Fusion in der Terrorbranche
Algeriens Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf kooperiert mit al-Qaida von Mathieu Guidère
Die Nummer zwei der al-Qaida verkündete die „gute Nachricht“: In einem Video zum Jahrestag des 11. September gab Aiman al-Sawahiri bekannt, die als „Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC) bekannte algerische Organisation habe sich offiziell al-Qaida angeschlossen. „Dieses gesegnete Bündnis wird den amerikanischen und französischen Kreuzrittern schwer zu schaffen machen (…) und Angst in den Herzen der Verräter und der ungläubigen Söhne Frankreichs wecken.“
GSPC-Führer Abu Mussab Abdel Wadud reagierte schon am folgenden Tag mit der Veröffentlichung einer Ergebenheitsadresse, in der er Ussama Bin Laden Gefolgschaft „bis zum Märtyrertod“ versprach. Dort wurden auch die Gründe für das Bündnis mit al-Qaida aufgeführt. Demnach handelt al-Qaida „gemäß dem Koran und der Tradition des Propheten“, „ihre Fatwas stehen im Einklang mit der Scharia“, „ihre Politik ist weise und rechtgeleitet“. Vor allem aber: „Wir setzen volles Vertrauen in den Glauben, die Lehre, die Methoden und die Handlungsweise ihrer Mitglieder, ihrer Befehlshaber und ihrer geistlichen Führer.“
Dieser Zusammenschluss ist Teil der neuen Entwicklung im weltweiten islamistischen Terror. Bewaffnete Gruppen mit starkem Rückhalt vor Ort werden in die internationale Kooperation eingebunden. Als Katalysator wirkt dabei vor allem der Konflikt im Irak; al-Qaida dient, bei reduzierten eigenen Eingriffsmöglichkeiten, als gemeinsamer symbolischer Bezugsrahmen. Allen Erfolgsmeldungen der Geheimdienste zum Trotz hat die Bedeutung von al-Qaida für radikale Bewegungen in der muslimischen Welt beständig zugenommen; ideologisch ist ihre Stellung heute stärker denn je. Bislang schien der Maghreb von dieser Entwicklung kaum berührt, doch mit dem offiziellen Anschluss der GSPC könnte sich das ändern.
Die GSPC entstand Ende der 1990er-Jahre als Abspaltung aus der algerischen „Groupe Islamique Armé“ (GIA), die sich zu den Bombenanschlägen von 1995 auf U-Bahnen und andere öffentliche Plätze in Paris bekannt hatte. Die GSPC hat Frankreich wiederholt als „Hauptfeind“ bezeichnet. In den vergangenen Jahren sind in Frankreich und anderen europäischen Ländern einige GSPC-Zellen enttarnt worden.
Obwohl die algerischen Geheimdienste versuchten, die Gruppierung zu unterwandern und für ihre Zwecke einzusetzen,1 ist die GSPC noch immer sehr aktiv im gesamten Maghreb. Vor allem in Algerien – hier scheint sie in der Lage, den nationalen Versöhnungsprozess zu gefährden. Die im September 2005 durch eine Volksabstimmung abgesegnete Versöhnungscharta hatte sie von Anfang an abgelehnt.
Die Aufnahmeprüfung bei al-Qaida bestanden
Ein Jahr nach dem Referendum kann von der erhofften Befriedung des Landes kaum die Rede sein. Im Rahmen der Versöhnung sollen mehr als 300 Terroristen die Waffen niedergelegt und mehr als 2 200 Islamisten aus der Haft entlassen worden sein.2 Zugleich erklärte der Innenminister, es seien „innerhalb eines Jahres etwa 5 00 Terroristen von den Sicherheitskräften getötet oder gefangen genommen worden“3 . Die verschiedenen Fraktionen der GSPC wiederum bekannten sich im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. September zu etwa 100 meist tödlichen Kommandoaktionen: Angriffe auf Stützpunkte von Polizei und Gendarmerie oder auf Armeepatrouillen und gepanzerte Fahrzeuge, gezielte Ermordungen, Tötungen durch Anti-Personen-Minen.
Die GSPC versuchte aber auch, die internationale Dimension ihres Kampfes stärker hervorzuheben. Bei jeder Gelegenheit gab sie ihre politischen Positionen bekannt – zu Afghanistan, zu Tschetschenien, zum Libanon, zu Somalia oder zum Sudan. Und sie strebte eifrig danach, die „Bedingungen“ für die Aufnahme in das Al-Qaida-Netzwerk zu erfüllen. Ihr Führer erwähnt in seinem Kommuniqué zum erfolgten Anschluss die „intensiven Diskussionen und Verhandlungen, die fast ein Jahr gedauert haben“. Dabei spielte der Konflikt im Irak eine entscheidende Rolle: Dort wurde der Dialog eröffnet, dort erhielt die GSPC die Vorgaben, die sie zu erfüllen hatte.
Lob vom Leiter der Medienabteilung
Auf den Websites für Anhänger und Sympathisanten des radikalen Islamismus erschienen wiederholt Botschaften der Al-Qaida-Führung, die der GSPC zu ihren „dschihadistischen Aktionen“ in Algerien gratulierten. Im Juni 2005 hatte es die algerische Salafistengruppe offenbar geschafft. Stolz dokumentierte sie einen Brief von Abu Maisara al-Iraki, dem „Leiter der Medienabteilung der al-Qaida“: Er lobte die „siegreiche Operation“ der GSPC gegen eine Kaserne der Armee in Mauretanien. Der kurz zuvor ausgeführte Überfall war die erste größere Aktion in einem Nachbarland Algeriens. Weitere Operationen dieser Art entlockten dann sogar Ussama Bin Laden persönlich ein Lob für die „algerischen Mudschaheddin“.
Im Juli 2005 revanchierte sich die GSPC mit Glückwünschen an al-Qaida im Irak zu deren Entführung der algerischen Diplomaten Ali Belarussi und Assedine Belkadi. Das Kommuniqué empfahl sogar, an beiden ein „Gottesurteil zu vollstrecken“. Emir Abu Mussab Abdel Wadud bekräftigte einen Monat später diese Haltung.
Seither verstehen sich die beiden Terrororganisationen offenbar blendend. Mitte August 2005 übernahm die GSPC eine Verlautbarung von al-Qaida und rief „die Jugend der Nation“ auf, sich „dem Dschihad gegen die Abtrünnigen in Algerien“ anzuschließen. Als al-Qaida Ende August die „Ablehnung des muslimischen Schleiers im Kreuzritter-Frankreich“ gegeißelt hatte, legte die GSPC sofort nach und stellte in alle islamistischen Internetforen und Websites – auf Französisch und Arabisch – den Aufruf an in Frankreich lebende Algerier, „ihre Brüder, die Mudschaheddin in Algerien, zu unterstützen“. Frankreich wurde für seine Unterstützung des Regimes von Präsident Abdelasis Bouteflika scharf kritisiert, und die GSPC forderte ihre Sympathisanten auf, „Rache zu nehmen“.
2006 vertieften sich die Beziehungen zwischen den beiden Organisationen. Zu verschiedenen internationalen Ereignissen (in Tschetschenien, Afghanistan, Sudan und Libanon) erschienen gleichlautende oder gleichzeitige Stellungnahmen. Nachdem der irakische Al-Qaida-Führer Abu Mussab al-Sarkawi am 7. Juni in Bakuba getötet wurde, veröffentlichte Emir Abu Mussab Abdel Wadud ein ausführliches Kondolenzschreiben. Er erhielt postwendend ein Dankschreiben vom Al-Qaida-Medienchef Abu Maisara al-Iraki, in dem auch sein „wirksamer Beitrag zur Mobilisierung der Nation für den Dschihad“ lobend erwähnt wurde. Diese Bemerkung bezog sich auf eine Empfehlung der al-Qaida an die GSPC-Führung von Anfang 2006: Man solle sich mehr um die Propaganda kümmern. Wie sehr die GSPC inzwischen auf den Kurs von al-Qaida eingeschwenkt ist, zeigte sich in den folgenden Monaten. Eine ganze Palette neuer Kommunikationsmittel kam zum Einsatz.
Zunächst richtete die GSPC eine Mailingliste ein, die regelmäßig zur Verbreitung ihrer Bekennerschreiben und der Auflistung ihrer Operationen, aber auch anderer offizieller Verlautbarungen in Ton- und Bild dient und die erst monatlich, inzwischen sogar wöchentlich auf den neuesten Stand gebracht wird. Und andere islamistische List-Server übernehmen die Inhalte – ein deutlicher Hinweis, dass die GSPC Eingang in den kleinen Kreis von dschihadistischen Gruppen gefunden hat, die in der muslimischen Welt als solche anerkannt sind.
Nach dem Vorbild von Publikationen, wie sie etwa von Ansar al-Sunna und al-Qaida im Irak vertrieben werden, startete die GSPC die Monatszeitschrift al-Jamaa („Die Gruppe“). In deren Nummer 6 wurden auf 36 Seiten die Aktionen der Gruppe im Inland gewürdigt, aber auch Entwicklungen im Irak, in Marokko oder in Tschetschenien behandelt. Außerdem finden sich lange Auszüge aus den Schriften der Vordenker des Salafismus. Links zu al-Jamaa findet man auf vielen Websites in Europa und der muslimischen Welt, ihre Ausgaben sind in den einschlägigen Internetforen präsent.
Seit Januar 2006 hat die algerische Gruppe auch viel getan, um eine eigene Website zu präsentieren und regelmäßig zu aktualisieren. Natürlich hat sie schon mehrfach die Adresse gewechselt, um den Nachstellungen des Geheimdienstes zu entgehen, und kann nicht ständig aufgerufen werden. Am 10. September 2006 verzeichnete der Besucherzähler bereits 85 000 Clicks – also durchschnittlich mehr als 10 000 Besucher pro Monat.
Kampfszenen aus der Wüste als Actionvideo
In der Rubrik „Lehre“ wird ein Text von Abu Muhammad al-Maqdisi geboten, einem Vordenker des radikalen Islamismus im Nahen Osten, der seit einigen Jahren in Jordanien inhaftiert ist. Seine Lehrmeinung stellt die GSPC in die Nachfolge der Gruppe „Islamische Einheit und Dschihad“, die al-Sarkawi gegründet und geführt hatte, bevor er Führer der irakischen al-Qaida wurde.
Nach Sarkawis Tod beeilten sich die wichtigsten Führer der GSPC in mehreren Interviews (die auf ihrer Website verfügbar sind), ihre radikalen Positionen zu rechtfertigen, vor allem was die Angriffe auf die Zivilbevölkerung betrifft. Dabei wird auch die Radikalisierung ihrer Ideologie und Glaubensauffassung deutlich – ein Übergang von Salafismus zum Dschihadismus und vom Kampf gegen die Ungläubigen bis zum Märtyrertod. Damit zeigen sie sich zwar noch nicht so unerbittlich entschlossen wie al-Qaida im Irak, doch ihre Annäherung an deren Positionen ist bereits sichtbar. In den jüngsten Videodokumenten der Gruppe wird das erst recht deutlich.
Videos sind bei der GSPC in den letzten Monaten besonders beliebt. Nach dem Vorbild der Al-Qaida-Propaganda im Irak hat die Gruppe ein „Medienkomitee“ gebildet und erwartet von ihren Kommandanten, dass sie ihre Operationen Tag und Nacht filmisch dokumentieren. Angeblich hat diese Entscheidung bereits zu neuem Zusammenhalt und Kampfesmut bei den versprengten Einheiten in den Wüsten und Bergregionen Algeriens geführt.
Innerhalb von drei Monaten wurden zwei Videos ins Netz gestellt. Der eine Film dauert knapp eine Viertelstunde und zeigt die Aktionsbilanz eines einzigen GSPC-Kommandanten. Den Besuchern der Website war das entschieden zu wenig: Sie hielten das Dokument für „inhaltsleer“ und „wertlos“ und verwiesen auf die ausgefeilten Propagandastreifen, die al-Qaida im Irak produziert habe.
Anfang September war dann ein zweiter Film verfügbar – und offenbar hatte die Kritik Wirkung gezeigt: Dieses Video bietet in anderthalb Stunden deutlich mehr drastische Szenen und spektakuläre Aktionen aus Einsätzen in ganz Algerien. Im geschickten Zusammenschnitt ganz unterschiedlicher Operationen vermittelt es den Eindruck, die GSPC sei überall Herr der Lage.
Obwohl nur Siege dargestellt werden, bleiben die Verluste nicht unerwähnt – auch darin zeigt sich, wie weit die GSPC die Al-Qaida-Doktrin des „Märtyrertums“ bereits übernommen hat. Beide Filme führen die spirituelle Einstimmung auf den Kampf vor und glorifizieren die getöteten Kämpfer. Sie erinnern deutlich an jene Videos über die „Märtyrer der al-Qaida“, die im Irak bei jedem bedeutenden Selbstmordanschlag gedreht werden. Bislang hat sich die GSPC solcher Taten in Algerien noch nicht gerühmt, aber aus ihrer Propaganda ist abzulesen, dass sie spektakuläre Selbstmordanschläge in das Repertoire ihrer Terrorstrategie aufnehmen wird.
Zu denken gibt auch, dass es das GSPC-Medienkomitee offenbar angebracht fand, die Videos mit den Kampfgesängen der al-Qaida und anderen Tondokumenten aus dem Irak zu unterlegen. Eine weitere stilistische Anleihe sind Aufnahmen von erpressten Geständnissen und von Hinrichtungen.
Dass die Internationalisierung der GSPC fortschreitet, zeigt sich überdies in den Porträts einzelner Kämpfer. In einer Passage werden die Fähigkeiten von „Munir, dem Tunesier“ gepriesen, der ein GSPC-Trainingslager leitet.
Eine andere Episode widmet sich einer gemeinsamen Operation mit den „mauretanischen Mudschaheddin“. Und auch wie man sich die „Union des Maghreb“ vorzustellen hat, wird in einer langen Einstellung inszeniert. Bei einer Siegesfeier verbrüdern sich Dschihadisten aus Algerien, Marokko, Tunesien, Libyen und Mauretanien. Dazu erklingen auf der Tonspur die Kampfgesänge der al-Qaida, irgendwo im Niemandsland der Südsahara.
Fußnoten: