Weg von Spanien
Katalonien zwischen Selbstbestimmung und Wohlstandsseparatismus von Michael Ehrke
Viel wurde über die Motive spekuliert, die König Juan Carlos am 2. Juni 2014 zur Abdankung bewegten. Eines der wohl stärksten wurde dabei eher selten erwähnt: Katalonien. Die Monarchie soll die Einheit der spanischen Nation repräsentieren, also die Einheit der Spanier und der sich als nichtspanisch verstehenden Basken, Galizier und Katalanen. Und diese Einheit ist gefährdet, da starke Kräfte in Katalonien für die Unabhängigkeit ihrer Region eintreten.
Der angestrebte Auszug aus Spanien ist gleichzeitig eine Verabschiedung von der Monarchie: Die stärkste politische Partei Kataloniens, die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), führt die Republik schon in ihrem Namen. Auf Katalonien bezogen ist der König keine einigende Figur, sondern die Verkörperung dessen, von dem sich die Katalanen trennen wollen. Diesen sich anbahnenden Konflikt wollte Juan Carlos offenbar nicht mehr selbst durchstehen.
„Wollen Sie, dass Katalonien ein Staat ist? Und wenn ja: Soll dieser Staat unabhängig sein?“ Diese beiden Fragen müssen die Bürger Kataloniens am 9. November 2014 im Rahmen eines Referendums beantworten, so jedenfalls planen es der Präsident der Generalitat de Catalunya, Artur Mas, und die Mehrheit des katalanischen Parlaments. Allerdings sieht die spanische Verfassung keine Referenden auf regionaler Ebene vor: Über die Unabhängigkeit Kataloniens oder eines anderen Landesteils können allenfalls alle Spanier entscheiden.
Um diese Hürde zu umgehen, beantragte die Mehrheit des regionalen Parlaments beim spanischen Kongress, dieses Recht an die regionale Ebene zu delegieren. Am 8. April lehnten 86 Prozent der spanischen Parlamentarier den Antrag ab. Damit scheint der Plan, die Unabhängigkeit Kataloniens auf legalem Wege über ein Referendum zu erreichen, gescheitert zu sein. Es gibt aber zwei weitere Möglichkeiten: ein nichtlegales Referendum oder eine Volksbefragung, die formell kein Referendum ist, möglicherweise in Form vorgezogener Wahlen, deren Ergebnis dann als Plebiszit interpretiert werden kann.
Weder Referendum noch Wahlen würden eine neue Rechtswirklichkeit und einen neuen Staat schaffen. Die Ergebnisse wären nicht mehr als eine Willensbekundung und damit ein Ausgangspunkt für Verhandlungen mit dem spanischen Staat. Doch um die Chancen auf eine „verhandelte“ Unabhängigkeit steht es nicht gut. Beide Seiten, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung (einschließlich der Generalitat) wie der spanische Zentralstaat, repräsentiert vor allem vom regierenden konservativen Partido Popular (PP), unterliegen einer sich beschleunigenden Selbstradikalisierung, die Verhandlungen und Kompromisse zunehmend ausschließt.
Die Vertreter des Zentralstaats pochen auf die Verfassung und die ihr zugrunde liegende Idee der „unteilbaren spanische Nation“, die eine Sezession – oder Verhandlungen darüber – grundsätzlich nicht zulässt; für die Unabhängigkeitsbewegung dagegen können die Auseinandersetzungen kein anderes Ergebnis haben als eben die uneingeschränkte Unabhängigkeit – was Verhandlungen überflüssig macht.
In Spanien prallen die beiden einander ausschließenden Grundprinzipien des Völkerrechts unvermittelt aufeinander: das Recht der Staaten auf territoriale Integrität und das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung nimmt für sich das Selbstbestimmungsrecht der Nationen in Anspruch. Damit ist die Frage aufgeworfen, wann ein Kollektiv eine Nation ist und legitim den Anspruch auf eigene Staatlichkeit erheben kann.
Zwei scheinbar „objektive“ Bestimmungsgründe für den Status als Nation kommen für die Katalanen nur mit Einschränkungen in Betracht: erstens die Ethnizität, die gemeinsame Abstammung und Zusammengehörigkeit durch Blutsbande. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung beruft sich nicht auf Ethnizität, sondern interpretiert Katalonien historisch als eine „Brücke“ zwischen verschiedenen Kulturen; die Unabhängigkeitsbewegung ist offensiv proeuropäisch (auf den großen Demonstrationen ist die Europafahne fast ebenso allgegenwärtig wie die katalanische Nationalflagge). Hinzu kommt, dass Katalonien im 19. und frühen 20. Jahrhundert das Ziel einer massiven Arbeitseinwanderung war, in erster Linie aus dem unterentwickelten Süden Spaniens. Ein großer Teil der Bürger Kataloniens sind ethnische Spanier, die eine ethnisch definierte Sezession abschrecken würde.
Der zweite und stärkere Bestimmungsgrund ist die Sprache, doch die Berufung auf die eigene Sprache und Kultur begründet zwar einen Status als Kulturnation, sichert aber keinen Status als politische Nation, zumindest dann nicht, wenn der Zentralstaat sie nicht an der Pflege ihrer Sprache und Kultur hindert. Die Sprache gewinnt ihre Bedeutung als Element nationaler Identität erst im Zusammenspiel mit anderen Deutungsmustern und Selbstinterpretationen, die nicht nur eine Sonderrolle im übergeordneten Staatsverband, sondern auch den Anspruch auf eine eigene Staatlichkeit legitimieren.
Natürlich sind auch diese Deutungsmuster nicht „objektiv“ im Sinne wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse; es handelt sich vielmehr um soziale Konstruktionen, bei denen (möglicherweise zutreffende) Fakten als Mosaiksteine zur kollektiven Imagination einer nationalen Gemeinschaft beitragen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich drei Narrative als Bausteine der katalanischen Identität herausstellen.
Das erste Narrativ ist die – im Vergleich zum Rest Spaniens – höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Katalanen, die mit 16 Prozent der Gesamtbevölkerung 20 Prozent des Sozialprodukts und 26 Prozent der Exporte Spaniens erwirtschaften. Damit liegt Katalonien zwar über dem spanischen Durchschnitt, aber nicht an erster Stelle unter den spanischen Regionen. Nach dem Baskenland und der Region Madrid belegt es den dritten Platz.
Gleichwohl, bezogen auf ganz Spanien ist die höhere Wirtschaftsleistung Kataloniens statistisch messbar. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie das Ergebnis der Investitionsentscheidungen multinationaler Unternehmen, im katalanischen Narrativ aber wird sie zum Produkt einer speziellen wirtschaftlichen Kultur, die sich von der des übrigen Spanien unterscheidet und in deren Zentrum das Verhältnis zur Arbeit steht. Während Arbeit für die meisten Spanier als Strafe Gottes gilt und daher begeisterungsfrei verrichtet wird, ist sie für die Katalanen ein Beleg für die Auserwählung durch Gott – eine Art protestantischer Ethik in einem katholischen Land.1
Das zweite Narrativ – in engem Zusammenhang mit dem ersten – ist die frühere und damit „echtere“ Zugehörigkeit Kataloniens zu „Europa“: Als Spanien noch von den Arabern regiert wurde, war Katalonien bereits Teil des Frankenreichs. Diese frühere Zugehörigkeit, die immerhin recht weit zurückliegt, wird in einen nationalen Charakterzug umgedeutet: Die Katalanen sind, so das Narrativ, die „eigentlichen“ Europäer auf der Iberischen Halbinsel – gegenüber dem Rest Spaniens mit seinen arabischen oder afrikanischen Wurzeln.
Das dritte und wahrscheinlich stärkste Narrativ ist das der Ausbeutung Kataloniens durch „Kastilien“, die einen konkreten historischen Ausgangspunkt hat: die Eroberung Barcelonas durch bourbonische Truppen am 11. September 1714. Deshalb stoßen die Fans des FC Barcelona ihren Ruf nach Unabhängigkeit genau 17 Minuten und 14 Sekunden nach Spielbeginn aus.
Nach 1714 verlor Katalonien – anders als das Baskenland und Navarra – seine „Foralrechte“, das heißt: seine vorher uneingeschränkte Steuerhoheit, ein Verlust, der als Beginn einer Ausbeutungsbeziehung interpretiert wird. Allerdings reduziert dieses Narrativ 300 Jahre spanischer Geschichte auf den bilateralen Konflikt zwischen Katalonien und Kastilien und blendet sowohl die anderen Kollektive aus, die sich als nichtspanisch verstehen, als auch die Phasen der Solidarität zwischen Katalanen und Kastiliern, etwa bei der Verteidigung der Republik im Bürgerkrieg oder in der Transición, dem Übergang von der franquistischen Diktatur zur Demokratie.
Seine Wirkung gewinnt das Ausbeutungsnarrativ dadurch, dass sich die Ausbeutung heute scheinbar exakt messen lässt: anhand der „Fiskalsalden“, dem Verhältnis zwischen den an den Zentralstaat abgeführten Steuern und den von diesem bezogenen Leistungen. Den Berechnungen der Generalitat zufolge führt Katalonien pro Jahr 5,5 Prozent seines Sozialprodukts (16 Milliarden Euro) an den Rest Spaniens ab.
Allerdings führt es auch in dieser Hinsicht nicht die Liste der spanischen Regionen an. Die Region Madrid transferiert 8 Prozent ihres Sozialprodukts, und die Balearen lassen sich ihre Zugehörigkeit zum spanischen Staatsverband immerhin 6,3 Prozent ihres Sozialprodukts kosten (während die „reichen“ Regionen Baskenland und Navarra mehr vom Zentralstaat bekommen, als sie an ihn abführen). Allerdings erklärt sich der defizitäre Fiskalsaldo Kataloniens zu zwei Dritteln mit dem einfachen Sachverhalt, dass die Katalanen mehr Steuern zahlen, weil sie im Vergleich zum Landesdurchschnitt mehr Geld verdienen. Zudem müsste die Analyse der fiskalischen Zu- und Abflüsse durch die der privaten Transfers ergänzt werden: So erwirtschaftete Katalonien 2011 gegenüber dem Rest Spaniens einen Handelsbilanzüberschuss von 22 Milliarden Euro.
Gleichwohl ist das Thema der Fiskalsalden besonders sensibel in einer schweren wirtschaftlichen Krise, die Spanien auf Anweisung der Troika mit Austerität bekämpfen soll. Die 16 Milliarden Euro, die Katalonien pro Jahr über Madrid nach Andalusien oder in die Extremadura überweisen, fehlen zur Abfederung der Krisenfolgen in Katalonien.
Noch 2009 befürworteten nicht mehr als 17 Prozent der Katalanen die Unabhängigkeit ihrer Region. Die große Mehrheit gab sich mit der in der spanischen Verfassung vorgesehenen Autonomie zufrieden oder bevorzugte eine föderale Lösung. Heute wollen etwa 52 Prozent der Katalanen in einem unabhängigen Katalonien leben. Das heißt: Noch vor wenigen Jahren waren für die Mehrheit der Bürger die katalanische Identität und die Zugehörigkeit zum spanischen Staatsverband miteinander vereinbar. Dass dies heute nicht mehr der Fall ist, geht in erster Linie auf die Wirtschaftskrise und die Austeritätspolitik zurück. Denn diese Krise war mehr als nur ein Einbruch des Wirtschaftswachstums, sie war gleichbedeutend mit einer Beschädigung des spanischen Selbstbewusstseins.
Nach 14 Jahren stabilen Wirtschaftswachstums mit Zuwachsraten oberhalb des europäischen Durchschnitts hatte Spanien den Status einer peripheren Ökonomie überwunden. Bezogen auf das Pro-Kopf-Einkommen, hatte es Italien eingeholt und war dabei, sich Frankreich zu nähern.
Diesem bemerkenswerten Erfolg setzte die Wirtschaftskrise ein abruptes Ende. Besonders schwerwiegend war, dass Spanien nicht nur die Austeritätspolitik, sondern auch eine Änderung seiner Verfassung, nämlich die Einführung einer in der Verfassung verankerten Schuldenbremse, aufgezwungen wurde. Die 1978 verabschiedete und durch ein Referendum bestätigte Verfassung gilt als Dokument demokratischer Reife und wurde vorher nur einmal geändert: mit der Aufnahme des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürger. Die zweite Änderung unter äußerem Druck (das heißt vor allem unter dem Druck Deutschlands) wurde als eine Verletzung der Souveränität Spaniens wahrgenommen.
Fleißig, sparsam, europäisch
Durch Krise, erzwungene Austeritätspolitik und Verfassungsänderung verloren die etablierten politischen Institutionen und Akteure radikal an Glaubwürdigkeit. Dadurch gewann die Forderung nach einer alternativen Staatlichkeit in Katalonien automatisch an Attraktivität. Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist dabei nur eines unter mehreren Symptomen, die die Delegitimierung der etablierten Institutionen zeigen. Andere sind die Jugendbewegung der „Empörten“, die Radikalisierung von Nachbarschaftsorganisationen oder auch die Einpunktbewegungen, die sogenannten Mareas, die in bestimmten begrenzten Bereichen, etwa im Gesundheits- oder Bildungssystem, Veränderungen erzwingen wollen.
Erst vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Autoritätskrise in ganz Spanien gewann die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ihre Dynamik und Popularität. Einen Beitrag hierzu leistete aber auch der Zentralstaat. 2006 wurde vom spanischen Parlament ein neues Autonomie-Statut, eine Landesverfassung für Katalonien, verabschiedet und durch ein Referendum in Katalonien bestätigt. Gegen dieses Statut legte die damalige Oppositionspartei, die konservative Partido Popular, gemeinsam mit einigen anderen autonomen Regionen Spaniens Verfassungsbeschwerde ein; 2010 qualifizierte das Verfassungsgericht einige Paragrafen des Statuts als verfassungswidrig.
Dieses Urteil wirkte als Katalysator der Unabhängigkeitsbewegung und trug zu Massenmobilisierungen für Referenden und Kundgebungen bei.
Zu mehreren Anlässen demonstrierten bis zu 2 Millionen Menschen auf den Straßen – eine zivilgesellschaftliche Bewegung, in der die „Nation“ nicht mehr nur „imaginierte Gemeinschaft“ zu sein, sondern wirklich Gestalt anzunehmen schien. Für Kontinuität sorgte eine Art NGO mit 35 000 Teilhabern und 17 000 ehrenamtlichen Mitarbeitern: die Nationalversammlung Kataloniens (Asamblea Nacional de Catalunya, ANC), die als Veranstalterin der Massenmobilisierungen auftrat. Die ANC und die Demonstrationen wirkten auch auf die Generalitat zurück und schworen die Mehrheit im Regionalparlament auf die Unabhängigkeit ein.
Ein Charakteristikum der spanischen Territorialordnung ist es, dass Zentralstaat und autonome Regionen über die ihnen jeweils zustehenden Ressourcen und deren Verwendung, etwa in der Form von Infrastrukturprojekten, verhandeln müssen. Damit ist dieser Ordnung ein permanenter Konflikt eingebaut – aber auch ein Lösungsmechanismus: Da es um quantitative Größen geht – die Höhe der Steuern und den Umfang staatlicher Leistungen –, lassen sich immer auch Kompromissformeln aushandeln.
Ein zweites Charakteristikum ist, dass es zwei autonome Regionen gibt, die im Grunde nicht mit dem Zentralstaat über Ressourcen verhandeln müssen: das Baskenland und Navarra, die – wie bereits bemerkt – über uneingeschränkte Steuerhoheit verfügen und die für Leistungen des Zentralstaats eine Art Gebühr entrichten. In den Genuss dieses Privilegs kamen die beiden Regionen, weil sie ihre Ansprüche sehr frühzeitig und unter günstigen politischen Bedingungen – im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Verfassung von 1978 – angemeldet hatten.
Für Katalonien bedeuten die steuerlichen Privilegien des Baskenlands und Navarras natürlich eine Ungleichbehandlung, die durch nichts als politische Opportunität gerechtfertigt ist. Hinzu kommt, dass sich der spanische Zentralstaat unter der jetzigen Rechtsregierung weigert, den Konfliktlösungsmechanismus zu nutzen, den das Territorialregime bietet, und Verhandlungen verweigert. Allerdings hat auch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung inzwischen eine Dynamik gewonnen, die Verhandlungen auszuschließen droht: In der Frage der Unabhängigkeit, bei der es nicht mehr um quantitative Größen geht, kann kaum noch ein Kompromiss geschlossen werden.
Damit deutet sich auch eine Spaltung unter den Befürwortern der Unabhängigkeit selbst an: Auf der einen Seite stehen Artur Mas und die von ihm geführte bürgerlich-nationalistische Convergència i Unió (CiU), für die es in erster Linie um die materielle Besserstellung Kataloniens geht. Die Unabhängigkeit ist für sie die letzte Lösung, sollte sich die Besserstellung nicht auf eine andere Weise erreichen lassen. Auf der anderen Seite stehen die ANC und die radikaleren politischen Parteien, allen voran die linksnationalistische ERC, für die das Ziel der Unabhängigkeit nicht verhandelbar ist.
Was ist zu erwarten, wenn – in welcher Form auch immer – zum Ende dieses Jahres eine Abstimmung in Katalonien ein Votum für die Unabhängigkeit ergibt? Die Regierung Spaniens würde dieses Votum auf jeden Fall für illegal erklären, so dass die Befürworter der Unabhängigkeit vor der Alternative stehen, entweder die Unabhängigkeit einseitig zu erklären oder auf weitere Verhandlungen zu setzen.
Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung werden Artur Mas und die CiU zu vermeiden suchen, und zwar in erster Linie aus europapolitischen und wirtschaftlichen Gründen: Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben den Katalanen deutlich gemacht, dass sie nach einer einseitigen Sezession nicht mit einer schnellen Aufnahme oder dem Verbleib Kataloniens in der EU rechnen können. Katalonien müsste die Mitgliedschaft in die Europäische Union neu beantragen und verhandeln – ein Prozess, der mehrere Jahre dauern kann und dessen Ergebnis auch Spanien zustimmen müsste. Eine derartige Entwicklung wäre für die katalanische Wirtschaft, einschließlich der Filialen transnationaler Unternehmen, mit Rechtsunsicherheit und mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken verbunden.
Eine verhandelte Unabhängigkeit nach dem Muster der ehemaligen Tschechoslowakei oder eine Reform der Verfassung, die die Voraussetzung für einen verhandelten Verbleib Kataloniens im spanischen Staatsverband wäre, wären theoretisch denkbar, sind aber angesichts der derzeitigen politischen Polarisierung zwischen den beiden einander aufschaukelnden Nationalismen wenig wahrscheinlich. Artur Mas und die CiU können allerdings darauf setzen, dass sich diese Bedingungen in absehbarer Zeit ändern.
Erstens kann das für September 2014 geplante Referendum über die Unabhängigkeit in Schottland europaweit das Klima für die katalanischen Bestrebungen verbessern. Zweitens können die EU und ihre Mitgliedstaaten Druck auf die PP-Führung und den spanischen Regierungschef Mariano Rajoy ausüben, damit sie Verhandlungen mit Katalonien nicht länger verweigern. Und drittens würde ein Regierungswechsel in Spanien nach den nächsten Wahlen 2015 die Bedingungen für eine Verfassungsreform aller Wahrscheinlichkeit nach verbessern. Die sozialistische Partei Spaniens PSOE und ihr katalanischer Flügel PSC jedenfalls sehen in einer Verfassungsreform den einzigen Ausweg aus der gegenwärtigen Pattsituation.
Die Frage ist jedoch, ob der militantere Flügel der Unabhängigkeitsbewegung, die ANC und die ERC, bereit sind, auf bessere Zeiten zu warten. Der Geist der Unabhängigkeit – oder des katalanischen Nationalismus – lässt sich möglicherweise nicht mehr in die Flasche einer unspektakulären, langwierigen und im Ergebnis unsicheren Verhandlungslösung zurücksperren.
Michael Ehrke ist Leiter des Madrider Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der vorliegende Artikel ist die überarbeitete Fassung einer Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung. © Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. Wir danken für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.