnd hinzu: „Danken wir Gott für Ahmadinedschad!“ Denn der macht ein solches Szenario eher unwahrscheinlich.

Die Causa Iran hat die Beziehung zwischen Peking und Riad nicht übermäßig belastet, aber noch einmal deutlich gemacht, dass sich China nur ungern in die Probleme des Nahen Ostens hineinziehen lässt. Die Zeit der Unterstützung von revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt, insbesondere im Nahen Osten, ist vorbei. Wer erinnert sich noch, dass China neben Algerien in den 1960er Jahren das erste Land war, das Jassir Arafat und die Fatah unterstützt hat? Heute begnügt sich Peking mit beschwichtigenden Erklärungen und hält sich aus dem israelisch-arabischen Konflikt im Wesentlichen heraus. In den 1990er Jahren hatte sich sogar eine enge Rüstungskooperation zwischen China und Israel entwickelt – bis Washington im Juli 2000 beim geplanten Verkauf eines israelischen Phalcon-Radarsystem an China intervenierte.9 Ein chinesischer Journalist spricht von einer „gespaltenen Wahrnehmung“ in China: „Es existieren zwei unterschiedliche Sichtweisen nebeneinander: die proisraelische und die proarabische.“

Bei der Gründung des Nahost-Quartetts (USA, EU, Russland und UN) zur Vermittlung im israelischen-arabischen Konflikt 2002 war China nicht eingeladen. Zwar hat Peking einen Sonderbeauftragten für den Nahen Osten ernannt, aber der spielt bislang eine bescheidene Rolle. Seit einigen Jahren beteiligen sich chinesische Soldaten zum ersten Mal an UN-Missionen, in Darfur und vor allem im Libanon. Bei der 2006 aufgestellten Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (Unifil) ist China mit 350 Soldaten dabei und hatte sogar die Entsendung von 1 000 vorgeschlagen, was seinen Einfluss enorm vergrößert hätte. Aber diese Aussicht löste in Washington und Paris zu viele Befürchtungen aus.10

Eines wissen die Machthaber in Saudi-Arabien genau: China kann ihnen im Gegensatz zu den USA keine „Sicherheitsgarantien“ bieten, wie man sie nach der irakischen Invasion in Kuwait 1990 gebraucht hatte. Aber ob das für alle Zukunft gilt? Im Dezember 2008 kündigte China die Entsendung erster Kriegsschiffe vor die Küste Somalias an. Sie sollen chinesische Frachter schützen, vor allem aber die eigene Erdölversorgung und die Exportrouten durch den Suezkanal in den Mittelmeerraum absichern. Im März 2010 gingen zwei der chinesischen Kriegsschiffe in Port Zayed in Abu Dhabi vor Anker. Die Presse in den Golfemiraten betonte, damit seien erstmals seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder chinesische Schiffe über den Indischen Ozean bis in arabische Gewässer gelangt. Zwischen 1405 und 1433 hatte Admiral Zheng He, ein chinesischer Muslim, mit der Flotte des Kaisers die Straße von Hormus, das Rote Meer und die ostafrikanische Küste angesteuert.11 Nach einigen Quellen soll er sogar ganz Afrika umsegelt und die Antillen erreicht haben.

Ein saudischer Intellektueller bekennt, dass er sich eine neue „chinesische Blütezeit“ herbeisehnt: denn das würde seinem Land erlauben, aus dem erzwungenen Bündnis mit den USA auszubrechen.

Fußnoten: 1 Saudi-Arabien hat außerdem die Aufnahme bei den Bric-Staaten beantragt (Brasilien, Russland, Indien und China). 2 Zitiert in Ben Simpfendorfer, „The New Silk Road: How a Rising Arab World is Turning Away from the West and Rediscovering China“, New York (Palgrave Macmillan) 2009. Siehe auch John Garver, Flynt Leverett, Hilary Mann Leveret, „Moving (Slightly) Closer to Iran“, Washington (Reischauer Center) 2009. 3 18 Kilometer lange Hochbahn, eingeweiht am 13. November 2010, die die heiligen Stätten miteinander verbindet und bei voller Kapazität 72 000 Pilger pro Stunde transportieren soll. 4 Arab News, 13. Oktober 2010. 5 arabic.cntv.cn/01/index.shtml. 6 Ab 1984 griff der Irak verstärkt Öltanker im Persischen Golf an, um iranische Ölexporte zu stören. 7 Siehe den Blog von Jeff Stein auf der Website der Washington Post, „Former CIA analyst alleges China-Saudi nuclear deal“, 7. Juni 2010. 8 Wie anderswo gibt es auch in Riad nach wie vor eine sehr aktive taiwanesische Handelsvertretung. 9 Siehe Isabelle Saint-Mézard, „Partnerschaft auf Raketenbasis“, Le Monde diplomatique, November 2010. 10 „China’s Growing Role in UN Peacekeeping“, International Crisis Group, Brüssel, 17. April 2009. 11 Siehe Olivier Zajec, „Admiral Zhen He kehrt zurück“, Le Monde diplomatique, Oktober 2008.

Aus dem Französischen von Jakob Horst

Le Monde diplomatique vom 14.01.2011, von Alain Gresh